Читать книгу Tod am Arkonaplatz - Christiane Baumann - Страница 7

Kapitel 5

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Entgegen Edgars Absicht, war es wieder später Abend geworden. Und er hatte weder Einkäufe getätigt noch ein Abendessen vorbereitet, wie er vorgehabt hatte. Dafür stellte seine Frau Renate eine große Schüssel selbstgemachten Kartoffelsalat auf den Tisch. Ungewöhnlich, dass sie sein Lieblingsessen an einem Freitagabend angerichtet hatte, doch Edgar wollte nicht darüber nachdenken. Er hatte Hunger und aß mit gutem Appetit. Renate eilte geschäftig die wenigen Schritte zwischen Tisch und Küche hin und her, obwohl eigentlich nichts zu erledigen war.

„Du bist ungemütlich, bleib wenigstens eine Minute sitzen“, bat Edgar seine Frau.

Sie nahm ihm gegenüber Platz, knabberte an einer Gewürzgurke, schaute mehrmals demonstrativ auf ihre Armbanduhr und spielte mit einer Zigarettenschachtel. „Wie war dein Tag?“, fragte sie schließlich.

„Ganz in Ordnung.“

„Und Friedrich? Wie geht’s mit ihm?“

„Er ist stinkig. Uns fehlt eine heiße Spur im Fall. Aber seine Krawatte sitzt korrekt, also ist es halb so schlimm.“

„Es geht um diesen schwarzen Toten, ja?“

„Er war Deutscher.“

„Und er wohnte am Arkonaplatz? Oder wie hieß die Straße?“

Edgar ließ überrascht die Gabel sinken. „Wie kommst du darauf?“

„Ich habe dich von weitem gesehen. Heute früh, du warst dort. Ich auch.“ Sie stand auf. „Die Minute ist um, Edgar.“ Renate zündete sich eine Zigarette an und drehte ihrem Mann den Rücken zu, um ihre Aufregung vor ihm zu verbergen. Sie hatte Edgar am Morgen zufällig beobachtet, wie er im Haus ihres Liebhabers verschwunden war. Was hatte das zu bedeuten?

„Moment mal, Renate. Was treibst du am Arkonaplatz? Etwa arbeiten?“

„Ich habe eine kranke Kollegin besucht, die in der Granseer Straße wohnt. Und du? Warum warst du da?“

„Dienstlich natürlich, warum sonst.“

Renate war erleichtert. Er hatte ihr nicht hinterher geschnüffelt und wollte Heiner zur Rede stellen, wie sie im ersten Schreck angenommen hatte. Alles Unsinn und Einbildung. Er wusste von nichts; nur seine Leichen waren wichtig.

„Wer wohnt in diesem Haus?“, fragte sie.

„Ich kann nicht darüber reden, also frag mich nicht.“

„Musst du da noch mal hin?“

„Wieso interessiert dich das?“

Weil wir uns dort über den Weg laufen könnten. „Morgen ist Sonnabend, aber du arbeitest, stimmt‘s?“, versuchte Renate, ihn abzulenken. Wie schwierig es doch war, die Wahrheit zu gestehen: dass sie von einem anderen Mann, den sie liebte, schwanger war.

„Ist was mit dem Haus?“, fragte Edgar zurück.

Renate zögerte, ihr Magen krampfte sich zusammen, ausgerechnet jetzt. All die sorgfältig zurechtgelegten Sätze schwirrten durch ihren Kopf, wollten aber nicht über die Lippen kommen.

„He, ich rede mit dir, Renate. Hast du was mit Leuten zu tun, die in der Ruppiner 49 wohnen? Kennst du jemanden von denen?“

„Weißt du, was ich dachte, als ich dich sah? Du genehmigst dir ein kleines Schäferstündchen während der Arbeitszeit. Wie man sich irren kann!“

„Spar dir deine unsinnigen Unterstellungen. Darauf habe ich keinen Bock. Ich muss morgen früh raus.“ Edgar schob den Teller von sich. „Und höre endlich auf mit deiner Qualmerei!“, ranzte er sie an.

Renate drückte die Zigarette aus und räumte den Tisch ab, das verschaffte ihr einen kleinen Aufschub. Innerlich schalt sie sich, feige zu sein.

