Читать книгу Harry in love - Christina Masch - Страница 11
ОглавлениеKapitel 6
Es war kurz vor halb drei am Samstagnachmittag des 5. Februars 2011. Isabel und alle anderen Teams der verschiedenen Tanzschulen waren in den Vorbereitungsräumen am Aufwärmen und Isabel schaute nun bereits zum x-ten Mal auf die große Anzeigenuhr im Foyer. Doch von Samuel, Nick oder den anderen war keine Spur. Langsam wurde sie nervös. Vergeblich versuchte sie Nick oder Samuel ausrufen zu lassen. Sie erschrak, als ihr plötzlich dafür Cindy auf die Schulter klopfte. „Mensch, da seid ihr ja! Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr!“, beschwerte sie sich auch sogleich.
„Wieso? Wir haben doch noch genug Zeit, vor vier geht hier sowieso nichts los!“, erklärte Cindy gelassen.
„Das ist zwar richtig. Aber bis drei Uhr muss Nick die Anmeldeformulare vorlegen“, erwähnte Isabel.
„Ist Nick noch nicht da?“, fragte Kathy überrascht.
„Nein, und Samuel ist auch noch nicht hier! Wo stecken die zwei???“
„Vielleicht stecken sie im Stau. Die Hauptstraße ist mal wieder brechend voll“, erwähnte Michael. „Aber sie werden schon noch pünktlich hier sein. Mach Dich nicht verrückt! Lasst uns lieber ein wenig warm machen.“
Isabel beruhigte sich wieder etwas und wärmte sich mit den anderen gemeinsam auf. Jedoch als um zehn vor drei noch immer keine Spur von Nick oder Samuel zu sehen war, wurde Isabel erneut nervös. Ihr ging es nicht darum, hier an dem Wettbewerb mitzumachen um zu gewinnen, sondern um ihrem Vater etwas zu beweisen. Es sähe natürlich nun ziemlich blöd aus, wenn sie jetzt nicht zum Tanzen zugelassen werden würde. Zudem musste sie dringend noch einmal mit Samuel üben, nachdem sie vergangene Woche aufgrund eines Seminars die Übungsstunden ausfallen lassen musste. „Ralph, hast Du zufällig Samuel gesehen?“, fragte Isabel daher sichtlich unruhig. „Oder weißt Du wenigstens, wo Nick steckt?“
„Ja, Nick ist gerade gekommen und ist auf den Weg zu den Veranstaltern. Er stand im Stau, oder besser gesagt sein Wagen steht da immer noch …“ Irritiert schaute Isabel zu Ralph, der mit einem Grinsen im Gesicht mit den Schultern zuckte.
Kurz darauf gesellte sich Nick zu seinen Leuten. „Na, Jungs und Mädels, schon ordentlich nervös? Ich hoffe nicht, schließlich sind wir die Besten! Angemeldet sind wir jedenfalls und um Euch gleich schon ein wenig zu schocken: Die Fünfergruppe ist gleich im ersten Drittel dran. Samuel und Isabel haben noch ein wenig Zeit, sie müssen erst im zweiten und dritten Teil des Wettbewerbs zeigen, was sie können“, erklärte Nick ausgelassen.
„Nick, wir haben da aber ein kleines Problem“, begann Isabel zaghaft.
„Und welches?“
„Samuel ist noch nicht da.“
„Wie, er ist noch nicht da? Ich habe ihn doch schon gesehen!“
„Wo?“
„Vorhin am Eingang. Oder habe ich mich verguckt? Naja, egal. – Isa, mach Dir keine Gedanken, übe fleißig für Dich weiter; ich schaue mal, wo sich Samuel versteckt hat“, sagte Nick und ging.
Isabel war zwar nicht beruhigt, aber sie war guter Hoffnung, dass Samuel nun doch noch auftauchte, und so steckte sie sich wieder einmal die Ohrstöpsel ihres MP3-Players in die Ohren, schloss die Augen und ging ihre Tanzschritte im Kopf Takt für Takt durch.
Was Isabel jedoch nicht wusste, war, dass Samuel tatsächlich schon da war und sie gemeinsam mit Harry heimlich beobachtete. Samuel hielt auch weiterhin ein wachsames Auge auf Isabel, während sich Harry mit den anderen vieren warm machte und sie in einem der Proberäume ihren Tanz durchprobten. Durch die letzten Tage der Einzelchoreographie hatte Harry Angst, dass er die Schritte des Gruppentanzes wieder vergessen hatte oder durcheinanderbrachte. Doch nichts dergleichen trat ein.
Plötzlich pfiff Nick nach Harry, der sich auf den Weg zu ihm machte. Er wusste, dass just in dem Moment Samuel mit Isabel sprach und sie sicherlich nicht sonderlich davon begeistert war, zu sehen, dass er heute nicht mit ihr tanzen würde können. „Wie sieht’s aus?“, fragte Harry.
„Da schau selbst: Isabel schwelgt nicht gerade in Euphorie!“
„Verständlich“, kam es von Harry, ehe er von seinem Versteck aus das Gespräch zwischen Samuel und Isabel mitverfolgte.
„Isa, es tut mir leid! Meinst Du, ich habe mir mit Absicht den Fuß gebrochen? Ich bin auf der verdammten Eisentreppe vor meiner Haustür ausgerutscht und unglücklich auf meinen Fuß gefallen“, erklärte Samuel gerade.
„Aber warum hast Du denn dann nicht schon viel früher angerufen oder wenigstens gestern Abend?“, fragte Isabel bedrückt.
„Weil ich Dich nicht verrückt machen wollte.“
„Wie denn verrückt machen? Das Tanzen fällt doch jetzt sowieso aus!“, gab Isabel aufgebracht von sich.
„Nein, tut es nicht!“ Fragend sah Isabel Samuel an. „Ich habe Ersatz für mich finden können.“
„Aha, und wer? Ralph und Michael kommen ja wohl nicht in Frage …“
„Von denen habe ich auch nicht gesprochen. Es ist der Mann, der auch Michelle ersetzt“, erklärte Samuel ruhig weiter.
„Was ist mit Michelle?“, fragte Isabel völlig verwirrt.
„Sie liegt mit einer Salmonellenvergiftung seit gut zwei Wochen im Krankenhaus. Hast Du das etwa gar nicht mitbekommen?“
„Nein“, gab Isabel kleinlaut von sich. „Aber mir hat ja auch keiner irgendetwas gesagt!“
„Isabel, ist doch auch nicht so schlimm. Michelle geht es ja auch schon wieder besser und sie wird wohl Mittwoch auch wieder entlassen werden …“
„Und wer ist jetzt der Ersatz für Michelle und Dich?“, fragte Isabel nun etwas gefasster.
