Читать книгу Harry in love - Christina Masch - Страница 8

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Kapitel 3

Es waren seit der Mietraumkündigung zwei Wochen vergangen und wie jeden Donnerstag trafen sich Anabel und Isabel zum Tanzen. In zwei Wochen sollte ein Tanzwettbewerb stattfinden, in dem die besten Freestyle-Tänzer gekürt werden sollten. Und Isabel und Anabel hatten sich vor gut drei Monaten vorgenommen, zu ihnen zu gehören. Doch Isabel ging es von Tag zu Tag schlechter. Sie hatte zwischenzeitlich mit den Eltern ihrer fünf Betreuungskinder gesprochen und zwei der Kinder waren schon am nächsten Tag nicht mehr gekommen. Die anderen drei Elternpaare hatten sich bereiterklärt, sich umzuhören, ob sie jemanden kennen, der Isabel neue Räumlichkeiten zu einem fairen Preis anbieten könnte. Doch bislang ergab sich diesbezüglich noch nichts und langsam, aber sicher wurde die Zeit knapp. Anabels Bruder, Alexander, hatte angeboten, die Möbel so lange in seiner Garage unterzustellen, bis Isabel wieder etwas Neues gefunden hatte.

Isabel war allen dankbar für ihre Hilfe. Doch sie war nun an einem Punkt angelangt, an dem sie selbst daran zweifelte, dass noch alles gut werden würde. Nichtsdestotrotz ließ sie sich nicht unterkriegen und freute sich sehr darüber, als Anabel ihr völlig aufgedreht gestand, dass sie zwei Karten für das Rockfestival am nächsten Wochenende von ihrem Chef – als kleine Belohnung für ihren tatkräftigen Arbeitseinsatz – bekommen habe und Isabel herzlich dazu einlud, mit ihr gemeinsam dorthin zu gehen. Und kaum war es Samstag, sieben Uhr, als sich auch schon die Türen zum Wembley-Stadium öffneten und Tausende von jungen Leuten in den Innenraum der Arena stürmten, um an einer der größten vorweihnachtlichen Rockpartys teilzunehmen, die in England stattfanden. Über die Hälfte des Konzerts erlebten Isabel und Anabel in völliger Euphorie und sie tanzten, sangen und hüpften mit all den anderen Verrückten.

Doch kurze Zeit später begrüßte der Moderator der Veranstaltung einen Ehrengast und es war kein geringerer als Prinz Harry. Während Anabel es amüsant fand, erneut dem Prinzen über den Weg zu laufen, sank Isabels Stimmung in den Keller und sie gab ein wenig begeistertes „Der schon wieder!“ von sich. Irritiert blickte Anabel zu ihrer Freundin herüber. Doch Isabel reagierte nicht darauf.

Nachdem sich der Prinz unter die illustren Konzertanhänger gemischt hatte und somit aus Isabels Blickfeld verschwunden war, kam auch ihre gute Laune wieder und erneut hüpften, tanzten und sangen sie, zusammen mit den anderen, fleißig mit. Als sich Isabel jedoch dann auf einmal spontan umdrehte, um ein paar Photos von den Massen hinter sich zu machen, entdeckte sie dabei unverhofft erneut Prinz Harry, der nur wenige Meter hinter ihnen stand und ebenfalls euphorisch dem Konzert beiwohnte. Prompt sank ihre Stimmung erneut auf den Nullpunkt.

Anabel war wie vom Blitz getroffen, als ihr Isabel daraufhin verkündete, dass sie jetzt – mitten im Konzert – gehen musste. „Was? Aber warum? Heute ist Samstag! Komm, Isa, tu mir das nicht an!“, flehte Anabel.

„Es geht aber nicht anders, Annie! Bitte entschuldige.“

„Was ist denn los? Wenn Du schon vorher gewusst hast, dass Du nicht das ganze Konzert mitmachst, hättest Du es mir doch auch sagen können und ich wäre mit Alex hierhergegangen!“, erklärte Anabel leicht enttäuscht.

„Ich wusste ja nicht, dass ich jetzt schon gehen muss …“

„Hä?! Könntest Du Dich bitte einmal genauer ausdrücken? Ich verstehe nämlich überhaupt kein Wort! Was ist passiert; oder wen hast Du gesehen, dass Du der Meinung bist, dass Du jetzt sofort gehen musst?!“ Langsam wurde Anabel wütend.