Als der Geschirrspüler lief, setzte sie sich zu Edgar in die Fernsehecke. Er hatte das Gerät nicht eingeschaltet, starrte vor sich hin. Bestimmt war er mit seinen Gedanken beim Fall oder bei einer anderen Frau, dachte Renate, jedenfalls nicht bei ihr.

„Können wir reden? Wird nicht lange dauern. Der Kartoffelsalat vorhin, der war mein Abschiedsgeschenk an dich. Ich habe mich entschieden, Edgar, ich gehe.“ Sie verstummte und wartete. Keine Bewegung in seinem Gesicht.

Ja, klar, sie hatte sich zu unpräzise ausgedrückt. „Oder findest du, dass es noch Sinn macht mit uns beiden, Edgar?“

Langsam wandte er ihr den Kopf zu und entgegnete lapidar: „Deine ewigen Drohungen zu gehen, die kann ich nicht mehr hören und ernst nehmen schon gar nicht.“

„Ich frage mich seit einiger Zeit, warum ich es so lange mit dir und deinen kleinen Freundinnen ausgehalten habe. Die lagen ja fast mit bei uns im Bett. Aber nun ist Schluss, damit du es weißt. Ich will einen Neuanfang, ein ganz anderes Leben. Ich verlasse dich!“ Sie sprang auf.

Mit einem Satz war Edgar bei ihr, fasste sie hart am Arm und schüttelte sie. „Ich! Ich! Ich! Ja, geh doch, wenn du weg willst! Ich habe deine Quengelei und Eifersucht nämlich auch satt. Viel Glück bei deinem Neuanfang!“

Er stürzte die Treppe hoch, rein ins Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

Renate blieb überrascht zurück. Mit allem hätte sie gerechnet, aber mit dieser Reaktion nicht. Sie zündete sich eine Zigarette an, obwohl sie während der Schwangerschaft mit dem Rauchen aufhören wollte. Sie war frei, Edgar legte offenbar keinen großen Wert auf ihre Ehe. Gut so, eigentlich. Jetzt könnte sie zu Heiner fahren, zum Arkonaplatz, Ruppiner Straße. Ihre Tasche stand gepackt in ihrem Zimmer. Aufgeregt wählte Renate seine Nummer, erreichte jedoch nur seine Mailbox.

Plötzlich fiel ihr ein, bevor sie ihre Ehe und ihr eingefahrenes, aber einigermaßen sicheres und überschaubares Leben mit Edgar für immer aufgab, müsste sie mit Heiner über ihre Schwangerschaft reden. Er hatte bisher keine Ahnung, dass er Vater wurde. Würde er sich wirklich über ein gemeinsames Kind freuen? War er bereit, sein Singleleben für sie aufzugeben?

Renate schaute ins Schlafzimmer. Edgar lag der Länge nach auf dem Bett, mit den Armen verbarg er sein Gesicht. Neben sich eine Reisetasche, in die er wahllos ein paar Klamotten geworfen hatte.

Leise verschloss Renate die Tür wieder. Sie fühlte sich schlecht und traurig. Eine weitere Auseinandersetzung mit Edgar würde sie heute nicht verkraften.

Mit Heiner würde sie morgen reden, da waren sie sowieso verabredet.

Edgar saß Samstag früh übel gelaunt und mit Kopfschmerzen im Büro. Er hatte in der vergangenen Nacht etliche Bier und auch Hochprozentiges getrunken, um seinen Frust hinunter zu spülen. Renate hatte sich in ihrem Zimmer verschanzt. Es war gewesen wie etliche Male zuvor; nichts als Theater!

Edgar rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht, er war müde. Gleich würde die Sommerfels erscheinen, und er war unzureichend auf das Gespräch vorbereitet.

Als Katrin fünf Minuten später ins Zimmer trat, sah Edgar verblüfft auf. Die Frau hatte sich verwandelt, machte einen aufgeweckten, frischen Eindruck. Die Blässe des Vortages war verschwunden; sie hatte sicherlich mit Schminke nachgeholfen. Obwohl Edgar von ihrer Erscheinung angetan war, blaffte er sie an, ob sie nüchtern wäre.

