Читать книгу Harry in love - Christina Masch - Страница 12

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Kapitel 7

Euer Hoheit,

ich bin so erzogen worden, dass man auf Briefe, die man erhält, antwortet. Ich bin Ihnen somit noch eine Antwort schuldig:

Als Erstes möchte ich mich dafür entschuldigen, dass die Antwort so lange auf sich hat warten lassen; doch es ist verdammt schwierig auf einen Brief zu antworten, der nur eine einzige Frage beinhaltet. Und noch schwieriger ist es, genau auf diese eine Antwort zu geben! – Auch jetzt weiß ich noch nicht, was ich darauf erwidern soll.

In meinem Kopf herrscht ein totales Chaos, an dem Sie Mitschuld tragen und wenn ich könnte, würde auch ich gerne die Zeit noch einmal zurückdrehen. Doch sicherlich zu einem anderen Zeitpunkt hin als Sie es sich wünschten. Verständlich; glaube ich …?!

Ich bin die letzten Tage, wie die letzten Wochen, noch einmal gedanklich zurückgegangen. Es haben sich in dieser Zeit in meinem Leben so viele Dinge ereignet, dass ich die ganze Tragweite noch überhaupt nicht realisiert habe. Ob das je der Fall sein wird, weiß ich nicht. Vielleicht würde ich auch viel lieber gerne alles wieder nur verdrängen. Meine Mutter sagt jedoch, dass dies nichts bringt und mein Vater ist eh der festen Überzeugung, dass man sich allem im Leben kampfbereit stellen muss!

Leichter gesagt als getan.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob ich überhaupt die Reste meiner Spieluhr wieder zurückhaben möchte, denn sie würden mich doch eh nur tagtäglich schmerzlich an den Verlust derer erinnern …

Was soll ich auch mit einer kaputten Spieluhr? Also, machen Sie damit, was Sie wollen.

Am besten, Sie schmeißen sie weg und irgendwelche Erinnerungen an mich gleich mit!

I. C.

P.S.: Sie haben neulich gesagt, dass ich einen Raum nicht mehr verlassen muss, wenn Sie ihn betreten, da Sie dann gehen. Ich denke, es wird nicht mehr passieren, dass sich unsere Wege kreuzen. Denn dort, wo Sie sich standesgemäß bewegen, habe ich nichts zu suchen …

Verdammt!

Jetzt habe ich am Ende doch noch eine Bitte an Sie: Könnten Sie es vielleicht einrichten, mittwochs nicht bei Nick aufzukreuzen? Sie nehmen mir sonst das Einzige, was mir noch eine Freude macht!

Danke.

Harrys Kopf war gänzlich leer, nachdem er Isabels Zeilen das erste Mal gelesen hatte. Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Er wusste zwar, dass Isabels Worte nach der letzten Aktion in der Disco nicht nett ausfallen würden. Aber mit solch einer Kälte hatte er nicht gerechnet. Erst eine halbe Stunde später setzte er ein zweites Mal an, den Brief zu lesen, brach jedoch nach dem ersten Absatz bereits wieder ab und holte tief Luft, ihm war zum Heulen zumute. Just in dem Moment klingelte es an der Haustür. Von Schwindel benommen ging er zur Tür. Er wusste, wer davor stand. Es war Jane, die er telefonisch gebeten hatte vorbeizukommen, als er gerade den Brief von dem Boten in Empfang nahm. Kaum hatte Harry die Tür geöffnet und in Janes fragendes Gesicht gesehen, brach er weinend zusammen. Jane seufzte, denn sie hatte innig gehofft, dass sich Isabel, trotz des Kussüberfalls und der darauffolgenden Aktion ihres Mannes, für Harry entscheiden würde. Sie kannte Harrys Zeilen an Isabel und traute sich deshalb nun kaum, ihn jetzt nach dem Inhalt von Isabels Brief zu fragen. Schweigend und tröstend zugleich nahm Jane Harry in den Arm und führte ihn zurück auf die Couch in der Wohnstube, wo sie sich beinahe auf Isabels Zeilen gesetzt hätte. Sie reichte Harry ein Taschentuch und atmete noch einmal tief durch, ehe sie sich den verfassten Brief durchlas; es war nur ein einziges Blatt. Als sie fertig war, sah sie Harry völlig entgeistert an, unfähig irgendetwas sagen zu können. Harry musste unweigerlich bittersüß lächeln. „Mir ging es genauso!“

„Ja, man hat das Gefühl, den Brief einer völlig fremden Person in den Händen zu halten. Sagtest Du nicht etwas davon, dass sie Dir zwischenzeitlich freundlich gesonnen war?!“, fragte Jane noch immer ungläubig.

