Читать книгу Geschichten aus Friedstatt Band 3: Friedstatt muss leben! - Christian Voß - Страница 5
Drachenkriege: Die verzehrende Plage
ОглавлениеMir fehlen oft die Worte, um die zahllosen Eindrücke zu beschreiben, die uns in den Drachenkriegen widerfuhren. Noch immer schrecke ich aus dem Schlaf – schweißgebadet, der festen Überzeugung, dass Feuer der Drachen zu riechen und den bitteren Geschmack der Verbrannten, zu Staub gewordenen Leichen, meiner Kameraden, zu schmecken.
Anfangs bewegten wir uns frei unter dem Himmel. Wir ahnten nicht mal, was uns erwartete. Wir waren nicht mehr, als junge Burschen, teils vollkommen unerfahren. Die Veteranen waren längst gefallen. Die Schulungen zu bloßem Mittelmaß verkommen. Die Verantwortlichen – überfordert. Die Leiter waren froh, wenn sie überhaupt noch geeignetes Material fanden, um es an die fliegende Brut, wie sie die Drachen geringschätzig nannten, zu verfüttern. Die Suche der Rekrutierkolonne weitete sich täglich aus. Am Ende auf den gesamten, bekannten Kontinent. Nur der brennende Graben hielt sie auf. Eine Feuerbarriere von ungeahntem Ausmaß. Eine Frage bewegte alle, in diesen verzweifelten Tagen: Die Drachen – wo kamen sie her? Einige mutmaßten, dass die Zwerge, in ihrer Gier nach Erz diese Plage tief unter der Erde freilegten. Andere waren der Ansicht, dass eine fremde Macht seine Vorhut schickte und alsbald nachkommen würde, um die entmenschlichten Landstriche einzunehmen und für sich zu beanspruchen. Niemand wusste etwas genaues. Nur eines war klar: wenn nicht bald eine Lösung gefunden werden würde, wäre die Menschheit am Ende ihres kurzen Lebensspanne angelangt.
Der glutheiße Atem der Lindwürmer, wirbelte Staub und Asche auf, hoch in die Atmosphäre. Der Himmel verdunkelte sich, mit dem verstreichen einiger Wochen. Alles was noch lebendig war kauerte sich zusammen. Wir begannen aus schierer Verzweiflung zu graben, Stollen und Schützengräben auszuheben, um uns notdürftig, vor den lauernden Gefahren aus der Höhe abzuschotten. Das menschliche Leben wurde von der Erdoberfläche verbannt und verlagerte sich unter die Erde. Unser Dasein ähnelte auf unheilvolle Weise, immer mehr dem Lebensstil der Zwerge. Die wir zwar für ihre Schätze bewunderten, aber doch eher hassten für den Schmutz, den ihre zahlreichen Schmieden in die Stadtluft pusteten.
Die Zustände, die damals herrschten, waren verheerend und kaum zu beschreiben. Ratten, überall hausten Ratten – teilweise Kaninchen groß. Nachts, bei dem bloßen Versuch Ruhe zu finden, hüpften und sprangen sie lebhaft und frech über alles hinweg. Dieses respektlose Viehzeug knabberte jedes Lebewesen an, das ungeschützt schlief. Nase, Ohren, Finger nicht ein Körperteil war vor ihnen sicher. Einige Soldaten bauten sich eine Art Schlafkäfig, um diese Brut von dem ruhenden Körper fernzuhalten. Andere verstanden sich darauf die Prachtvollsten zu fangen und verarbeiteten sie hungrig und schadenfroh, umgehend in einer Suppe. Diese Brühe fand Anklang und reißenden Absatz, da es keine nennenswerte Alternative gab und obwohl sie so übel roch, kippten sich die Mannen den zähflüssigen Schmand, hungrig in den Schlund.
