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Kapitel 5

La Verdad, Mai 1939

Es hämmerte an der Tür, und Ricarda, die ins Bett gehen wollte, öffnete unbedarft. Es regnete in Strömen, die Nacht war angebrochen, und ein Unwetter zog auf. Plötzlich war sie wie erstarrt. Das Herz klopfte ihr in der Brust. Ricarda legte eine zitternde Hand an ihre Brust. O Gott. Sie konnte kaum atmen; sie war so erregt von seinem Anblick. Pablo Zafón stand leibhaftig vor ihr. Sie hatte ihn seit Monaten nicht gesehen. Die politischen Umstände und die Arbeit auf der Finca hatten es ihr unmöglich gemacht. Sie wusste von ihrer Freundin, dass auch er Probleme mit Franco hatte und ihm sämtliche Konzerte und öffentliche Auftritte untersagt wurden. Sie stand reglos am oberen Treppenabsatz und blickte mit großen Augen auf ihn herab. Er sah sie an. Ihre Blicke trafen sich.

Endlose Sekunden vergingen. Ricarda wusste nicht, wer zuerst lächelte. Aber sie lächelte und er ebenfalls.

„Sie lassen den Regen rein“, sagte sie mit fester Stimme.

„Tut mir leid.“ Er tastete nach der Tür und ließ sie ins Schloss fallen, sodass das Tosen des Unwetters nur noch als Hintergrundgeräusch auszumachen war.

Er folgte ihr ins Wohnzimmer.

„Sie beweisen großen Mut, einfach so hierherzukommen.“ Ricarda sah ihn an.

Pablo Zafón fuhr sich durchs Haar. „Ich hatte keine andere Wahl.“

„Es gibt immer eine andere Wahl, Señor Zafón“, erwiderte Ricarda kühl, obwohl ihr Herz zu hämmern begann. Sie setzte sich auf das Sofa und wies mit der Hand auf den gegenüberliegenden Sessel. „Und Sie haben sich dafür entschieden, dass ich Ihnen helfen soll.“

Pablo Zafón nickte nur.

Lange schauten sie sich in die Augen. Ricarda konnte nicht anders. Sie fragte sich, wann er sie küssen würde. Er hatte sie schon einmal fast geküsst, an jenem Abend ihres Kennenlernens. Bestimmt würde er sie irgendwann im Laufe dieses Abends so leidenschaftlich umarmen und berühren, wie sie es sich erträumte.

Und sicherlich würde es diesmal ein Anfang sein, der Anfang von etwas Großem und Wundervollem, von etwas unendlich Ergreifendem und Ewigem.

„Was führt Sie auf die Finca?“

„Ihre Freundin, die Herzogin, erwähnte bei einem Besuch, dass Ihr Ehemann kurz vor dem Ende des Bürgerkrieges gefallen ist. Mein aufrichtiges Beileid.“

„Danke. Weiß die Herzogin, dass Sie hier sind, oder hat sie Ihnen geraten, hierherzukommen?“ Ricarda war angespannt.

„Nein. Niemand weiß von meiner Entscheidung, Sie hier aufzusuchen.“ Ricardas Lächeln erlosch. Seines ebenfalls. Ein langer Augenblick verstrich.

Pablo sagte mit gespielter Theatralik: „Haben Sie denn nicht gehört, meine liebe Ricarda, dass ich ein Herz aus Stein habe, ein verdorbener Schurke bin, der sich dem Franco-Regime widersetzt?“

„Sagt man das über Sie?“, japste Ricarda, gespielt entsetzt.

„Ja. Und sie haben nicht unrecht. Franco lässt nach mir suchen und droht mit der öffentlichen Erschießung. Nicht nur mir, sondern allen, die sich seiner Politik in den Weg stellen. Offensichtlich will er …“ Seine braunen Augen bohrten sich in ihre. „Mache ich Ihnen Angst, Ricarda?“

„Nein.“ Ricardas Puls raste. „Sie könnten mich niemals ängstigen. Sie können mich nur faszinieren.“

Er griff nach ihr. „Und Sie faszinieren mich. Ich war hingerissen von Ihnen seit dem Augenblick, als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe. Sie sind so anders als alle anderen. Aber das wissen Sie ja, und Sie sind stolz darauf, und das ist vielleicht das Wunderbarste an Ihnen.“

Ricardas Herz schien stehen bleiben zu wollen. „Sie beschämen mich noch, Verehrtester“, flüsterte sie.

„Das glaube ich nicht. Sie haben mir gefehlt, Ricarda. Ich habe kaum an etwas anderes gedacht seit unserer letzten Begegnung.“ Er sah sie unverhohlen an, und seine Augen wurden überraschend grüner.

Ricardas Herz hüpfte vor Glück. „Ich habe Sie auch vermisst, Don Pablo“, flüsterte sie. „Und ich gestehe, dass auch ich kaum an etwas anderes denken konnte.“

Er starrte sie nur an. Einen Augenblick später riss er sie in seine Arme und presste seinen Mund auf ihren. Ricarda erwiderte seinen Kuss. Sie spürte, wie er sich anspannte, und wusste, dass sie, unglaublich wagemutig, eine Grenze überschritten hatte. Aber dann zog er sie noch enger an sich, schlang die Arme um sie, bog sie hintenüber, jegliches Zögern vergessend. Ricardas Lippen öffneten sich. Ihre Finger gruben sich in seine starken Schultern. Der Kuss dauerte ewig, aber als er vorüber war, schienen nur Sekunden vergangen. Er ließ sie los und trat mit weit aufgerissenen Augen einen Schritt zurück.