„Das waren Samuels Worte …“

„Und Dein Gefühl!“, unterbrach Jane sogleich ihren Schwager wieder. „Und wenn ich daran denke, dass sie sogar zur Siegesfeier in den Club gekommen war, kann ich kaum glauben, dass diese Worte von ihr stammen sollen??? – Ich meine, William hat echt Mist gebaut und ich habe ihm diesbezüglich auch schon gehörig den Kopf gewaschen!“

„Ich weiß, er traut sich kaum mehr in Deine Nähe.“

Jane errötete und räusperte sich. „Trotzdem ist die Heftigkeit ihrer Worte nicht ganz nachvollziehbar. Oder hast Du uns irgendetwas verschwiegen, das zwischen Euch vorgefallen ist?“

„Nein! Es hat mit der Spieluhr angefangen und endete mit dem Kuss“, gab Harry, wütend auf sich selbst, von sich.

„Oh Harry, es tut mir so leid! Ich habe es mir so für Dich gewünscht, und es sah ja auch ganz so aus, als hätte es klappen können; zumal, sie ist echt niedlich! Und das von einer Frau zu hören, soll was heißen …“

Harry grinste. „Danke, dass wir uns wenigstens in dem Punkt einmal einig sind.“ Unweigerlich musste auch Jane schmunzeln.

Harry seufzte. Jane nahm ihn daraufhin gleich wieder in den Arm.

Nach einer Weile fragte Jane: „Willst Du etwas auf ihren Brief erwidern?“

Harry lachte bitter auf. „Was soll ich denn darauf antworten? Das ‚Nein, ich will von Dir nichts mehr hören, geschweige denn sehen oder lesen‘ ist doch offensichtlich!“

„Ach Mann!“, seufzte nun Jane. „Trotzdem sind ihre Worte Dir gegenüber ungerecht!“

„Wenn sie wenigstens irgendein Wort an mich verschwendet hätte! Ich kann ihr ja noch nicht einmal böse oder auf sie wütend sein …“

„Stimmt! Das hat sie geschickt gemacht: Eine Rückantwort ist sozusagen erst gar nicht möglich“, stellte Jane nun sogar fasziniert fest.

„Hätte ich sie doch nur nicht geküsst!!!“, waren Harrys nächste vorwurfsvolle Worte.

„Ach, mach Dich nicht verrückt! Nicht Du bist daran schuld, sondern einzig und allein Dein Bruder!“ Zweifelnd blickte Harry seine Schwägerin an. „Wenn sich William nicht eingemischt hätte, wäre Isabel zwar wegen des Kusses verwirrt gewesen, aber ich denke, ihr Herz hätte trotzdem für Dich geschlagen.“

„Da bin ich mir nicht so sicher, denn ihre Backpfeife war ziemlich heftig“, gestand Harry kleinlaut. „Ich glaube eher, es waren einfach zu viele unangenehme Vorfälle für Isabel, dass sie sich gegen mich entschieden hat. Ich bin ja selbst schuld! Und doch würde ich gerne die Zeit noch einmal ein klein wenig zurückstellen und noch einmal ganz von vorn anfangen wollen …“

„Tja, dann wäre eventuell noch alles möglich. Doch leider kannst Du die Zeit nicht zurückstellen. Sie stand irgendwie von Anfang an für Euch unter einem schlechten Stern.“

„Wie aufbauend!“, sagte Harry sarkastisch.

„Entschuldige, aber es ist doch so!“, verteidigte sich Jane.

„Hast ja Recht, kleine Schwägerin“, gestand sich Harry ein, wenn auch schweren Herzens.

„Meinst Du, Du kannst trotzdem übermorgen bei der Eröffnung des neuen Kinderkrankenhauses teilnehmen? Und dabei auch noch freundlich lächeln?“

„Oh Schreck! Stimmt, Dienstag war ja noch was … Ich werde es wohl müssen, auch wenn mich irgendwie alles ganz automatisch wieder an Isabel erinnern wird; vor allem die kleinen Kinder!“

„Und wenn Du einmal mit Elisabeth darüber sprichst? Vielleicht hat sie ja Verständnis und Du brauchst nicht mitzukommen?!“, überlegte Jane.

