Читать книгу Tod am Arkonaplatz - Christiane Baumann - Страница 8

Kapitel 6

Оглавление

Gegen 21 Uhr am Samstagabend fuhr Edgar vom Präsidium mit dem Auto in den Prenzlauer Berg, zu Corinna, seiner bisherigen Geliebten, um die vertagte Aussprache nachzuholen. Je näher er ihrer Wohngegend kam, umso stärker zweifelte er am Sinn dieses Unternehmens. Worüber sollten sie reden? Über Corinnas Gefühle und Erwartungen? Sollte er sie trösten und etwas versprechen, was er nie einhalten würde? Was er am nächsten Tag vergessen hätte, nein, was er schon vergaß, wenn er ihre Wohnungstür hinter sich zu ziehen würde? Während sie im Bett lag und ihren Illusionen nachhing. Er sah genau vor sich, wie sich ihr Treffen abspielen würde. Zu oft hatte er ähnliche Szenen erlebt. Edgar spürte, dass ihm heute Abend die Energie für einen Streit oder für eine Versöhnung fehlte. Im Moment brauchte er keine Affäre. Er wollte seine Ehe retten; eine Scheidung hatte er sich nie vorstellen können. Für ein Leben als Single war er nicht geschaffen. Er würde Corinna sagen, dass Schluss wäre. Damit rechnete sie sowieso. Hatte schließlich gewusst, dass er ein verheirateter Mann war. Darüber hatte er sie nie im Unklaren gelassen. Eine Affäre, ja. Eine Beziehung, nein. In diesem Punkt machte Edgar sehr feine Unterschiede.

Auf der Suche nach einem Parkplatz fuhr Edgar in die Stubbenkammerstraße hinein. Auch hier fand er keine Lücke. Doch er wollte die Sache mit Corinna möglichst rasch hinter sich bringen. Deshalb stellte Edgar seinen Wagen auf der Fahrspur ab und verhinderte damit den Durchgangsverkehr.

Corinnas Fenster waren hell, sie war Zuhause. Edgar postierte sich an einen Baum, wählte ihre Telefonnummer; gleichzeitig hupte ein Auto hinter seinem. Corinna meldete sich. „Ist kein Parkplatz frei“, begann er. Sie riet ihm, es in einer Nebenstraße zu versuchen. Edgar sagte den entscheidenden Satz: „Es ist vorbei.“ Ein Hupkonzert begleitete seinen Abschied und drängte ihn zugleich zur Eile. Jemand brüllte ‚Arschloch’. Der Fahrer des Wagens hinter seinem Audi war ausgestiegen und schimpfte laut. „Ruf die Bullen“, schrie jemand. Mehrere junge Leute von einer Kneipe grölten herüber. Corinna schwieg. Edgar drückte den Aus-Knopf am Handy. Die Erleichterung, die er erwartet hatte, blieb aus. Schnell lief er zum Auto zurück und startete den Motor.

Er fuhr weiter zum Arkonaplatz, parkte in der Swinemünder Straße und ging zum Haus, in dem Katrin Sommerfels wohnte. Die zwei Fenster ihres Wohnzimmers waren spärlich erleuchtet. Gern hätte er privat mit ihr geredet, denn da war irgendetwas zwischen ihnen. Wie sie ihn angesehen hatte, als er sie nach Yvonnes Sexleben befragt hatte…Doch hatte er nicht eben erst eine Affäre beendet und wollte sich ausschließlich um Renate kümmern? Edgar rief zu Hause an, der Anrufbeantworter begrüßte ihn nach dem vierten Freizeichen. Er probierte es mit Renates Handynummer und wurde weggedrückt.

Edgar änderte seine Richtung, schlenderte rüber zur Kneipe, in der Irmgard Zimmermann arbeitete, Yvonnes Mutter. Er hatte eine ungefähre Vorstellung von ihr: über 50 Jahre alt, recht groß, schlank, graue Haare. Die einzige Kellnerin an diesem Abend war eine kleine Frau um die vierzig. Demnach schien Yvonnes Mutter frei zu haben.

Nach zwei hastig getrunkenen Bieren meinte Edgar, ein kurzer Besuch bei Katrin wäre durchaus vertretbar. Jedenfalls besser, als allein im Reihenhaus zu sitzen.

