Читать книгу Tod am Arkonaplatz - Christiane Baumann - Страница 9
Kapitel 7
Оглавление„Schwanger? Schwanger von mir? Niemals!“ Heiner Mohr bereute, seine Affäre mit Sophie, die sich neuerdings Renate nannte, nicht früher beendet zu haben, gleich nach ihrer letzten Nacht gestern. Mit keiner Frau der Welt wollte er über irgendeine Schwangerschaft diskutieren. Der Sonntagabend war verdorben. „Außerdem haben wir Kondome benutzt“, sagte er kühl.
Renate kämpfte mit sich, ob sie schreien oder losheulen sollte. Ihre Enttäuschung war riesengroß. Oft hatte sie sich in ihren Träumen ausgemalt, wie sie Heiner von ihrem gemeinsamen Kind erzählen würde. Ein Kind, das sie beide fest verbinden würde. Sie hatte seine Reaktionen durchgespielt, und wenn sie schon keinen Jubelschrei erwartet hatte, so doch etwas Freude über die neue Gemeinsamkeit.
Im wirklichen Leben schien der schlimmste Fall einzutreten. Ihr Geliebter lehnte das Kind ab und leugnete rundweg die Vaterschaft. Ihr Traum von einem Neuanfang mit Heiner platzte vor ihren Augen. Dieser Schuft! Dieser Lügner! Dabei liebte sie ihn!
Renate wurde übel. Sie ging hinüber zu den Fenstern und öffnete eines. Trotz der frischen Luft fühlte sie sich so schlecht, dass sie sich setzen musste. Schnell wischte sie eine Träne weg, die ihr über die Wange lief und versuchte, Heiner an sein Versprechen zu erinnern.
„Heiner, bitte, du hast geschworen, du liebst mich.“
Heiner riss in gespielter Verwunderung seine Augen weit auf. Er zog sie von ihrem Stuhl hoch und nahm sie in die Arme. „Sophie oder Renate, du bist die naivste Frau, die mir je begegnet ist. Natürlich liebe ich dich, ich liebe alle Frauen, euch wundersame, rätselhafte und unverständliche Wesen.“ Seine Miene wurde ernst. „Meine kleine schwangere Sophie. Du schießt den Vogel ab. Von Anfang an hast du mich belogen. Erst nennst du mir einen falschen Namen, Tage später erfahre ich, dass du verheiratet bist, mal abgesehen von der Tatsache, dass du älter bist als ich, und nun willst du mir ein Kind anhängen. Vielen Dank auch. So wollte mich noch keine verarschen. Du hast die Pille genommen und ich die Kondome. Von mir kannst du nie im Leben schwanger sein.“ Der Druck seiner Arme wurde stärker.
Renate versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu befreien, doch dann gab sie ihren Widerstand auf, nutzte die Nähe, um Heiner zu riechen, seinen Körper zu spüren. Den Körper, den sie so sehr begehrte. „Tu mir ruhig weh“, flüsterte sie, „ich liebe dich trotzdem.“
„Bist du dir sicher, schwanger zu sein?“, fragte er.
„Ja, ich bin von dir schwanger geworden, weil ich dich liebe.“
„Schluss mit dem Scheiß!“ Heiner ließ sie los und fauchte sie wütend an. „Bleib mal realistisch, ja! Du bist schwanger von deinem Mann. Geh nach Hause, bereue und bitte den Ehegatten lieb um Verzeihung. Er wird Verständnis haben.“
„Ich habe mich von meinem Mann getrennt“, beichtete Renate resigniert, „es hat keinen Zweck mit uns. Als Vater kommt er nicht in Frage, wir hatten seit Monaten keinen Sex.“
Heiner lachte. „Und willst bei mir unterkriechen? Das hast du dir schön ausgedacht, aber ohne mich, Sophie.“
„Ich heiße Renate! Renate, verdammt!“
Heiner amüsierte sich über ihren kleinen Wutausbruch. „Sophie-Renate“, säuselte er, „dein Alter ist zu beneiden. Ihm wird ein Kind gratis nach Hause geliefert. Hoffentlich nimmt er es sportlich. Und ich? Ich sollte vor mir den Hut ziehen. Das ist doch ein echtes Kunstwerk von mir!“ Er vollführte vor Renate einen Diener, um sich für einen imaginären Applaus zu bedanken. „Oder bist du die Jungfrau Maria und dein Baby ein biologisches Wunder, das ganz ohne Erzeuger entstanden ist?“ Heiner lachte, als hätte er einen besonders lustigen Witz zum Besten gegeben.
„Hör auf mit dem Affentheater“, sagte sie, irritiert über sein merkwürdiges Verhalten. Sie zündete sich eine Zigarette an. Eine Weile redete keiner von beiden. Renate massierte ihre linke Wade, weil sie einen Krampf bekommen hatte, Heiner starrte am Fenster auf den Platz hinunter. Er hielt sich sehr gerade, die Schultern durchgedrückt, als wolle er um jeden Preis größer erscheinen. Sein blondes Haar berührte den Kragen seines Hemdes.
