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ОглавлениеKapitel 3
La Verdad, April 1939
Man erinnerte sich zurück an den 17. Juli 1936, als sich General Francisco Franco an die Spitze der spanischen Truppen in Marokko stellte. Der Anfang des Spanischen Bürgerkrieges. Die Garnisonen in ganz Andalusien folgten dem marokkanischen Vorbild. Cádiz, Jerez und andere Orte wurden von der Armee besetzt. Sevilla war in den Händen von General Queipo de Llano.
Selbst der Tod konnte die tägliche Routine auf einer Finca nicht erschüttern, ganz gleich, ob es der Tod des Besitzers oder eines Pferdes war. Es war Ende März, und Morgendämmerung hieß Beginnen mit der Versorgung der Tiere, die Ställe mussten gesäubert und die Pferde bewegt werden. Obwohl man sich in den Boxen und auf den Koppeln über den Tod von Diego Alfaro eine Woche vor dem Ende des Krieges unterhielt, blieb der Tagesrhythmus wie immer.
Man musste sich um ein Fohlen mit einem bösen Ekzem kümmern, ein Dreijähriger duldete immer noch keinen Reiter im Sattel, und eine hoffnungsvolle Jungstute sollte erstmals bei einem Rennen starten. So trauerte man um Diego und tauschte Vermutungen aus, während Futterkrippen aufgefüllt und Pferde warm gemacht wurden.
Auf der Finca La Verdad wussten alle, es war nicht das Ende – es war vielmehr erst der Anfang. Wohl hatte die Armee, in der Diego Alfaro diente, in Andalusien gesiegt, doch seine Frau Ricarda mit ihrer vierjährigen Tochter Elena fühlte, dass ihnen ein langer Kampf bevorstehen würde, dessen Ausgang nicht abzusehen war.
Ricarda ging jeden Morgen hinunter zum Fluss, genoss einige Minuten der Stille, während sie das kalte Wasser über ihre Füße rinnen ließ. Sie saß auf einem glatten grauen Stein und ließ das kalte Wasser über ihre Füße laufen. Dabei beobachtete sie, wie die Sonnenstrahlen sich immer näher an die Felsen heranschoben. Sie liebte es, den Sonnenaufgang zu erleben, so wie sie es liebte, über die Ebene zu reiten, eins mit der Natur. Sie genoss es, dazusitzen und die Morgenstille in sich aufzunehmen, um Kraft zu tanken.
Danach machte sie ihren Rundgang auf der Finca. Sie sprach mit ihren Arbeitern, erkundigte sich nach deren Familie und begrüßte die Pferde.
Zum Abschluss besuchte Ricarda ihren Hengst Abanto. Er kam ihr entgegen, wenn sie auf die Koppel zuging, und rieb sein weiches Maul an ihrer Schulter, dabei neugierig nach ihrer Tasche witternd. Ricarda ließ ihn an ihren Händen schnuppern und legte dann ihre flache Hand an den Hals des Tieres.
„Geht es dir gut, mein Schöner?“ Der Andalusier pustete sie an und ließ sich von Ricarda seinen Hals streicheln. Sein Fell war glatt und warm, Ricarda genoss jeden Tag aufs Neue den vertrauten Pferdegeruch und lachte leise auf, als der Hengst ihr mit dem Maul ins Gesicht zu stupsen versuchte. Sie wusste, dass er es mochte, wenn sie vorsichtig seine Mähne kraulte.
„Ich muss jetzt gehen“, sagte sie sanft zu ihrem Pferd. „Ich verspreche dir, dass ich so schnell wie möglich wiederkomme, und dann werden wir ausreiten.“
Behutsam trat sie vom Zaun zurück und registrierte erfreut, dass sie wie jeden Tag Abantos Aufmerksamkeit besaß. Sie waren Seelenverwandte. Vor ihm musste sie nicht ihre Gabe des Pferdeheilens geheim halten. Ricarda dachte daran, wie vielen Pferden sie helfen könnte, wenn sie es hätte öffentlich machen können. Aber daran war überhaupt nicht zu denken, wenn sie nicht in Teufelsküche kommen wollte.
„Mach’s gut“, flüsterte sie und entfernte sich langsam von der Koppel. Als sie, an der Hofeinfahrt angekommen, noch einmal zurückblickte, sah sie den Andalusierhengst immer noch am gleichen Fleck stehen. Er schaute ihr hinterher.