Ricarda starrte ihn entsetzt an. Ihr Herz donnerte so heftig, dass sie meinte, er müsse es hören. Nun, zum ersten Mal in ihrem Leben, verstand sie, was Begehren bedeutete. „Heilige María.“

Sie merkte zu spät, dass sie die Worte ausgesprochen hatte, und presste zwei Finger an den Mund.

Er starrte sie wie gebannt an. Schließlich sagte er: „Keine Frau hat mich je so empfinden lassen wie Sie.“

Sie fuhr sich über die Lippen. „Wie meinen Sie das?“

Er sah sie immer noch so an; er konnte die Augen nicht von ihr abwenden. „Sie verfolgen mich, Ricarda, unablässig, Tag und Nacht.“ Nach einer Pause sagte er: „Wir dürfen nie wieder allein miteinander sein.“

„Nein!“ Ihr Aufschrei war heftig, überrascht.

„Wissen Sie, in welche heikle Situation ich Sie mit meiner Anwesenheit bringe? Wie gefährlich es für uns und Ihre Tochter ist?“

Ich werde dir helfen, dachte Ricarda, sagte aber nichts Derartiges. „Uns wird schon etwas einfallen.“

Er rührte sich nicht. „Sie sind eine Frau ganz ohne Hinterlist – eine sehr mutige Frau. Sie bedeuten mir auch sehr viel, Ricarda. Aber wir dürfen unseren Gefühlen keinen freien Lauf lassen. Sie könnten uns ins Unglück stürzen. Wir müssen sehr vorsichtig sein.“

„Warum? Was nützt denn die Vorsicht? Bringt sie Freude, Glück oder Leid?“

In seinen Augen stand ein sehr ernster Ausdruck.

„Sollen wir uns unser Leben lang von einem wie Franco bevormunden lassen?“, rief Ricarda.

„Wenn wir uns unser Leben lang nur darum sorgen, was andere von uns denken, wie, bitte sehr, findet man Glück statt Elend?“ Sie sah ihn flehentlich an. „Mit Ihnen habe ich das Glück gefunden, Pablo. Bitten Sie mich nicht, es wegzuwerfen wegen eines Generalísimo, der unser Land in den Ruin und Verderben treiben wird.“

Er griff nach ihr und zog sie an sich, umarmte sie ohne einen Kuss. Er hielt sie für einen langen Augenblick. „Ich will Sie nicht verletzen“, sagte er.

Ricarda wich zurück, um ihm ins Gesicht zu sehen. „Und wie könnten Sie mich verletzen, Pablo?“

„Indem ich Sie, Ihre Tochter und Ihren Besitz in große Schwierigkeiten bringen werde, wenn man entdeckt, dass Sie mit mir nur allein schon sprechen und mich in Ihr Haus lassen. Ihre Tochter würde in ein Heim kommen, und Sie würde man ebenfalls erschießen.“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ich bin kurz davor, mich in Sie zu verlieben, Ricarda. Vielleicht bin ich schon in Sie verliebt.“ Er schluckte. „Das wäre ein schrecklicher Fehler. Es wäre ein Fehler für uns beide.“

Ricarda entzog sich ihm. „Die Liebe, wenn sie wahrhaftig ist und stark, ist niemals ein Fehler.“

„Sie sind zu romantisch“, sagte er.

„Ja, das bin ich. Auch wenn dieses Land, das ich besitze, keineswegs romantisch ist in diesen Zeiten.“

„Ich werde auf die Flucht gehen. Ich muss mir ein sicheres Versteck suchen, bis ich Spanien verlassen und nach Amerika gehen kann.“

Ricarda stand wie erstarrt. Verzweiflung und Euphorie rangen in ihrem Innern. Er wollte sie, vielleicht liebte er sie sogar, so wie sie ihn liebte, aber es war seine ehrenvolle Pflicht, sie nicht in Gefahr zu bringen. Dann ermahnte sich Ricarda, an die Macht der wahren Liebe zu denken, an das Schicksal zweier füreinander bestimmter Seelen. Sie liebte ihn vom ersten Augenblick, an jenem Abend im Schloss der Herzogin, und sie wusste, dass er sie ebenso leidenschaftlich liebte – selbst jetzt konnte sie es in seinen Augen lesen. Sicher konnte ein einzelner Mann wie Franco, so einflussreich er auch sein mochte, sich nicht zwischen sie drängen. Die Liebe, das wusste Ricarda, würde immer einen Weg finden. „Ich werde Ihnen nicht Lebewohl sagen, wo wir doch gerade erst am Anfang stehen.“

Er lächelte leicht. „Habe ich denn vom Lebewohl gesprochen? Ich kann Ihnen nicht Lebewohl sagen, Ricarda. Vielleicht ist es das, was mich so erschreckt.“

„Mich erschreckt es nicht“, gab Ricarda leise zurück, wieder völlig obenauf.

Seine Augen verdunkelten sich, und er zog sie noch einmal in seine Arme. Dieser Kuss war atemberaubend, so intensiv, dass sie auf die Knie auf die Steinfliesen sanken, wo sie einander umklammert hielten, bis eine knarrende Tür im Obergeschoss sie wieder zur Besinnung brachte.

Ricardas Erbe

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