Renate schielte von ihrer leicht gebückten Position auf dem Stuhl zu ihm hinauf. Der Mann hatte sie beeindruckt, schon bei ihrem ersten, zufälligen Aufeinandertreffen im Schwimmbad. Seine kalte Schönheit hatte sie fasziniert, sein Übermut, seine Jugendlichkeit, sein Lachen. Leicht hatte er sie erobert, nun fiel es ihm leicht, sie zu verlassen.
Plötzlich klopfte ihr Herz heftig oben in ihrem Hals. Allzu deutlich tauchte ein anderer Name vor ihren Augen auf. Wenn Heiner nun tatsächlich nicht der Vater ihres Kindes war? Er war sich einfach zu sicher in diesem Punkt.
Heiner schien ähnliche Gedanken zu haben. Er drehte sich zu ihr um. „Eins musst du mir erklären, Renate, wenn du keinen Sex mit deinem Mann hattest und ich nicht der Erzeuger bin, wer ist es dann? Bist du etwa doppelt fremdgegangen?“ Er spielte den betrogenen Liebhaber und sah beleidigt aus. „Kein vornehmes Schweigen, bitte. Das würde mich jetzt mal interessieren. Wer ist der Mann?“
„Unsinn! Es gab keinen Dritten. Du bist der Vater! Allein du!“
„Träum weiter. Ist mir sowieso egal, mit wem du so rummachst. Ich gebe dir einen guten Rat. Vergiss die Pille, schlaf mit deinem Alten und juble ihm das Baby unter, das tun andere regelmäßig, hast später eben eine Frühgeburt. Er wird dir glauben, weil er dir glauben will. Renate, Darling, es war wunderschön mit dir, leider geht unsere gemeinsame Zeit zu Ende...angesichts der anderen Umstände...das verstehst du, ja?“
Renate ging in die Küche rüber, drehte den Wasserhahn auf, schmiss die Zigarette ins Waschbecken und hielt ihre Hände unters fließende Wasser. Der abgestandene Essensgeruch bereitete ihr erneut Übelkeit. Überall stand schmutziges Geschirr herum, schmierige Flecken hafteten auf dem Fußboden. „Was für eine Schweinerei“, murmelte sie vor sich hin, „hier wollte ich leben? Mit einem Kind? Ich muss ja verrückt gewesen sein. Edgar hat Recht, ich habe den Verstand verloren. Die Hormone sind schuld. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.“
Heiner stand in der Tür. Er sah aus, als hätte er es sich anders überlegt. Und tatsächlich bot er ihr an, diese eine Nacht in seiner Wohnung zu bleiben. Renate solle in Ruhe überlegen, wie sie die Sache mit ihrem Mann wieder einrenken könne. Er würde für die nächsten Stunden verschwinden, weil er arbeiten müsse.
Renate nahm sein Angebot dankbar an. Als Heiner gegangen war, legte sie sich auf die Couch im Wohnzimmer, zog sich eine Decke über und versuchte einzuschlafen. Heulen wie ein Kind, dem man seine liebste Puppe weggenommen hatte, das wünschte sie sich. Die Beteuerungen der Mutter, sie würde eine neuere und viel schönere kaufen, fielen auf taube Ohren. Nie würde die Mutter verstehen, weshalb sie gerade diese eine Puppe liebte. Oh nein, ich hasse Heiner, ich liebe ihn nicht, dachte Renate, ich liebe niemanden, ich hasse Edgar, ich hasse mich und mein Leben. Vielleicht werde ich auch das Baby hassen, vielleicht bin ich zu alt dafür. Ich habe eine Scheißangst. Muss ich in meinem Alter unbedingt ein Baby haben wollen. Soll ich dafür bestraft werden? Nein, das darf ich mir nicht einreden. Aber dass mein Plan wirklich bescheuert war, das stimmt. Ich habe Edgar mit seinem Freund Friedrich betrogen. Ein einziges Mal schlafe ich mit einem anderen Mann, und zack, bin ich schwanger. Wieso hat es mit Edgar nie geklappt? Nutzlos, darüber nachzugrübeln. Mit Ed ist es vorbei. Ich kann ihm nicht mehr in die Augen schauen. Wenn er erfährt, dass ich mit Friedrich im Bett war, dreht er mir glatt den Hals um. Diesen Betrug wird er mir nie verzeihen. Wenn ich nicht von Heiner schwanger bin, und nichts habe ich mir mehr gewünscht, dann bin ich es von Friedrich. Dieser eine Abend im Hotel, bei dieser Hitze im Juni. Mein Gott, was habe ich mir dabei gedacht! Wie konnte ich das tun! Eiskalt und berechnend war ich. Es war alles geplant, der Ort, die Zeit, sein Versprechen, Edgar gegenüber zu schweigen. Für immer. Und ich wollte Ed vorgaukeln, das Kind sei von ihm. Das war mein Plan. Möglich, dass er funktioniert hätte. Aber ich musste mich in Heiner verlieben, ich doofe Kuh. Eine Woche nach jenen Stunden mit Friedrich im Hotel traf ich im Hallenbad auf Heiner. Wenn ich an jenem Freitag aufs Schwimmen verzichtet hätte…Heiner und ich, wir hätten nicht im Wasser mit den Köpfen zusammen stoßen können…wer weiß…vielleicht hätte ich es geschafft, Ed anzulügen.
