Читать книгу Ricardas Erbe - Christine Lawens - Страница 9
ОглавлениеKapitel 4
„Was?“
In José Sánchez’ Büro war der Teufel los.
„Was hast du gesagt?“
„Ich habe gesagt, Enrique ist als Verwalter von mir eingestellt worden.“
Als José Sánchez diese Worte aussprach, wurde Carmela erst blass, dann errötete sie heftig. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und ihr Rücken wurde steif. Ihr Haar schien vor Entrüstung zu knistern.
Bald nach dem Mittagessen war sie in das Arbeitszimmer ihres Vaters gerufen worden. Bisher war sie immer in der Lage gewesen, José um den kleinen Finger zu wickeln. Heute Mittag jedoch, als ihre Zukunft von seiner Entscheidung abhing, hatte sie sich der Bürotür voller Furcht genähert.
Noch beunruhigender wurde es, als sie feststellte, dass auch Enrique Zafón anwesend war. Er stand mit dem Rücken zu ihr da und starrte aus dem Fenster. Rauch aus seiner Zigarette kräuselte sich um seinen Kopf.
Bei seinem Anblick wurde Carmela wütend.
„Da bist du ja, Carmela.“ José war auf sie zugegangen und hatte sie liebevoll an die Hand genommen. „Du siehst müde aus. Warum machst du heute Nachmittag nicht einen kleinen Ausflug? Bewege Acado doch etwas.“ Er führte sie zum Ledersofa und setzte sie hin, als sei sie aus kostbarem Kristall.
„Bitte hör auf, mich zu bemuttern“, sagte sie zu ihm und zeigte damit etwas von ihrem früheren Lebensmut. „Ich werde es überleben.“
Zutiefst erleichtert, dass niemand bemerkte, wie sich bei Enriques Anblick ihr Blut in Wallungen setzte, konnte Carmela es sich leisten, ein wenig schnippisch zu sein.
Aber Enrique war immer noch im Zimmer – eine bedrohliche Gegenwart. Sein Umriss gegen das Fenster wirkte hoch aufgeschossen, schlank, schlaksig.
„Enrique wird also ab heute offiziell die Verwaltung übernehmen.“
In diesem Augenblick sprang Carmela vom Sofa hoch, als sei etwas aus den Kissen gefahren und hätte sie gebissen. Sie verlangte, dass José wiederholte, was er gerade gesagt hatte.
Als die Worte auf sie zu wirken begannen, wirbelte sie zu dem Mann herum, der immer noch schweigend am Fenster stand. Er hatte sich nicht gerührt, so als wäre er taub und blind.
Carmela blickte wieder ihrem Vater ins Gesicht. „Du bist der Verwalter. Ich brauche keinen.“
„Aber natürlich“, sagte José in vernünftigem, sachlichem Ton. „Du kannst die Finca nicht allein führen. Ich bin zu alt.“
„Doch!“
„Nein. Und selbst wenn du es könntest, würde ich es nicht zulassen. Du sollst dich ganz auf deine Arbeit als Pferdeheilerin konzentrieren.“
„Es ist doch zu schaffen!“
„Ich weiß, dass es nicht so ist“, sagte José und hob seine Stimme ein wenig. „Also, damit ist das Thema beendet.“
„Nein, ist es nicht, padre.“ Carmela wurde ebenfalls lauter. „Das Land gehört zwar dir. Und ich arbeite an deiner Seite, seit ich denken kann. Alle Entscheidungen haben wir gemeinsam gefällt. Warum jetzt auf diese Weise?“
„Weil ich gewusst habe, wie du reagieren würdest.“
„Das ist nicht fair. Du hättest wenigstens eine Andeutung machen können und mich nicht vor vollendete Tatsachen stellen sollen.“
„Vielleicht hast du recht, aber so ist es nun einmal.“
„Könntet ihr euch bitte beruhigen“, unterbrach Laura die beiden streng, als sie ins Zimmer kam und einiges von der Diskussion mitbekommen hatte. „Hört einander doch zu!“ Carmelas Zorn flaute ein wenig ab, brodelte aber noch, wie bei José, unter der Oberfläche. Carmelas Augen waren genauso hitzig wie Josés, ihr Kinn ebenso störrisch. Beschwichtigend sagte Laura: „Mama, Großvater dachte, du würdest dich freuen. Wolltest du nicht genau das? Mehr Zeit für deine Arbeit haben.“
Carmela warf Enrique einen schnellen Blick zu. Er schaute noch immer zum Fenster hinaus, als nähme er ihre Unterhaltung gar nicht wahr.