Katrin stand lässig vor ihm, steckte ihre Hände in die Taschen ihrer engen Jeans und entgegnete etwas gelangweilt: „Wollten Sie doch, Herr Kommissar. Kann natürlich auch…“

„Schon gut, möchten Sie ein Glas Wasser?“ Er bemühte sich, verbindlicher zu klingen.

„Wenn Sie nichts anderes haben, bitte, gern.“

„Das ist hier keine Spaßveranstaltung, Frau Sommerfels. Nehmen Sie Platz. Wir müssen uns noch einmal ausführlicher unterhalten.“

Edgar fuhr mit beiden Händen durch seine Haare, um sich irgendwie zu beruhigen und auf die Frau einzustellen. Er legte seine Arme auf den Schreibtisch, faltete seine Hände und suchte Augenkontakt mit ihr. „Und bevor Sie auf meine Fragen antworten, denken Sie daran, dass wir einen Mordfall aufklären müssen. Wenn ich Sie befrage, tue ich das, weil ich einen Grund dafür habe. Ist Ihnen das klar? Ich möchte keine Lügen hören.“

„In Ordnung.“

„Wir unterhalten uns über die Feier am Samstag in Ihrer Wohnung. Dazu haben wir alle Beteiligten befragt, sofern wir sie bisher auftreiben konnten. Wie wir erfahren haben...“

„Na ja, ich habe nur die halbe Wahrheit gesagt“, lenkte Katrin schnell ein, „James und ich, wir haben natürlich gequatscht. Ich glaube, es ging in dem Gespräch hauptsächlich um Sina und seine Auftritte in der Band. Er war auf beides mächtig stolz.“

„Sie haben mehr getan als nur gequatscht, Frau Sommerfels. Herr Somura oder James, wie Sie ihn nennen, er kam am Morgen nach der Feier aus Ihrem Schlafzimmer. Dafür gibt es Zeugen. Und Sie waren es, die ihn zu Ihrer Feier eingeladen hat. Hatten Sie ein Verhältnis mit Herrn Somura?“

„Nein, ich sagte Ihnen gestern schon, warum ich niemals was mit ihm angefangen hätte. Er war schließlich der Ex von Yvonne. No Sex mit James. Eingeladen habe ich ihn, das gebe ich zu. Wegen Yvonne.“

„Warum?“

„Manchmal muss ich Yvonne eins auswischen, es wird mir sonst zu eng mit ihr. Sie rückt mir zu sehr auf die Pelle. Ja, ich gebe es zu, sieht so aus, als hätte ich James dafür benutzt. Die Methode war vielleicht nicht ganz astrein, aber wirkungsvoll.“

„Sie sagten zu Ihren Freundinnen, James hätte Glück gehabt, Yvonne los zu sein?“

„Davon wissen Sie?“ Katrin lachte leise auf. „Die können nie ihre Klappe halten. Was soll’s.“

„James schlief also nicht auf einer Matratze im Wohnzimmer, wie Sie mir gestern weißmachen wollten. Sie haben mit ihm die restlichen Nachtstunden in Ihrem Schlafzimmer verbracht…“

„Jetzt hacken Sie doch nicht auf diesem Punkt herum, bitte! Ändert das was, wo wer schlief? Und ich habe ein breites Bett, Sie haben es selbst gesehen…“

„Es geht nur um Genauigkeit, Frau Sommerfels, ich will nichts moralisch bewerten…“

„Ja, eben. Wenn es keine Rolle spielt, kann es Ihnen ja auch egal sein. Ich habe jedenfalls nichts mit James‘ Tod zu tun. Und ich verstehe auch überhaupt nicht, wie diese Fragen helfen sollten, James Mörder zu finden. Sie vergeuden doch Ihre Zeit mit mir.“

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass Sie mir etwas verschweigen. Kann das sein?“

Sie lächelte. „Hinter die Stirn können Sie mir aber nicht gucken, oder?“ Katrin verstummte und sprach nach einer kleinen Pause weiter, weil der Kommissar ihr gegenüber ebenfalls nichts sagte. „Ich dachte, ich könnte eine Erinnerung an James für mich behalten. Na gut, erzähle ich es eben. James sollte im Wohnzimmer bei den anderen schlafen. Er kam aber zu mir und legte sich in mein Bett, dafür kann ich nichts. Ich habe mich schlafend gestellt. Er ist an mich ran gerutscht und hat mein Gesicht gestreichelt, vorsichtig, und ich roch seine Hände…“ Sie schniefte auf.

