Читать книгу Geschichten aus Friedstatt Band 3: Friedstatt muss leben! - Christian Voß - Страница 11

Geisterwerke voraus

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Bagatosh sah in den selben Himmel wie Melanore Tage zuvor. Die Ketten klirrten. Die Schlucht, die sich keinen Steinwurf weit entfernt neben ihm erstreckte und seit geraumer Zeit begleitete, war ihm durchaus bekannt. Bilderfetzen seiner Flucht, wahllos aufgerufen vor seinem inneren Auge, zogen in farblosen Schlieren an ihm vorbei. Ihn überkam ganz unvermittelt ein Gefühl von Heimweh. Minzareth die schwarze Schule. Der Orden war also nichts anderes als ein Machwerk der tausend Augen? Diese Frage bewegte ihn. Bagatosh konnte es nicht fassen. Ein Ruf von vorn erschallte. Melasha der etwa drei Meter vor ihm ging, hielt abrupt an. Die schweren Ketten glitten scheppernd zu Boden.

"Was ist das wieder für ne Scheiße? Ich bin gerade warm!" Melasha schenkte seinen Bruder einen giftigen Blick.

"Dein eigentümlicher Gang verweist auf dicke Eier."

"Bruder – ich hab wenigstens welche.", so ausgelassen wie Melasha an diesem Tag war, erriet man kaum welch eine stumpfsinnige Grausamkeit in diesem Mann wohnte. Mel spukte aus und trat ein Stück aus der Linie. Er wollte wissen was vor sich ging. Ganz unverhohlen schenkte er den vorbeieilenden Wachen spöttische Blicke. Der klobige Versorgungskarren stand still. Einige der Sklavenhändler, bewaffnet mit Holzplanken, eilten von allen Seiten an die hohen Speichenräder des Versorgungswagens heran.

"Hach – der Wagen hat sich festgefahren." Noch ehe Melasha sich wieder einreihte, knallte eine Peitsche. Einer der Treiber war von hinten an sie herangetreten und blökte missmutig – irgendwas von Disziplin. Dabei zog er eine schaurige Fratze. Sein Gebaren war eindeutig. Melasha war versucht, das züngelnde Peitschenende, welches nur knapp über seinen Kopf schwang, aus der Luft zu pflücken, aber er zog es vor nicht weiter aufzufallen und so trottete er schweigsam, mit gesenktem Kopf, wie ein geprügelter Hund, zurück an seinen Platz. Einige der Gefangenen saßen bereits. Für sie war dieser Vorfall ein geeigneter Moment innezuhalten, um sich auszuruhen und auf die folgenden Strapazen vorzubereiten.

Es war ausgesprochen kalt an diesem Morgen. Ihre Ausrüstung war verloren. Sie beide trugen einen einfachen Latz und darüber einen groben Leinenmantel der bis zu den Knien reichte – kein Luxus, besonders wenn der Tross stundenlang herumlungerte und nicht vorankam. Melasha setzte sich und wendete sich an seinen Bruder, unter dem missmutigen Blick des Treibers. Bagatosh wirkte resigniert. Seine Gedanken hingen seinem Schwert nach. Innerhalb von ein paar Tagen, war er imstande gewesen mehrere Waffen zu verlieren – wenn das sein Lehrmeister erführe.

"Glaubst du die besuchen mit uns die Talwar?" flüsterte Melasha und sah immer wieder prüfend zu dem Treiber, der sich langsam entfernte.

Bagatosh nickte.

"Du hast die Masken gesehen und das Bündel? Wenn wir da durchlaufen, mit diesem Zwirn – sind wir so gut wie Tot!"

Die Talwar, eine Wüste die sich hinter dem Fressenbeißergebirge verschanzte und ausdehnte. Eine endlose, feindliche Ödnis. Verseucht von den unzähligen Leibern herab gefallener Drachen – so behaupteten jedenfalls ein paar alte Greise, die sich als Überlebende der Drachenkriege ausgaben. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichten ließ sich nicht nachprüfen. Wildes absonderliches Getier hauste dort, unter anderen die Silberarmeisen. Von der Karawanserei Groangrund waren, in jüngster Vergangenheit, nur widersprüchliche Nachrichten in die Stadt eingesickert. Schauermärchen und Gerüchte von Übernahme und Tod.

Bagatosh erinnerte sich an den flüsternden Sturm, der die Stadt vor kurzem heimsuchte. Auch dass war neu. Ein Wetterphänomen von ungeheurer Größe. Bisher eigentlich nur, außerhalb der Stadtmauern anzutreffen. Ein untrügliches Zeichen, dass sich die Situation, außerhalb der schützenden Umfriedung, mehr und mehr verschlechterte.

