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Kapitel 3

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Am Freitagmorgen referierte Schlesinger in der Teambesprechung die Erkenntnisse der KTU und der Spurensicherung. An der Wohnungstür des Jonathan Somura fanden sich keine Spuren, die auf einen Einbruch schließen ließen. Das Opfer hatte seinem späteren Mörder die Tür offensichtlich selbst geöffnet. Mit Hilfe von Yvonne Richter wurde festgestellt, dass seine persönlichen Sachen vollständig waren, Computer, Fotoapparat, Handy oder TV-Gerät waren an ihren Plätzen, auch das Geld lag in der dafür bestimmten Schachtel.

Die Leiche wies keine Abwehrspuren auf; offenbar hatte der Somura sich nicht gegen seinen Angreifer gewehrt. Als Tatwaffe wurde der fehlende Schürhaken aus Somuras Kaminbesteck angenommen. Der damit ausgeführte Schlag traf die Halsschlagader, wahrscheinlich eher zufällig. Der Somura war innerhalb kurzer Zeit verblutet.

Der Todeszeitpunkt wurde konkretisiert und für Dienstag, den 15. September 2012, zwischen 22. 00 und 22. 30 Uhr festgelegt. Das Waschbecken in der Toilette wies Beschädigungen und Partikel auf, die von einem Metallgegenstand herrühren konnten. Daraus schlossen die Kollegen der Kriminaltechnik, dass der Schürhaken oder ein anderes Werkzeug aus Metall nach dem Schlag auf das Opfer ins Becken geworfen worden war. Der Täter musste versucht haben, den Haken unter fließendem Wasser zu säubern.

„Es gab keine Drogen in der Wohnung oder sonst auffällige Substanzen. Somuras Finanzen entsprechen seinem Einkommen, und er zahlte regelmäßig den Unterhalt für seine Tochter. Die Telefonliste seines Handys ist angefordert, sollten wir noch heute kriegen.“ Schlesinger schaute zu Friedrich, in Erwartung eines Einwurfes, dies müsse alles schneller gehen. Doch sein Chef schwieg und hörte zu. „Nach den Angaben seiner Freunde, der Bandmitglieder, lebte Jonathan, der von allen James genannt wurde, wie wir wissen, allein. Er hatte auch kein Auge auf jemanden geworfen, wenn ich mal so sagen darf. Seine Streitereien mit Frau Richter, seiner Ex, sind in seinem Umfeld hinlänglich bekannt, ging wohl seit der Trennung vor zwei Jahren in dieser unschönen Weise. Zusammengefasst könnte man sagen, der James war ein lieber Kerl, den alle mochten, bis auf seine Ex. Es gibt keine Hinweise auf ein rassistisches Motiv für die Tat, weder im Freundeskreis noch in seinem privaten Umfeld.“ Schlesinger verstummte kurz. „Ach ja“, fuhr er fort, „hatte er Geschwister? Schwierig zu sagen. Seine Familie lebt in Guinea. Wir fanden Briefe von Verwandten in der Wohnung. Die Benachrichtigung der Eltern läuft über die Botschaft.“ Schlesinger wechselte einen Blick mit Edgar, der uninteressiert tat.

„Weiter?“, fragte Friedrich.

„Etliche Fingerabdrücke in der Wohnung, außer den bekannten von Frau Richter und ihrer Tochter. Das dauert sicher einige Tage, sie zu identifizieren. Und gestern, wie in meinem Bericht vermerkt, ist Frau Richter von uns aus direkt zur Arbeit gefahren. Sie hat mehrmals mit ihrer Mutter, Frau Irmtraud Zimmermann, telefoniert. Die Mutter passt nachmittags auf Sina auf, wenn sie keine Schicht hat. Sie wohnt direkt über der Kneipe, in der sie arbeitet.“

„Und wenn die Oma zur gleichen Zeit arbeiten muss wie die Richter?“, fragte Edgar.

„Dann gibt’s ein Babyphone oder die Kleine wird in einem hinteren Raum in der Kneipe untergebracht.“

„Möglich, dass der Somura Einwände gegen diese Art der Kinderbetreuung hatte und dies der eigentliche Grund für die häufigen Streits mit seiner Ex war“, meinte Edgar.