„Er kennt sich in der Führung einer Finca sehr gut aus. Er wird sich ausschließlich um die Hirtendressur kümmern. Also meinen Teil übernehmen.“
„Ach komm, padre“, lachte sie, „im Ernst, das willst du ihm überlassen?“
„Das habe ich dir gerade gesagt. Er wird mein Verwalter, und seine Hauptkompetenz liegt bei der Hirtendressur.“
„Das kann doch nicht dein Ernst sein!“
„Und wieso nicht?“
„Weil das dein eigener Job ist! Du warst hier über vierzig Jahre lang der Verwalter! Das ist doch verrückt! Absurd, unmöglich. Du kennst den Mann doch nicht einmal! Verwalter! Du musst völlig übergeschnappt sein!“
„Carmela, so kannst du mit mir nicht reden. Und versuche vor allem nicht, mir vorzuschreiben, wie ich meine Finca führen muss!“ Er sprach sehr ruhig und beherrscht, aber gleichwohl war sein Zorn unüberhörbar.
Sie sah ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und fassungslosem Entsetzen an. Alles in ihr sträubte sich dagegen, sich irgendjemand anderen als ihn, ihren Vater, als Verwalter der Ranch vorzustellen. Sie suchte vergebens nach Worten, aber der Blick ihres Vaters warnte sie davor, noch weitere Bemerkungen zu dem Thema zu machen. Nach einem kurzen Schweigen sprach er weiter, und sein Unmut war bereits verflogen.
„Mein Gott, Carmela, wir können ihn einfach sehr gut gebrauchen. Ich habe schon seit einiger Zeit Mühe, noch alles zu überblicken und mich um alles zu kümmern. Letzten Monat beispielsweise gingen uns gleich zwei Weiden verloren, weil die wilden Disteln und der Bärenklau sie überwuchert hatten. Ich hatte seit Längerem keine Zeit mehr gefunden, sie zu inspizieren, und du hast ja selbst genug um die Ohren. Letzten Freitag habe ich entdeckt, dass zwei Windkrafträder offenbar schon einige Tage ausgefallen waren.“„Es ist nicht so, als hätte ich irgendetwas gegen Enrique. Das ist nicht der Grund“, Carmela befeuchtete nervös ihre Lippen und redete hastig weiter. „Aber warum ihn gleich zum Verwalter machen?“, preschte Carmela vor, die angesichts dieser Liste üblicher Klagen wieder etwas mutiger geworden war.
„Weil er sonst einfach nicht die nötige Autorität gegenüber den Vaqueros hat! Und die braucht er, wenn er sie auf Trab bringen will. Schließlich kommt er doch als völliger Neuling und Fremder an. Außerdem, wo liegt das Problem? Es ist immer noch meine Finca.“
„Niemand redet von einem Problem, padre“, fiel ihm Carmela hastig ins Wort. „Es kommt einfach nur so überraschend.“
Die ganzen Wochen hatte ihr Vater Enrique mit keiner Silbe erwähnt, und dabei hatte er sich doch eindeutig schon für ihn entschieden. Es war also ziemlich klar, dass er es nicht fertiggebracht hatte, es ihr zu erzählen, und er hätte es wohl auch erst getan, wenn der Hornochse schon da gewesen wäre. Er hatte beschlossen, ausgerechnet die Arbeit an einen Fremden abzugeben, die er sein ganzes Leben lang am liebsten selber gemacht hatte.
Der Boss zu sein oder der Besitzer oder wie immer sonst man es nennen mochte, war vielleicht gut genug für die meisten anderen Pferdegestüte und Viehzüchter. Für José Sánchez war es nie ausreichend gewesen. Er war einer, der erst mit den Aufgaben, die eben nur ein Verwalter hat, richtig auflebte. Der bei Sonnenaufgang hinausritt und bis zum Sonnenuntergang seine Anweisungen gab. Der jede, auch die geringste Arbeit auf einer Finca selbst auszuführen imstande war, vom Zaunziehen und -reparieren bis zum Bieten auf einer Pferdeauktion. Der einfach Chef von allem war, unbestritten und absolut, und der stolz war auf sein Land und von früh bis spät praktisch auf dem Pferderücken lebte.