„Daran glaubst Du doch wohl selbst nicht?! Granny ist nun einmal so gestrickt, dass die Monarchie und das Repräsentieren vor allen privaten und vor allem sentimentalen Anwandlungen stehen! Außerdem hat doch Granny nichts von den Liebeswirren ihres Enkels mitbekommen.“

„Oh doch, das hat sie! Wenn auch eher im Nachhinein“, berichtigte Jane ihren Schwager. Fragend hob Harry eine Augenbrauche. Jane räusperte sich, ehe sie antwortete: „Durch William.“ Noch immer fragend hob Harry nun auch noch die zweite Augenbraue. „Ich sagte doch, dass ich William den Kopf gewaschen habe …“

„Darf ich erfahren, was Du getan oder zu ihm gesagt hast, dass er sich schützend hinter Elisabeths Rockzipfel versteckt? So kenne ich mein großes Brüderchen ja gar nicht!“, stellte Harry schon fast amüsiert fest.

Jane wurde knallrot. „Nun ja, sagen wir mal so, als ich sah, wie Du hektisch in Mikes Büro gerannt bist und William stattdessen herauskam, dachte ich mir noch nichts. Als Du jedoch kurz darauf wieder mit betrübter Miene von dannen zogst und gerade einmal zwei Minuten später Isabel auch aus dem Zimmer kam und ebenfalls sang und klanglos ging, war mir klar, dass irgendetwas vorgefallen sein musste, woran mein lieber Herr Mann ebenfalls beteiligt war. Auf dem Heimweg habe ich ihn dann zur Rede gestellt und da erzählte er mir ganz lapidar, dass er sich Isabel gegriffen hätte, damit Du und sie, ihr Euch einmal in Ruhe, unterhalten könntet. Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen und bin natürlich prompt aus der Haut gefahren und habe ihn recht derbe angeschrien, was ihm einfallen würde, sich in die Sache mit einzumischen. Daraufhin erwähnte er nur, dass ich dies doch auch schon die ganze Zeit täte und dass es bei ihm und mir damals ja auch so war, dass man uns zu unserem Glück ein wenig zwingen musste. Da ist mir dann gänzlich die Hutschnur gerissen und ich habe ihm eine geklebt.“

„Du hast was?!“, fragte Harry verdutzt.

„Du hast schon richtig gehört! William glaubte auch, sich verguckt zu haben, aber seine rote, schmerzende Wange bestätigte ihm den Vorfall. Natürlich wurde er dann auch wütend und brach einen Streit vom Zaun, den er nicht gewinnen konnte! Seither ist zwischen uns Funkstille. Sobald er auch nur den Mund bezüglich dieses heiklen Themas öffnet, geht die Diskussion von vorne los und eine Vase und ein Teller sind dabei bereits zu Bruch gegangen“, gestand Jane kleinlaut. „Diese habe ich versucht, ihm an den Kopf zu werfen. Denn William hat oder besser gesagt will nicht verstehen, worin der Unterschied zwischen meiner und seiner Einmischung in Eure Sache ist.“

„Jane!“, rief Harry aufgebracht. „Du setzt doch jetzt nicht etwa Deine Beziehung nur wegen mir aufs Spiel??? Jane, bitte komm wieder von Deinem kleinen Vulkan herunter und vertrage Dich mit Deinem Mann! Du hast doch selbst gesagt, dass Isabels und mein Aufeinandertreffen unter keinem guten Stern stand. Es hat halt einfach nicht sein sollen! Doch daran darf auf keinen Fall Deine Ehe zerbrechen!!!“ Jane nagte schuldbewusst an ihrer Unterlippe. Harry seufzte.

„Was soll ich denn aber machen? William hat mich einfach so wütend gemacht!“, gab Jane leicht verzweifelt von sich.

Harry zog seine Schwägerin spontan in seine Arme und nun war sie es, die weinte. Harry schüttelte verwirrt den Kopf. Da wollten ihm die zwei Menschen, die ihm am wichtigsten waren, helfen glücklich zu werden und setzten dabei ihre eigene Beziehung aufs Spiel. „Jane, beruhige Dich wieder. Ich muss Dir nämlich etwas erzählen.“ Jane schniefte und versuchte wieder Herr ihrer Gefühle zu werden. Unsicher sah sie zu Harry auf. „William war gestern Abend bei mir und wollte sich bei mir entschuldigen. Granny hat ihm wohl seinen Fehler verdeutlicht und er hat nun auch verstanden, warum Du so sauer auf ihn bist. Des Weiteren hat er mich gefragt, ob ich wüsste, was er machen kann, damit Du ihm wieder verzeihst“, erzählte Harry.