„Schlesinger prüft das noch einmal“, ordnete Friedrich an. Die Observation der Richter wurde eingestellt, denn Leute für diese Aufgabe würden fehlen. „Hast du noch was, Edgar?“

Dieser schilderte seine gestrige Beobachtung. Yvonne Richter hätte nach der Arbeit eine Frau in der Ruppiner Straße 49 aufgesucht, sie hieße Katrin Sommerfels, und zu ihr würde er jetzt mit Friedrichs Einverständnis fahren.

Edgar nahm gleich den unverschlossenen Hintereingang. Er wollte es vermeiden, durch den Lautsprecher an der vorderen Haustür sein Anliegen einer unbekannten Person erklären zu müssen. Die ungewöhnlich hohen Treppenstufen bereiteten ihm Mühe, schnell kam er außer Atem. Der Kommissar hielt inne, bevor er klingelte, denn ein nach Luft schnappender Polizist machte auf niemanden einen guten Eindruck. Unwillkürlich musste er an seine Frau Renate denken, die seit einigen Monaten regelmäßig einmal in der Woche vor der Arbeit schwimmen ging. Sie wolle ihre Fitness verbessern, war ihre Begründung gewesen. Edgar hatte ihr daraufhin vorgeschlagen, mit dem Rauchen aufzuhören. Ihre Aufforderung, mit ins Schwimmbad zu kommen, hatte er ignoriert. So früh am Morgen durchs Wasser zu pflügen, war für ihn eine Zumutung.

Die Wohnungstür wurde von einer hoch gewachsenen, schlanken jungen Frau in Jeans und übergroßem Kapuzenshirt geöffnet. Das Erste, was dem Kommissar an ihr auffiel, war ihr sehr blasses Gesicht, das von dunkelbraunen langen Haaren umrahmt wurde. Edgar zeigte seinen Ausweis vor. „Hauptkommissar Edgar Kunze, Kripo Berlin. Sind Sie Katrin Sommerfels?“

Die Frau starrte ihn sekundenlang mit verschleiertem Blick stumm an und hielt sich dabei mit einer Hand an der Tür fest. Mit der anderen wischte sie sich Tränen weg.

Vielleicht ist sie krank, jedenfalls hübsch, trotz ihrer Blässe, waren Edgars Gedanken. Er lächelte übertrieben, weil er annahm, er hätte der Frau einen Schrecken eingejagt. Das passierte ihm ab und zu. Für Fremde sah er manchmal aus wie jemand, der sich gern prügelte. „Kommen Sie rein“, krächzte die junge Frau nach seiner Bitte, ihr ein paar Fragen stellen zu dürfen.

Edgar trat in einen kleinen Flur, von dem vier Türen abgingen, zwei rechts, zwei links. Vorn links war das Wohnzimmer, in das beide gingen. „Leben Sie allein?“, fragte er. Sie nickte.

Edgar schaute sich im Zimmer um, es war geschmackvoll eingerichtet, mit kleinen Holzschränkchen und einer mächtigen Vitrine, die wegen ihrer ovalen Form auffiel. Auf ihr waren vier Blumensträuße angeordnet, einmal dunkelrote Rosen, die anderen Sträuße waren der Herbstzeit entsprechend bunt.

Katrin Sommerfels kümmerte sich nicht weiter um ihren plötzlichen Besuch, sie nahm auf dem Sofa Platz, hob eine Bierflasche vom Boden auf, goss sich ein Glas ein und trank.

Edgars Blick wanderte zu einem größeren Farbfoto, das als einziger Wandschmuck eingerahmt über dem Sofa hing. Es zeigte einen lachenden, dicklichen Mann gereiften Alters mit einem Lämmchen auf dem Arm.

