Читать книгу Der Casta-Zyklus: Initiation - Christina Maiia - Страница 26
Das Versteck
ОглавлениеDie Strahlen einer frühen Sonne fallen durch das kleine, quadratische Holzfenster hindurch. Ihr Kegel bewegt sich gemächlich durch den dunklen Raum, hebt die Schwere der Schatten von ihm auf und fällt schließlich auf einen Bettpfosten, hinter dem ein Fuß unter einer groben Decke hervor lugt. Sekunden später erlöst ein gähnender Ton die Atmosphäre von ihrer Stille. Zwei Arme und ein dunkler Haarschopf werden sichtbar. „Schon lange nicht mehr so gut geschlafen“, hallt Kishas Stimme entspannt durch den Raum, „das war der genialste Einfall, den du je gehabt hast, Kisha Moon.“
Ihre Kopfschmerzen und das Summen haben sich dankenswerter Weise inzwischen auf ein Minimum verflüchtigt. Den gestrigen Tag hat sie mit Essen, Meditieren und Schlafen verbracht, in wiederholender, kaum variierender Reihenfolge, und schließlich ist es ihr sogar gelungen, den Wasserzulauf zu aktivieren, um sich von dem Dreck der Wüste zu befreien, der sich in jedem Winkel ihres Körpers eingenistet hatte. Auch die braune Brühe aus dem Kanister erwies sich als geschmacklich einigermaßen akzeptabel. Die Dosen fielen dagegen eher unter die Marke gewöhnungsbedürftig. Das Merkwürdigste ist ihr aber während einer ihrer Meditationen widerfahren: Einen Moment lang kam es ihr so vor, als hätte sie eine seltsame, tiefe Stimme vernommen, eine Stimme, die ihr gleichzeitig vertraut und dann wieder sehr fremd und sphärisch vorgekommen ist.
Ihre gute Laune hat jedoch beschlossen, heute auf Hoffnung zu setzen, gleichgültig auf welchem Kanal sie sich auch offenbaren mag. Es ist Zeit. Sie fühlt sich aufgeladen, bereit ihre Mission anzutreten und der unwirtlichen Welt da draußen ein für alle Mal den Kampf anzusagen. Mit anderen Worten: Sie fühlt sich endlich wieder wie Kisha Moon. Punkt 1 des Schlachtplans also: Anpassung und Aufbruch.
Gestern ist ihr etwas entgegengefallen, das man wohl hierzulande als Kleidung bezeichnen mag. Der Junge von dem Foto hat offenbar ein Art Versteck unter dem Dach angelegt, das sie beim Klettern in der Abstellkammer über dem Regal entdeckt hat. Auf einem flachen Boden lagen ein paar Sachen verstreut, darunter eine weite Hose mit einer Schnur am Bund, ein einfaches Shirt mit halbem Arm, ein rotes, weiches Oberteil mit einer Kapuze daran, sowie ausgetretene Schuhe in knalligem Grün. Natürlich ist alles viel zu groß. Nonna würde sich wegwerfen vor Lachen, so viel steht für Kisha fest, doch zum Glück wird keine lebende Seele von Casta 3 sie je damit sehen können. Auch die Problematik, wo sie den verräterischen Raumanzug und die Schutzstiefel verstecken soll, ist damit vorerst gelöst. Dort oben dürfte ihre Ausrüstung für den Moment sicher sein, und selbst gesetzt den Fall, dass ihr die Energiebeschaffung wider Erwarten misslingen sollte, existiert jetzt ein halbwegs brauchbarer Backup-Plan. Im schlimmsten Fall wird sie sich für ein paar Tage hier unter dem Dach verbarrikadieren und hoffen, dass ihr etwas Geniales einfällt. So weit, so gut.
Die Sonne steht bereits hoch über dem Horizont, als Kisha ihren Kanister für den anstehenden Aufbruch bepackt. Neben dem Notrationen und dem vorhandenen Survival Pack landen noch einige Flaschen Flüssigkeit, Seil, Messer und Seife mit in der Ausbeute. Alte Astronauten-Regel: Im Notfall mitnehmen, was man gerade noch transportieren kann. Dann, als ihre Hand schon auf dem Türgriff liegt, blickt sie noch einmal zurück. Unter dem Licht der Morgensonne lächelt die Hütte sie so vertraut an als sei sie ihr Geliebter nach der ersten gemeinsamen Nacht. Kisha wird seltsam zumute. Vielleicht ist es verrückt, aber dieser baufällige Kasten war, wenn auch nur für ein paar Stunden, ihr erstes eigenes Refugium, was sich immerhin so gut angefühlt hat, dass es vielleicht Zeit wird, auch auf Casta 3 einen eigenen Weg einzuschlagen. Ein neuer Abschnitt liegt in der Luft, leicht wie ein Versprechen.
Das Meer ist ruhig und glitzert unter einer noch nicht ganz im Zenit stehenden Sonne. Der unberührte Strand breitet sich kilometerweit aus, ohne dass auch nur eine einzige Seele darauf zu erkennen wäre. Der Wind streicht lau durch Kishas Haare hindurch. Sie schließt die Vordertür hinter sich ab und steckt nach ein wenig Nachdenken den Schlüssel in ihre Hosentasche ein. Dann dreht sie hinter der Hütte den Hahn für den Wasserzugang ab und steuert quer über den Strand auf das Ufer zu. Die viel zu weiten Hosen flattern an ihr wie Segel im Wind. Es wird ein schöner Tag, ermutigt sie sich, ein fantastischer und verdammt nochmal endlich erfolgreicher Tag.