Читать книгу Der Casta-Zyklus: Initiation - Christina Maiia - Страница 29
Gefallen
Оглавление„Hallo, mein Junge!“, tönt es ihm freundlich entgegen, als er durch die Tür in die Imbissbude fällt. Der Laden ist wie fast immer prall gefüllt. „Das Übliche?“
„Danke, Tony. Ich probier´s mal heute mit dem Chicken Burger Spezial“, wirft ihm Yoav durch die Geräuschkulisse aus Braten, Schmatzen und Smalltalk entgegen. „Und einen Eistee, bitte.“
„Madonna mia, soviel Experimentierfreude auf einen Haufen, ich bin beeindruckt“, erwidert Tony mit einem Schmunzeln, als er zu ihm an die Theke kommt und sich die Hände an seiner Schürze abreibt, um ihn per Handschlag zu begrüßen. „Wie geht es dir heute, mein Junge? Du siehst blendend aus.“
„Ich fühle mich auch so. Du, Tony, könntest du mir eventuell einen Gefallen tun?“
„Aber sicher doch, gerne. Worum geht‘s?“
„Ich habe da einen obdachlosen Typen getroffen, ein anständiger, weiser, alter Mann, der abends immer am alten Schlachthof abhängt. Er hat mir geholfen, musst du wissen, und ich möchte gerne, dass wenn er mal bei dir vorbeikommt, du ihm alles gibst, was er will. Ich gebe dir dann das Geld wieder, beim nächsten Mal, versprochen. Aber bitte sag‘ ihm nichts davon. Er soll ruhig denken, dass es von dir kommt. Ich glaube sowieso nicht, dass er es groß in Anspruch nehmen wird. Aber du weißt schon, die Geste zählt. Sein Name ist übrigens Xavier.“
„Interessante Geschichte, würde gerne mehr darüber erfahren, wenn´s hier mal wieder ruhiger zugeht. Aber natürlich, geht klar. Du kannst dich auf mich verlassen“, antwortet Tony mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte Yoav ihn gerade um extra Senf gebeten. Er wendet sich schnell wieder den Burgern auf dem Bräter zu und fließt mit einem von Natur aus positiven Gemüt durch sein persönliches Refugium.
Tony ist wahrlich die gute Seele in dieser Gegend, stellt Yoav mit einem stolzen Gefühl in sich fest, nicht nur für mich. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass diesen grandiosen Kerl irgendetwas aus der Ruhe bringen oder ihn dazu verleiten könnte, jemanden zu verurteilen oder abzulehnen, weil er nicht in das übliche 0815-Schema passt. Tonys Herz ist so weit wie der Ozean da draußen, und das Einzige, das ihn wirklich auf die Palme bringen könnte, ist Bösartigkeit oder wenn man sein Leben verschenkt, ohne das Beste daraus zu machen. Aber das ist jetzt ja nicht mehr nötig.
Im Nachhinein kommt es Yoav unglaublich vor, wie sich in den vergangenen drei Tagen alles dazu verschworen hat, damit er die richtige Entscheidung für sich fällt. Erst Tonys Predigt, dann der Alte, dann Boyle, dann Quincy und schließlich der Label-Typ. Es ist fast so, als habe sich sein Leben in diesen 72 Stunden einmal komplett gedreht und er sei plötzlich in es wieder hinein geboren worden, neu, unschuldig, ohne Ballast. Alles bekommt auf einmal einen Sinn, wird rund und irgendwie ganz, die Widersprüche, die er zuvor noch so stark empfunden hatte, lösen sich auf und er sieht sich und seinen weiteren Weg auf einmal so klar. Es ist, als sei in einem einzigen Augenblick ein helles, strahlendes Licht in das zuvor so trübe Halbdunkel in seinem Hirn gefallen sei und habe all die Schwere aufgelöst, die darin so lange gehaust hatte. In diesem Moment, dessen wird sich Yoav jetzt bewusst, ist er das erste Mal, seit er denken kann, glücklich. Mit diesem Gefühl blickt er dankbar zu Tony herüber, der ihm mit einem wissenden Lächeln antwortet. Wie hat Xavier so schön gesagt: Solche Freunde gibt es selten, halte sie in Ehren. Freunde, mit denen man sowohl Freude als auch Leid teilen kann und die einen blind verstehen.