Immer noch stehend erklärte der Kommissar, weshalb er gekommen sei: Er wolle wissen, in welchem Verhältnis sie, Katrin Sommerfels, zu Yvonne Richter und Jonathan Somura stand. Dabei rekapitulierte Edgar für sich die wenigen Angaben, die er über die Mieterin herausgefunden hatte: 33 Jahre alt, kinderlos, unverheiratet, Einzelkind, Arbeit in einem Filmarchiv. Es gab keine Vorstrafen oder anderweitige Auffälligkeiten in ihrem bisherigen Leben, die zu polizeilichen Ermittlungen geführt hätten. Ein unbeschriebenes Blatt, dachte Edgar, eine typische Singlefrau, die er wesentlich jünger geschätzt hätte. Dass sie bereits am Morgen Bier trank, war wahrscheinlich eine Ausnahme. Keineswegs wirkte sie wie eine Alkoholikerin. Dafür war auch ihre Wohnung zu ordentlich und sie zu gepflegt, trotz ihrer zur Schau gestellten Lässigkeit.

„Wie ich zu Yvonne stehe? Jedenfalls habe ich kein Verhältnis mit ihr. Das steht fest. Wo denken Sie überhaupt hin! Yvonne ist doch...“ Katrin verstummte und wich seinen Augen aus.

„Was ist mit Frau Richter?“, hakte Edgar nach.

„Von ihr weiß ich, dass James tot ist.“ Erneut trank sie. Den Polizisten schien sie nicht richtig wahrzunehmen, schaute durch ihn hindurch wie am gestrigen Abend, als sie neben Yvonne Richter in den Sternenhimmel gestarrt hatte.

Weil sie ihn behandelte wie einen dummen Jungen, wurde Edgar ungehalten. „Darf ich mich setzen?“, fragte er lauter als nötig.

Katrin nickte. Edgar nahm einen der Holzstühle, die im Halbrund vor der Couch angeordnet waren. „Erzählen Sie mir genau, was hat Frau Richter Ihnen über den Tod von Herrn Somura gesagt?“

„James wurde ermordet! Ich kriege es nicht in meinen Kopf, verstehen Sie. Deshalb auch das Bier. Heute muss es sein, ist eine Ausnahme. Ich kann nicht zur Arbeit gehen.“

„Sind Sie mit Yvonne Richter befreundet?“

Katrin beugte sich vor, als wolle sie Vertrauliches preisgeben. „Sie kommen wegen Yvonne und ich dachte wegen James.“

„Ich bin vor allem wegen Ihrer Antworten hier, Frau Sommerfels. Ist Frau Richter Ihre Freundin?“

„Nein. Wir kennen uns, weil Yvonnes Mutter in der Kneipe gegenüber arbeitet. Irmi mag ich, also ihre Mutter. Sie betuttelt mich ein bisschen, und ihr zuliebe gebe ich mich mit Yvonne ab. Hört sich fies an, ich weiß.“

Katrin musterte den Kommissar, er war ziemlich groß, selbst im Sitzen. Aber nicht zu muskulös. Sein Gesicht eher grob geschnitzt, mit einer sich nach links neigenden Nase und einem Mund, der sich schief stellte, wenn er sprach. Dazu volles schwarzes Haar, das an den Schläfen grau wurde und bis in den Nacken reichte. Seine Augen von großer Intensität. Irgendetwas irritierte Katrin an ihm, es war eine Ähnlichkeit, auf die sie partout nicht kam. Zumal sie ständig James Gesicht vor sich sah. Sie hatte James abgewiesen, knapp eine Woche war es her, doch dies würde sie für sich behalten. Der Gedanke, nun mit einem Toten ein Geheimnis zu teilen, ließ Katrin erschauern.

Edgar ließ ihre Musterung schweigend über sich ergehen. Er wollte der Frau Zeit geben, um sich zu konzentrieren. Ihr Blick verweilte bei seiner linken Hand, dessen kleiner Finger extrem abstand. Eine Anomalie, auf die er längst nicht mehr achtete.