Jane schluckte. „Und was hast Du ihm geraten?“

„Nichts. Ich habe gesagt, dass ich zwar seine Entschuldigung annehme, ihm aber nicht helfen kann, da er durch seinen selbst fabrizierten Schlamassel allein durch muss. Sonst wäre es ja nur eine halbe Entschuldigung Dir gegenüber.“

Jane seufzte. „Dieses Jahr fängt ja fürchterlich an …“

Harry grinste. „Hey, das wird schon wieder. Und um mich macht Euch bitte keine Sorgen, es kommt zwar jetzt eine schwierige Zeit auf mich zu; mit viel, viel Liebeskummer, aber auch dieser wird wieder vergehen. Denn der einzige Wermutstropfen, der mir Gott sei Dank noch bleibt, ist nun einmal der, dass ich mit Isabel ja nie zusammen war! Es klappte schon von vornherein nicht. Auch wenn ich ihre dunkelgrünen Augen wohl mein Leben lang nicht mehr vergessen werde und ihre weichen Lippen auch nicht!“, schwärmte Harry schweren Herzens.

Jane grinste. Harry wurde daraufhin knallrot.

„Ja, das Grün ihrer Augen ist mir auch sofort aufgefallen! William hat, als wir uns damals kennen gelernt haben, immer gesagt: Man kann in meinem Gesicht lesen wie in einem Buch. Ich habe erst jetzt verstanden, was er damit meinte. Isabels Blick spricht auch mehr als Bände. – Oh Harry, ich vermisse so entsetzlich zwei hellblaue Augen, die mich verliebt ansehen!“, gestand Jane reumütig.

Prompt fing Harry an zu lachen. „Dann lass Wills diese Nacht wieder im Ehebett schlafen …“

„Hab ich übertrieben?“

„Vielleicht ein wenig. Aber ich glaube, Wills hat das einfach mal gebraucht.“

„Meinst Du?“

„Bestimmt!“

Jane drückte ihrem Schwager spontan einen Kuss auf die Wange. Harry schmunzelte. „Na los, fahr schon nach Hause!“

„Und ich kann Dich wirklich alleine lassen?“, fragte Jane, gefangen zwischen zwei Stühlen. Harry nickte zuversichtlich. Jane seufzte.

„Du kannst doch auch nichts daran ändern, dass Isabel sich gegen mich entschieden hat. Sie war vielleicht doch nicht meine Traumfrau? Äußerlich sicherlich. Aber ist es nicht viel wichtiger, dass es hier drinnen stimmt?“, stellte Harry offen in den Raum und zeigte auf sein Herz.

Erneut seufzend sahen sich Harry und Jane an und fingen daraufhin prompt an zu lachen.

Harry drückte seiner Schwägerin einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass Du gekommen bist.“

„Na schön, dann gehe ich jetzt wieder. Aber wenn was ist, ruf an, ja?!“ Harry nickte und brachte Jane noch bis zur Tür.

Mit gemischten Gefühlen hielt Jane direkt vor ihrer Stadtwohnung an. Sie brauchte ganze zehn Minuten, um aus dem Auto zu steigen. Ihr war schlecht, denn erst jetzt wurde ihr bewusst, was sie angestellt hatte: William hatte zwar einen Fehler gemacht; doch machte sie nicht auch ständig irgendwelche Fehler? Und selbst Elisabeth war nie so streng mit ihr, wenn sie sich wieder einmal entgegen dem Protokoll benommen hatte, wie sie sich nunmehr gegenüber ihrem Mann verhielt. Und trotzdem musste er sie noch genauso doll lieben wie sie es tat; wenn er sogar schon Elisabeth und Harry um Rat bat?! Sich an diesen Gedanken klammernd, stieg Jane die Treppen zu ihrem Appartement hinauf. Dort angekommen, war die Wohnungstür halb geöffnet. Unsicher, ob sie nach dem Sicherheitspersonal rufen oder einfach in die Wohnung gehen sollte, entschied sich Jane trotz alledem für Letzteres. Sofort wurde ihr bewusst, dass hier kein Einbruch vorlag. Denn den sonst dunklen Korridor erhellten eine Reihe Teelichter, die auf dem Dielenboden zu einem Pfeil, der nach rechts zeigte, angeordnet waren.

Jane legte ihre Jacke ab und folgte dem Wegweiser.