„Das, denke ich, sollte Dir lieber Nick erzählen“, sagte Samuel und drehte sich zu der Treppe, auf der Nick und eine weitere Person, von der Isabel jedoch nur die Beine sah, standen.
Nick kam herunter und nahm Isabel an beide Hände. „Isabel, ich weiß jetzt nicht, wie Du darauf reagieren wirst, wenn ich Dir Deinen Tanzpartner vorstelle. Aber ich bitte Dich, ruhig zu bleiben und erst einmal abzuwarten.“ Bei diesen Worten wurde Isabel prompt kreidebleich. Sie hatte nicht den geringsten Schimmer, was hier gerade abging. Völlig nervös sah sie zur Treppe, auf der der Mann, der bis vor kurzem noch hinter Nick gestanden hatte, herunterkam.
Völlig ruhig, aber mit einem besorgten Gesicht kam Prinz Harry auf Isabel zu. Er sah ihr dabei die ganze Zeit direkt in ihre grünen Augen, die mit jedem weiteren Schritt immer dunkler wurden. Isabel brauchte eine ganze Weile, bis sie realisierte, dass Harry ihr Tanzpartner sein sollte. Alle Gesichtszüge entglitten ihr daraufhin und sie rief nur ein lautes „Nein!“ und wandte sich dann ab. Ihr war zum Heulen zumute. Wie konnten Samuel und Nick gerade ihr das antun? Wussten die beiden denn nicht, dass sie unmöglich mit Prinz Harry tanzen konnte? Hatte er ihnen denn nicht gesagt, dass sie ihn nicht mochte??? – Okay, sie musste sich eingestehen, dass dies so nicht mehr ganz stimmte. Aber gerade das musste Samuel doch wissen!!! Wütend drehte sich Isabel wieder um. Ihr Blick traf Samuel und wenn es so etwas gegeben hätte, dass man mit Augen erdolchen konnte, wäre Samuel auf der Stelle tot umgefallen. „Du weißt ganz genau, dass ich mit ihm nicht tanzen werde!!! Wie bist Du also gerade auf diese dumme Idee gekommen???“, fragte Isabel wütend und verwirrt zugleich.
Samuel atmete einmal tief durch, ehe er völlig ruhig und todernst erwiderte: „Weil er der Einzige ist, der auf die Schnelle meine Schritte drauf hatte!“ Isabel schluckte. Harry auch.
„Ich kann nicht!“, sagte Isabel und wandte sich erneut ab, ihr liefen Tränen über die Wangen.
Samuel gab Harry und Nick ein Zeichen, dass sie sich erst einmal zurückziehen sollten. Samuel wollte mit Isabel allein reden: „Isa, Du hast mir doch vor noch nicht allzu langer Zeit gestanden, dass Du ihn gar nicht so schlecht findest. Schau mal, er hat sich echt die Mühe gemacht, alle drei Tänze innerhalb kürzester Zeit einzustudieren, um nicht nur Nick aus der Klemme zu helfen, sondern auch Dir die Gelegenheit zu geben, zu zeigen, was Du kannst! Waren es nicht Deine eigenen Worte, dass es an der Zeit ist, dass Du Deinem Vater einmal zeigst, was in Dir steckt? Willst Du jetzt wirklich, nur weil er statt mir Dein Tanzpartner ist, das alles wieder hinschmeißen??? Damit gibst Du nicht nur Dir eine Blöße, sondern bestätigst Deinen Vater in seiner Annahme, dass Du zu nichts zu gebrauchen bist. Und ich muss gestehen, ich will das nicht!“
Isabel kämpfte zwar gegen die in ihr aufkommende Flut von Tränen an, doch sie konnte sich psychisch vorerst nicht wieder beruhigen. Sie hatte Herzrasen und bekam kaum mehr Luft. Sie japste auf. „Hey Isabel, es tut mir leid, dass das mit dem Sturz dazwischen kam. Du kannst mir glauben, ich könnte mir auch etwas Besseres vorstellen als jetzt wochenlang aussetzen zu müssen … Doch auch, wenn Du es nicht gerne hörst: Harry ist ein verdammt guter Tänzer! Bitte gib ihm wenigstens die Chance, Dir in einer Probe zu zeigen, was er kann. Wenn Du dann immer noch der Meinung bist, dass das mit Euch auf der Bühne nicht gutgeht, dann kannst Du immer noch alles hinschmeißen; was ich natürlich nicht hoffe!“, erklärte Samuel weiter.
Isabel atmete hörbar tief durch, ehe sie langsam wieder zu ihrer Stimme fand: „Das ist doch alles nur ein abgekartetes Spiel! Ich glaube Dir nicht, dass Dein Bein gebrochen ist. Das war doch sicherlich alles seine Idee …“
„Glaubst Du das wirklich?!“, kam es plötzlich von Nick, dem die Unterhaltung zu lange dauerte. Isabel und Harry mussten unbedingt noch mehrmals die Tänze miteinander üben, damit sich beide auf den anderen einstellen konnten. Doch langsam wurde die Zeit knapp! Völlig verheult blickte Isabel zu Nick auf. „Dafür, dass ich Dich als Kämpfernatur kennengelernt habe, bist Du jetzt aber ganz schön weinerlich. Und ich dachte, Du bist eine meiner besten Tänzerinnen … Da habe ich mich wohl getäuscht“, sagte Nick weiter. Isabel schluckte und setzte sich auf die Bank. „Isa, probier es wenigstens; tue mir bitte den Gefallen! Ich zahle Dir auch gern alle Deine Monatsbeiträge wieder zurück, wenn Du das möchtest.“ Völlig unschlüssig sah Isabel zwischen Nick und Samuel hin und her. Doch statt eines weiteren Wortes gingen beide auseinander und Isabel konnte einen Blick auf Harry erhaschen, der ans Geländer gelehnt dastand, mit den Händen in den Hosentaschen und genauso unglücklich dreinschaute wie sie sich fühlte. „Na los, Isa, gib Dir einen Ruck! Mir zuliebe …“
„Uns zuliebe!“, verbesserte Samuel Nick.
Isabel seufzte tief und lang anhaltend und schloss für einen Moment die Augen. Als sie sie wieder öffnete, waren Nick und Samuel gegangen. Harry stand noch immer betrübt am Geländer, jedoch sah er nun zu ihr herüber. Isabel stand auf und wollte zu ihm hinübergehen, doch er kam von sich aus schon auf sie zu. „Und wie fällt Dein Urteil aus?“, fragte Harry gänzlich ruhig.
Isabel atmete tief durch und sagte dann mit brüchiger Stimme: „Okay, lass es uns versuchen. Aber ein blöder Kommentar und Du kannst sofort wieder gehen!!!“ Harry nickte aufatmend und reichte Isabel ein Taschentuch, welches sie sogar dankbar annahm.