„Mein eigensinniger kleiner Finger hat mich zu Ihnen geschickt, er zuckt plötzlich nervös“, erklärte er Katrin sein Erscheinen und grinste sie an. Katrin ging bereitwillig auf seinen leichten Ton ein. „Okay, was will er damit sagen?“

„Es regnet bald. Darf ich?“, fragte er und trat ins Wohnzimmer. Abgedunkeltes Licht, leise Musik, Kerzen, ein einzelnes Weinglas. Womit war sie beschäftigt gewesen, bevor er bei ihr klingelte? Hatte sie um den James getrauert? Edgar steckte seine Hände in die Hosentaschen, schlenderte zum geschlossenen Fenster und sah auf den Platz hinunter. Er hoffte, ihm fiel ein Thema ein, über das sie reden könnten. „Also, meine Gegend war das hier nie“, begann er und bemerkte sie gleich darauf neben sich.

„Sie kommen sicher aus dem goldenen Käfig, äh Westen, oder?“, Katrin schaute zu ihm hoch, „meine eigentliche Gegend ist Pankow. Ein Freund von mir, der wohnte in dieser Wohnung. Ich bin zu ihm gezogen, und irgendwann ist er weg. Ich bin hängen geblieben. Damals war das Haus voller Leute.“

„Was ist aus dem Freund geworden?“

„Verheiratet und zwei Kinder.“

„Ist er das?“ Edgar deutete auf das Farbfoto über der Couch.

„Hänge ich mir ein Foto von einem Ex auf? Never! Das ist Gerard, mein…mein…“, sie war verlegen geworden, „na ja, ist ein bisschen albern, ich weiß. Vielleicht sollte ich das Bild abnehmen.“

„Nein, nein, ich wäre dafür, es zu lassen wie es ist.“

Sie sah hübsch aus, weniger blass, und ihr Pulli zeigte den Ansatz ihrer Brüste. Edgar spürte Lust, sie zu umarmen und zu küssen. Und aus irgendeinem Grund gab er dem Impuls nach. Mit der rechten Hand umfasste er ihren Hals, zog Katrin an sich und küsste sie auf den Mund. Blitzschnell, ohne Chance für sie zu reagieren. Bevor sie einmal atmen konnte, war es vorüber. „Das musste sein, entschuldigen Sie.“ Er war über sich selbst verblüfft und strich sich eine Haarsträhne mit der linken Hand hinters Ohr. Katrin wiederholte seine Geste und wühlte mit ihren Händen im Haar. Nach einer stillen Sekunde fragte sie, ob er ein Glas Wein mit ihr trinken würde.

Edgar zog seine Jacke aus. Beide setzten sich auf die Couch und achteten auf einen kleinen Abstand zwischen sich. Eine Weile hielten sie sich an ihren Gläsern fest, bevor Katrin ihr Schweigen unterbrach: „Würden Sie mir eine persönliche Frage beantworten, Herr Kunze?“

„Wenn ich zuerst eine Kleinigkeit über meine Herkunft klarstellen darf. Also, meine Eltern stammen aus Rostock, und ich bin in Adlershof aufgewachsen.“

„Sind Sie doch ein Ossi, hätte ich nicht erwartet. Haben Sie Kinder?“

„Sofern ich davon Kenntnis habe, gibt es keine.“

„Schon lange verheiratet?“

„Ja.“

„Geschwister?“

„Einen jüngeren Bruder. Warum wollen Sie das wissen?“

„Als Ausgleich. Sie kennen sich in meinem Leben ziemlich gut aus, und ich wollte jetzt auch was Privates von Ihnen erfahren, außer dass Sie diesen komischen kleinen Finger haben. Haben Sie einen Verdacht, wer James getötet haben könnte?“

Edgar war ihr abrupter Themenwechsel nicht recht. Zumal er nicht über seine Arbeit reden durfte. Er antwortete ausweichend, die Ermittlungen seien im vollen Gange.