Der Kerl war wohl doch in sie verliebt, dachte Edgar. „Das ist alles?“

„Ja, ehrlich. Ist schon schwierig, darüber zu reden. Ist schließlich eine sehr private Angelegenheit, und ich kenne Sie kaum.“

Das ließe sich ändern, dachte Edgar spontan. Für seinen Geschmack war Katrin Sommerfels im Gespräch bisher zu aufmüpfig gewesen. Während ihrer letzten Sätze war sie leiser geworden und beinahe anrührend.

So oder so, er hatte nichts, was er ihr vorhalten konnte, bis auf ihre kleinen Lügen zum Ablauf der Nacht mit James. An dem Schürhaken in ihrer Wohnung war kein Blut gefunden worden. Und er war sich ziemlich sicher, dass auch der Abgleich ihrer Fingerabdrücke mit den Spuren in James‘ Wohnung negativ sein würde. Eigentlich könnte er sie sofort wieder wegschicken, hatte aber nun Lust, sich länger mit ihr zu unterhalten.

Katrin trank einen Schluck Wasser, dabei schaute sie sich im Raum um. „Na ja, ist auch mal interessant, so ein Kriminalbüro“, sagte sie, wieder eine Spur forscher, „ziemlich schmucklos, finde ich. Haben Sie schon viele Mörder gefangen?“

„Mordfälle aufzuklären, ist immer Teamarbeit.“

„Hm.“ Sie musterte ihn unverhohlen wie am Tag zuvor in ihrer Wohnung. Dabei würde sie seinen Ehering bemerken.

„Stört Ihr merkwürdiger linker Finger nicht bei der Arbeit?“

Sein abstehender Finger hatte es ihr angetan. „Ich habe mich an den krummen Begleiter gewöhnt“, sagte er.

„Hauptsache, er ist zu gebrauchen. Kann ich gehen?“

„Gleich. Haben Sie einen Freund?“

„Das meinte ich vorhin, lauter intime Sachen fragen Sie mich. Nein, ich bin Single. Schon eine Weile. Zufrieden?“

„Es gibt gar niemanden, mit dem Sie…?“

Sie grinste. „Mit dem ich was?“

„Sie wissen, wovon ich rede.“

„Ein Kommissar sollte sich trauen, das Wörtchen Sex auszusprechen. Nein, ich schlafe solo, total. Im Moment kuschele ich nur mit Freundinnen.“

„Mit Yvonne Richter auch?“

Als Antwort verdrehte Katrin lediglich die Augen.

„Regine Herzig deutete an, Yvonne Richter mache sich nichts aus diesen Dingen, wie sie sich ausdrückte. Würden Sie diese Ansicht bestätigen?“

Katrin lächelte amüsiert. „Ist jetzt vielleicht nicht so toll, über Yvonnes‘ Sexleben zu reden, aber ich muss ja. Sie vermuten richtig, Herr Kunze, Yvonne ist nicht scharf auf“, an dieser Stelle sahen sich beide in die Augen, „Sexuelles, in welcher Form auch immer. War das deutlich genug?“

„Hat Yvonne ihren Ex gehasst?“

„Nö, er war in ihren Augen eher ein lästiges Insekt. Aber Hass? Er war doch der Vater von Sina. Und immer zuverlässig. Man konnte James richtig ausnutzen.“ Katrin schien ein neuer Gedanke zu kommen: „Und wenn sie ihn getötet hätte, wäre doch auch der Unterhalt futsch, nicht? Glaube nicht, dass Yvonne freiwillig auf das Geld verzichtet hätte.“

Praktisch veranlagt, die Frauen, dachte Edgar. Er war von Katrins Überlegung überrascht. Und amüsiert. Wollte es ihr aber nicht zeigen. „Sie kennen die Frau sehr gut, mit der Sie auf keinen Fall befreundet sein wollen. Würden Sie Yvonne den Mord an James zutrauen?“

„Nein, die beiden haben viel gestritten, das ist nichts Besonderes, oder? Aber einen Mord? Never. Kann ich gehen?“

Edgar verabschiedete sie, mit dem deutlichen Gefühl, dass sie sich bald wiedersehen würden.

Tod am Arkonaplatz

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