Ein Verwalter, ein Vorarbeiter, das war ein Major inmitten einer Schlacht, die sich seit dem Tag, da ein Mann zum ersten Mal Pferde und Stiere zusammengetrieben hatte, kaum geändert hatte. Er war der Big Boss. Der gab niemals seine Position als Verwalter nur wegen überwucherter Weiden oder defekter Windräder auf! Also was war los? Fühlte er sich schlecht? Müde? Erschöpft? Carmela merkte, wie ihr Herz zu klopfen begann, während sie ihn musterte. Er sah zwar überhaupt nicht danach aus, aber das musste es trotzdem sein! Andernfalls dächte er doch nicht auch nur eine Sekunde daran, diesen Zafón zum Verwalter zu machen! Das ergab alles keinen Sinn. Würde José Sánchez denn wirklich wegen Erschöpfung seine herrschende Stellung aufgeben?
Er schreckte sie aus ihren Gedanken auf. „Das war es, was ich dir mitteilen wollte. So, nun zu dir, Enrique. Wir haben noch nichts von dir gehört. Hast du irgendwelche Pläne, die meiner Tochter nicht passen könnten?“
Enrique Zafón wandte sich langsam um, aber Carmela sah es nicht. Sie ließ den Blick rasch zu Boden sinken. Nur durch schiere Willenskraft verhinderte sie, dass sie bestürzt die Hände rang.
„Ich weiß, was getan werden muss, und kenne meine Aufgaben“, meinte Enrique knapp.
„Carmela auch. Ich denke, wir werden gut zusammenarbeiten.“
Plötzlich wurde Carmela wütend auf ihn. Wieso war er so selbstgefällig? Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein? Sie schaute Enrique an. „Ich weiß nicht, ob er der Richtige ist und die Fähigkeit besitzt, diese Finca zu leiten.“
„Nicht fähig!“, rief Enrique. Sie hatte ihn in seinem Stolz verletzt. Er ging angriffslustig auf sie zu, bis sie beinahe aneinanderstießen. „Ich weiß, wie hart es ist, Gatter zu bauen, Stacheldraht zu ziehen, Heu zu verladen! Du kannst deinen Vater fragen, wie viel Arbeit es kostet, ganz gleich, zu welcher Jahreszeit. Es bricht dir das Kreuz und saugt dir das Mark aus den Knochen. Du bist doch hier geboren.“
Ihre Augen blitzten gefährlich auf. „Ich bin keine Närrin, Enrique Zafón, und ich bitte dich, nicht so mit mir zu reden, als wäre ich eine.“
„In Ordnung, aber dann hör auf anzudeuten, ich würde den ganzen Tag bequem am Schreibtisch sitzen, dir abends Gesellschaft leisten und dich unterhalten, denn so wird es nicht sein.“
„Mich … unterhalten …“, spie sie hervor.
José Sánchez kreuzte die Beine, faltete die Arme über der Brust und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Schreibtisch. Er genoss das Spektakel.
Laura rutschte bequem im Sessel hin und her, als verfolgte sie einen Actionfilm im Kino. Endlich fuhr ihre sonst so warmherzige Mutter mal aus der Haut. Sie war nicht länger die trauernde, heimlich weinende Witwe. Diese Kehrtwendung freute ihre Tochter.
„Ich erwarte nicht, dass irgendjemand mich unterhält!“
„Gut. Nur damit das klar ist.“
„Ich werde meine Arbeit wie immer zufriedenstellend ausführen, und wenn mehr anfällt, werde ich das schon schaffen.“ Mit einer ungeduldigen Kopfbewegung schleuderte Carmela ihre Haare über die Schulter. Sekunden verstrichen, während sie einander anstarrten. Carmela schaute als Erste weg.