„Ich muss oft an James denken“, bekannte Katrin, „er war ein feiner Kerl und so überaus korrekt.“

„Wie meinen Sie das?“

„Oh, bitte kein zweites Verhör. Habe Ihnen heute früh alles über James erzählt.“

„Da war mehr in der Nacht, oder?“, bohrte Edgar nach, „James hat versucht, mit Ihnen zu schlafen?“

Katrin trank ihr Glas leer, behielt es in den Händen, um damit herumzuspielen. „Wie man’s nimmt“, sagte sie leise und wich seinem Blick aus, „er hat sich wieder beruhigt.“

Ganz klar war Edgar die Sache immer noch nicht, aber er wollte nicht weiter in sie dringen. Er war nicht hier, um mit Katrin über den Somura zu reden; er hatte anderes im Kopf.

Edgar drehte sich zu Katrin um, so dass er sie fast mit seinem Körper berührte. Als sie nicht reagierte, rutschte er eng an sie ran. Er fühlte sich sehr wohl an ihrer Seite und hoffte, er könne sie von ihrer Trauer um den James ablenken.

„Haben Sie etwas vor?“, fragte Katrin. Allerdings, er wollte nachholen, was er Minuten zuvor schüchtern begonnen hatte. Er nahm Katrin das Glas aus der Hand und küsste sie, und sie erwiderte seinen Kuss leidenschaftlich. Ihre Hand wanderte seinen Arm hoch, Edgar spürte ihre Finger an seinem Nacken. Behutsam drückte er ihre Brust und spürte, wie sich ihr Körper versteifte. Katrin befreite sich sanft aus seiner Umarmung. „Das geht mir ein bisschen zu fix, Herr Kommissar. Oder ist das eine besondere Dienstleistung der Polizei?“

Er lachte auf. „Hat sich bewährt. Und ich heiße Edgar.“

„Edgar“, wiederholte sie, „ich vermute, deine Frau wartet auf dich?“

„Kaum anzunehmen. Außerdem bin ich es, der gewöhnlich die unangenehmen Fragen stellt.“ Er presste sie fest an sich und küsste sie auf den Hals, auf jedes Stückchen ihrer blassen Haut. Katrin stöhnte auf. Edgar dachte, sie hätte es sich anders überlegt, da wehrte sie ihn erneut ab. „Es geht nicht, und vielleicht will ich heute auch nicht. Keine Lust auf einen One-Night-Stand.“

„Wer redet davon?“

„Steht auf deiner Stirn geschrieben oder nein…“, meinte sie amüsiert über ihren eigenen Gedanken, „dein Finger hat es mir verraten.“

„Kann der sprechen? Wäre mir neu.“

„Ich mag ihn.“ Sie drückte Edgar einen dicken Schmatz auf die Lippen. „Ich habe gewusst, dass du zu mir kommst. Heute früh hast du so geguckt, unanständig direkt.“

„Du auch. Einmal wenigstens, als du über Yvonnes Sexleben geredet hast, und ich es merkwürdig fand…“

„Oh, bitte, nicht davon anfangen. Küss mich lieber!“

Viel später in der Nacht schaltete Edgar das Außenlicht für den Garten ein und beobachtete hinter der Terrassentür, wie der Regen in den Teich fiel. Hatte sich diese Prophezeiung des kleinen Fingers erfüllt, obwohl der keineswegs wetterfühlig war. Von Renate hatte er eine SMS erhalten mit der Nachricht, sie übernachte bei Ines. Wozu war er dann nach Hause gefahren? Um Fischen Gesellschaft zu leisten? Er nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich vor den Fernseher, ohne ihn einzuschalten. Edgar wusste nicht recht, was er über den Abend mit Katrin denken sollte. Sie hatten sich wild geküsst, wie er es lange nicht getan hatte. Noch spürte er ihre Lippen auf den seinen, sie hatte so eine Art, an einem rum zu knabbern…Dann war plötzlich Schluss gewesen. Nun gut, der James spukte ihr im Kopf herum, verständlich. Und dass er verheiratet war, hatte sicher zu ihrer Zurückhaltung beigetragen. Er wollte sie wiedersehen, unbedingt. Auch wenn er sich in nächster Zeit mehr um Renate kümmern musste. Irgendwie würde er das hinkriegen.

Edgar schlürfte sein Bier aus und schlief auf dem Sofa ein.

