Читать книгу Der Casta-Zyklus: Initiation - Christina Maiia - Страница 27
Beobachtung
ОглавлениеDas Licht ist gedimmt unter der weiten, transparenten Kuppel des Observatoriums. Von den wenigen, besetzten Tischen aus können die Gäste einen unbegrenzten Rundum-Blick auf den mit Trillionen Sternen besetzten Nachthimmel genießen. Die hektische 19-Uhr-Schicht ist mittlerweile abgefertigt und eine nahezu magische Ruhe legt sich jetzt auf den Abend im Speiseraum der Luna 5-Station.
Es ist die richtige Zeit für das Ausklingenlassen eines arbeitsreichen Tages, für etwas Besinnung auf das Wunderbare, das da draußen, nur einen Hauch entfernt, existiert, für ein intimes Dinner zu zweit, oder für ein intensives Gespräch mit einem guten Freund, sagt sich Professor Todd, als er mit einem freundlichen Lächeln ein paar anwesende Kollegen an den benachbarten Tischen begrüßt. Dann zieht er sich in die Stille einer der kleinen Lounges zurück. Notiz an mich selbst: Unbedingt mit Teresa hierherkommen, am besten an unserem Jahrestag, gibt er in seine innere To Do Liste ein.
Schon von weitem sieht er, wie Sal den Saal durchkämmt. Sein Freund ist schon immer eine imposante Erscheinung gewesen, ein Hüne, der selbst an den spektakulärsten Orten auffällt, und so drehen sich auch heute ein paar Köpfe um, ob nun aus Gründen des Erkennens oder seiner intensiven Präsenz.
„Guten Abend, mein Freund. Schön, dass Sie es schaffen konnten“, begrüßt Todd Salomon mit einem warmen Händedruck und einer kurzen Umarmung.
„Die Freude ist ganz meinerseits“, erwidert Sal. Er lässt sich erschöpft in den tiefen Lounge-Sessel fallen. „Ihre Einladung hat mich sprichwörtlich gerettet. Ich werde noch ganz verrückt bei dieser untätigen Warterei.“
„Was darf ich Ihnen bestellen?“, fragt Todd und macht sich innerlich eine weitere Notiz, auf die er noch später zurückkommen wird. „Es gibt hier ganz ausgezeichnete Snacks und natürlich eine exzellente Weinkarte.“
„Ich nehme, was Sie haben. Ein paar Snacks wären gut, ich habe nämlich seit heute Morgen nichts mehr in den Magen bekommen.“
Todd signalisiert seine Bestellung wortlos zu einem der Studenten höheren Semesters, die heute als Servicekräfte eingeteilt sind. Seine Order wird mit einem freundlichen Kopfnicken quittiert.
„Wie geht es Ihnen heute, mein Freund? Sie sehen etwas gedrückt aus, wenn ich das sagen darf“, eröffnet Todd das Gespräch mit ehrlicher Anteilnahme.
Salomon atmet ein paar Mal tief durch, um den inneren Druck abzulassen. „Sie haben ganz recht. Es war ein anstrengender Tag, um ganz offen zu sein, und ich bin heilfroh, dass Sie mir eine so schöne Gelegenheit zur Abwechslung bieten. Danke sehr“, sagt Sal im doppelten Sinn, als der Student sein Getränk auf dem kleinen Lounge-Tisch abstellt.
Todd wartet einen Augenblick ab, bis sie wieder unter sich sind. Dann fährt er mit seinem inneren Faden fort: „Sehen Sie, das habe ich gespürt. Ich freue mich, wenn ich Sie ein wenig aufmuntern kann. Möchten Sie mir von Ihrem Tag erzählen? Wie sind Sie inzwischen weitergekommen?“
„Ach, das ganze Herumsitzen, auch noch drei weitere Tage lang, macht mich noch ganz mürbe. Mir sind die Hände gebunden, Todd, und das ist mir ein Gräuel. Sie kennen mich, ich bin ein Mann der Tat, ein Macher, ein Aktivist und kein solcher Stubenhocker und Büro-Diplomat. Ich hoffe, Sie verstehen das bitte nicht falsch, lieber Freund, ich meine das explizit nicht in Bezug auf die Elite der Akademie“, fügt Sal schnell hinzu, als er über seine ungefilterten Worte nachdenkt.