Unzählige Kämpfer erstickten in ihren unterirdischen Kammern. Der Rauch zog, wenn der Wind ungünstig blies, also – in aller Regelmäßigkeit, ölig dicht durch die Gänge und nahm seinen kauernden Bewohnern die Orientierung. Die armen Teufel fanden nicht schnell genug einen Weg an die Oberfläche und erstickten elendig in ihren engen Erdhöhlen und Ausschachtungen. Wenn es regnete brach das Wasser dunkel und schwer in die Gräben: Ich höre noch das verzweifelte Wimmern und Flehen der Verwundeten, die in den heranbrausenden Fluten schreiend und wild um sich schlagend, ertranken.
Wie wurden die Männer in den Gräben gehalten? Mit drakonischer Härte? Nein, die stete Anwesenheit der Drachen reichte vollkommen aus, sie in dem vollgeschissenen Labyrinth, aus unzähligen Gängen zu halten. Den schützenden Graben zu verlassen, hieß augenblicklich zu verbrennen. Es schien als lauerten die schwarzen Drachen nur auf eine Gelegenheit. Wir schissen in Pergament und warfen unsere Notdurft, sorgfältig in Papier eingeschlagen, aus den Gräben. Pissen? Gleich vor Ort – die Devise lautete: "Lass es fließen." Oder man pisste sich, vor schmerzhaftem Durst, in die Hände und leckte das salzige Zeug gierig auf.
Es stank erbärmlich, um uns und von uns. Wir fanden keine Gelegenheit unsere Kleidung zu wechseln. Wir stanken sprichwörtlich aus jedem Knopfloch. Überall lagen Leichen. Der Tod war allgegenwärtig und von schauderhafter Intensität. Wenn ein Feuerstrahl die Erde erreichte, begrub er die Menschen und die halb verwesten Überbleibsel der vorangegangenen Leichen wurden wieder freigelegt. Der Regen schwemmte reichlich Arme und Beine heran. Vielerorts lagen sie wirr umher – schauerlich anzusehen. Nicht wenige Ritter vergriffen sich gierig an dem Schwemmfleisch und schissen danach Blut. Wir lebten alle auf einem ungeordneten Friedhof in direkter Nachbarschaft mit dem Tod. Krankheiten breiteten sich aus: die Krätze. Trauben von Läusen hingen satt an den Menschen und ihre Leinenhosen trieften vor Blut.
Es wurde geraucht. Dankbar wurde geräuchert, um den bestialischen Verwesungsgeruch zu überdecken, der über das verwahrloste Land strich und sich in den Gräben festzusetzen drohte. Und gesoffen – bei den Göttern, es gab reichlich Fusel. Überall entstanden kleine Destillen und die Brennmeister waren sich selbst die besten Kunden. Dem Wasser konnte man nicht mehr trauen. Die Männer soffen zu jeder Tages- und Nachtzeit, was ihrer Aufmerksamkeit schadete und zweifelsohne für ihr wenig ruhmreiches Ableben sorgte. Die Angst ließ viele Männer verzweifeln. Ihr Blick war dünn. Ihre Haltung gebrochen. Geister ihrer selbst, die schaurig anzusehen in den Gräben wanderten und kraftlos flüsterten. Lebende Geister, die sich irgendwann im Feuer selbst opferten. Einmal, bei Regen fiel ich in ein Loch. Gierig fing ich an zu saufen, ohne die Folgen zu bedenken. Schnell bemerkte ich einen seltsamen Geschmack. Als kurz darauf eine Flamme durch den Wolken geschwängerten Himmel stieß, sah ich es mit Schrecken – das Wasser war rot. Vor meinen Augen schwamm ein Kopf. Die Augen des Mannes starrten mich leblos an. Blut, es war eine Grube voll eingesickertem Blut, in der ich da steckte und bis eben noch gierig trank.