Nachdem Nick es geschafft hatte, im kleinen separaten Proberaum für die Zweiertänzer den CD-Player in Beschlag zu nehmen, stellten sich Harry und Isabel auf und begannen mit der angeblich leichteren Freestyle-Choreographie. Natürlich klappte auf Anhieb gar nichts. Harry war nervös und vertanzte sich prompt und Isabel war auf Harry überhaupt nicht eingestellt und verpatzte ebenfalls ihren Einsatz.
„Hey, ihr beiden!“, schrie sofort Nick. „Reißt Euch zusammen! Zählt bis zehn und dann fangen wir noch einmal von vorne an!“
Harry schluckte, aber auch Isabel war nicht weniger angespannt. Erneut zählte Nick die ersten fünf Takte vor und dann mussten Harry und Isabel in entgegengesetzte Richtungen mit ihren Freestyle-Parts einsetzen. Und siehe da, die ersten zwei Takte lang klappte es auch. Doch als Harry Isabel berührte, brach sie sofort den Tanz ab. Harry fuhr sich sichtlich nervös mit den Händen durchs Haar.
Samuel trat zu Isabel und sah ihr tief in die Augen. „Hey, Isabel, er beißt nicht!“
„Ich weiß, aber …“ Doch weiter kam Isabel nicht, denn Harry hatte sie sich kurzerhand geschnappt und tanzte mit ihr nun spontan den Mittelteil. Indem er sie hochhob und wieder am Boden absetzte, sich dann eindrehte und zu ihr auf dem Boden schlitterte, wo er sie dann wieder mit in den Tanz aufnahm. Während Isabel ihn völlig perplex anstarrte, nickte Harry nur zuversichtlich und lächelte sie an.
„Habt ihr Euch wieder eingekriegt?“, kam es erneut knallhart und todernst von Nick. Statt einer Antwort reichte Harry Isabel die Hand und zog sie wieder auf ihre Füße. Dann stellte er sie vor sich hin und ging zurück auf seine Ausgangsposition. Wieder raste Isabels Puls und sie hatte Mühe Luft zu bekommen. Sie hatte das Gefühl, als hing ein riesiger Kloß in ihrem Hals fest und würde ihr das Atmen erschweren. „Isabel? Bist Du noch bei uns?“, fragte Nick etwas ruhiger. Isabel räusperte sich und nickte.
Erneut startete das Lied und abermals zählte Nick die ersten fünf Takte vor. Danach setzten Harry und Isabel mit ihren Schritten ein und es schien alles einigermaßen zu passen. Selbst als Harry Isabel erneut hochhob und am Boden absetzte. Samuel und Nick grinsten begeistert über das ganze Gesicht. Aber auch Harry lächelte und langsam, aber sicher entspannten sich auch Isabels Gesichtszüge.
„Okay, gleich noch einmal. Das sah schon ganz gut aus. Aber noch nicht gut genug!“, sagte Nick ernst.
Nach dem fünften Mal in Folge passten alle Drehungen und Schritte perfekt abgestimmt aufeinander. Als Bestätigung dafür gab es auch sofort Applaus von den anderen aus Nicks Team. Isabel errötete prompt. Harry grinste nur.
„So, dann wollen wir der Lady einmal eine kurze Verschnaufpause geben und ich würde vorschlagen, dass die ‚Big Five’ noch einmal kurz ihr Programm durchgehen. Denn ich glaube, ihr seid bald dran“, sagte Nick optimistisch. Harry verzog sogleich den Mund zu einer Schnute.
„Was denn, magst Du jetzt nicht mehr mit uns tanzen?“, kam es prompt von Kathy.
„Ich trete Dir gleich in den Hintern!“, sagte Harry und stelle sich auf seine linke Außenposition. Isabel verschluckte sich sofort an ihrem Wasser, als sie den Satz von Harry vernahm. Sie wusste nicht, dass Kathreen und Harry enger miteinander bekannt waren.
Gespannt wie ein Flitzebogen sah sie den fünfen dann beim Tanzen zu und war überrascht, wie toll Harry in die Gruppe passte! Er wirkte nun überhaupt nicht mehr wie ein etwas eingebildeter Prinz, sondern wie ein ganz normaler junger Mann von nebenan. Prompt erwischte sie sich dabei, wie sie ihn wieder einmal anstarrte. Als Harry ihr dann auch noch zuzwinkerte, wurde Isabel knallrot und senkte den Kopf. Doch sogleich erschrak sie, als Harry ihre Hand nahm und sie zu sich hochzog. „Hey Isabel, jetzt bist Du wieder dran!“ Isabel nickte und folgte Harry auf die Tanzfläche.
Zaghaft legte sie ihre Hände in seine und sah ihm unsicher ins Gesicht. Harry lächelte sie jedoch nur an und flüsterte: „Keine Angst, ich lass Dich schon nicht fallen; vertrau mir!“
Isabel schluckte erneut am Kloß in ihrem Hals.
„Seid ihr so weit?“, fragte Nick wieder. Harry nickte und sah zu Isabel herunter. Rein mechanisch nickte auch sie. Prompt ertönten die ersten Takte des Flamencos, gemischt mit Tango- und Salsa-Passagen. Natürlich trat Isabel Harry unweigerlich auf die Füße. Doch statt sie loszulassen tanze Harry unbeirrt mit ihr weiter. So, als sei nichts geschehen. Samuel grinste über das ganze Gesicht, denn genau das hatte er Harry angeraten. Nur so hatte Isabel keine Chance nervös zu werden oder gar davonzulaufen. Und es bewirkte wahre Wunder, denn bereits der zweite Versuch lief besser. Aber für Nick natürlich nicht gut genug: „Ich würde vorschlagen, ihr tauscht jetzt einmal die Turnschuhe gegen die Tanzschuhe, sonst wird das heute nichts mehr!“
Isabel war dankbar für die kurze Verschnaufpause, denn die ständige Nähe zu Harry und seine Berührungen machten sie schier verrückt! Ihr Herz bäumte sich bei jeder seiner Berührungen auf und sie hatte das Gefühl, dass ihre Haut dabei verbrennen würde. Ihr war auf einmal total schwindlig und sie wusste dabei noch nicht einmal warum.
„Alles okay mit Dir?“, fragte Samuel, der das Mienenspiel und die zittrigen Hände von Isabel mitbekommen hatte. Isabel nickte heftig.
Natürlich blieb dies auch nicht vor Harry verborgen. Er konnte nur erahnen, was in Isabel vorging. Ihr schüchterner Blick und ihre kalten, klammen Hände sprachen Bände. Auch ihm ging es nicht viel anders. Nur dass er wusste, warum ihm bei der kleinsten Berührung von Isabels Haut schwindlig wurde.