„Keine Sorge, ich verstehe Sie nur zu gut. Aber Sie müssen ein wenig Geduld haben. Ich habe heute übrigens mit X gesprochen und er ist wirklich sehr, sehr zuversichtlich. Vertrauen Sie doch ein wenig auf die guten Kräfte, die hier am Werk sind. Wir tun alles, was in unserer Macht steht, für Kisha.“
„Ich weiß, ich weiß. Und doch juckt es mich wie ein Bär auf einem Ameisenhaufen. Ich halte es einfach nicht aus, Todd. Außerdem habe ich kein gutes Gefühl, was diesen Avner betrifft“, fügt er etwas leiser hinzu. Er schaut sich kurz um.
„Den lassen Sie mal ganz meine Sorge sein“, meint Todd. „Ich bin in dieser Sache schon auf der Hut. Aber ich halte es auch für wichtig, dass ich Sie für den Moment in dieser Hinsicht außen vor lasse. Wenigstens einer von uns sollte eine weiße Weste vor dem Rat behalten, Sal. Sie sind der Macher und ich der Strippenzieher im Hintergrund. Konzentrieren wir uns doch auf unsere Stärken, wenn wir Erfolg haben wollen. Und das wollen wir doch, nicht wahr?“ Todds Gesicht nimmt einen provokativen Ausdruck an, so wie es einem wirklich guten Freund, und nur einem solchen, zusteht.
Sein Gegenüber registriert es mit einem selbstironischen Kommentar. „Sie haben ja recht. Ich bin momentan gerade einmal wieder Sklave meiner rastlosen Ungeduld, und ich weiß, dass in der Regel nichts Gutes daraus entsteht. Ich verstehe ja auch nicht genau, was momentan mit mir los ist. Ich bin so aufgewühlt und unruhig wie ein junger Akademie-Frischling vor der ersten Mission.“
„Vor dem ersten Ball, das kommt der Wahrheit eventuell ein Stückchen näher. Darf ich Ihnen etwas sagen, Sal? Verzeihen Sie mir bitte, falls ich Ihnen zu nahe treten sollte, aber ich möchte Ihnen wirklich gerne weiterhelfen.“
„Sie sind ein besserer Freund als ich es nach meiner langen Sendepause verdiene. Also bitte, legen Sie ruhig los“, erwidert Sal.
Todd lehnt sich nach vorne und stützt seine Ellenbogen auf den Lehnen ab. Seine Hände falten sich fast automatisch zusammen. „Mein lieber Freund, meine ganz persönliche Meinung ist es ja, dass es das Wiedersehen mit Eve ist, und nicht etwa Kishas Mission, das Sie so aus Ihrem Gleichgewicht bringt. Ich spüre bei Ihnen einen starken Widerspruch, was Eve betrifft, etwas, das sich aus meiner Sicht nicht alleine aus ihren alten Gefühlen füreinander erklären lässt. Ich möchte sicher nicht in Ihre Geheimnisse eindringen, aber da ist etwas an dieser ganzen Geschichte, das Sie mir bislang nicht erzählt haben, das Sie aber ganz offensichtlich belastet. Ich respektiere Sie und Sie sollen wissen, dass es an meiner Freundschaft zu Ihnen nichts ändern wird, wenn Sie nicht darüber sprechen wollen. Aber falls doch, dann seien Sie sich bitte gewiss, dass ich keiner anderen Seele gegenüber je etwas davon erwähnen werde.“ Todd schaut fragend zu Sal hinüber, der seinen Worten mit sichtbarer Rührung gefolgt ist. Noch nie hat Todd ihn so aufgewühlt gesehen.