Rechterhand befand sich ihr Arbeitszimmer. Vorsichtig öffnete sie die Tür. Der Raum war mit lauter roten Rosen übersät. An der Decke hing ein großer roter herzförmiger, mit Helium gefüllter Luftballon und an seiner Strippe hing ein grüner Umschlag. Jane öffnete diesen: So wie Deine Lieblingsblumen, hast auch Du ein paar Dornen. Nur ein guter Gärtner weiß, wie man mit diesen zarten Pflänzchen umgeht, um nicht gestochen zu werden. – Ich war diese Woche kein guter Gärtner und habe somit statt Rosen Disteln gesät. – Bitte folge dem Pfeil.

Jane war zu Tränen gerührt und brauchte einen Moment, ehe sie dem Pfeil aus Teelichtern in das Arbeitszimmer ihres Mannes folgen konnte. Dort angekommen, lagen und hingen Hunderte von perlmuttfarbenen Luftballons im Raum. Mitten unter ihnen lag auf dem Fußboden ein beigefarbener Umschlag. Erneut las Jane die darin enthaltenen Zeilen: Ich habe bei unserer Trauung geschworen, Dich immer auf Wolken zu tragen. – Leider habe ich mich diese Woche nicht an den Schwur gehalten und stattdessen Scherben gesammelt. – Bitte folge dem Pfeil.

Jane fing unweigerlich an zu weinen. Rein zufällig stand griffbereit eine Papiertaschentuchbox auf dem Schreibtisch. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, folgte Jane den Kerzen zurück auf den Flur. Dort wurde sie nun in das Kinderzimmer ihrer Tochter geleitet, die die Woche bei ihren Großeltern, Charles und Camilla, verbrachte. In Marybeth’ Zimmer angelangt, lagen überall verstreut Kuscheltiere. Jane war sich gar nicht bewusst gewesen, dass ihr Kind so viele davon hatte. Als sie jedoch genauer hinsah, wusste sie auch warum: Es waren gar nicht Marybeth’ Kuscheltiere, denn diese Plüschfiguren stellten Tiger, Löwen, Nashörner und sonstige gefährliche Dschungeltiere dar. Am Ende des Kuscheltierdschungels stand die Tür zu ihrem Schlafzimmer offen und im Türrahmen lag ein großes, grünes Krokodil und hielt in seinem Maul einen hellblauen Umschlag fest. Jane atmete tief durch und las im Flüsterton vor sich hin: Egal welcher Gefahr Du auch ausgesetzt sein solltest, ich habe Dir versprochen, Dich mit meinem Leben zu beschützen … – „Und dies werde ich auch weiterhin tun, wenn Du mich lässt?!“, setzte William laut und deutlich den unbeendeten Satz fort.

Jane warf sich prompt in die Arme ihres Mannes und hielt ihn fest an sich gedrückt. „Oh William, es tut mir leid! Es tut mir so leid! Bitte lass uns nie wieder streiten!“, flehte Jane unter Tränen.

William hob seine Frau als Antwort auf die Arme und bettete sie auf eine kuschelweiche, schneeweiße Tagesdecke mitten auf dem großen Ehebett, auf der Hunderte von Rosenblütenblättern einen wunderbaren Duft verströmten. Er legte sich zu ihr und hauchte ihr sanft ein „Ich liebe Dich!“ entgegen, ehe sich endlich ihre Lippen zu einem nicht enden wollenden innigen Kuss fanden.

„Und was stand in dem Brief?“, fragte William zwei Stunden später seine Frau beim romantischen Candle-Light-Dinner in ihrem Wohnzimmer.

„Das willst Du, glaube ich, lieber nicht wissen …“

„Also eine Abfuhr?“

Jane nickte.

„Wie geht es Harry?“

„Den Umständen entsprechend hält er sich ziemlich wacker. Er sagt, er habe wenigstens in dem Sinne noch Glück gehabt, dass sie ja nie zusammen waren.“

„Oh, und das aus seinem Mund, nachdem er uns wochenlang die Nächte geraubt hat?!“

Leicht enttäuscht blickte Jane herüber.

„Verzeihung“, kam es schuldbewusst von William.

„Es liegt wohl eher daran, wie Isabel ihre Worte gewählt hat. Sie hat nichts zu Harry oder über ihn gesagt, sondern ihm lediglich klargemacht, dass sie ihn nicht sehen möchte und er dies doch bitte respektieren soll. Ich glaube, das ist auch das, woran sich Harry krampfhaft festhält. Hätte sie irgendetwas geschrieben wie, dass sie ihn nicht leiden kann oder ihn gar hasst, hätte es Harry wohl mehr getroffen. Aber vielleicht stand er auch nur unter Schock und verarbeitet erst die Nacht den Fakt, dass er von seiner Traumfrau einen Korb bekommen hat.“

„Wollen wir das lieber nicht hoffen …“

Fragend sah Jane herüber. „Wieso? Hast Du Angst, dass er uns wieder einen nächtlichen Besuch abstattet?“

„Das wird diese Nacht ganz bestimmt nicht passieren! Ich habe da eher an Dienstag gedacht. Denn das kann dann noch lustig werden“, erwiderte William.