Auf dem Weg zum Haupthaus traf Ricarda ihren Vorarbeiter Salvatore Díez und fragte ihn, ob er zum Mittagsessen käme, um den restlichen Tag zu besprechen. Sie war eine gute Köchin. Trotz des Krieges gab es auf der Finca keine Engpässe. Fleisch, Käse und Obst waren in der Speisekammer immer vorrätig, und Wein hatten sie auch genug. Ihre Frage klang daher fast wie ein Befehl, und Salvatore nickte zustimmend. „Ja, ich komme gern“, sagte er. „Wir müssen auch noch über etwas anderes sprechen.“
Ricarda hatte den Tisch mit Olivenzweigen dekoriert. Es sah hübsch aus und machte den Alltag etwas freudiger.
„Doña Ricarda“, sagte der Vorarbeiter Salvatore Díez während des Mittagessens, „Sie sollten außer Landes mit Ihrer kleinen Tochter. Sie müssen Spanien sofort verlassen.“
Ricarda Alfaro sah ihn ernst an. „Niemals!“
„Dieser Franco wird die Führung durch das rechte Militär an sich reißen. Glauben Sie mir.“
„Wie soll das denn passieren? Im Februar wurde durch eine demokratische Wahl die republikanische Regierung gewählt.“
„Durch einen Staatsstreich vielleicht. Nicht gleich, aber wenn der Bürgerkrieg zu Ende gehen sollte, kann es recht schnell gehen.“ Salvatore sah sie streng an.
„Wir bleiben hier. Ich werde mich von niemandem umstimmen lassen.“
„Es ist nur der Anfang“, beschwor Salvatore sie. „Deutschland und Italien werden Franco unterstützen. Es wird einen langen und blutigen Krieg geben, glauben Sie mir, Doña.“
„Uns allen hier auf der Finca kann nichts passieren. Mein Mann hat mir vor seinem Tod geschrieben, dass die Armee Andalusien hält.“
„Die Republikaner sind im Moment noch nicht einsatzbereit, aber sie haben die Massen hinter sich. Meinen Sie, sie werden über Nacht zu Falangisten, nur weil die Armee die Garnisonen in der Hand hat? Die Linken werden sich organisieren, sie schließen sich jetzt schon zu kleinen Verbänden zusammen, die schnell anwachsen werden, sobald sie genug Waffen erhalten. Die Deutschen haben schon Flugzeuge geschickt.“
„Ach, sollen sie schicken, wen und was sie wollen. Wir werden nicht von hier fortgehen. Wir bleiben!“
„Wie kann ich Sie nur umstimmen? Sie müssen doch einsehen, dass es höchste Zeit ist, das Land zu verlassen. Sie tragen die Verantwortung für Ihre Tochter.“
Ricarda hielt seinem Blick stand. „Soll ich den Kommunisten die Finca überlassen? Meine Mutter und Großmutter haben ihr Vertrauen in mich gesetzt, sie haben mir ihren Besitz zu treuen Händen gegeben. Und nun soll ich fortgehen und alles im Stich lassen? Das ist unmöglich.“
„Natürlich können Sie Ihr eigenes Leben und das Ihrer Tochter und Ihres Mannes aufs Spiel setzen für einen Besitz, den Sie vermutlich verlieren werden. Haben Sie je daran gedacht, dass man Sie töten könnte und Elena einer unsicheren Zukunft entgegensehen muss? Haben Sie sich das einmal klargemacht?“
„Ich habe eine Lösung bereits gefunden. Ich werde mich offiziell zur Franco-Sympathisantin machen. Alle, die hier auf der Finca arbeiten, stehen dadurch unter meinem Schutz. Meine Tochter kann spielen und mit mir am Meer spazieren gehen.“ Von ihrer Natur aus widerstrebte es Ricarda, ihre ablehnende Haltung zu diesem Regime nicht kundtun zu dürfen. Doch das Überleben allein zählte.
Salvatore Díez sah sie an. „Ich gratuliere Ihnen. Dann sind wir schon zu zweit.“
Als Ricarda in die kalte Nacht hinaustrat, waren alle Lichter gelöscht, und sie sah nichts bis auf ein Meer von Sternen. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, blickte auf die Sternenbilder und fühlte sich unendlich klein und unbedeutend. Sie glaubte zu verstehen, was ihr verstorbener Mann gemeint hatte, wenn er behauptet hatte, es gebe keinen Anfang und kein Ende im Universum. Ihr wurde ganz schwindlig vom Hinaufschauen und von den Gedanken, die sie verfolgten.