Als Katrin aufschaute, lächelte sie vorsichtig. Es war, als ginge ihr ein Licht auf. „Ich glaube, Yvonne hat von Ihnen erzählt. Sie haben sie verhört, ist das richtig? Ja, sie fand Sie überhaupt nicht nett. Ist wiederum keine Kunst bei Yvonne, sie nörgelt an jedem Mann rum.“

„Weswegen nörgelte Yvonne Richter an Herrn Somura herum?“

„Sie können ruhig James sagen, machen alle. Tja, ich vermute, es war hauptsächlich die Tatsache, dass er ein Mann war.“

Die Frau hat vielleicht ein Glas zu viel getrunken, um vernünftige Aussagen zu machen, dachte Edgar, trotzdem fragte er weiter. „Yvonne Richter kann also prinzipiell Männer nicht ab? Sie war doch zweimal verheiratet.“

Katrin nickte. „Schwierig zu erklären. Manchmal denke ich, ich bin so nah dran, es zu verstehen…“, sie zeigte Edgar mit zwei Fingern einen kleinen Abstand, „aber dann ist alles weg. Ich mochte James.“

„Woher kennen Sie ihn?“

„Woher ich ihn kenne? Er hat hier gewohnt, im Haus, ganz unten neben dem Rotkohl. James und Yvonne waren verheiratet. Als sie sich trennten, zog zuerst Yvonne mit Sina aus und wenig später James. Er wollte eine billigere Wohnung.“

„Wie war Ihr Kontakt zu Herrn Somura seit seinem Auszug?“

„Ging gegen Null.“

„Er wohnte auf der anderen Seite vom Arkonaplatz, nicht weit weg. Und sie beide sahen sich nie?“

„Na ja, vielleicht schon mal. Auf ein paar Worte so auf dem Weg, verstehen Sie? Aber wir haben uns nicht getroffen oder verabredet oder so.“

„Was für eine Art Mensch war Herr Somura?“

Sie zögerte mit ihrer Antwort und trank ihr Glas aus. Dann hob sie die Flasche vom Boden auf, sie war leer. „James war hilfsbereit und freundlich. Ich würde sagen, er war ein guter Mensch, auch wenn es kitschig klingt.“ Katrin strich sich über die Augen.

Sie hat die Nacht wachgelegen und an James gedacht, vermutete Edgar. „Wo waren Sie am 15. September, zwischen 22. 00 und 23. 00 Uhr?“

„Ich muss ein Alibi haben?“

„Besser wär’s.“

„Bestimmt war ich daheim, ja. Um halb elf gehe ich gewöhnlich ins Bett. Ich war allein, falls das interessiert.“

„Wann haben Sie James das letzte Mal gesehen?“, fragte Edgar.

„Sie sind wirklich sehr genau. Yvonne hat Recht, Sie sind hartnäckig. James war am Samstag bei mir…und Yvonne“, an dieser Stelle sah Katrin zu den Blumensträußen, „und all die anderen. Wir haben ein bisschen gefeiert.“

Edgar hatte ihren Blick bemerkt. „Die Blumen haben Sie am Samstag erhalten? Eine Geburtstagsfeier?“

Sie lächelte. „Der eigentliche Geburtstag ist eine Weile her. Ich wollte ihn ignorieren. Aber Heiner, ein Freund aus dem Haus, der hat mich zur Feier überredet. Für ihn war es ein Grund, seine Tussis...“, sie unterbrach sich, „James ist einfach so aufgetaucht.“

Eine Feier mit James am Samstag, die von Yvonne Richter bei ihrer Vernehmung unterschlagen worden war. Weil auf der Feier irgendetwas zwischen ihr und dem Somura passiert war, was sie verdächtig machen würde? Edgar wollte von Katrin wissen, wer auf der Feier war und wie sie ablief. Sie beantwortete seine Fragen zunehmend widerwillig und genervt. Mehrmals behauptete sie, sich nicht erinnern zu können, und erst, als der Kommissar erklärte, sie würden im Rahmen ihrer Ermittlungen mit allen Teilnehmern ihrer verspäteten Geburtstagsfeier sprechen, erteilte sie ausführlichere Auskunft.