„Prinz Harry“, war alles, was daraufhin von Isabel kam.

„Was?!“ Statt einer weiteren Antwort zeigte Isabel in Harrys Richtung und nun hatte auch Anabel ihn wieder entdeckt. „Ja, und?!“, fragte Anabel weiter.

„Ich ertrage seine Nähe nicht.“

„Mensch, Isa, lass Dir doch von dem nicht den Spaß verderben. Du bleibst jetzt hier! So weit kommt es noch, dass Du wegen dem davonrennst! Ich will jetzt Party machen und Du machst mit!!!“, bestimmte Anabel noch immer wütend. Isabel wollte erneut protestieren. Doch Anabel fuhr ihr sofort über den Mund: „Wenn Du jetzt gehst, dann kannst Du unsere Freundschaft als beendet betrachten! Ich reiße mir doch nicht ständig den Hintern für Dich auf und als Dank dafür kriege ich nur einen Tritt! Lass doch den ollen Prinzen einfach links liegen; wir finden schon noch neue Räume für Dich! Außerdem, was schaust Du auch nach hinten? Vorne ist die Bühne und dort spielt auch die Musik!“

Isabel kam nicht umhin, zu bleiben. Doch die Stimmung blieb angespannt, auch nachdem sie Prinz Harry nicht mehr hinter sich stehen sah. Er schien sogar überhaupt nicht mehr da zu sein …

Die gedrückte Stimmung hielt auch weiterhin an, als Isabel gut eine Woche später dann tatsächlich aus den Räumen in der Jonesstreet heraus musste, ohne eine neue Betriebsadresse angeben zu können. Notgedrungen mussten nun auch die übrig gebliebenen drei Kinder an andere Tagesmütter abgegeben werden. Niedergeschlagen saß Isabel in ihrem Zimmer und war seit drei Tagen dort nicht mehr herausgekommen. Auch ans Telefon ging sie nicht; selbst Anabel sollte der Weg zu ihr verwehrt bleiben. Doch dies ließ Anabel nicht lange auf sich sitzen. Denn heute war der 8. Dezember, der Mittwoch, an dem in der angesagtesten Disco von ganz London, dem Club Five, der Freestyle-Wettbewerb auf dem Programm stand.

„Komm, Isabel, beweg Deinen Hintern! Wir haben nicht ganze vier Monate damit verbracht, uns eine verdammt schwere und anspruchsvolle Tanzchoreographie auszudenken, damit sie nun niemand sieht! Soll all der Schweiß und all der Muskelkater umsonst gewesen sein? Nein. Also, hoch mir Dir, sonst prügle ich Dich aus Deiner Ecke!“, schimpfte Anabel sofort los. Unweigerlich fing Isabel bei der Vorstellung an zu schmunzeln. „Na, siehst Du, geht doch! So, und jetzt machen wir uns noch ein wenig hübsch, so dass uns auch sogleich die Juroren zu Füßen liegen; und dann geht’s Abmarsch in den Club …“

Gut zwei Stunden später waren beide seelisch und physisch bereit für ihren Auftritt und so fuhren sie gegen zehn Uhr abends zum Wettbewerb. Kaum betraten sie die Disco, mussten sie sich auch sogleich in die Liste der Tanzwütigen eintragen und bereits zwanzig Minuten später waren sie auch schon an der Reihe. Sie gaben alles und waren mit ihrer gezeigten Choreographie zufrieden. Isabel konnte sogar lachen und tanzte ausgelassen mit Anabel, nachdem sie sich einen Cocktail genehmigt hatten, unbeschwert zur Musik, während sie den anderen Kandidaten bei deren Vorführungen zuschauten.

Drei Stunden später war die Siegerehrung. „Es ist erstaunlich, wie viele, und vor allem wie viele gute bis sehr gute Tänzer – dazu auch noch größtenteils weibliche Kandidaten – England vorzubringen hat. Leider kann den Hauptpreis von fünfhundert Pfund und vier Gratisstunden in einer der renommiertesten Tanzschulen in London natürlich nur ein Team gewinnen. Und dieses Jahr hat gewonnen??? Es sind zwei Newcomerinnen … Die Startnummer Acht: Isabel und Anabel! Wenn die zwei ‚Glöckchen’ einmal vortreten möchten?“, sagte Toni, der DJ.