„Harry hat mir versichert, dass er das auf jeden Fall am Dienstag hinkriegt! Aber wie kommst Du darauf, dass er uns heute Nacht keinen Besuch abstattet?“

„Weil ich ihn eindringlich gestern darum gebeten habe“, gestand William und wurde rot.

Jane fing prompt an zu kichern. „Kann es sein, dass Du heute Nacht noch irgendetwas vorhast?“ William sah mit seinen hellblauen Augen verliebt zu Jane herüber und lächelte beharrlich.

„Wird das eine Drohung?“, neckte Jane ihren Göttergatten.

„Nein, aber ein Versprechen!“, hauchte William Jane entgegen, ehe sich ihre Lippen erneut trafen.

Wie erwartet, musste Harry am kommenden Dienstag bei der Eröffnung des neuen Kinderkrankenhauses mit anwesend sein. Der Queen passte es überhaupt nicht, dass ihr Enkel seit der Trennung von Chelsy vor vier Jahren Single war und daran auch nichts ändern zu wollen schien. Oder besser gesagt, einfach nicht die richtige Frau fürs Leben fand. Somit musste Elisabeth wieder einmal ein wenig nachhelfen und war der Meinung, dass es nunmehr ganz angebracht sei, wenn Harry so oft wie möglich in der Öffentlichkeit repräsentierend auftrat. Dass sein Bruder mit seiner Frau eine Musterehe führte, gab dem Ganzen natürlich noch einen positiven Nebeneffekt und man konnte fast schon annehmen, dass Harry genauso wie William einmal solch ein Musterknabe sein würde, wenn er erst einmal die passende Frau an seine Seite gebracht hatte. Und es wäre doch gelacht, wenn dies nicht durch solche Auftritte, in denen er als kinderlieb und nach dem Wunsch eigene Kinder haben zu wollen, dargestellt werden würde. Es musste doch irgendwo im Land eine Frau geben, die Harry angetan war und ihn als netten Menschen und nicht als reichen Prinzen ansah?!

Leichter gedacht als in der Realität verwirklicht: Mit hängenden Schultern und einem leicht gequälten Lächeln schnitt Harry, gemeinsam mit Jane und William, das rote Band zur Eröffnung des neuen Kinderkrankenhauses durch und während Jane und William sich der Presse stellten, zog sich Harry unbeobachtet in die Kinderspiellandschaft zurück und sah gedankenverloren den kleinen Patienten beim Spielen zu. Doch schon nach kurzer Zeit war sein Geist wieder hellwach, denn plötzlich wurde eine Frau mittleren Alters mit goldblonden Haaren von zwei Pagen auf einer Sänfte hereingetragen. In ihren Händen hielt sie ein dickes Märchenbuch und einen Zauberstab mit einem glitzernden Stern an der Spitze. Jane hatte Misses Canningham ebenfalls entdeckt und sich prompt an ihrem Wasser verschluckt. Besorgt suchte sie nach Harry. Er saß noch immer auf dem Stuhl in der Ecke am Fenster und lauschte der Geschichtenerzählerin andächtig, wie ihre kleinen anderen Zuhörer.

Nachdem Isabels Mutter das Märchen vom Dornröschen beendet hatte, wurde sie wieder von den zwei Pagen hinausgetragen. Harry machte sich kurz darauf auch daran zu gehen. Er war der Ansicht, dass er nun lange genug repräsentiert hatte und sich nun ohne viel Aufsehen zurückziehen konnte. Er ging gemeinsam mit seinem Bodyguard zum Aufzug. Die Türen wollten sich gerade schließen, als jemand seine Hand zwischen die Lichtschranke hielt und die Tür sich wieder öffnete. Harry verdrehte die Augen und der Sicherheitsmann wollte bereits den Störenfried darum bitten, den nächsten Aufzug zu nehmen, als Harry ihn abrupt daran hinderte. Es war Misses Canningham. „Danke, Euer Hoheit, dass ich mit Ihnen im Fahrstuhl mitfahren darf.“

„Keine Ursache“, kam es knapp von Harry.