Edgar hatte schließlich eine Namensliste und eine grobe Vorstellung von der Party. Es waren junge Leute in Katrins Alter gewesen, bis auf eine ältere Nachbarin, Regine Herzig, die über Katrin wohnte, und mit ihr befreundet war. Frau Herzig hatte die Party als erste wieder verlassen, weil ihre Tochter Jessica zu den Gästen gehörte. „Jessi war die Anwesenheit ihrer Mutter peinlich“, sagte Katrin. James hätte seine Gitarre mitgebracht. „Er spielte sehr schön traurig.“

James und Yvonne wären sich auf der Feier aus dem Weg gegangen. Einmal hätte Yvonne in der Küche geweint, und sie, Katrin, fände für diesen Gefühlsausbruch auch im Nachhinein keine Erklärung. Es hätte keinen Streit gegeben, weder zwischen James und Yvonne noch zwischen den anderen. Sie hätten getrunken, Musik gehört, getanzt und gequatscht. „Alles völlig harmlos, Herr Kommissar“, meinte sie.

Edgar hielt Katrins Schilderung ihrer Feier in einigen Punkten für unglaubwürdig, vor allem was ihre Rolle betraf. Sie war das Geburtstagskind und die Gastgeberin gewesen, sicher hatte sie geflirtet, und James oder jemand von den anderen Kerlen würde versucht haben, in ihr Bett zu kommen.

„Haben Sie den James vielleicht doch zu Ihrer Feier eingeladen?“

„Wie? Nein. Ich habe ihn nicht eingeladen, wie ich sagte, er tauchte einfach so auf.“

„Und blieb bis zum Schluss?“

„Im Prinzip schon. Er und zwei, drei Freunde haben hier übernachtet.“

„Yvonne Richter auch?“

„Nein, Yvonne ist irgendwann früher gegangen. Die anderen schliefen im Zimmer auf dem Fußboden, James auch. Ich habe für solche Fälle eine zusätzliche Matratze und so. Man kann es für ein paar Stunden aushalten.“

„James war also über Nacht bei Ihnen, obwohl er es ja zu sich nicht weit hatte…“

„Ja, wo Sie es sagen.“ Sie lächelte Edgar an.

„Und Sie? Wo schliefen Sie?“, fragte er.

„Nebenan, in meinem Bett natürlich.“

„Allein?“

„Muss ich das beantworten? Das ist privat, finde ich.“

„Jetzt reden Sie schon! Ich habe nicht ewig Zeit!“

„Ja, allein.“

„Sie lassen die Leute, Ihre Freunde, auf dem harten Fußboden liegen, und machen es sich selbst in einem superbreiten Bett gemütlich?“

Sie staunte. „Woher wissen Sie, wie breit mein Bett ist?“

Edgar grinste. Er ließ die Frau nicht aus den Augen und verunsicherte sie damit. Prompt lenkte sie ein. „Okay, mein Bett ist groß genug für vier Leute. Trotzdem habe ich allein geschlafen.“

„Und Ihre Freundin Yvonne, wo schlief die?“

„Hören Sie doch zu! Yvonne ist nicht meine Freundin. Und zu dem Zeitpunkt war sie längst abgehauen. Außerdem schlafe ich nie mit Frauen in einem Bett.“

Das hörte sich sympathisch an, fand Edgar. Und sie hatte abgestritten, mit Yvonne befreundet zu sein. Ein Mädchen wie Katrin hatte sicherlich ansehnlichere Freundinnen als Yvonne es war. Wie sollte er sich die Beziehung der beiden Frauen vorstellen? Hielt Katrin Kontakt mit Yvonne, weil es deren Mutter so wollte? Frau Richter hatte dann wohl eine andere Vorstellung von dieser Freundschaft, sie war immerhin nach ihrer Arbeit spät abends extra zu Katrin gegangen, um sie über James Tod zu informieren. „Aber ein Strauß Blumen von denen da, die sind von Yvonne Richter“, vermutete er.

Katrin seufzte.

„Die Rosen?“, fragte er.

Katrin war die Sache sichtlich peinlich, und sie redete schnell drauflos. „Okay. Yvonne ist auf eine Art hartnäckig, sie klebt an mir. Nun wohne ich dummerweise so in ihrer Nähe. Ständig belagert sie mich. Ich glaube, sie hat keine weiteren Freunde.“

„Und James?“, fragte er, „wo schlief er am Samstag? In Ihrem Bett?“

„Sie fragen alles doppelt, Herr Kommissar. James war nicht in meinem Bett. Mit ihm hätte ich niemals geschlafen.“

„Weil er schwarz war?“

„Blödsinn! Nein, ich würde unter keinen Umständen was mit jemandem anfangen, der mit Yvonne verheiratet war. Das ist der Punkt. Und wenn er der einzige Mann auf der Welt gewesen wäre, ob weiß oder schwarz oder grün. Und überhaupt, James verhielt sich in diesen Dingen wie eine naive Frau, wenn Sie verstehen. Er dachte, wenn man mit ihm schläft, liebt man ihn auch. Aus diesem Grund allein hätte ich niemals...Sie verstehen?“ Edgar verkniff sich ein zustimmendes Nicken.