Der exotische Chicken Burger Spezial ist inzwischen in seinem Magen gelandet und hat sich dort mit dem Eistee vermischt. Yoav winkt kurz zu Tony herüber, der das Signal für das übliche Mitbringsel sogleich versteht, und fünf Minuten später spurtet er mit seinem kulinarischen Köder bepackt los. Vielleicht bin ich heute zu früh, mutmaßt er, als er wie mittlerweile täglich um die Ecke zum Schlachthof einbiegt, aber erneut sitzt der Alte auf den Punkt genau an seinem Platz und genießt in gewohnter Position das Labsal der nachmittäglichen Sonne. Ich kenne niemanden, der dies mit einer solchen Hingabe tut, sagt sich Yoav erstaunt und entscheidet sich, ihn sich ab jetzt zum Vorbild zu nehmen. Ich habe noch so viel über das Leben zu kapieren und dieser alte Mann ist der beste Lehrer, den ich je hatte. Es ist für ihn deshalb selbstverständlich, dass er als Erster seine Begrüßung abgibt. „Hallo Xavier!“
„Hallo mein Junge! Ist es nicht wieder herrlich heute? Ich sitze schon seit einiger Zeit hier und lasse meine Seele baumeln. Ich sage dir, das ist der wahre Luxus.“
„Und ich hab‘ dir noch was dazu mitgebracht. Besonders lecker heute.“
„Ach, du bist ein Engel. Wie geht es Tony?“
„Es geht ihm wie immer sehr gut. Er lässt dich grüßen und dir ausrichten, dass du jederzeit herzlich willkommen bist“, erwidert Yoav stolz.
„Wie schön und wie überaus freundlich von ihm. Da hast du wirklich einen ganz besonderen Freund.“
„Ich weiß. Du musst einfach nur deinen Namen sagen und dann weiß er schon Bescheid. Falls wir uns mal wider Erwarten nicht treffen sollten“, setzt er ironisch hinterher.
„Das kann ich mir schon gar nicht mehr vorstellen, mein Junge. Ich hab mich so sehr an unsere schönen Gespräche gewöhnt.“
„Geht mir genauso. Ich hab‘ übrigens heute Morgen den Typ von dem Label angerufen“, platzt es aus Yoav heraus.
„Und? Was hat er gesagt?“
„Er hat sich offensichtlich gefreut und gemeint, wir müssten uns gleich morgen früh im Studio treffen und zusammen arbeiten.“
„Das ist ja fantastisch! Ich freue mich so für dich. Habe ich es dir nicht gesagt? Kein Zufall. Du musst nur die Chancen ergreifen, die auf dich zukommen.“
„Ich bin dir so dankbar für deinen Rat. Er kam absolut zum richtigen Zeitpunkt.“
„Es kommt immer alles zum richtigen Zeitpunkt, man braucht nur die Weisheit, das auch zu erkennen“, fügt der Alte lächelnd hinzu. „Aber keine Sorge, ich schaffe das auch nicht immer.“
„Ja, ja, look who´s talking…….. Aber egal. Worüber wollen wir heute philosophieren? Ich bin schon ganz Ohr.“
„Heute, mein lieber, junger Freund, heute muss ich dich um ein wenig Hilfe bitten.“
„Gerne. Aber was könnte ich denn schon für dich tun? Ich meine, brauchst du Geld oder eine Unterkunft oder so? Ich kann gerne mit Boyle quatschen, ich denke er hätte nichts dagegen, wenn du bei uns abhängst. Weißt du, Boyle ist ein toller Kerl, wenn auch etwas schräg, und deine Klamotten, na ja, die werden dann nicht mehr nach Schlachthof stinken, sondern nach Gras, wenn du weißt, was ich meine, und du müsstest mit einer Matratze in der Küche vorlieb nehmen, und dann müssten wir ein wenig aufpassen, wegen der Campus-Leitung und so, aber uns würde sicher etwas einfallen, du bist einfach mein Opa auf Besuch, aber sonst….“
„Immer mit der Ruhe, mein junger Freund, immer mit der Ruhe. Ich bin wirklich sehr gerührt, dass du das für mich tun würdest, und auch Boyle, ja, den würde ich sehr gerne einmal kennenlernen, aber es geht mir um jemand anderes, nicht um mich selbst“, erwidert Xavier.
„Ja? Um wen denn?“, fragt Yoav verdutzt nach. Sein Elan ist vorerst abgeprallt.
„Weißt du, es gibt ein Mädchen, um das ich mich ab und zu kümmere. Sie ist ein wenig jünger als du, so um die zwanzig, und noch fremd hier. Es ist schon ein paar Tage her, da habe ich sie das letzte Mal gesehen, und jetzt mache ich mir ernsthaft Sorgen. Sie mag dir und den anderen vielleicht etwas verwirrt und seltsam vorkommen, denn sie ist fremd in dieser Gegend und spricht auch unsere Sprache so gut wie nicht. Wir haben uns immer gegen Abend hier getroffen, aber plötzlich ist sie verschwunden und jetzt habe ich Angst um sie“, berichtet Xavier durchaus wahrheitsgemäß.