Sie ging wieder zurück ins Haus. Fast widerwillig war sie dann die knarrende Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer zurückgegangen.
Jetzt stand sie am Fenster, spürte die rauen Holzbretter unter ihren nackten Fußsohlen und blickte auf die geheimnisvoll beleuchtete Landschaft. Die Bäume in der Ferne waren ein undurchdringlicher lila Wall. Im bleichen Schein des Mondes schienen die Wände und Säulen rund um das Haus zu wabern. Etwas Dunkles flitzte durch den Garten und verschwand in der Schwärze des Waldes. Auf einmal sah sie etwas zwischen den Bäumen hervortreten. Dann war es plötzlich verschwunden, wie eine Täuschung. Da waren wieder diese Gedanken, Gedanken an den September in Rhonda vor einem Jahr. Der Ball ihrer Freundin, der Herzogin Luisa Isabel. Kein Verdrängen, kein schlechtes Gewissen, kein Vergessen. Sie ließ den Erinnerungen zum ersten Mal freien Lauf.
Es war ein herrlicher Septemberabend und lag nun acht Monate zurück. Ricarda und die Herzogin Luisa Isabel schritten die Treppe zum Ballsaal hinab. In dem riesigen Raum unter ihnen standen die Gäste in großen, bunt gemischten Gruppen herum, tranken Cava und unterhielten sich mit Freunden und Bekannten. Ricarda trug ihren Kopf hoch erhoben, aber als sie auf das Spektakel blickte, das sie erwartete, bemerkte sie, dass man sich nach ihr umdrehte, dass Damen und Herren zu ihr heraufstarrten, dass sich viele Augenpaare bei ihrem Anblick weiteten. Sie fühlte ein heiteres Lächeln auf ihrem Gesicht. Diese Nacht hatte etwas Magisches, und sie hätte in diesem Moment mit keinem Menschen auf der Welt tauschen mögen.
Ihre Freundin, die Herzogin, und sie hatten fast den Fuß der Treppe erreicht. Ricardas Blick fiel auf den großen, dunkelhaarigen Gentleman, und ihr Lächeln erlosch, sie riss die Augen auf. Sein Blick war so intensiv, dass seine Augen silbrig zu sprühen schienen.
Ricarda erkannte ihn sofort. Es war der berühmte Pianist Pablo Zafón, den sie aus dem Radio und aus der Zeitung kannte. Ihr Herz schlug so schnell und so laut, dass sie dachte, Luisa Isabel müsse es hören. Ricarda konnte den Blick nicht von ihm wenden, nicht einmal um zu sehen, ob ihre Freundin diese Reaktion auf einen Fremden bemerkt hatte.
Ricarda konnte kaum atmen. Es klingelte ihr in den Ohren. Ihr Herz raste. War dies Liebe auf den ersten Blick?
Da lächelte er, nur ganz leicht, und verbeugte sich tief vor ihr. Ricarda schnappte nach Luft, brachte ebenfalls ein Lächeln zustande und hätte sich dann dafür ohrfeigen mögen; sicher sah er deutlich, wie er sie, eine verheiratete Frau und Mutter, durcheinanderbrachte. Eine Frau, deren Mann im Krieg war. Eigentlich müsste sie sich zutiefst schämen. Tat sie aber nicht. Diese männliche Aufmerksamkeit gefiel ihr.
Sie gesellten sich zu den weiteren Gästen, die sich angeregt unterhielten und die Ricarda schon bei früheren Gelegenheiten kennengelernt hatte. Ricarda merkte sehr wohl, dass einige Frauen ihr den Rücken zukehrten, aber das kümmerte sie nicht. Sie wusste, dass manche sie verachteten, da sie bürgerlicher Herkunft war. Auch das kümmerte Ricarda herzlich wenig. Sie riskierte einen Blick über die Schulter. Er sah sie immer noch so gebannt an wie vorhin.
Ricarda schenkte ihm ein kurzes Lächeln. Verdammt! Sie flirtete mit ihm. Sie musste sich zur Ordnung rufen, bevor er sie am Ende verachtete.
Ricarda wandte sich an Luisa Isabel. „Ich gehe kurz in die Garderobe, meine Liebe.“
„Jetzt? Aber du bist doch eben erst gekommen.“ Die Herzogin sah besorgt aus. „Fühlst du dich nicht gut, Ricarda?“
„Wohl kaum“, erwiderte Ricarda. Sie hätte nichts lieber getan, als ihrer Freundin von dem Pianisten zu erzählen, aber irgendetwas hielt sie zurück. „Ich bin gleich wieder da. „ Sie drückte ihre Hand und sauste davon in einem Tempo, das weder vornehm noch damenhaft war.