Völlig überrascht sahen sich die beiden Mädchen an. Doch schon wurden sie von den anderen begeistert in die Mitte der Tanzfläche geschoben, wo sie sich ihren Preis abholen durften. Doch der Preis wurde nicht wie erwartet von der Jury übergeben, sondern von keinem geringeren als Prinz Harry. Anabel strahlte und wisperte: „Euer Hoheit, so sieht man sich wieder.“

Harry grinste und wollte nunmehr Isabel ihren Preis überreichen, doch sie würdigte ihn keines Blickes. Somit ergriff Harry einfach ihre Hand und drückte ihr den Gutschein regelrecht mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch, viel Spaß bei den Gratisstunden. Tanz so weiter, es macht Spaß, Dir dabei zuzusehen“ in die Hand. Mit einem verbissenen Gesicht nahm Isabel gezwungenermaßen ihren Preis von Harry entgegen. Anschließend wollte sie wieder einmal die Flucht ergreifen. Doch dazu kam es vorerst nicht, denn das Publikum verlangte, dass die zwei Sieger noch einmal ihre Choreographie tanzten. Isabel entglitten jegliche Gesichtszüge. Doch sie kam nicht umhin, dem Wunsch Folge zu leisten.

Harry grinste selbstgefällig und beobachtete Isabel während des Tanzes ganz genau. Doch kaum hatte ihr Tanz ein Ende gefunden, machte Isabel, dass sie fortkam. Entnervt verdrehte Anabel die Augen.

„Was ’n mit der?“, fragte auch sogleich Toni.

Anabel zuckte nur mit den Schultern und entschuldigte sich für das unmögliche Benehmen ihrer Freundin beim Prinzen.

Leicht geknickt nickte Harry, ehe auch er sich aus dem Staub machte. Doch sein Weg führte ihn nicht etwa zu sich nach Hause, sondern direkt zu der Wohnung von Isabel. Er musste unbedingt einmal mit ihr reden!

Leicht nervös klopfte Harry an ihre Haustür. Überraschenderweise wurde ihm sofort geöffnet. Doch statt Isabel stand ein Herr mit bereits ergrautem Haar vor ihm. „Sie wünschen?“, kam es knapp von dem stämmigen Mann mittleren Alters.

„Guten Abend, Mister Canningham?“, sagte Harry.

„Ja, der bin ich! Was wollen Sie, Euer Hoheit? Zu Isabel? Dies kann ich Ihnen leider nicht gewähren. Ich möchte Sie bitten, dass Sie meine Tochter in Ruhe lassen!“, erklärte Mister Canningham.

„Das kann ich leider nicht, denn ich müsste einmal mit ihr sprechen“, erwiderte Harry.

„Ich weiß nicht, ob Sie die simplen Worte eines einfachen Bürgers nicht verstehen, vielleicht überhören Sie sie aber auch einfach nur oder Sie bilden sich etwas auf Ihren schönen Titel ein? Doch, so oder so, sage ich es Ihnen jetzt noch einmal: Meine Tochter ist für Sie tabu!!!“

„Bitte verzeihen Sie, wenn ich diesen Eindruck auf Sie mache. Ich habe Sie schon verstanden. Doch auch ich darf mich wiederholen: Ich muss dringend einmal kurz mit Ihrer Tochter sprechen … Bitte!“, bat Harry erneut. Doch statt einer weiteren Antwort wurde ihm daraufhin einfach die Tür vor der Nase zugeschlagen. Harry schloss die Augen und seufzte tief. Was sollte er nur machen? Er fühlte sich elend und völlig missverstanden. Doch ihm blieb keine andere Wahl als unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu fahren.

Als Harry im Buckingham Palast ankam, war es zwei Uhr. Doch er konnte nicht schlafen, ständig sah er Isabel geistig vor sich, wie ihre dunkelgrünen Katzenaugen ihn böse anfunkelten, und so begab er sich in die Bibliothek. Doch auch dort fand er keine Ruhe. Er war seiner Traumfrau begegnet und schon ging alles nur noch schief: Statt ihr Rosen schenken zu können rannte sie ständig vor ihm weg! Als er darüber nachsann, fing er an zu lachen. Hatte William nicht das Gleiche mit Jane damals durchgemacht? Und hatte er nicht einmal gesagt, dass er bei solch einem Terz nicht mitmachen würde? Tja, so konnten sich Meinungen ändern. Und schon machte sich Harry, mitten in der Nacht, auf den Weg zu seinem Bruder, der zurzeit in seiner Stadtwohnung in Kensington verweilte.