„Und wie kann ich helfen? Wie sieht sie denn aus?“
„Es würde mir schon sehr helfen, mein Junge, wenn du die Augen offenhalten würdest und vielleicht auch noch deinen Freunden hier in der Gegend Bescheid gibst, damit sie dich sofort rufen, sobald sie sie sehen. Es ist wirklich wichtig, dass ich es dann bin, der sie anspricht, denn ich fürchte, bei jedem anderen würde sie sofort Angst bekommen und wieder weglaufen. Ich bin ihr einziger Kontakt, dem sie vertraut. Ach ja, das hier ist ein Foto von ihr aus besseren Zeiten. Sie hat es mir einmal geschenkt, als ich alter Narr sie darum gebeten habe. Seitdem trage ich es immer bei mir.“
Man könnte fast meinen, der Alte sei in das Mädchen verknallt, denkt sich Yoav, als er das Foto in Empfang nimmt. Aber in der Tat, es geht etwas Seltsames aus von diesem Bild. Pechschwarze, glatte Haare auf einer hellen, fast transparenten Haut, die von innen heraus zu leuchten scheint. Und dann sind da noch diese klaren, durchblickenden Augen, die die Farbe eines Ozeans haben, in dem man sofort abtauchen möchte. Ihr Mund hat etwas Trotziges, stellt Yoav mit einem Lachen fest, eine Rebellin entlarvt sich darin, die sicher heftige Wortblitze abfeuern kann, wenn´s drauf ankommt. Und die Stirn, die ist hoch und zeigt schon ein paar Linien, wohl von zu viel Grübeln, sagt er sich aus eigener, eingehender Erfahrung. Er kann den Alten gut verstehen, es geht etwas Magisches von diesem Mädchen aus, und wenn er mal ganz ehrlich ist, würde es ihm nicht allzu viel ausmachen, wenn er sie als Erster finden würde.
„Was meinst du?“, fragt Xavier mit einem gewissen Ausdruck in seinem Gesicht nach, der für den Hauch einer Sekunde etwas Verschlagenes hat.
An Yoav geht diese Mimik zum Glück vorbei. Noch immer schaut er gebannt auf das Foto. „Was? Ach ja, natürlich, ich helfe dir gerne“, antwortet er, als sei er eben aus einem anderen Universum zurück gebeamt worden. „Ich gehe gleich heute mal herum und frage meine Leute, ob sie sie gesehen haben. Dafür müsste ich mir allerdings das Foto ausborgen. Kann ich es für eine Weile haben? Du bekommst es bald wieder, versprochen.“
„Sicher, sicher, kein Problem, mein Junge. Ich weiß, es ist in guten Händen bei dir. Danke, dass du mir bei dieser Sache helfen willst. Weißt du, vier oder mehr Augen sehen einfach mehr als zwei, und ich kann nicht immer hier sein und mich nach ihr umschauen. Ich denke, ich kann ruhiger schlafen, wenn ich weiß, dass sich noch ein paar Menschen mehr um die Kleine kümmern.“ Xavier hat wieder die Miene der Gutmütigkeit aufgelegt, was dem alten Meister wie üblich hervorragend gelingt.
„Das ist doch selbstverständlich, Xavier. Ich tue das sehr gerne.“ Und wie gerne ich das tue.
„Prima, das freut mich. Sie heißt übrigens Kisha. Falls du sie als Erster finden und mit ihrem Namen ansprechen solltest, sprich bitte betont langsam und mit ganz ruhiger, tiefer Stimme, darauf reagiert sie gut. Vielleicht nennst du besser noch meinen Namen und zeigst ihr das Foto, das kann nicht schaden. Aber wie gesagt, immer schön langsam und tief sprechen, sonst wird sie nur verschreckt. So“, schwenkt der Alte jetzt um, „lasse uns doch den herrlichen Sonnenuntergang zusammen genießen und noch ein wenig über deine Sachen plaudern, was meinst du? Ich würde mich freuen, noch mehr von deinem Tag und deinem Telefonat zu erfahren“, schlägt der zweite Meister des Ordens der Weisheit seinem jungen, völlig ahnungslosen Novizen vor. In seinem Inneren aber freut sich Xavier mit der Intensität eines kleinen Kindes: Ich habe ihn, es hat geklappt!