Mit festen Schritten ging er auf Isabel zu und half ihr vom Boden auf, auf welchem sie noch immer saß, obwohl sie schon dreimal ihre Tanzschuhe angezogen hatte. Mit großen Augen starrte sie Harry an. „Hey, Du schaffst das! Du tanzt toll!“, flüsterte Harry nur für Isabel hörbar, während er ihr beruhigend über die Arme strich. Isabel schloss prompt bei der Berührung ihre Augen. Unweigerlich fing Harry siegesgewiss an zu grinsen.
„Alles in Ordnung bei Euch?“, kam es mit lauter Stimme von Nick. Isabel erschrak sofort. Harry atmete tief durch und geleitete dann Isabel wieder in die Mitte der Tanzfläche. Mit sehr viel Gefühl und Ausdruckskraft führte er seine Tanzpartnerin über das Parkett. Isabel folgte Harry überall hin und überließ ihm nicht nur die Führung, sondern ließ auch all seinen Willen über sich ergehen.
Als sie das Ende des Liedes und des Tanzes erreicht hatten, applaudierte Nick begeistert. „Harry, ich will ja nicht rumschleimen, aber Du tanzt tatsächlich noch besser als Samuel. Alle Achtung!“ Harry räusperte sich und sah beschämt zu Samuel. Doch dieser grinste nur und bestätigte mit einem Kopfnicken Nicks Behauptung. „Und was ist mit Dir, Isa?“, fragte Nick herausfordernd. Statt zu antworten sah Isabel nur verlegen zu Boden und errötete.
Es war zehn nach vier, als die ‚Big Five‘ aufgerufen wurden. Der große Theatersaal, in dem der Wettbewerb stattfand, war bis auf den letzten Platz besetzt und selbst auf den Gängen standen Menschen. Alle wollten den Wettstreit zwischen den besten Tanzschulen Englands miterleben. Natürlich waren neben den Eltern und Freunden der Tänzer auch einige Prominente unter den Zuschauern; nicht zuletzt der eine Teil der jungen Königsfamilie und deren Freunde.
Als Harry gemeinsam mit Kathreen, Cindy, Michael und Ralph die Bühne betrat, bemerkte noch niemand, wer der Tänzer auf der linken hinteren Position war. Und auch als Harry mit Isabel im zweiten Teil des Wettkampfes allein auf der Bühne stand, war vielen noch nicht klar, wer dort tanzte, da Harry mit falschem – Samuels – Namen aufgerufen wurde. Harry grinste und ihm machte das Tanzen so gleich noch viel mehr Spaß. Er gab alles und Isabel tat es ihm gleich. Sie hatte nach der ersten Drehung ihren Vater im Publikum entdeckt und war nun natürlich noch mehr angespornt, alles aus sich herauszuholen. Als die beiden übereinander geschlungen am Boden zum Sitzen kamen, gab es einen gewaltigen Applaus, der gar nicht mehr aufhören wollte. Nick wusste sofort, dass die beiden den zweiten Wettkampf für sich entschieden hatten. Doch noch stand der Standardtanz aus und dies war eine harte Nuss, die es zu knacken gab. Denn in den letzten fünf Jahren hatte immer die gleiche Tanzschule, die Eliteakademie, den ersten Platz abgeräumt, und kein geringerer als Mister Edwin Körtes, der berühmteste, aber auch strengste Tanzlehrer von ganz England, war der Kopf des Ganzen! Doch Nick war aus dem gleichen Holz geschnitzt und wurde von Jahr zu Jahr ehrgeiziger; er wollte unbedingt in diesem Jahr seinen Widersacher Körtes besiegen!
Während die Tänzer der anderen Schulen ihre Performance zeigten, zogen sich Harry und Isabel in aller Ruhe um. Sie waren die Letzten, die in der dritten Kategorie antreten mussten und Nick war es am liebsten, wenn die beiden den Tanz der Eliteakademie erst gar nicht mitbekamen. Er wollte jegliche Unsicherheit oder gar Zweifel an ihrem Können vermeiden; es genügte schon, dass Isabel nicht sonderlich davon begeistert war, die Letzte zu sein. Denn mit der langen Wartezeit kam auch ihre Nervosität wieder. Zwischenzeitlich hatte sich zudem auch noch herumgesprochen, wer in Wirklichkeit der Tanzpartner von ihr war. Harry nahm diese Information mit gemischten Gefühlen auf. Denn während dieser Fakt beim Publikum sicherlich ein Pluspunkt war, bewirkte das bei der Jury hingegen das ganze Gegenteil. Denn jetzt würden sie erst recht ganz genau jeden ihrer Schritte aufmerksam mitverfolgen …
Fertig umgezogen machte sich Harry auf den Weg zu Isabel, um ihr ihre und sich seine eigene Nervosität und Angespanntheit zu nehmen. Isabel saß im kleinen Probetanzsaal und testete gerade den Sitz ihrer Tanzschuhe. Als sie den Blick nach oben nahm, um zu sehen, wer in den sonst leeren Raum gekommen war, blieb ihr der Mund weit offen stehen. Es war Harry, in schwarzen Bundfaltenhosen und einem halbgeöffneten schwarzen Satinhemd. Und er sah darin nicht nur umwerfend aus, sondern seine Struppelhaare, die in alle Richtungen zeigten, machten ihn auch sehr verwegen. Er wirkte in dieser Aufmachung und den Absatzschuhen irgendwie maskuliner als sonst. Aber nicht nur Isabel glaubte ihren Augen kaum zu trauen. Als Harry Isabel in diesem knappen rot-schwarzen, fransigen Irgendetwas – als mehr konnte man das kurze Kleidchen aus der Zeit des Charleston nicht bezeichnen – vor sich stehen sah, musste er zweimal hinschauen, um sicher zu sein, dass dies dort Isabel war. Denn sie hatte ihre kurzen, schwarzen Haare mit Gel glatt nach hinten gestrichen und kleine glitzernde Punkte zierten ihr Deckhaar. In ihrem leicht lasziven knappen Outfit und mit der Schminke in ihrem Gesicht wirkte Isabel wie eine weit erfahrenere Frau als sie sonst zu sein schien. Harry verliebte sich gleich noch einmal in sie. Beide standen sich gegenüber und starrten sich, ohne ein Wort zu sagen, gegenseitig an.
Sie standen so mindestens zehn Minuten da, als plötzlich Nick laut nach ihnen rief: „Sagt mal, habt ihr etwas an den Ohren??? Ihr seid in ungefähr zehn Minuten dran! Also auf, auf und ab hinter die Bühne mit Euch! Und wehe ihr verpatzt das!“, drohte Nick, was sich natürlich nicht gerade sonderlich positiv auf ihre strapazierten Nerven auswirkte. Harry warf Nick einen finsteren Blick zu, doch Nick grinste nur breit.