„Padre?“
„Ich kann Enriques Argumenten nichts entgegensetzen, Carmela. Es ist zu deinem und meinem Besten. Eure Jobs sind doch genau festgelegt. Es wird nicht viele Gelegenheiten geben, bei denen ihr einander in die Quere kommen könntet.“
Carmela fand die Situation plötzlich belustigend, wagte aber nicht zu lachen. Sie fürchtete, wenn sie anfing, könnte sie nie wieder aufhören. War ein hysterischer Anfall nicht längst überfällig? Welche Wohltat wäre es, zu schreien, zu heulen, die Beherrschung zu verlieren! Sie konnte es einfach nicht wagen, dem nachzugeben, oder sie bekäme sich vielleicht nie wieder in die Gewalt.
Enriques Augen waren ausdruckslos. Was dachte er? Was lauerte in den Tiefen seiner Augen? Was wollte er wirklich?
Carmela reckte ihr Kinn noch ein wenig höher. So sicher wie das Amen in der Kirche würde sie keinerlei Großherzigkeit von einem Vagabunden wie Enrique Zafón akzeptieren. „Ich werde darüber nachdenken und dir Bescheid sagen, padre“, erklärte sie hochnäsig. Mit stolz emporgerecktem Kopf rauschte sie aus dem Zimmer.
Sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, fluchte Enrique ohne Rücksicht auf Lauras Anwesenheit ausgiebig. „Verdammt, José, ich habe dir bei unserem letzten Gespräch bereits gesagt, dass deine Tochter sich mit dieser Idee nicht anfreunden wird. Du hättest sie früher über deine Pläne informieren müssen. Lass uns das Ganze abblasen. Such dir jemand anderen.“
José gluckste. „Sie wird schon noch klein beigeben, Enrique. Sie hängt viel zu sehr an diesem Besitz. Im Moment ist sie einfach nur halsstarrig. Aber tief in ihrem Inneren ist sie der warmherzigste Mensch, den ich kenne.“
„Das stimmt.“ Laura wandte sich ihrem Großvater zu. „Das hat sie von Großmutter. Von dir hat sie die Sturheit geerbt, von ihrem Temperament ganz zu schweigen.“
José Sánchez lächelte zustimmend.
„Enrique, es bleibt alles so wie besprochen. Du hast den Job, und ich vertraue dir. Keine Diskussionen mehr.“
Enrique nickte und sah zu Laura. „Würdest du mit mir einen Rundgang machen?“ „Gerne.“ Laura strahlte über das ganze Gesicht.
Die Reitställe gefielen ihm. Helle, luftige Ställe mit schönen großen Boxen, tadellos gepflegt, eine kleine gedeckte Reitbahn, ein offener Reitplatz, schöne große Koppeln.
Die Gitter waren zur Stallgasse hin nicht hochgezogen, sondern pferdeschulterhoch, und so hatten die Pferde ungehinderten Blick auf alles, was kam, ging und geschah. So konnten sie auch ihre neugierigen Nasen herausstrecken. Die Boxen waren groß und hatten Selbsttränken, kleine runde Schüsselchen mit einer Verschlusskapsel. Wenn die Pferde dagegendrückten, lief Wasser dort hinein. Das ersparte den Pflegern das Eimerschleppen.
Enrique kannte die mittägliche Ruhe in Pferdeställen. Kurz vor der Siesta wurde gefüttert, und anschließend hatte keiner etwas in den Ställen zu suchen, das war Gesetz. Hier hielt man sich anscheinend wirklich daran. Die Pferde standen in ihren Boxen, kauten das letzte Heu vom Mittagsmahl oder dösten vor sich hin. Es roch so gut. Man fühlte sich zu Hause. Nichts auf der ganzen Welt roch besser als ein Pferd. Und ein ganzer Stall von Pferden, das war schlechthin die Vollendung.
Da stand Enrique an der Tür, und auf einmal merkte er, dass er lächelte. Heimatliches, vertrautes Gefühl. Ist es zu glauben, fragte er sich selbst, dass ich so viel Zeit meines Lebens sinnlos verschwendet habe, einfach dadurch, dass ich keine Pferde um mich hatte. Was für ein ungelebtes Leben ist es gewesen! Da hatte er sich herumgeärgert mit allen möglichen blödsinnigen Leuten, mit seiner Arbeit in Anzug und Krawatte. Wegen einer Frau, die ihn in dieses Leben reingedrängt hatte. Es war vorbei, weil er rechtzeitig erkannt hatte, dass man gar nicht glücklich sein kann ohne Pferde.