„Dafür, dass zwischen Ihnen und meiner Tochter alles bereinigt ist, schauen Sie aber ziemlich traurig drein. Geht es Ihnen heute nicht gut?“, begann Misses Canningham freundlich ein Gespräch mit dem Prinzen. Harry lachte hart auf. Prompt wurde aus Misses Canninghams Lächeln ein ernster Gesichtsausdruck. „Meine Tochter hat Ihnen doch aber einen Brief geschrieben, oder etwa nicht?“, fragte Misses Canningham leicht verunsichert.

„Ja, sie hat mir eine schriftliche Antwort zukommen lassen, doch sie fiel nicht gerade rosig aus“, gestand Harry offen.

Isabels Mutter war entsetzt. „Aber …“

„Ja?!“, kam es interessiert von Harry.

„Meine Tochter hat mir erzählt, dass sich zwischen Ihnen alles positiv geklärt hat und Sie nun eine freundschaftliche Beziehung führen.“ Ungläubig hob Harry beide Augenbrauen. „Oder so ähnlich; sie sagte etwas von lockerer Kumpel-Freundschaft … – Nicht?!“, fragte Misses Canningham sichtlich verwirrt.

„Anscheinend hat Ihre Tochter Ihnen etwas anderes erzählt als es der Wahrheit entspricht.“

Misses Canningham schluckte. „Es ist offensichtlich, dass meine Tochter mich angelogen hat! Dafür gibt es auch keine Entschuldigung.“ Lindsay Canningham war nicht nur enttäuscht, sondern auch wütend und zwar nicht auf den Prinzen, sondern auf ihre Tochter! „Und das wird auch noch ein Nachspiel für das Fräulein haben!“

„Bitte, Misses Canningham, tun Sie jetzt nichts Unüberlegtes. Ich denke, Ihre Tochter wollte einfach nur ihre Ruhe vor allen haben und hat deshalb zu dieser kleinen Notlüge gegriffen. Aber seien Sie ihr nicht böse. Ich bin es auch nicht. Es hat halt nicht sein sollen …“

Misses Canningham schnaubte entrüstet. „Meine Tochter kann sich vielleicht viel erlauben, aber nicht alles! Und auch wenn Sie ihr vielleicht nicht böse sind, ich bin es schon! Schließlich haben Sie es ihr ermöglicht, ihren Beruf fortzuführen!“

„Und so sollte es auch bleiben, okay?!“, bat Harry, dem das Thema etwas zu heikel wurde. „Bitte, tun Sie es mir zuliebe; sprechen Sie Isabel nicht auf ihren kleinen Betrug an.“

„Ich kann nichts versprechen! Aber ich denke, ich werde jetzt erst einmal eine kleine Fahrt durch den Park machen und dann habe ich mich hoffentlich wieder beruhigt“, widerstrebte es Isabels Mutter.

„Danke. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag. Ach übrigens, Sie können wunderbar Geschichten erzählen. Man hört Ihnen selbst als Erwachsener gerne zu.“ Prompt wurde Misses Canningham bei diesem Kompliment knallrot. Harry lächelte nur und zog von dannen.

Als Harry am Nachmittag wieder bei sich zu Hause angekommen war, rief er sofort Jane an. Natürlich ging nicht Jane, sondern William ans Telefon: „Na, was willst Du schon wieder von meiner Frau?“

„Sei gegrüßt, Brüderchen. Es geht Dich jedoch überhaupt nichts an, was ich mit Jane zu besprechen habe. Aber sei unbesorgt, es geht diesmal nicht um Dich!“

„Oh, wie komme ich denn zu der Ehre?“, erwiderte William.

„Tja, ich würde sagen, dies hast Du ganz allein Isabel bzw. ihrer Mutter zu verdanken.“

„Die Märchenfee?“

„Du weißt davon?“, fragte Harry.

„Na, hör mal! Es soll auch vorkommen, dass Jane und ich uns ebenfalls unterhalten“, brummte William ins Telefon. „Und was hat nun die Märchenfee oder Isabel getan?“

„Sei nicht so neugierig und gib mir endlich Jane!“, bestimmte Harry.

„Hey, das ist gemein! Ich habe mich doch bei Dir entschuldigt; ich will auch wissen, wenn es etwas Neues gibt!“, beschwerte sich William.