Angespannt stand Isabel vor Harry, der seine Hände beruhigend auf ihre Schultern gelegt hatte und sie sanft massierte. Isabel schloss die Augen und warf entspannend ihren Kopf nach hinten. Ungewollt landete er dabei auf Harrys Brust. Sie war ein wenig verwirrt, denn sie hatte nicht angenommen, dass Harry so dicht hinter ihr stehen würde. Umgehend wollte sie ihren Kopf wieder zurückziehen, doch Harry berührte nun zärtlich ihren Hals und legte ihren Kopf mit etwas Druck auf seine Finger zurück an seine Schulter. „Entspann Dich, wir haben den ersten Teil mit Bravour gemeistert; wir schaffen auch den zweiten Teil!“, flüsterte Harry an Isabels rechtes Ohr. Isabel nickte zwar, konnte sich aber nicht mehr entspannen. Sie hatte das Gefühl, als könne sie Harrys Herzschlag spüren. Er ging schnell; oder war es gar ihrer? Doch weiter konnte Isabel dem Gedanken nicht mehr nachhängen, denn nun wurde das Tanzpaar mit der Nummer 321 unter dem Namen ‚Isabel Canningham begleitet von Seiner Königlichen Hoheit, Prinz Harry‘ aufgerufen. Natürlich war bei der Ansage der Theatersaal nur noch der reinste Hexenkessel. Doch als Harry und Isabel ihre Positionen einnahmen und das Licht gedimmt wurde, wurde es auch im Saal mucksmäuschenstill. Alle starrten nur noch gebannt auf die zwei Menschen, die in der Mitte der Bühne im grellen Lichtkegel in einer recht erotischen Haltung voreinander standen.
Als die ersten Takte des feurigen Flamencos ertönten, hob Harry Isabels rechtes Bein an und ließ sie einmal tief nach unten gebeugt vor sich mit dem Oberkörper einen Halbkreis zeichnen. Danach zog er sie heftig zu sich heran, um sie sogleich mit den nächsten, schnelleren Takten in eine Drehung von sich weg laufen zu lassen. Das Publikum glaubte seinen Augen kaum zu trauen. Selbst Jane, die schon öfters mit Harry nur annähernd so ähnlich getanzt hatte, verschlug es die Sprache. William derweil sah mit ernster, jedoch beeindruckter Miene seinem Bruder beim Tanzen zu. Am Ende des Liedes kam der Höhepunkt des Ganzen: Harry hob Isabel nach einer Innendrehung hoch über sich und ließ sie dann ganz langsam an sich wieder hinuntergleiten, wo Isabel aus einer Hocke langsam wieder hochkam und dabei ihre rechte Hand über Harrys linkes Schienbein und seinen Oberschenkel nach oben gleiten ließ. Auf Hüfthöhe ergriff Harry wieder ihre Hand und wanderte damit über ihre Köpfe mit gestrecktem Arm hinweg, um Isabel dann erneut in einem Halbkreis mit dem Oberkörper vor sich fallen zu lassen.
Das Publikum war außer Rand und Band, es wurde hysterisch geschrien, mit den Füßen gestampft und begeistert in die Hände geklatscht. Doch davon bekam Isabel nicht viel mit. Ihr war schwindlig und sie wollte nur noch weg; weg von Harry! Doch nachdem Harry ihr aus der Endposition wieder hochgeholfen hatte, behielt er sie eng umschlungen weiterhin in seinem Arm und führte sie sicher zum Bühnenrand, wo sie sich beide noch einmal vor dem Publikum und der Jury verbeugten. Danach begleitete er Isabel noch immer an Arm und Hand festhaltend hinter die Bühne. Auch dort wurden sie begeistert gefeiert. Doch da Harry wusste, was gerade in Isabel vorging, führte er sie unbeirrt in den leeren kleinen Übungssaal. Erst dort ließ er sie langsam los und schloss die Tür hinter sich. Isabel gewährte sogleich mehrere Meter Abstand zwischen ihr und ihm. Völlig verwirrt starrte sie ihn an, weder fähig etwas zu sagen noch irgendetwas anderes zu machen. Harry schwieg ebenfalls und ließ Isabel die Zeit, die sie brauchte, um sich wieder zu fangen.
Nachdem in Isabels Gesicht wieder ein wenig Farbe getreten war und sie sich völlig geschafft auf die Bank gesetzt hatte, wandte Harry zaghaft ein paar Worte an seine Tanzpartnerin: „Gratuliere, ich glaube, Du hast eben nicht nur Deinen Vater beeindruckt! Ich muss gestehen, auch ich bin mächtig perplex! Du warst atemberaubend! Ich danke Dir, dass Du mir diesen Tanz mit Dir gewährt hast …“
Noch bevor Isabel irgendetwas darauf erwidern konnte, wurde die Tür aufgerissen und man rief beiden freudig entgegen, dass die Tanzschule komplett alle drei Wettbewerbe gewonnen hätte und dass man nunmehr das Traumpaar des Tages zur Siegerehrung auf der Bühne erwartete. Harry trat auf Isabel zu und reichte ihr seine Hand. Mit eiskalten Fingern griff Isabel danach wie nach einem rettenden Strohhalm. Hätte Harry Isabel nicht im Rücken mit seinem zweiten Arm gestützt, wäre sie womöglich sogleich ohnmächtig zusammengebrochen. Die letzten Minuten waren für Isabels Psyche einfach zu viel des Guten! Sie kam mit den Eindrücken und Empfindungen, die sich gerade in ihrem Körper breit machten, einfach nicht klar! Trotzdem war sie, obwohl sie wusste, dass Harry der Auslöser dafür war, dankbar, dass er sie sicher im Arm hielt. Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen und rosigen Wangen nahm sie ihren Preis entgegen. Harry strahlte dagegen für sie beide über das ganze Gesicht. Danach brachte er Isabel wieder zurück zu den Umkleidekabinen. Er gab Kathreen ein Zeichen, dass sie ein Auge auf Isabel haben sollte. Denn Isabel schien noch immer ein wenig neben sich zu stehen.
Nachdem sich Harry selbst wieder umgezogen hatte, ging er hinüber zum Ausgang des Frauenumkleideraumes und wartete geduldig, dass Kathreen oder Isabel herauskamen. Als Erstes kam Kathreen. „Na, Harry, wie fühlt man sich so als Sieger?“
„Danke, ganz gut. Aber ich denke, wir können uns alle als Sieger bezeichnen. Ich danke Dir übrigens für Deine Mithilfe während des Einstudierens der Tänze.“
„Keine Ursache, hat mir Spaß gemacht, Dir mal sagen zu können, wo es langgeht!“, kam es frech von Kathreen zurück.