Im Foyer blieb sie stehen, atmete ein paarmal tief durch und rang nach Fassung. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“
Beim Klang der tiefen, kultivierten Stimme unmittelbar hinter ihr erstarrte Ricarda. Sie wusste, wer es war, obwohl sie noch nie ein Wort gewechselt hatten. Langsam drehte sie sich um.
Dabei blickte sie in das unglaublichste Paar bernsteinfarbene Augen, das sie je gesehen hatte. Sie wurden von langen Wimpern gesäumt. Keiner von ihnen beiden lächelte.
Ein langer, stiller, atemloser Augenblick verstrich.
Er fand als Erster die Sprache wieder. „Ich bitte um Verzeihung.“ Er ließ kurz ein Lächeln aufblitzen und verbeugte sich. „Wir sind einander nicht einmal vorgestellt worden, und ich stelle fest, dass ich mich wirklich wie der sprichwörtliche Trottel benehme.“
Ricarda lachte. „Das kann ich nicht finden, Señor.“
„Nein?“ Er lächelte auch, aber seine blitzenden Augen wichen nicht von ihrem Gesicht. „Ich versichere Ihnen, so ist es. Üblicherweise mangelt es mir weder an Worten noch an Einfällen. Aber Ihre Schönheit hat mir die Sprache geraubt.“
„Sie sind zu gütig“, begann Ricarda und merkte, dass sie selbst sich jetzt wie ein Trottel anhörte.
Er verbeugte sich wieder. „Ich bin Pablo Zafón“, sagte er.
Ricarda streckte die Hand aus. „Ricarda Alfaro, von der Finca La Verdad.“
„Ricarda.“ Sein Blick streifte über das hochgesteckte Haar, während er ihre Hand ergriff und küsste. Der sanfte Druck seiner Lippen war auch durch die zarte Seide ihres Handschuhs deutlich zu spüren.
„Wie gut dieser Name zu Ihnen passt.“
Ricarda lächelte. „Es ist ein recht gewöhnlicher Name.“
„Aber da ist nichts Gewöhnliches an der Dame, die ihn trägt.“ Er lächelte.
Sie wollte schon wieder sagen, er sei zu gütig. Was war bloß los mit ihr? „Danke. Ich bin Ehefrau und Mutter“, sagte sie.
Sein Lächeln erlosch. Er starrte sie an. Einen Moment später sagte er: „Wissen Sie eigentlich, wie viele Damen gerne, heimlich natürlich, in Ihrer Lage wären?“
„Aber ich bin nicht wie andere Damen – wie Sie eben selbst festgestellt haben.“
„Nein, Sie sind ganz und gar nicht wie die anderen, das habe ich in dem Augenblick erkannt, als ich Sie vorhin die Treppe herunterschreiten sah.“
Ricarda errötete. Ihr fehlten die Worte – wo sie doch sonst stets eine schlagfertige Antwort parat hatte. „Vergleichen Sie mich jetzt mit den Unsterblichen, Señor?“ „In der Tat, das tue ich, ohne jede Einschränkung.“
Ricarda verging das Lächeln. Wenn irgendjemand einem Vergleich mit einer Gottheit standhielt, dann war das er und nicht sie.
„Sie sehen bezaubernd aus, wenn Sie erröten“, sagte er mit tiefer, leiser Stimme. Plötzlich ergriff er ihre Hand und drückte seinen Mund wieder gegen ihren Handschuh. Ricardas Herz überschlug sich. Ihre Knie fühlten sich lächerlich weich an. Als er wieder zu ihr aufsah, glänzten seine Augen. „Ich weiß sehr wohl, dass das sehr verwegen ist. Wann darf ich Sie zu einer Spazierfahrt abholen?“
„Morgen?“, sagte Ricarda, und ihr Herz schlug einen weiteren Purzelbaum.
„Morgen wäre wunderbar“, erwiderte er. „Und heute Abend? Werden Sie mir einen Tanz gewähren?“
„Ja“, sagte Ricarda. Sie sah ihm direkt in die Augen. „Nichts wäre mir lieber.“
Sie lächelten sich jetzt beide an wie zwei Vernarrte. Ricarda hätte nicht sagen können, wie lange sie dort standen und einander angrinsten, während er ihre Hand umklammert hielt. Plötzlich bemerkte sie, dass sie nicht allein waren. Damen und Herren gingen im Foyer an ihnen vorbei, und zahlreiche Köpfe wurden verdreht, um einen guten Blick auf sie zu erhaschen. Sie hatte sich so in seiner Anwesenheit verloren, dass sie die herumschlendernden anderen Gäste gar nicht wahrgenommen hatte. Auch er schien wie aus einem Bann zu erwachen und sah sich um. „Wir sind bereits aufgefallen“, bemerkte er trocken.