„Wen reitest du denn besonders gern?“, fragte er Laura, um nicht weiter in der Vergangenheit zu schwelgen.
„Ach, eigentlich alle. Am liebsten vielleicht die Laluna, da drüben, die Schwarze. Ich darf sie nur manchmal reiten. Sie ist noch jung und ziemlich wild. Sie hat mich oft abgeworfen.“
Wie sie das sagte, hörte es sich für Enrique an, als sei es ihr das größte Vergnügen und zudem eine Ehre, von Laluna abgesetzt zu werden.
Dann standen sie im Stall gegenüber bei einem Goldfuchs, und Enrique sagte: „Das ist ein hübscher Bursche. Hast du den auch mal geritten?“
„Einmal. Den reitet nur mein Großvater. Ein sehr gutes Pferd. Er springt fantastisch. Er ist der Beste hier. Acado heißt er.“
„Acado!“, sagte Enrique und kraulte ihn unter dem Stirnhaar.
„Wie viele Pferdepfleger arbeiten hier?“
„Wir haben fünf von ihnen und dann einige Stallburschen“, sagte Laura und lächelte.
„Machen die ihre Arbeit gut?“
„O ja. Sie putzen und füttern, tränken die Pferde mit außerordentlicher Pünktlichkeit. Sie achten darauf, dass nur die sich im Stall aufhalten, die dort etwas zu suchen haben. In unseren Ställen herrscht deshalb Ruhe und Frieden, und die Pferde benehmen sich entsprechend, sie sind ebenfalls ruhig, friedlich und zufrieden. Die Pferde stehen bis zum Bauch im Stroh, nie sind ihre Hufe faul, ihre Augen trüb, ihr Fell stumpf. Es geht ihnen gut.“ Laura war stolz auf ihren Vortrag, das sah Enrique ihr an.
„Deine Führung war toll. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht.“ Enrique zwinkerte ihr zu und reflektierte das, was er gesehen hatte. Er würde einiges ändern müssen. Die Futterpläne würde er morgen überarbeiten, die Koppeln konnten seiner Meinung nach besser genutzt werden. So vieles ging ihm bereits durch den Kopf, als er mit dem Rundgang fertig war. Laura ging bereits zurück zum Haus. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Er wollte alles andere, nur keinen Ärger mit José. Er wusste, es würde ihm nicht leichtfallen, Josés Entscheidungen und Maßnahmen bereits in der ersten Woche zu widersprechen.
Noch mehr Kopfzerbrechen jedoch machte ihm Carmelas undiplomatische Direktheit. Ihr Mut und ihre Konsequenz allerdings imponierten ihm in gleichem Maße, und diese gegenläufigen Empfindungen verwirrten ihn zutiefst.
Enrique blickte zur gegenüberliegenden Koppel. Carmela saß auf dem Zaun, die Stiefel um die mittlere Holzlatte gehakt. Während Enrique auf sie zuging, betrachtete er sie. Carmela war schön. Dieses unbeschreibliche schwarze Haar war zu einem lässigen Pferdeschwanz zurückgebunden. Der Teint, der förmlich danach schrie, liebkost zu werden. Sie war perfekt proportioniert. Es gab kein anderes Wort dafür: perfekt. Nur sie passte nicht in seinen Plan. Enrique stellte sich neben sie an den Zaun und sah zu ihr auf. Ihre Augen waren voller Enttäuschung, und er fragte sich, ob ihr heute bewusst geworden war, dass es keine heile Welt gab.
„Es ist nicht nur meinetwegen, richtig?“ Er hätte sie gern berührt.
Sie schüttelte den Kopf.
„Du bist sauer auf deinen Vater, fühlst dich hintergangen.“ Er machte eine kurze Pause. „Weil du findest, er hätte es mit dir vorher besprechen müssen.“
Carmela nickte heftig.
„Wir werden uns arrangieren müssen, irgendwie. Komm jetzt, lass uns unserer Arbeit nachgehen. Die Pferde warten.“
Sie drehte sich um, hob die Beine über die Latte und sprang neben ihn in den Sand. Er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Ihr Schweigen hielt an, und auch er selbst wusste nichts mehr zu sagen.