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Kapitel 7

La Verdad, Mai 1939

Das Kind litt an der Morbus Krupp genannten Krankheit mit ganz plötzlichen Anfällen von Atemnot und Keuchhusten, einem trockenen, hundeartigen Bellen, dem ein verzweifeltes Ringen nach Atem folgte. Das einzige Mittel dagegen waren Dampfinhalationen, bis sich der Atemkrampf wieder löste.

Doktor Ayala, der als bester Kinderarzt Andalusiens galt, untersuchte Elena und befand sie in jeder Hinsicht für in Ordnung.

„Machen Sie sich wegen des Krupps nicht allzu viele Sorgen, Doña Alfaro“, erklärte er. „Weder ich noch Sie können irgendetwas über das hinaus tun, was Sie ohnehin tun. Ich verspreche Ihnen, unsere junge Dame hier wird mit der Zeit diesem Zustand ganz von selbst entwachsen. Es gibt eine Theorie, wonach diese Krankheit durch einen zu kurzen Hals des Babys verursacht wird. Sobald sich das ausgewachsen hat – und das tut es mit dem fortschreitenden Wachstum automatisch – , erledigt sich das mit den Anfällen ganz von selbst. Bis dahin lassen Sie einfach stets drei Tage lang nach jedem Anfall ständig einen kochenden Wasserkessel in ihrem Zimmer. Und rufen Sie mich jederzeit, wenn Sie mich brauchen.“

Er ahnte bereits, dass Elena ihrer Mutter Tage und Nächte voller quälender Sorgen bereiten würde. Im Stillen fragte er sich, ob Doña Alfaro mit den gewaltigen Schwierigkeiten, die auf ihren Schultern lasteten, fertigwerden würde. Diese bemerkenswerte Frau hatte wirklich genug Sorgen mit den ständigen Anfällen ihres kranken Kindes.

Ricarda schlief im ersten Jahr nach dem Auftreten der Krankheit kaum jemals länger als eine oder zwei Stunden ohne Unterbrechung. Ständig wachte sie nachts auf, um besorgt auf Elenas Atem zu lauschen, und fühlte sich erst imstande, in das leere Ehebett zurückzukehren, wenn sie mindestens eine halbe Stunde lang am Bett des Kindes seinen Schlaf bewacht hatte. Trotz der Krankheit wuchs Elena zu einer seltenen und unübersehbaren Schönheit heran – einer Schönheit, die schon von Anfang an gar nichts Kindliches an sich hatte. So außergewöhnlich diese Schönheit war, so wenig Anlass hatte Ricarda, sich endlich zu entspannen, nach wie vor war ihr Kind durch diesen plötzlich auftretenden keuchenden Husten gefährdet.

Pablo sah Ricarda entsetzt an, löste sich aus der Umarmung und stand auf. „Was war das?“ „Meine Tochter Elena. Durch ihre Krankheit wacht sie oft nachts auf.“

Pablo gab ihr erleichtert die Hand und half ihr beim Aufstehen. „Ich muss nach ihr sehen, und Sie rühren sich nicht von der Stelle.“

Als Ricarda die Treppe nach oben kam, sah sie bereits ihre Tochter im Türrahmen stehen. „Was ist denn, mein kleiner Schatz? Hat dich dein Husten wieder geweckt? Komm, Mami wird dir etwas Balsam auf die Brust tun, und dann kannst du wieder schlafen.“

Elena nickte und machte dabei ein ernstes Gesicht.

Ricarda nahm die Emulsion, die sie selbst hergestellt hatte, und rieb ihre Tochter damit ein. Dann deckte sie die Kleine zu und drückte ihr einen Kuss aufs Haar und dann auf die Wange. „Kann ich zu dir ins Bett?“ Elena fragte das mit hoffnungsvoller Miene, und Ricarda schlug lächelnd die Decke zurück.

„Wenn du möchtest. Nur Mami kommt erst später nach. Ich habe noch viel zu tun.“

Elena stand auf und folgte ihrer Mutter in deren Schlafzimmer. Dort erzählte Ricarda ihrer Tochter eine kleine Geschichte, bis Elena eingeschlafen war, nachdem sie noch einmal die Augen geöffnet und ihrer Mutter zugelächelt hatte.

Nun konnte Ricarda sich ihrem geheimen Besuch widmen. Als sie die Treppe herunterkam, stand Pablo noch immer an der gleichen Stelle im Zimmer.