Völlig verschlafen öffnete William die Tür und war nicht sonderlich überrascht darüber, Harry davor stehen zu sehen. Harry hatte des Öfteren solche Anwandlungen, einfach aus Langeweile seinen Bruder mitten in der Nacht aus dem Bett zu holen. Doch ein Blick in dessen Gesicht und William wusste, weswegen Harry hier war. „Du hast sie wieder einmal getroffen?“, waren auch sogleich seine Worte, ehe sich beide in die Wohnstube begaben. Harry nickte. „Und es verlief erneut anders als gewünscht?“ Abermals nickte Harry. „Geht es auch etwas genauer, denn es ist mitten in der Nacht und ich lag bereits friedlich schlafend in meinem Bett!“, beschwerte sich William.

„Entschuldige. Ja, ich habe Miss Canningham vorhin unverhofft wiedergesehen. Sie war im Club Five. Doch als ich ihr gegenübertrat, machte sie, dass sie wegkam.“

„Was hast Du denn zu ihr gesagt?“, fragte William noch nicht ganz wach.

„Nichts. Ich habe ihr nur gratuliert und ihr einen Gutschein überreicht.“ Verwirrt sah William Harry an. „Sie hat mit einer Freundin den Freestyle-Wettbewerb gewonnen. Sonst wäre sie mir im Club wahrscheinlich auch überhaupt nicht aufgefallen“, erklärte Harry sachlich.

Noch immer fragend sah William seinen Bruder an. „Und Du hast wirklich nichts weiter zu ihr gesagt?“

„Nein! Das sagte ich doch bereits! Aber nachdem sie gegangen war, bin ich ihr gefolgt.“

„Oha! Und was ist dann passiert?“ Jetzt war William hellwach.

„Nicht viel. Sie war nach Hause gegangen. Doch statt mit ihr sprechen zu können erklärte mir ihr Vater, dass ich mich zum Teufel scheren soll.“ Erneut sah William seinen Bruder irritiert an.

Harry seufzte. „Ich habe wohl keinen guten Eindruck bei Miss Canninghams Eltern hinterlassen?!“

„Aber sie kennen Dich doch gar nicht!“, erklärte William verärgert.

„Ich denke, Miss Canningham wird ihren Teil dazu beigetragen haben.“

„Na, toll!“

„Wills!“, ermahnte Harry seinen Bruder.

„Was? So wie mir scheint, hat die junge Dame es selbst faustdick hinter den Ohren. Das kommt fast einer Beleidigung nahe!“, stellte William klar.

„Was kommt einer Beleidigung nahe?“, kam es plötzlich von der Wohnzimmertür. Es war Jane, die ebenfalls noch recht verschlafen den Raum betrat. Harry seufzte.

„Oh, wir haben mal wieder nächtlichen Besuch!“, begrüßte Jane ihren Schwager.

„Hallo, Jane. Bitte verzeih, dass ich Eure Nachtruhe störe.“

„Ach, das geht schon in Ordnung; wäre ja nicht das erste Mal …“, sagte Jane leicht süffisant.

„Ich glaube, es ist besser, wenn ich wieder gehe“, stammelte Harry.

„Nein, Du bleibst!“, bestimmte William.

Überrascht sah Jane ihren Mann an. Wenn William Harry seinen Willen aufzwang, dann hatte das schon etwas zu bedeuten. „Was ist los?“, fragte sie daher auch sogleich.

„Es geht um Miss Canningham“, erklärte William knapp.

Jane nickte und setzte sich auf die Sessellehne zu ihrem Mann. Sie sah dabei jedoch weiterhin fragend zu Harry. Harry musste unweigerlich schmunzeln. „Ich habe sie heute wiedergetroffen und es verlief nicht ganz so, wie es hätte sein können.“

„Hast Du sie wieder einmal in die Enge getrieben?“, fragte Jane ernst.