Bagatosh hatte die unterschiedlichsten Rassen in dem Todeszug ausgemacht, denn nichts anderes war diese Kette, die sich von Zeit zu Zeit spannte: ein Todeszug. Kaum jemand, der Anwesenden, würde diesen sprichwörtlichen Raubbau an ihrem Körper lange genug überstehen. Er schätzte das knapp ein Drittel, wenn überhaupt, die Geisterwerke erreichen würde. Ein Hornsignal gab Anlass zur Hoffnung. Der Tross setzte sich klirrend in Bewegung. Nur sehr langsam ging es voran. Schritt um Schritt tasteten sich die armen Seelen in das kochende Inferno. Das Wetter wechselte im Stundentakt. Die Verseuchung betraf nicht nur das Land, die Scholle, auch der Himmel spielte sein irres Spiel und überraschte, mit immer neuen Wetterlagen. Erst Regen, danach folgte in der Regel Hagel und wenn nicht eins von Beiden auf die armen Wanderer prasselte, dann alles gemeinsam. Die Farbe des krankenden Himmels wechselte ständig. Je nachdem welche magischen Ablagerungen in den oberen Luftschichten lauerten und vom vorbeiziehenden Regen gerade ausgewaschen wurden. Der Volksmund nannte dieses Grauen: "Regenbogenregen". Weniger positive Naturen nannten dieses Phänomen den bunten Tod. Angstvoll erwartete man leichte Verätzungen auf der Haut, wenn der Regen auf grün umschlug. Ein grüner Schimmer blieb auf der Haut zurück, nachdem die oberflächlichen Verbrennungen verheilt waren. Einige einfältige Naturen behaupteten, dass die Orks so entstanden waren.

Was natürlich Unsinn war – obwohl die Geschichte ihrer Herkunft im Dunkle der Zeiten verschollen blieb. Mutmaßungen waren also an der Tagesordnung und wurden immer wieder neu befeuert.

Drei Wochen kräftezehrende Plackerei lagen hinter ihnen – dann endlich erreichten sie den Fuß des Fressenbeißergebirges. Die sanft abfallenden Hügel wirkten harmlos, geradezu einladend. Dahinter verbarg sich die Wüste. Ein Meer aus Sand dessen Wellen wanderten und heiß gegen das massive Bollwerk brandeten und die spartanisch grünen Hügel, die vor ihnen aufbegehrten, Stück um Stück aufzehrten.

Ab und an, wurde jemand aus der Kette entlassen – mit einem Tritt landete der arme Teufel in der gähnenden Schlucht, die sie gierig belauerte und gerne fraß. Man schloss schweigsam auf und war froh überlebt zu haben. Bagatosh dachte wehmütig an seine Huren im "toten Geier". Der Luxus hatte ihn weich werden lassen. Er vermisste, die eine oder andere Annehmlichkeit, die ihm zuteil geworden war. Immer wieder mühte er sich trotzig ab, aber all seine Anstrengungen schienen vergeblich, die Fesseln lösten sich nicht. Melasha schien das Problem erkannt zu haben. Ständig bewegte er seine Hand. Rührte ganz vergeblich sein Handgelenk in der Fessel, bis es blutete. Die Wachen schenkten ihm keine Notiz. Sie schienen seine kläglichen Bemühungen nicht mal wahrzunehmen. Eine Fessel getränkt mit Magie – selbst für einen erfahrenen Assassine seines Kalibers unüberwindbar.

Es regnete in Strömen. Die Gruppe fand Platz in einer ausgedehnten Höhle. Es war unübersehbar, sie wurde regelmäßig genutzt. Es fanden sich zahlreiche Feuerstellen, und überall an den Wänden schmierige Placken von Russ. Einige der durchziehenden Gefangenen hatten sich hier verewigt. An vielen Stellen gab es Einritzungen im kahlen Fels oder Handabdrücke und kleine scheue Malereien in dunklen, abgeschirmten Winkeln. Allen war klar was am nächsten Nachmittag geschah. Die Stimmung war allgemein betrübt. Ja, sogar aggressiv. Mehr als einmal prügelten die Wachhabenden zeternde Gefangene nieder, die sich gebärdeten, als sei der Wahnsinn in sie gefahren. Andere, stillere Naturen waren in ein dumpfes Brüten verfallen. Eine dunkle, Unheil verkündende Wolke schwebte über allen Anwesenden. Nicht weit entfernt, lauerte die Talwar. Hinter spitzen Felsen verschanzt. Sie wartete geduldig und still, auf ihre neuen Opfer, die sie aus den anhaltenden und endlos scheinenden Menschenstrom, abschöpfte. Was trieben Elamorsa und Vivan und die gute Schena alias Glutherz? Er war nicht zum verabredeten Zeitpunkt am vereinbarten Treffpunkt angekommen. Bagatosh wollte das Drama nicht zu Ende denken – sicher waren sie bereits tot. Glutherz traute er so einiges zu, aber dem Rest der Gruppe? Fragwürdig – sicher hatten die Orks sie längst, unweit der Stelle, von wo sie aufgebrochen waren, aufgebracht und der arme Vivan briet sicherlich schon über einem Feuer, mit einem beachtlichen Spieß im Arsch.