„Ich möchte es Ihnen ja anvertrauen“, erwidert Sal mit ungewohnter Brüchigkeit in seiner Stimme, „und ich brauche Sie als Freund, das haben Sie zum Glück genau gespürt. Aber wo soll ich denn nur anfangen?“, fragt er verwirrt und zuckt ratlos mit seinen Schultern.
„Warum nicht einfach ganz am Anfang?“, meint Todd verständnisvoll, „ich habe alle Zeit der Welt.“
Sal lächelt dankbar und beginnt zögerlich, von dem Tag an zu erzählen, als er und Eve sich das erste Mal trafen. Je länger seine Geschichte dauert, desto mehr verliert sich der Raum um ihn und Todd herum im Dunkeln, als sei er völlig seiner Bedeutung beraubt. Sekunden und Minuten verschmelzen miteinander und vergehen, während die Sterne über der Kuppel des Observatoriums sich weiter bewegen und ihr Licht noch tiefer ins Universum schicken. Gäste kommen und verschwinden, Gläser und Teller werden gefüllt und geleert, und Vergangenheit wird zur Gegenwart in der kleinen, etwas abgelegenen Lounge der Luna 5-Station. In ihrer seltsam entrückten Mitte, in diesem stillen Zentrum von Zeit und Raum, beendet schließlich ein Mann die Geschichte seines Lebens.
Todd blickt Sal lange und intensiv an. Dann spricht er das aus, was ihm auf der Seele liegt: „Wie lange haben Sie das nun schon mit sich herumgeschleppt“, sagt er leise und legt für einen Moment seine Hand auf die von Sal. „Für mich ist aus all dem eines sehr deutlich: Sie lieben sie immer noch. Und was noch viel schöner ist, sie liebt sie offensichtlich auch. Sehen Sie das denn nicht? Welche Frau lässt Sie denn ziehen und ihren Träumen nachjagen und nimmt Sie zwanzig Jahre später wieder auf, ohne ein Zeichen von Wut oder gar Schuldzuweisung, wenn nicht aus Liebe? Wissen Sie was, Sal? Sie sind ein verdammter Glückspilz. Und an Ihrer Stelle würde ich mir die unnötige Schuld endlich von den Schultern werfen und diese fantastische Frau auf die einzige Art und Weise belohnen, die sie verdient: Indem Sie sich selbst erlauben, sie zu lieben und die gemeinsame Zeit zu genießen, die Ihnen beiden noch bleibt.“ Todd nimmt einen kurzen Schluck aus seinem Rotweinglas, bevor er fortfährt. „Wissen Sie, was ich in all den Jahren unserer Missionen auf anderen Planeten für mich erkannt habe, Sal? Das Leben ist verdammt nochmal zu kurz und zu wertvoll, um es mit längst vergangenen Dingen zu verschwenden. Nutzen Sie es. Werden Sie glücklich. Sie haben es sich wahrlich verdient.“
Sal schweigt lange und hängt mit gesenktem Kopf in seinem Sessel. In seinen Augen sind die untrüglichen Zeichen von Schmerz zu erkennen, und würde die gedimmte Beleuchtung nicht den Tisch in ein gnädiges Zwielicht tauchen, dann würde Todd bemerken, wie dieser Fels von einem Mann gerade weint. Die Momente verstreichen still und jeder der Freunde gibt seinem Gegenüber Zeit, sich zu beruhigen. Die Gläser füllen und leeren sich, die letzten Snacks auf dem Teller verschwinden, und langsam, ganz langsam, werden trockene Kehlen wieder feucht.