„Jane!“, rief William entsetzt. Harry sah überrascht in die Runde.

Nun war es William, der tief und lang anhaltend seufzte. „Nein, Harry hat diesmal gar nichts gemacht, er wurde gleich an der Tür abserviert.“

„Oh … Ich würde sagen, da wollte Dich jemand nicht sehen“, stellte Jane leichtfertig fest.

„Danke, Darling, aber so weit waren wir auch schon.“

„Hach Gott! Ist ja schon gut, ich lass die Herren der Schöpfung wieder allein! Ich dachte nur, ich könnte vielleicht aus der Sicht einer Frau etwas dazu beitragen. – Falls Du Dich, mein lieber Mann, eventuell daran erinnern möchtest, dass es auch bei uns einmal eine Zeit gab, wo ich vor Dir davongerannt bin und Dich am liebsten zum Teufel gejagt hätte?! Gut möglich, dass es der jungen Lady ähnlich ergeht? Oder wie fändest Du es, erst eine ganze Woche von jemandem Dir völlig unbekannten verfolgt zu werden. Und kaum bist Du ihn los, taucht er anscheinend an jeder Straßenecke doch wieder auf!“, warf Jane schnippisch in den Raum, ehe sie sich erhob, um zu gehen.

Prompt zog William sie wieder auf seinen Schoß. „Entschuldige, Darling. – Ja, Du könntest Recht haben, was Miss Canningham betrifft“, überlegte William.

Harry fuhr sich verzweifelt mit den Händen durchs Haar. „Und was mache ich jetzt? Oder was kann ich machen, damit Miss Canningham, oder besser gesagt Isabel – so lautet nämlich ihr schöner Vorname – mich doch noch anhört?“

„Hmmm? Wie wäre es, wenn Du ihr einen Brief schreibst?“, schlug Jane vor. Fragend sahen beide Männer sie an. Jane schmunzelte. „Was? Es wäre eine Möglichkeit, Isabel – ohne dass sie mit Harry persönlich sprechen muss – mitzuteilen, warum, wieso, weshalb er wie gehandelt hat und eben, was ihm daran liegt, noch einmal mit ihr persönlich zu sprechen.“

„Und was ist, wenn ihr Vater den Brief abfängt?“, fragte Harry ängstlich.

„Wenn Du den Brief über einen Boten übergeben lässt, der ihn nur ihr persönlich aushändigen darf, denke ich, wird sie ihn auch bekommen. Was sie dann aber damit macht, steht in den Sternen. Doch vielleicht wirft sie ihn ja nicht gleich ungelesen in den Müll und antwortet Dir stattdessen bestenfalls“, erklärte Jane weiter. „Und wenn Du ganz viel Glück hast, schreit Dir als Antwort auch nicht gleich ein großes fettes ‚Nein‘ entgegen.“

„Wenn doch, dann weißt Du auf jeden Fall, woran Du bist. Und auch, wenn es noch so schmerzlich ist, wirst Du sie dann wohl oder übel vergessen müssen“, setzte William Janes Gedanken fort.

Harry seufzte, was sich jedoch in ein Gähnen verwandelte.

„Okay, ich denke, mehr gibt es vorerst dazu nicht zu sagen, und Du, Harry, machst jetzt, dass Du ins Bett kommst! Das Gästezimmer erwartet Dich bereits.“ Damit schloss Jane das nächtliche Gespräch.

„Jane?“

„Ja?“

„Danke“, waren Harrys einfache Worte darauf.

„Hey, schon gut. Als Gegenleistung erwarte ich jedoch, dass Du übernächsten Samstag Deine Nichte zum Kinderrummel begleitest!“

William fing prompt an zu lachen, während Harry – sich ergebend – Kopf und Schultern sinken ließ und nickte. Jane strahlte und hauchte ihrem Lieblingsschwager einen Kuss auf die Wange.

Als Jane am nächsten Morgen von der Toilette kam, es war gerade erst halb sechs, hörte sie ein seltsames Rascheln aus dem Gästezimmer. Vorsichtig öffnete sie die Tür und war überrascht, Harry völlig bekleidet am Sekretär sitzen zu sehen. „Guten Morgen, Harry. Darf ich fragen, was Du da machst?“

Um Harry herum lagen auf dem Boden und auf dem Schreibtisch jede Menge Papierknäuel. Harry seufzte und warf den Stift auf den Tisch. „Ich versuche einen Brief zu schreiben.“

„An Miss Canningham?”