Die Tragik nahm zu, desto länger der Konflikt anhielt. Mit der Zeit wurden unsere Getreuen zum Opfer unseres Hungers. Wir kehrten zurück zu unseren Wurzeln. Die Zivilisation und ihre Gesetze, einfach vergessen. Hunde mussten dran glauben, danach folgten unsere Pferde. Ich sehe immer noch wie Manustra der Schmied mit seinem Hammer auf sein Pferd einschlug. Der schwere Hammerkopf traf genau zwischen die Augen des armen Geschöpfes. Ein Schauer ging durch den Körper des Reittiers und endete in den Läufen, die sein Pferd, wie vom Blitz getroffen, nach allen Seiten ausstreckte, um danach leblos in sich zusammenzustürzen.
Aber da gab es noch anderes, schlimmeres zu berichten: Rohe Gewalt wirkte virulent. Menschen fraßen Menschen – Kannibalismus breitete sich wie eine Seuche zwischen den Kriegsparteien aus. Niemand schien mehr des anderen Bruder zu sein. Und die Drachen erschienen, mit der Zeit, weitaus gnädiger als ihre menschlichen Kontrahenten.
Huiii, das Pfeifen des Luftzugs – ich höre es immer noch, wenn ich die Augen schließe. Ein Drache im Sinkflug. Ein unvergleichliches Geräusch. Schatten machen mir bis heute Angst – immer denke ich: Ein Drache schwebt über mir und gleich wird mich sein Feuer verzehren.
Während dem letzten Aufbegehren der Rassen erschienen die Syders wie aus dem Nichts. Angepriesen, als eine neue Verheißung. Stilisiert von ihren fragwürdigen Schöpfern, zu einer gottgleichen Kraft. Von da an verschwanden die Menschen nicht nur in der verzehrenden Glut des Drachenodem, viele wurden auch entfernt – anderweitig eingesetzt. Die Feldlazarette verwaisten, auf eigentümliche Weise. Alle Verwundeten die transportierbar schienen, verschwanden spurlos. Heimlich still und leise des nachts. Es traf nicht nur die Alten und Verletzten auch frische Rekruten wurden dingfest gemacht und verschleppt – wohin? Zu den so genannten Geisterwerken, dessen Begründer die Hexer waren. Es waren Vorgänger der heutigen Magier und angeblich von den Göttern erschaffen. Weniger gut ausgebildet und weitaus unmoralischer in ihrem Handeln. Losgelöst von der Menschheit und mit Machtbefugnissen ausgestattet die zwangsläufig korrumpieren mussten, trieben sie ihr Unwesen.
Diese neuen Herren, fanden ein probates Mittel gegen die Himmelsbrut und scheuten sich nicht es einzusetzen, denn dafür waren sie erschaffen worden. Menschen wurden zu Syders umgewandelt. Vielen verstümmelten Recken wurde das Blaue vom Himmel versprochen, dankbar zwängten sie sich, in die von Magie durchwirkten Rüstungen, in der Hoffnung eine zweite Chance zu erhalten – doch leider wurden sie alle betrogen. Mit der neu gewonnenen Panzerung waren sie der Willkür der Magie ausgesetzt. Sie wurden, mit dem Anlegen der Rüstung automatisch zu Gefangenen der Hexer. Sich ihrer Macht bewusst, machten sie sich, ohne zu zögern daran, die Drachen zu bekämpfen. Diese neue Kampftruppe erwies sich als ungeheuer erfolgreich, so wurden keine unangenehmen Fragen gestellt und moralische Bedenken erst einmal hinten angestellt. Der Horror der diese, scheinbar neue Errungenschaft, mit sich brachte wurde vielen erst viel zu spät bewusst. Doch die Entwicklung stoppte nicht, eine zweite Welle folgte. Einer Weiterentwicklung die keine Ausfälle verursachte: die Pagan, entschlossener, gnadenloser, geistloser. Ein "Dornenherz" pochte in ihrem Schädel, geerntet aus den Freen Isa.
Auszüge aus dem Tagebuch des Ewald Kundibar: "Über die Drachenkriege"