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr mich Ihre Worte gerade berührt haben, Todd“, sagt Sal endlich mit festerer Stimme. „Sie sind ein wahrer Freund und ich hoffe, ich werde mich einmal bei Ihnen dafür revanchieren können. Für den Moment aber sollen Sie wissen, dass Sie absolut recht mit Ihrer Einschätzung haben. Wissen Sie, wenn ich jetzt die Rettung von Kisha übernehmen könnte, dann fiele es mir leichter, mir all das zu verzeihen, was ich nicht getan habe. Aber so ist es für mich sehr schwer, mich Eves Liebe für würdig zu erweisen, nach all der Zeit, in der ich nicht für sie und Kisha da gewesen bin. Was ist das nur für eine Frau, Todd. Ich bin ein verdammter Esel gewesen.“ Er schaut Todd direkt an. Seine Augen glänzen immer noch.
„Sind wir das nicht alle, mein Freund, wenn es um die Frauen geht?“
„Ich hoffe doch sehr, Sie machen das besser als ich. Wie geht es Teresa, übrigens? Ist sie noch immer so smart und schön wie ich sie in Erinnerung habe?“
„Noch smarter und noch schöner, das versichere ich Ihnen. Ich frage mich ungefähr jeden dritten Tag, wie sie es mit mir Akademie-Langweiler nur aushält“, erwidert Todd schmunzelnd. „Aber das werde ich ja bald schon genauer herausfinden können. Sie sollten wirklich einmal die Zwillinge sehen, die unsere Tochter Milla vor zwei Jahren auf die Welt gebracht hat, ein Mädchen und ein Junge, beide blond, sehen aus wie kleine Engel und können schreien wie die Teufel, das sage ich Ihnen. Ich freue mich schon sehr auf meine Rolle als Erziehungs-Großvater, sobald Milla beruflich wieder voll einsteigt. Sie ist sehr begabt, müssen Sie wissen. Sie und ihr Mann haben sich für eine spannende Mission auf einem der Außenposten vor Xenon verpflichtet. Ich bin unendlich stolz auf sie. Und Teresa und ich sind schon ganz vernarrt in die Zwillinge.“
„Ich freue mich so für Sie, mein Freund. Wie werden Sie es mit der Akademie halten, bis die beiden groß sind?“
„Es ist schon alles mit dem Dekan besprochen. Meine Vorlesungen werden auf etwa die Hälfte reduziert und zeitlich gebündelt, was organisatorisch und inhaltlich auch kein großes Problem darstellt. Wir haben genügend fähige Professoren und Professorinnen, die teilweise auf besserem und aktuellerem Wissensstand sind als ich alter Sesselhüter. Bei Teresa ist es da schon deutlich schwieriger.“
„Ach was, Todd, seien Sie nicht zu bescheiden, Sie sind doch nicht alt. Mit 30 Professor und vor drei Jahren, mit 40, schon Sonderbeauftragter der Akademie für die große Mission. Das soll Ihnen bitte erst einmal jemand nachmachen.“
„Danke, Sal, das ist sehr nett von Ihnen. Aber dasselbe gilt doch auch für Sie. Sie haben wirklich Außerordentliches geleistet auf den großen Missionen, das sollte bei all den persönlichen Problemen auch etwas zählen dürfen. Es ging um die Interessen von Milliarden von Lebewesen, Sal. Bitte vergessen Sie das nie.“
„Und jetzt werde ich mich wohl noch einer weiteren Mission stellen müssen, hier, zuhause, auf Casta 3. Meiner wahrscheinlich schwierigsten bisher“, schließt Sal das Gespräch mit seinem Freund ab, den er, wie er jetzt weiß, viel zu lange nicht in seinem Leben gehabt hat.
„Sie schaffen das. Eve hat ihnen bereits die Tür weit geöffnet. Jetzt müssen Sie nur noch Ihren ganzen Mut zusammennehmen und auch durchgehen“, erwidert Todd ein wenig amüsiert. Dann fügt er etwas ernster hinzu: „Und dann gibt es noch eine weitere Aufgabe, über die ich mit Ihnen sprechen muss.“
„Ja? Welche denn?“ Sal blickt seinen Freund verwundert an.
„Die meines Nachfolgers, des Spezialbeauftragten der Akademie für die große Mission. Ich könnte mir keinen besseren Kandidaten dafür vorstellen als Sie.“