Harry nickte.

„Und seit wann sitzt Du da schon?“, fragte Jane bereits erahnend.

„Seit ich den Raum betreten habe.“

„Aja! Und wie sieht es mit etwas Schlaf aus?“

Harry musste daraufhin sogleich gähnen.

„Kaffee?“

„Hast Du schon welchen fertig?“, fragte Harry überrascht und sah auf seine Armbanduhr.

Jane lachte. „Nein, aber ich setze welchen auf. Kommst Du mit in die Küche?“ Harry folgte ihr.

Während der Kaffee durch die Maschine lief, setzte sich Harry auf die Eckbank am Giebelfenster und unterhielt sich leise mit Jane.

„Schon was auf Papier gebracht oder alles nur Entwürfe?“

Harry grinste müde. „Mehr oder weniger. Ich schreibe was und verwerfe es dann aber doch gleich wieder. Ich weiß irgendwie nicht, wie und wo ich anfangen soll. Geschweige denn wie ich das, was mir durch den Kopf geht, in Worte fassen soll. Es klingt alles irgendwie so aufgesetzt.“

„Wie wäre es denn auch erst einmal mit einer Mütze Schlaf, ausgeruht sind Deine Gedanken garantiert geordneter. Falls nicht, schreib doch erst einmal alles nur runter, ohne Punkt und Komma. Erst einmal alles nur heraus aus dem Kopf. Danach kannst Du immer noch sortieren und überlegen, was von dem, was Dir so durch Kopf ging, Du ihr mitteilen willst“, schlug Jane vor.

„Eigentlich ist mein Problem ja gar nicht das, was ich Isabel schreiben will, sondern immer die Überlegung, was sie auf das ein oder andere erwidern würde“, gestand Harry kleinlaut.

„Oh, Harry, Dich hat es ganz schön erwischt, was?! Doch nichtsdestotrotz kannst Du nicht beeinflussen, wie Isabel auf Deine Zeilen reagieren wird. Daher sei einfach nur Du selbst: Sei ehrlich zu ihr und vor allem auch zu Dir! Du wirst sehen, wenn sie den Brief liest und Dich verstehen will, wird sie sich schon irgendwie bemerkbar machen.“

Harry seufzte. Jane schob ihm daraufhin einen großen Pott Kaffee vor die Nase und reichte ihm Briefpapier und Füller. Danach ließ sie Harry allein in der Küche zurück. Harry nahm einen Schluck von dem Kaffee und atmete noch einmal tief durch, ehe er erneut zu Stift und Papier griff und seine Gedanken einfach niederschrieb.

Drei Stunden später betrat William die Küche und war überrascht, seinen Bruder schlafend am Küchentisch vorzufinden. Vor ihm lagen mehrere beschriebene Blatt Papier. William nahm sich die Freiheit heraus und griff nach den Zetteln und las einen nach dem anderen durch. Nun endlich schien er zu begreifen, was Harry bewegte.

Die letzten drei Blatt Papier waren dann auch der Brief an Miss Canningham:

Isabel,

ich weiß nicht, ob Du bereits nach dem dritten Wort wieder aufgehört hast zu lesen oder ob meine Worte überhaupt bei Dir Gehör finden.

Ich weiß auch nicht, ob der Brief nicht schon längst durch den Reißwolf gewandert ist oder nur in irgendeiner Ecke zerknüllt herumliegt.

Ich hoffe, nichts von dem ist der Fall. Stattdessen hoffe ich, dass Du Dir die Zeit nimmst und meine Zeilen liest. Es sind Gedanken, die mir auf der Seele brennen und vielleicht kannst Du sie auch ein wenig verstehen … Denn dieser Brief scheint mir die einzige Möglichkeit zu sein, mich Dir mitzuteilen, nachdem Dein Vater mich letzte Nacht recht forsch der Tür verwiesen hat. Ich kann es sogar nachvollziehen, denn bislang verlief irgendwie so ziemlich alles anders als erwartet; falls man das überhaupt so bezeichnen kann?