Harry schüttelte nur breit grinsend den Kopf. „Kathy, Kathy, Kathy … – Ist Isabel noch drin?“
Kathreen nickte. „Ich denke, sie wird die Letzte sein, die herauskommt. Ich glaube, ihr geht es im Moment nicht so toll. Du hast sie mächtig durcheinander gebracht. Aber ich drück Dir die Daumen, dass sich daraus das entwickelt, was Du Dir so sehnlich wünschst!“ Harry lächelte Kathreen müde an und seufzte.
„Sehen wir uns heute Abend zum Feiern im Club?“, fragte Kathreen, bevor sie sich auf den Heimweg machte.
„Mal schauen, ich weiß noch nicht, ob ich komme. Der Rest wird aber bestimmt anwesend sein. Feiert gegebenenfalls für mich mit.“
„Okay, wird gemacht! Dann bis zur nächsten Tanzstunde …“
Harry grinste. Kathreen tat es ihm gleich und ging.
Nach einer knappen halben Stunde kam dann auch endlich Isabel aus der Umkleidekabine heraus. Sie sah noch immer ziemlich mitgenommen aus und war leicht irritiert, als sie sah, dass Harry vor der Tür stand und auf sie wartete. „Geht es Dir wieder besser?“, war Harrys erste Frage. Isabel nickte. „Soll ich Dich nach Hause fahren?“
Isabel schüttelte den Kopf. „Meine Eltern warten draußen.“
„Stimmt. Verzeih, daran habe ich gerade nicht gedacht.“
Isabel sah Harry nun direkt ins Gesicht. Ihr Blick war fragend und nervös zugleich. Harry atmete tief durch, ehe er die Frage, die ihm schon seit der Siegerehrung auf den Lippen lag, stellte: „Darf ich Dich heute Abend in den Club Five einladen, um gemeinsam mit mir und den anderen auf den Sieg anzustoßen?“ Unsicher senkte Isabel den Kopf. „Du kannst natürlich Deine Freundin oder wen auch sonst immer noch mitbringen. Umso mehr Leute, umso ausgelassener wird sicherlich die Stimmung.“
„Ich weiß noch nicht. Vielleicht. Du wirst ja sehen, ob ich auftauche“, sagte Isabel. „Wenn Du mich jetzt bitte entschuldigen möchtest, meine Eltern warten.“
Das war zwar nicht ganz das, was Harry sich erhofft hatte. Aber jedenfalls ein kleiner Schritt in die richtige Richtung und so erwiderte er: „Natürlich, geh nur!“
Wie Harry es auch nicht anders erwartet hatte, war von Isabel natürlich keine Spur, als er am Abend gegen elf in einem schneeweißen Anzug, über einem schwarzen Hemd, den Club betrat. Mit leicht gedrückter Stimmung gesellte er sich zu seinen neuen und alten Freunden und stieß mit ihnen feucht fröhlich auf den Sieg des heutigen Tages an.
Alle waren zwischenzeitlich in Hochstimmung, als ganz unverhofft dann plötzlich doch noch Isabel in einem ebenfalls weißen Kleid auf der Treppe, begleitet von Anabel, auftauchte.
„Haben die zwei sich abgesprochen?“, kam es sogleich von Nick. Samuel zuckte mit den Schultern.
Harry war gerade am Abtanzen und bemerkte Isabel somit nicht. Dafür hatten Kathy und Jane Isabel ebenfalls sofort entdeckt und führten die zwei neuen Gäste auch sogleich an den runden Tisch, wo sich neben Nicks Tänzern und der jungen englische Königsfamilie auch Mike, der Inhaber des Clubs, sowie André, der Barkeeper, aufhielten und sich den einen oder anderen Spaß erlaubten. Isabel wurde natürlich auch den Freunden von William und Harry, den Partnern von Kathy und Cindy, Jim und Steve, vorgestellt und nun verstand sie auch, warum Kathy heute bei den Proben so derbe Scherze mit Harry ausgetauscht hatte. Alle kannten sich bereits untereinander. Etwas deplatziert stand Isabel neben Anabel und Jane und nippte an dem ihr gereichten Champagner. Unsicher schaute sie sich in der Diskothek um. Doch sie konnte Harry nicht entdecken. War er wegen ihr fortgeblieben, fragte sich Isabel bedrückt. Irritiert darüber setzte sie sich auf die Couch zu Samuel. „Na, Isa, wie fühlt man sich als Siegerin? Und vor allem, was hat denn Dein Vater dazu gesagt?“
„Er hat sich gefreut, auch wenn ihm der Tanzstil und mein Tanzpartner so überhaupt nicht gefielen. Er hat mir diesbezüglich sogar noch Vorhaltungen gemacht“, gestand Isabel kleinlaut.
„Sag mal, wo lebt Dein Vater eigentlich; hinter dem Mond?!“, beschwerte sich sogleich Samuel.
Isabel musste unweigerlich schmunzeln. „Er ist halt sehr altmodisch.“
„Dein Vater ist nicht altmodisch, Dein Vater ist verklemmt, und zwar bis ganz nach oben hin!“ Alles lachte. Isabel dagegen blickte erneut verunsichert über die angeheiterte Runde.
„Mann, Isa, Du machst ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter, lass Deinen Vater doch labern und feiere stattdessen mit uns Deinen Erfolg!“, bestimmte Anabel einfach mal so. Und noch bevor Isabel irgendetwas dazu sagen konnte, zog Anabel sie auch schon mit auf die Tanzfläche. Natürlich gesellten sich Prinzessin Jane und ihre zwei Freundinnen alsbald dazu. Sie tanzten zu fünft zu der Musik und langsam löste sich auch Isabels Unwohlsein in Luft auf.
Noch völlig von der Musik benommen tanzte sie zurück zu der Sitzgruppe, wo sie unerwartet auf Harry traf. Als sie sah, dass er ebenfalls in Weiß gekleidet war, errötete sie. Doch Harry lächelte sie nur vertraut an und reichte ihr ein neues Champagnerglas. Sie sah atemberaubend schön in ihrem weißen, aber schlichten Kleid aus. „Hallo. Schön, dass Du doch noch kommen konntest. Wie ich sehe, hast Du schon mit meiner Familie und dem restlichen bunten Haufen, der sich meine Freunde nennt, Bekanntschaft gemacht“, begann Harry unverfänglich das Gespräch. Isabel nickte, fühlte sich jedoch sogleich wieder unwohl.
„Magst Du Dich setzen?“, fragte Harry, als er sah, dass Isabel unruhig wurde.