Und nun? Ich habe erreicht, was ich wollte, ich bin schwanger. Dafür ist meine Ehe ruiniert, und mein Liebhaber lässt mich sitzen. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll.
Renate wachte mit einem angenehmen Gefühl auf. Heiners Hand massierte ihre Brust. Zum ersten Mal erschreckte sie sich vor ihm. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, es war stockdunkel geworden. „Wie spät ist es?“, fragte Renate und roch seine Bierfahne, als er sich tiefer über sie beugte.
„Einmal noch, he Renate, jetzt, wo es absolut ungefährlich ist, könnten wir es ohne tun. Das ist besser, viel intensiver.“ Er schob den BH weiter herunter und küsste ihre Brust. Renate hielt still. Sie wartete, ohne recht zu wissen, worauf. Heiners Hand glitt in ihren Schritt. Zum Glück hatte sie die Jeans anbehalten, als sie sich hingelegt hatte. Energisch stieß sie Heiner von sich, sprang auf und lief aus dem Zimmer.
„Warte!“, rief er ihr nach und holte sie ein. Er fasste sie mit beiden Händen an der Taille und zog sie an sich. „Ein Abschiedsfick“, flüsterte er ihr ins Ohr.
„Bist du übergeschnappt! Mit dir will ich nicht mehr, du Mistkerl!“ Auf einmal sah sie es völlig klar. Sie hatte diesen eitlen, arroganten, selbstverliebten Mann nicht nötig, eigentlich brauchte sie überhaupt keinen Mann, sie würde es allein schaffen. Renate wand sich in Heiners Armen, während er versuchte, sie ins Schlafzimmer zu drängen. Für ihn war es ein Spiel, ein Schabernack. Für Renate war es bitterer Ernst. Sie kriegte eine Haarsträhne von ihm zu fassen und zerrte daran. Überrascht schrie Heiner auf und gab sie frei. Renate flüchtete in die Küche, weil er den Wohnungsausgang versperrte. Er war sofort bei ihr. Sie kämpften erneut miteinander. Heiner gewann schließlich die Oberhand, er packte sie von hinten, klemmte ihr die Arme vor den Bauch, dass sie bewegungsunfähig wurde.
„Okay, okay“, schnaufte Renate, „ich gebe auf, du hast gewonnen. Das Baby, Heiner, du schadest ihm. Bitte, lass mich los. Du kriegst deinen Willen.“
Er löste seinen Griff. „Warum der Aufstand, Renate. Seit wann prügeln wir uns, wenn wir miteinander schlafen wollen?“
„Vorher trinken wir ein Glas Wein, ja?“, schlug sie vor, „und mit ein bisschen Schick, bitte. Ist immerhin das letzte Mal.“
„Wie du willst, Darling.“ Heiner holte zwei Gläser aus dem alten Küchenbüfett. Renate lehnte sich an die Tür, bemüht, Gleichmut zu zeigen. Heiner reichte ihr ein mit Wein gefülltes Glas und prostete ihr zu: „Auf dein Baby!“
„Mit dir Arschloch trinke ich nicht auf mein Baby!“ Sie schleuderte ihm ihren Wein ins Gesicht, warf das Glas auf den Boden, wo es zersplitterte, sah seine verblüffte Miene, und als er einen Schritt auf sie zukam, stieß sie ihn mit beiden Händen von sich weg. Heiner rutschte aus und verlor den Halt. Er fiel rückwärts gegen das Büfett, sein Kopf knallte gegen eine hervorstehende Kante, etwas knirschte. Der Mann blieb regungslos auf dem Fußboden liegen. Sein Weinglas schepperte gegen ein Stuhlbein.
„Heiner? Heiner!“ Renate beugte sich über ihn. „Heiner, steh auf! Mach keinen Quatsch, bitte!“ Vorsichtig rüttelte sie an einem Arm. Heiner rührte sich nicht. Sie entdeckte Blut neben seinem Kopf. „Oh Gott, bitte, bitte, hilf mir, lass ihn nicht tot sein!“