„Ich falle immer auf“, gab Ricarda ebenso trocken zurück.
„Selbstverständlich. Niemand könnte Sie übersehen, meine Verehrteste.“
Die zärtliche Anrede ließ ihr Herz vor Glück in die Höhe springen und sich dann schwindelerregend wie im freien Fall überschlagen. Ricarda sah in sein umwerfendes Gesicht, seine blitzenden Augen und dachte erstaunt: O Gott, ich habe mich gerade verliebt! „Fühlen Sie sich nicht wohl?“, fragte er.
Sie hatte sich gerade verliebt. Sie starrte ihn an, für einen Moment unfähig zu sprechen. „Doch“, flüsterte sie schließlich. „Es geht mir gut.“ Aber es ging ihr nicht gut. Sie war verblüfft, betäubt, zutiefst lebendig. Sie fühlte sich, als umfinge sie ein magischer Nebel.
Er lächelte und drückte ihre Hand in seinen Händen. „Wir sollten in den Ballsaal zurückkehren, bevor wir zum Gegenstand ausgiebigen Klatsches werden.“
„Ja“, sagte Ricarda, die am liebsten die ganze Nacht dort mit ihm im Foyer stehen wollte. Er nahm sie leicht beim Ellenbogen, doch Ricarda dachte, dass die Berührung auch etwas Besitzergreifendes hatte, während er sie zu dem belebten Ballsaal zurückführte. „Dann bis zu unserem Tanz“, sagte er.
„Bis zum Tanz“, antwortete Ricarda und wusste, dass es ihr endlos erscheinen würde. Sie beobachtete ihn, als er sich ein letztes Mal verbeugte und fortging, um sich einer Gruppe schneidiger Gentlemen seines Alters anzuschließen. Ricarda hatte Luisa Isabel bei einem Grüppchen junger Damen stehen sehen, aber sie machte keine Anstalten, sich zu ihr zu gesellen, denn sie konnte nur Pablo Zafón nachstarren. Großer Gott. Sie hatte nicht gedacht, dass sich die Liebe so anfühlen würde. Sie fühlte sich, als schwebe sie in den Wolken. Sie war so glücklich und so aufgeregt, dass sie es kaum ertragen konnte. Du meine Güte. „Nun, man sieht ja, nach wem sie die Angel ausgeworfen hat.“
Ricarda war es gewohnt, dass hinter ihrem Rücken so laut getratscht wurde, dass sie es hören konnte. Sie straffte die Schultern und wollte gehen.
„Sie hat nicht die leiseste Chance, sich den Pianisten zu angeln. Auch wenn sie frei wäre, würde er niemals so weit unter seinem Stande heiraten, und selbst wenn er das wollte, seine Familie würde dies nicht zulassen.“
Ricarda drehte sich um und stand vor zwei schwerfälligen älteren Damen, die wie ein Weihnachtsbaum mit Diamanten behängt waren. „Wer ist Zafón?“, fragte sie barsch, plötzlich von Hysterie erfasst.
„Zafón?“ Die weißhaarige Dame lächelte sie an. „Nun, er ist einer der begnadetsten Pianisten unseres Landes, meine Liebe. Spielte bereits bei unserem Regierungschef Manuel Azaña. Wurden Sie einander nicht vorgestellt?“
Ricarda starrte sie blicklos an. Ihr Herz schlug ohrenbetäubend. Sie war verheiratet und hatte sich nach keinem fremden Mann umzusehen. Sie hatte sich nur amüsiert, es ist nichts passiert, und doch glaubte sie an die einzige wahre Liebe, und sie hatte soeben gefunden, wonach sie ihr ganzes Leben lang gesucht hatte.
Ricarda wandte sich beschämt um.
Pablo beobachtete sie, und er wusste offenbar, dass etwas nicht stimmte. Sein Blick war besorgt und fragend.
Und wenn ihr Leben davon abgehangen hätte, Ricarda hätte nicht lächeln können. Aber sie konnte auch nicht mehr von dem Abgrund zurücktreten, an dem sie jetzt stand. So verlangte es ihr Herz.