„Nein, danke. Ich steh ganz gerne einmal.“
„Okay. Dann noch einmal von mir: Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Sieg über die Juroren und alle anderen Tanzschulen!“, sagte Harry und stieß mit seinem Glas an Isabels an. Isabel erschrak und wurde prompt erneut knallrot im Gesicht. Harry seufzte, denn er wusste nicht, wie er die Angespanntheit, die sich wieder einmal zwischen ihnen aufzubauen schien, lösen konnte, ohne Isabel zu nahe zu treten. Hilfesuchend blickte er zu Jane herüber.
Jane schmunzelte. „Ich will ja nicht gemein sein, aber ich würde schon ganz gerne noch einmal alle drei Tänze sehen wollen …“
„Au ja!“, kam es sogleich von Jim und Steve, die leider heute beim Wettkampf nicht mit dabei sein konnten, da sie arbeiten mussten.
Harry schluckte nervös und sah unsicher zu Isabel herüber. Isabel schien ebenfalls noch mit sich zu ringen. Doch noch ehe Harry eine Reaktion von Isabel abwarten konnte, wurde er auch schon selbst von Kathy und Cindy auf die leer gewordene Tanzfläche gezogen. Wo er sich gerade noch so fix seines Jacketts entledigten konnte, während Toni, der DJ, ein paar einleitende Worte zu der nun folgenden Vorführung zum Besten gab. Denn kaum hatte dieser das Mikro aus der Hand gelegt, ertönten auch schon die ersten Takte und schnell waren die fünf wieder in ihrem Element. Das Lied war noch gar nicht richtig zu Ende, als auch schon Cindy, Michael, Kathy und Ralph die Tanzfläche verließen und stattdessen Isabel zu Harry herüberschubsten. Isabel blickte völlig durch den Wind zu ihrer Freundin. Doch auch sie feuerte Isabel und Harry bereits an, als auch schon das nächste Lied anlief. Gezwungenermaßen ergab sich Isabel ihrem Schicksal und tanzte mit Harry im Freestyle-Duo. Wie schon so oft war die Disco wieder einmal nur noch ein reiner Hexenkessel. Doch umso näher das Ende des zweiten Liedes kam, umso nervöser wurde Isabel. Sie hatte das Gefühl, dass jeden Moment ihr Herz aus ihrem Brustkorb springen müsste, so sehr schlug es ihr gegen die Rippen. Es war schon regelrecht schmerzhaft!
Harry sah Isabel an, dass sie heftig mit sich selbst kämpfte. Und kaum war das Lied vorbei, sah es so aus, als wollte Isabel schleunigst die Tanzfläche wieder verlassen. Doch Harry war schneller, er stellte sich hinter sie und berührte genauso zärtlich wie am Nachmittag Isabels Hals, so dass ihr Kopf an seiner Schulter zum Liegen kam. Er konnte unter seinen Fingern ihren unruhigen Puls fühlen. Seiner schlug genauso heftig. Der Flamenco setzte mit einem kleinen Vorspiel ein und Harry nutzte dies, um ganz langsam von Isabels Kinn über ihren Hals hinüber zu ihrem rechten Arm zu wandern, um dann weiter zu ihrer Hand zu gelangen, die er in seine nahm und Isabel mit einem heftigen Ruck zu sich herumdrehte, um dann, als nun die Melodie anschwoll, mit ihr den erotischen Tanz vom Nachmittag zu wiederholen. Wie in Trance folgte Isabel abermals Harrys Schritten und ließ sich von ihm überallhin führen. Als der Flamenco im Tango endete und Isabel gerade vom Boden wieder heraufkam und ihre Hand erneut über Harrys Bein gleiten ließ, riss Harry Isabel, nachdem er sie in einem letzten Halbkreis von sich gestoßen hatte, an sich heran und sogleich landeten seine Lippen sehnsüchtig auf ihren.
Isabel war völlig perplex und brauchte einige Sekunden, bis sie begriff, was Harry da gerade tat. Prompt landete ihre Hand in seinem Gesicht. Genauso verschreckt wie Harry war, rannte Isabel von der Tanzfläche. Doch sie kam nicht weit, denn bereits einige Meter später hatte ein anderer Prinz ihren Arm gegriffen und zog Isabel zur Seite. Apathisch starrte Isabel in das Gesicht von Prinz William. „War das eben wirklich nötig? Ich glaube, die Ohrfeige hat mein Bruder nicht verdient! Okay, es war nicht ganz korrekt von ihm, Sie so zu überfallen. Aber wissen Sie eigentlich, wie sehr mein Bruder wegen Ihnen leidet?!“ Isabel senkte betrübt den Kopf, sie wusste nicht, was sie jetzt machen sollte. Unweigerlich traten ihr die Tränen in die Augen, die sie auch nicht in der Lage war zurückzuhalten. William reichte ihr ein Taschentuch. „Beruhigen Sie sich wieder, es ist doch gar nichts passiert. Ich wollte Ihnen nur einmal meine eigene Meinung dazu sagen und finde, dass es an der Zeit ist, dass Sie und mein Bruder endlich ein klärendes Gespräch führen sollten; wenn Sie nichts dagegen haben, wäre jetzt genau der richtige Zeitpunkt!“ Entsetzt blickte Isabel wieder auf. Sie spürte jedoch instinktiv, dass Prinz William keine Widerrede duldete. Er zeigte auf eine Tür hinter Isabel. „Darf ich bitten? Nach Ihnen!“
Wie ein Häufchen Elend betrat Isabel den angrenzenden Raum. Es war das Büro des Inhabers des Clubs. „Setzen Sie sich, mein Bruder kommt sicherlich gleich.“
Völlig eingeschüchtert setzte sich Isabel auf den Sessel neben dem kleinen Beistelltischen. Währenddessen hatte sich Prinz William den Stuhl vor dem Schreibtisch gegriffen und setzte sich rittlings darauf. Er hatte seine Arme auf die Lehne gelegt und sah – eigentlich recht einfühlsam – zu Isabel herüber. „Warum sind Sie eigentlich so schlecht auf meinen Bruder zu sprechen; was hat er Ihnen getan?“, begann William ein einleitendes Gespräch. Doch bevor er darauf eine Antwort erhielt, polterte Harry aufgebracht ins Zimmer.
„Isabel?!“ Abrupt sahen Isabel und William zu Harry herüber. „Wills?“, fragte Harry leicht irritiert.
„Ich denke, es wird Zeit, dass ihr zwei Euch einmal aussprecht“, sagte William, ehe er sich erhob und den Stuhl wieder zurück an seinen Platz vor dem Schreibtisch stellte.
„Was, jetzt; und hier?!“, kam es ungläubig von Harry. Er sah unweigerlich zu Isabel herüber und konnte ihr an der Nasenspitze ansehen, dass sie geweint hatte und sich hundeelend fühlte.