„Sie hatten Angst, James würde sich in Sie verlieben? Gab es dafür Anzeichen?“

„Was weiß ich“, antwortete Katrin unwillig. Sie zog den Reißverschluss ihres Kapuzenshirts hoch und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

Fragestunde beendet, dachte Edgar. Es machte wahrscheinlich wenig Sinn, weiter in sie zu dringen. „Ich brauche Ihre Fingerabdrücke zum Vergleich. Seien Sie morgen um acht im Präsidium. Und nüchtern, bitte.“ Er legte seine Karte auf den Couchtisch und stand auf. Katrin stand ebenfalls auf. „Ich darf nicht mal frühstücken?“

„Aber natürlich, Sie haben mich falsch verstanden. Ich meinte, ohne zuvor ein Bier zu trinken. Sie sollten eine Freundin anrufen, die sich um sie kümmert, oder sich schlafen legen. Ist besser, als Trost im Alkohol zu suchen.“

Der Elektroofen rechts neben der Couch erregte seine Aufmerksamkeit. „Womit heizen Sie eigentlich? Mit diesem Gerät dort?“

Katrins Miene hellte sich auf. „Ja, wir leben hier halt in der Steinzeit.“

„Wie bitte?“

„Nebenan steht ein Kachelofen. Die Wessis kriegen sich gar nicht mehr ein, wenn sie ihn sehen. Ist wie mit der Toilettenspülung. Aber nun wird ja bald saniert und alles fein gemacht. Ich ziehe sowieso weg.“ Sie ging an ihm vorüber zur Wohnungstür, um sie für ihn zu öffnen.

„Wohin wollen Sie?“

Katrin missverstand den Kommissar zum zweiten Mal. „In den Westteil, ich rücke denen mal auf die Pelle. Ist ja sonst immer umgekehrt.“ Sie schaute zu ihm auf.

Edgar musste einem Verdacht nachgehen. „Kann ich den Ofen sehen?“

„Sind Sie ein Wessi? Darf man das Polizisten fragen?“

„Nein, das ist verboten“, sagte er lächelnd. Bevor er das Schlafzimmer betrat, warf Edgar einen Blick in die Küche. Sie war modern eingerichtet und wirkte recht unbenutzt. Vor dem Fenster hing ein einsamer Ballettschuh herunter; diesen Schuh hatte er gestern Abend bemerkt. Edgar sah Katrins amüsiertes Gesicht. „Ja, ja, ich bin es, eine Ex-Ballettratte. Leider zu groß gewachsen und nur mäßig talentiert“, bekannte sie.

„Immerhin“, sagte er und ging rüber ins Schlafzimmer. Dort stand ein mannshoher Ofen aus dunkelgrünen Kacheln. Am anderen Ende des Zimmers, unter dem Fenster sah Edgar ihr Bett. Zwei Kopfkissen und zwei Decken, notierte er nebenbei in Gedanken, während er den Ofen begutachtete.

Katrin lehnte sich lässig an die Tür. „Morgen ist übrigens Samstag“, bemerkte sie.

„Ich weiß. Hat Frau Richter einen Schlüssel zu Ihrer Wohnung?“

„Das fehlte mir noch. Was suchen Sie?“

„Sie haben bestimmt einen Schürhaken, wo ist er?“

„Hinter dem Ofen, glaube ich.“

Der Haken war verdreckt und staubig. Blutspuren waren beim ersten Augenschein nicht sichtbar. Edgar fasste ihn vorsichtig an einem Ende an und erklärte der überraschten Frau, dass der Schürhaken beschlagnahmt sei.

Tod am Arkonaplatz

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