Bagatosh erwachte – er schüttelte die unliebsamen Bilder ab. Ein Wachfeuer war das erste, was er sah. Es klirrte grell. Ein Rascheln folgte:

"Psst – Bruderherz." Bagatosh sah blinzelnd nach oben. Er spürte einen leichten Druck an seiner Kehle. Ein Arm umschlang seine Brust.

"Es ist wie es ist – ich bin frei." Bagatoshs Blick wanderte nach unten. Unter ihm zeichneten sich bekannte Stiefelabsätze ab. Vor ihm lag eine Wache tot im Staub. Er hörte das Schnarchen seines direkten Nachbarn.

"Wie hast du das geschafft?" hauchte Bagatosh. Er war ehrlich überrascht.

"Still! – bleibt mein Geheimnis und ist auch egal – denn du wirst mir nicht folgen. Auf dich warten die Annehmlichkeiten der Talwar.", seine Stimme hatte einen obszön, freudigen Beiklang.

"Und so schließt sich der Kreis – du weißt doch, dass Kontingent scheitert nie." Melasha erhöhte den Druck. Es handelte sich um einen angespitzten Stein, der sich unterhalb Bagatoshs Adamsapfel gerade verewigte. Sicher hatte er der Wache, mit diesem primitiven Werkzeug, den Schädel eingeschlagen. Bagatosh keuchte, dann bekam er ebenfalls einen Schlag und fiel bäuchlings in den Sand.

Mit Schwund, in den Reihen der Gefangenen, schien sich hier jeder abzufinden. Selbst die Wachen machten kein großes Aufhebens, als sie die leere Handfessel am frühen Morgen fanden. Aber etwas war anders. Melasha schien wertvoller, von besonderem Interesse. Zwei Sklavenjäger fanden sich beim schlaftrunkenen Assassine ein. Der eine des Duos, schlug Bagatosh grob ins Gesicht, nachdem er ihm, vergeblich, ein paar Fragen gestellt hatte. Seine mürrischen und etwas dümmlichen Züge prägte sich der Assassine ganz genau ein. Ein Mann von größerer Statur gesellte sich dazu und gab im herrischen Ton Anweisungen. Die beiden Sklavenjäger lösten sich von der Gruppe – ganz offensichtlich waren diese beiden armen Teufel dazu abgestellt worden, dem Flüchtigen nachzustellen. Bagatosh lächelte flüchtig, während der das Blut zurück in die Nase zog und verächtlich ausspuckte: Lass ihn sein wie er ist, aber diesen Spaß gönnte er seinem Bruder. Die beiden hatten nicht den Hauch einer Chance und Gesetz dem Fall sie fänden ihn, waren die beiden armen Seelen auch schon gleich darauf tot. Melasha war ein Meister seiner Zunft, dazu kaltherzig und abgestumpft. Ein höriger Diener der schwarzen Feste.

Er erkannte sich in seinem Bruder, damals in einer anderen Zeit. Er war nicht anders gewesen. Seine Auferstehung veränderte ihn und trug letztendlich die Schuld, an diesem ganzen Dilemma. Die Begegnung mit einem namenlosen Gott, der ihn dem Tod entriss, veränderte sein Bewusstsein. Seine Einstellung zum Leben allgemein. Rückblickend gesehen, wurde er weich und nachgiebig. Durch diese neu entwickelten Charakterzüge verkomplizierte sich alles und er entfremdete sich seiner Aufgabe. Es fiel ihm schwerer den Befehlen der Oberen zu folgen. Seine Position in der Gemeinschaft bröckelte. Neue Feinde, innerhalb der eigenen Reihen, erwuchsen aus dem Nichts. Ein Affront nach dem anderen folgte. Seine Abneigung gipfelte in den Morden, an den beiden Obmännern. So etwas hatte es noch nie gegeben, seit der Gründung des schwarzen Ordens. Und sicher würde sich so etwas auch nie wiederholen.

Nach Stunden des Anstieg erreichten sie endlich den Kamm der ersten Ausläufer. Der Blick war beeindruckend. Ein gelbes Meer, das bis an den Saum des Horizonts reichte, zeichnete sich kontrastreich unter ihnen ab. Ein, auf den ersten Blick, friedlicher Landstrich und keine ungastliche Ödnis wie beschrieben. Aber es wurde spürbar wärmer. Das erste mal nach Wochen fühlte er sich angemessen gekleidet.

Der Versorgungswagen schnitt durch die ersten Ocker gefärbten Dünen. Die Führungskette spannte sich von Kamm zu Kamm. Wie viele waren sie? Bagatosh schätzte grob an die zweihundert Gefangene. Ein Teil war bereits hinter den Dünen verschwunden. Peitschen knallten. Die Söldner, die den Karren flankierten, riefen wild gestikulierend die hinteren Gefangenen heran. Gemeinsam stemmten sie sich gegen den Wagen, der nur langsam vorwärts rollte. Ein erster heißer Wind trug feinen Sand mit sich. Er knisterte geheimnisvoll zwischen den Felsen. Ab jetzt begann die wirkliche Tortour. Alles vorangegangene war bloßes Geplänkel.

Geschichten aus Friedstatt Band 3: Friedstatt muss leben!

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