Harry musste unweigerlich lachen. „Du bist aber ein Mann und keine Frau!“

„Brüderchen, ich sehe das jetzt als Beleidigung an; mach so weiter und ich lege gleich wieder auf! Anschließend ziehe ich den Stecker und dann kannst Du mal schauen, wie Du Jane erreichst …“

„Hallo, mein Lieblingsschwager, was gibt’s?“, sagte Jane, nachdem sie William den Hörer entrissen hatte. Beleidigt zog William von dannen. Man konnte ihn im Hintergrund noch meckern hören. Jane lachte. „Na los, erzähl schon, was hat Misses Canningham gemacht?“

„Sie hat mir erzählt, dass Isabel behauptet hat, dass wir alles im Guten bereinigt hätten und nun eine lockere Freundschaft führen würden.“

„Bitte was?!“, platzte es völlig entgeistert aus Jane heraus. Prompt war auch William wieder zur Stelle und drückte einfach auf die Freisprechtaste am Telefon.

„Harry, bitte sei so lieb und sage mir, was Du gerade meiner Frau anvertraut hast, sie starrt nämlich völlig perplex auf den Hörer. – Jane, Du kannst übrigens auflegen …“

„Isabel hat sich eine schöne, unwahre Geschichte ausgedacht, um sich allen unangenehmen Fragen zu entziehen“, sagte Harry völlig ruhig.

„Und nun?!“, kam es gleichzeitig von William und Jane.

„Nichts, und nun. Ich wollte eigentlich nur mitteilen, dass Misses Canningham mächtig sauer wurde bei der Erkenntnis, dass ihre Tochter trotz der durch mich gegebenen Möglichkeit der Fortführung ihres Berufs kein Danke übrig hat.“

„Aber Isabel weiß doch gar nicht, dass Du ihr den neuen Kindergartenplatz ermöglicht hast!“, warf Jane sofort ein.

„Oh!“, kam es von William.

Harry seufzte. „Ich weiß, deshalb hoffe ich, dass Isabels Mutter jetzt nichts Falsches macht …?!“

„Was meinst Du?“, fragte William, der nicht ganz folgen konnte.

„Nun ja, wenn es Knall auf Fall kommt, dann würde sich Isabel womöglich eher noch die Zunge abbeißen, als mir ein Danke entgegenzubringen. Das soll heißen, dass sie gutmöglich ihren Job noch an den Nagel hängt, nur um mir nicht dankbar sein zu müssen.“

„Das Mädel ist doch verrückt! Und in die hast Du Dich verliebt???“, kam es plump von William.

„Wills!“, schrie Jane.

„Was denn? Ist doch wahr! Das Mädel hat voll eine an der Klatsche und Harry ist nicht viel besser!“, verteidigte sich William weiter.

„Danke, Brüderchen, aber soweit ich weiß, hast Du das Ganze verbockt!“ Sofort war William still.

Jane nahm den Hörer wieder in die Hand und unterbrach somit die Freisprechfunktion. William war klar, dass er jetzt nichts zu melden hatte und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück.

„Oh je, ich sehe es schon kommen: Bei Euch ist erneut dicke Luft und alles nur, weil ich Dich jetzt angerufen habe“, jammerte Harry sofort.

„Wills hat sich das selbst eingebrockt! Aber meinst Du wirklich, dass Isabel so schräg drauf ist und ihre Arbeit aufgibt, nur um Dir nicht noch einmal bewusst über den Weg laufen zu müssen?“, fragte Jane.

„Ich weiß es nicht. Aber aus Isabel wird, glaube ich, im Moment niemand so richtig schlau; selbst ihre Mutter war geschockt.“

„Harry, ich habe eine Idee!“, kam es freudig von Jane.

„Jane?! Was hast Du vor???“, kam es prompt von Harry, der diesen euphorischen Klang in Janes Stimme schon gut genug kannte.

„Ehm, das verrate ich nicht. Erst wenn ich weiß, ob es geklappt hat.“

„Jane, mach Du jetzt bitte nicht auch noch irgendwelchen Blödsinn! Denn dann kannst Du Dir nämlich mit William die Hände reichen!“, warnte Harry seine Schwägerin. Doch statt einer weiteren Antwort hängte Jane einfach den Hörer auf die Gabel. Verdutzt starrte Harry sein Telefon an und seufzte tief und lang anhaltend. Das konnte alles nur noch schlimmer statt besser werden! Es war wirklich an der Zeit, dass er sein Leben wieder selbst in die Hände nahm und keinen mehr aus seiner Familie darin herumfuschen ließ! – Nur blöd, dass man Jane eh nie lange böse sein konnte. Und William auch nicht. Es war einfach zu süß, wie sich die beiden immer um ihn sorgten. Noch während dieses Gedankens musste Harry schon wieder schmunzeln: Er war gespannt, was seine Schwägerin jetzt wieder ausheckte …

Harry in love

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