Isabel. – Ein wirklich schöner Name …

Es tut mir übrigens leid. Es tut mir leid, dass bei unserem ersten Aufeinandertreffen Deine Spieluhr zu Bruch gegangen ist. Ich weiß, ich kann dies unmöglich wieder gut machen und noch weniger kann ich die Zeit zurückstellen, was ich am liebsten täte.

Ich denke, für uns beide war dies kein guter Tag. Ich war in Eile und Du schienst auch schon vor meinem Rempler gereizt. Ich war dann nur noch das I-Tüpfelchen des Ganzen.

Ich möchte mich diesbezüglich auch noch einmal in aller Form bei Dir entschuldigen.

Und auch, wenn Du mich für einen arroganten Pinsel hältst, muss ich dazu sagen, dass ich Dir nur deshalb nicht geholfen habe, weil ich so perplex über Deine Ausdrucksweise und Deine Schimpftiraden war: So hatte noch nie jemand mit mir gesprochen – nicht einmal meine Großmutter! Du hast mich einfach so verwirrt, dass ich nur wie ein kleiner dummer Junge daneben stehen und Dich anstarren konnte.

Das mit Deiner Spieluhr habe ich auch erst viel später mitbekommen, als ich über ihre Reste gestolpert bin. Es befinden sich noch immer der Holzsockel und das Spieluhrmagazin in meinem Besitz. Ich würde sie Dir gerne persönlich wiedergeben.

Beim letzten Mal wurden wir ja leider dabei unterbrochen.

Apropos letztes Mal:

Es muss Dir wirklich schon sehr merkwürdig vorkommen, dass egal, wo Du hingehst oder hinschaust, ich ständig Deinen Weg kreuze …

Eines sei Dir aber versichert, es ist alles nur reiner Zufall; keine Angst, ich verfolge Dich nicht und lasse Dich auch nicht mehr beschatten! Das gestern im Club war auch nur ein Zufall.

Ich bin recht oft dort, da ich den Besitzer zu meinem Freundeskreis zählen darf. Er war auch derjenige, der vorgeschlagen hat, dass ich den Hauptpreis überreichen soll. Ich muss gestehen, als ich erfuhr, wer gewonnen hat, konnte ich dem auch nicht widerstehen.

Bitte verzeih!

Und falls ich Dich etwas zu grob angefasst haben sollte, tut es mir leid. Aber Du hattest keinen Grund davonzulaufen! Ich wollte Dir wirklich nur Deinen Preis übergeben und Dir gratulieren.

Übrigens, ich kann mich nur wiederholen: Du tanzt gut. Es hat mir sehr gefallen, was Du und Deine Freundin vorgeführt habt. Ich hoffe, Du lässt den Gutschein nicht verfallen. Denn nicht ich habe ihn gesponsert, sondern der Club! Ich war dort gestern auch nur ein Gast.

Aber das nur nebenbei.

Solltest Du tatsächlich bis hier gelesen haben, möchte ich Dir noch eines mitteilen: Falls Du nämlich der Meinung sein solltest, dass ich diesen Brief nur deshalb geschrieben habe, um so mein Gewissen zu beruhigen und an Deines zu appellieren, dass Du Dich nicht doch noch an die Presse wendest, sei Dir gesagt, dass ich es a) eh nicht verhindern könnte, wenn Du dieses wolltest und b) es mir nun auch egal wäre. Doch ich vertraue Dir.

Warum, weiß ich selbst nicht so genau; aber ich weiß, dass es so ist!

… und so bleibt nur noch eine Frage offen:

Bist Du gewillt, mir noch einmal gegenüberzutreten, damit ich Dir die Reste der Spieluhr übergeben kann? Ich weiß, ich könnte Sie Dir auch per Post schicken, oder gar über den Boten, der Dir diesen Brief überbracht hat, zukommen lassen. Doch um ehrlich zu sein, habe ich Angst, dass sie so noch gänzlich verschüttgehen. (Auch wenn das im Grunde völliger Blödsinn ist.) Der eigentliche Grund ist der, dass ich gerne noch einmal ein paar Worte mit Dir würde wechseln wollen …

Wie auch immer Deine Antwort ausfallen sollte. Es wäre nett, wenn Du sie mir in irgendeiner Form zukommen lassen könntest.

Danke, Harry.

Harry in love

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