Читать книгу Verlass die Stadt - Christina Maria Landerl - Страница 5

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(Tauben)

Es ist Sommer in Wien, und wer den Sommer in Wien kennt, weiß, dass er sich träge durch die Gassen schiebt und sich gerne auf den Plätzen und in den Schanigärten niederlässt, wo er den Asphalt zum Glühen und die Eiswürfel in den Getränken zum Schmelzen bringt. Sofern es nicht regnet. Derzeit regnet es nicht.

Auf dem Heldenplatz gehen die Touristen herum, fotografieren und schwitzen. Auf dem Naschmarkt stehen die Obst-, Fisch-, Fleisch- und Gemüsehändler, schreien und schwitzen. In der Margaretenstraße sitzt Max auf einem erhitzten Klappstuhl, trinkt warmes Cola und redet.

Es hat sich viel verändert in Wien, sagt er.

Fällt dir nicht auf, was sich in letzter Zeit alles verändert hat? Sie haben die Votivkirche weißgewaschen. Aber sie wird auch wieder schwarz werden. Und das Gasthaus Vorstadt hat zugesperrt. Aber das wird sicher bald neu übernommen.

Was mir aber wirklich zu denken gibt, ist die Sache mit den Tauben. Ist dir aufgefallen, dass die Tauben weg sind? Die Tauben haben Wien tyrannisiert, wir haben alle ständig über die Tauben geflucht, und jetzt sind sie weg, und es fällt niemandem auf. Zumindest spricht niemand darüber. Wer hat Wien von den Tauben befreit? Ich möchte ihm danken. Aber vielleicht kommen sie auch wieder zurück. Vielleicht sind die blöden Viecher nur für eine Weile weg, im Süden oder so.

Max hört auf zu reden und hebt sein Glas an den Mund. Peter ist noch gar nicht aufgefallen, dass die Tauben weg sind. Aber jetzt, wo er es weiß, vermisst er sie plötzlich sehr heftig. Es fehlt ihm auf einmal ihr Gurren. Das hysterische Auffliegen eines Taubenschwarms, wenn man rasch auf ihn zugeht, ohnehin nur, um dieses Geräusch zu hören. Wien ohne Tauben, das ist nicht mehr Wien. Peter kann sich auch nicht erinnern, je über die Tauben geflucht zu haben. Aber Max sagt er das nicht. Zu Max sagt er nur, dass er jetzt wieder arbeiten muss, und er geht, um zwei Tische abzuräumen und ein Bier zu kassieren.

Es ist beschissen heiß, sagt Gudrun, als sie ins Lokal kommt. Nicht Hallo oder Mahlzeit, sondern nur diesen Satz. Du hast gerade Max verpasst, sagt Peter. Gudrun bindet sich die Schürze mit der Aufschrift PETARS um die Hüften. Da habe ich sicher nicht viel versäumt. Er redet doch nur über seine Arbeit oder ähnlich belangloses Zeug.

Peter könnte sagen: Was soll der feindselige Ton, oder: Lass deine Laune nicht an mir und Max aus, aber er erzählt Gudrun lieber die Geschichte von den Tauben: Ist dir schon aufgefallen, dass die Tauben aus Wien verschwunden sind?

Gudrun hat das auch nicht bemerkt.

Da hat wohl endlich jemand Georg Kreisler ernst genommen, Bravo! Und sie fängt ungeniert zu singen an, dass die Sonne warm ist und die Lüfte lau sind und man in den Park gehen sollte, um die Tauben zu töten.

In der zweiten Strophe singt Peter, dass die Bäume grün sind und der Himmel blau ist, und er stimmt singend dem Taubenmord zu. Ob einige Gäste sich gestört fühlen könnten, darüber denkt er jetzt wirklich nicht nach. Er ist froh, dass er es geschafft hat, Gudruns Laune zu retten. Um Gudruns schwankende Stimmungslage im Gleichgewicht zu halten, tut er so einiges; zum Beispiel singt er, anstatt ihr zu sagen, wie gut sie und Max doch zusammengepasst haben.

Und dass er in Wahrheit die Tauben vermisst.

Verlass die Stadt

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