Als er am Sonntagmorgen aufwachte, war er allein im Haus. Er wählte Renates und danach Ines’ Nummer und erreichte keine von beiden. Die Freundinnen hatten wahrscheinlich zusammen die Nacht durchzecht und verschliefen deswegen den Morgen. Oder war Renate gar nicht bei Ines, sondern bei einem Kerl? Nicht auszudenken! Nein! Das hätte sie nicht drauf. Sie würde nicht fremdgehen.

Edgar starrte grimmig vor sich hin. Er suchte eine Beschäftigung für sich und fand sie im Garten hinter dem Haus. Er war mit wenigen Schritten abzulaufen, bot Platz für die Terrasse mit einem Sitzbereich, für einen kleinen Teich, der von den Vormietern angelegt worden war, und für ein paar Blumenkübel. Rechts und links hatten sie eine Hecke als Sichtschutz gepflanzt. Um Gesprächen mit den Nachbarn aus dem Weg zu gehen, vergewisserte Edgar sich, dass niemand in den angrenzenden Gärten war. Er angelte die Fische aus dem Teich und brachte sie in großen Ersatzbehältern unter. Anschließend ließ er das Wasser aus dem Teich ablaufen. Nach einiger Zeit sah er den schlammigen Boden, den er säubern wollte.

„Hör sofort auf mit dem Unsinn!“, hörte er eine Stimme hinter sich. Renate! Edgar rutschte vor Schreck der Schlauch aus der Hand. Ein dünner Strahl Wasser versickerte im Rasen. Renate schaute vorwurfsvoll auf sein Werk. „Edgar, schalt deinen Verstand ein! Du bringst ja die Fische um, wenn du ihnen so einen Stress machst!“ Sie nahm den Schlauch, legte ihn über den Teichrand und drehte den Wasserhahn auf. Edgar drehte ihn wieder ab.

„Ed, bitte!“ Renate berührte seinen Arm, er schubste sie von sich weg.

„Gut, wie du willst!“ Sie verschwand im Haus. Edgar folgte ihr. Unter ihrem Mantel lugte ein Kleid hervor, das sie äußerst selten trug. Es war mit roten Rosen bedruckt und betonte ihre frauliche Figur. Ihre Haare waren etwas wirr, und das stand ihr. Sie schien außer Atem zu sein, schnaufte und wischte sich Schweiß aus dem Gesicht. Wie von ihm vermutet, hatte sie offenbar in der Nacht mit Ines zu viel getrunken. Trotzdem fragte er, wo sie gewesen wäre.

„Habe ich dir geschrieben, bei Ines.“ Renate setzte sich, atmete einmal tief durch. „Natürlich war das gelogen. Ich war bei meinem Liebhaber.“ Gespannt wartete sie auf seine Reaktion. Edgar schwieg.

„Das war kein Witz, Ed. Noch mal langsam zum Mitschreiben: Ich…habe…einen…Liebhaber! Was ist los? Keine Reaktion? Kein Tobsuchtsanfall? Nein? Oder lässt du deine Wut an den Fischen aus?“

„Ich säubere den Teich“, erklärte er steif.

„Ist keine fünf Wochen her, seit du ihn gereinigt hast. Damals sind alle Fische vor Aufregung gestorben, bis auf den einen Karpfen. Mit deiner unsinnigen Aktion wirst du ihn diesmal bestimmt aus dem Leben befördern. Und die Hälfte der neuen dazu.“

„Wer ist der Mann? Kenne ich ihn?“

Sie lachte. „Ja, das dachte ich mir. Hauptsache, du kennst ihn nicht, dann ist es in Ordnung.“

Edgar hätte nicht im Traum daran gedacht, dass Renate ihn betrügen könnte. Deshalb stand er dieser Situation hilflos gegenüber. Eine Szene! Ja, das erwartete sie. Diesen Gefallen konnte er ihr jetzt nicht tun.

Renate saß kerzengerade und ruhig an ihrem runden Wohnzimmertisch, als wären sie zum Kaffeetrinken verabredet. Sie lächelte ihn entspannt an. „Ich warte, Ed.“

„Wenn du ihm den Laufpass gibst...“

„Nein, unmöglich. Ich habe mich verliebt.“

Tod am Arkonaplatz

Подняться наверх