„Ja, jetzt und hier. Sonst wird das in diesem Jahrhundert nichts mehr!“
Harry schluckte schwer an seiner aufkeimenden Wut. „Dir ist doch klar, dass Du mit dieser Aktion alles kaputt machst, oder?“ William schwieg beharrlich. „Na wunderbar, danke!“, kam es kalt von Harry.
„Brüderchen, man hat mich damals zu meinem Glück zwingen müssen, und so wie es scheint, muss man dies auch bei Euch nun tun“, war alles, was William noch sagte, ehe er ging und die Tür hinter sich schloss. Harry seufzte und fuhr sich aufgebracht mit den Händen durch die Haare. Vergeblich nach den richtigen Worten suchend lehnte er sich an die Tür, steckte die Hände in die Hosentaschen und schloss die Augen.
„Isabel, bitte entschuldige das Benehmen meines Bruders. Er hatte kein Recht sich hier einzumischen! Und bitte verzeih auch die Aktion eben auf der Tanzfläche. Ich weiß selbst nicht, was da grad in mich gefahren ist, Dich vor allen Leuten zu küssen! Es tut mir leid.“
Als daraufhin weiterhin Stille herrschte, sah Harry traurig zu Isabel herüber. Sie saß noch immer völlig eingeschüchtert in dem Sessel und schaute auf ihre verschränkten Hände in ihrem Schoß. „Isabel, Du musst mir glauben: Als ich Dich heute Abend hierher eingeladen habe, wollte ich nichts anderes, als mit Dir auf den gewonnenen Wettkampf anstoßen. Ich wollte Dir einfach ganz relaxt zeigen, dass ich auch ganz nett sein kann. Des Weiteren hatte ich natürlich im Hinterkopf, Dich so weit zu kriegen, dass Du zu einem völlig lockeren Gespräch mit mir bereit wärst. Doch das kann ich mir jetzt sicherlich abschminken … Ich bin ja auch selbst schuld daran! Ich kann verstehen, wenn Du jetzt noch wütender auf mich bist, als Du es eh schon warst. Und wenn Du verlangst, dass ich Dir aus dem Weg und vor allem aus dem Blickfeld gehen soll, ist dies Dein gutes Recht! Ich werde mich natürlich daran halten. Du brauchst auch nicht fluchtartig einen Raum verlassen, wenn ich versehentlich diesen auch betreten sollte. Denn ich werde mich dann zurückziehen. – Isabel, es tut mir leid, dass Du wegen mir all diesem Ärger und Stress ausgesetzt warst! Ich wünsche Dir für Dein weiteres Leben alles Gute und viel Erfolg bei der Betreuung Deiner sechs kleinen Ziehkinder.“ Danach ging Harry, ohne sich noch einmal zu Isabel umzudrehen. Er sah somit nicht, wie Isabel sich abrupt aufsetzte und völlig verdutzt zu Harry herübersah. Woher wusste er, dass sie sechs Kinder zu betreuen hatte??? Sicherlich nicht von seinem Onkel …
Wütend betrat Isabel die Wohnung ihrer Eltern. Es war kurz nach eins und ihre Eltern schliefen bereits. Doch das war Isabel egal. Sie machte mit Absicht viel Radau, dass ihre Mutter auch ja zu ihr kommen würde. Und so war es dann auch: „Kind, Dein Vater schläft! Willst Du ihn wecken? Sei doch bitte etwas leiser!“
„Nein, ich werde nicht leiser sein! Was hast Du Dir dabei gedacht, mit dem Prinzen gemeinsame Sache zu machen?“, schrie es regelrecht aus Isabel heraus.
Lindsay brauchte einen Moment, ehe sie begriff, was ihre Tochter ihr gerade an den Kopf geworfen hatte. Jedoch tat sie so, als ob sie von nichts wüsste: „Isabel, wovon sprichst Du? Ich kann Dir leider nicht folgen.“
„Oh! Das glaube ich Dir nicht! Prinz Harry hat mir vor nicht ganz einer Stunde viel Glück bei der Betreuung von sechs Kindern gewünscht! Und er kann diese Zahl nur von einer einzigen Person haben, und zwar von Dir!“ Lindsay seufzte. „Mum, wenn mir nicht so viel an den Kindern läge und sie mir leid täten, wegen des ständigen Hin und Her, weißt Du, was ich dann am liebsten machen würde??? Ich würde alles hinschmeißen und Dir und der dämlichen Königsfamilie den Rücken kehren! Dann könntet ihr zusehen, wie ihr Euren kleinen Kindergarten aufrechterhalten würdet! Aber ich kann es einfach nicht!!! Und das ist so unfair!“, japste Isabel unter Tränen, ehe sie sich auf ihr Bett warf und anfing bitterlich zu weinen. Lindsay gesellte sich zu ihrer Tochter, strich ihr beruhigend über den Rücken und erzählte ihr nebenbei die Geschichte, wie sie und Prinz Harry ins Geschäft gekommen waren. Dabei betonte Isabels Mutter immer wieder, dass der Kindergarten rein gar nichts, aber auch wirklich, rein gar nichts mit Harrys Brief und ihrem früheren Benehmen dem Prinzen gegenüber zu tun hatte. Isabel war zwar nicht wirklich davon überzeugt, hatte sich aber so weit wieder beruhigt, dass sie ihrer Mutter, die für sie auch wie eine gute Freundin war, anvertraute, was in dieser Nacht im Club vorgefallen ist.
Lindsay fing sogleich an zu schmunzeln. „Weißt Du, Isa, ich glaube, der Prinz ist bis über beide Ohren in Dich verliebt!“
Isabel entglitten prompt die Gesichtszüge und sie sah ihre Mutter verständnislos an. Lindsay nickte bestätigend. Daraufhin verdrehte Isabel die Augen und seufzte tief und anhaltend. Verwirrt strich sie sich mit den Händen durchs Haar und starrte apathisch an die Zimmerdecke. In ihrem Inneren hatte sie dies bereits geahnt, wollte es aber nicht wahrhaben; zumal ihr Herz seit neuestem selbst ein Eigenleben zu haben schien und sich ebenfalls dem Prinzen gegenüber hingezogen fühlte. Isabel war damit völlig überfordert.
Dies spürte sogar ihre Mutter und so fragte sie: „Und wie sieht es bei Dir aus? Wie steht es mit Dir? Kann es sein, dass Du auch etwas für den Prinzen empfindest, was nicht mit Wut oder gar Hass zu tun hat?“ Unweigerlich fing Isabel erneut an zu weinen und wollte sich auch nicht wieder beruhigen. Lindsay ließ ihre Tochter allein. Es würde wahrscheinlich die ganze Nacht so gehen, bis sich Isabel beruhigt hatte und sich eventuell darüber Gedanken machen würde, wie sie zu dem Prinzen tatsächlich stand. Doch in einem war sich Lindsay ganz sicher: Von Hass wäre dort nicht die geringste Spur …