Ricarda ging mit ihm zum anderen Ende des Wohnzimmers.

Sie öffnete eine Tür, die aussah, als gehöre sie zu einem Schrank, und trat in den verborgenen Korridor, die geheime Welt des ehemaligen Klosters.

Sie zündete zwei Kerzen an und machte Pablo ein Zeichen, ihr zu folgen. Es schien, als stiegen sie in eine Unterwelt. Pablo blieb nach einigen Schritten kurz stehen, sah hinter sich und hätte nicht einmal ungefähr sagen können, in welcher Richtung der Eingang war. Die riesige Größe der Katakomben hier unten hatte ihm die Sprache verschlagen. Er fröstelte leicht und folgte Ricarda, die auf die Mauer deutete, während sie auf eine bestimmte Stelle drückte, die sich in nichts von irgendeiner anderen unterschied, außer dass dort ein kaum sichtbarer Kratzer war. Wie durch Zauberhand öffnete sich die Mauer. Ein verborgenes Scharnier mit einem Metallschloss kam zum Vorschein. Ricarda suchte aus ihrem Bund einen kleinen Schlüssel heraus und öffnete mit ihm das Schloss und damit eine massive Kalksteintür, hinter der absolut rabenschwarze Dunkelheit herrschte. Sie ging voraus und zündete mit ihrer Kerze andere in mehreren Laternen an. Vor ihnen lag das Dormitorium, in dem zwei Feldbetten standen.

„Hier können Sie bleiben. Niemand wird es bemerken.“

Die schwache Beleuchtung verhinderte, dass Pablo in die Tiefen ihrer Augen blicken konnte, aber das leichte, langsame Flattern ihrer Augenlider unter den aufwärtsstrebenden Brauenbögen, wenn sie sprach, verlieh allem eine geheimnisvolle Bedeutung. Sie war, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, nach wie vor in keiner Weise gezähmt, sondern schien jetzt das Gefäß für eine erstaunliche geistige Unabhängigkeit, Freiheit und Haltung zu sein, die mit dazu beitrugen, dass Ricarda in ihrem totalen Mangel an Konventionalität etwas Außergewöhnliches, Adeliges besaß. Auch in ihrem Gespräch im Wohnzimmer fiel Pablo Ricardas lebhafte, unbeengte Intelligenz auf, die ihr eine innere Leichtigkeit und Harmonie verlieh.

„Wer sind Sie eigentlich?“, hörte er sich plötzlich fragen.

„Was meinen Sie damit?“, sagte Ricarda, obschon sie oder zumindest das pulsierende Blut in ihren Adern sehr gut wusste, was er meinte.

„Sie sind jemand anderes. Sie sind in Wirklichkeit eine andere Frau als die bekannte Witwe der Finca La Verdad. Sagen Sie mir, wer Sie wirklich sind.“

Ricarda bedachte ihre Antwort, während sie ihm das Feldbett zurecht machte.

Dieser Mann, dieser Fremde, ungeachtet dessen, was sie über seinen Mut, seine Ruhe und Ausdauer wusste, dieser zumindest fast fremde Pablo Zafón weckte eine Furchtlosigkeit in ihr und ein seltsam intensives Bedürfnis – nahezu Hunger –, mit ihm über sich zu sprechen. Sie verspürte fast eine Art Zwang, sich seinem Drängen zu ergeben. Sie wusste plötzlich, dass sie ihm vertraute – so sehr sogar, dass es sie fast erschreckte. Sie kannte ihn doch kaum, wusste nichts von ihm. Aber da war schließlich dieser gemeinsame Abend in jenem Ballsaal, und der schien jetzt ganz von selbst ein so starkes Band zwischen ihnen zu sein, schien ihn ihr so vertraut zu machen, dass es keinen Sinn mehr machte, sich hinter einer Identität zu verbergen. „Ich bin nur die Freundin der Herzogin. Ich stamme nicht aus diesem Milieu, und deshalb rümpft man über mich die Nase. Außerdem bin ich eine Pferdeheilerin.“ Der Hauch eines Lächelns huschte über ihr Gesicht.

„Eine Pferdeheilerin.“ Er sah sie an und verspürte einen kaum bezähmbaren Zwang, in ihr Haar zu fassen, es zu lösen und es ihr aus der Stirn zu streichen, um zu sehen, wie sie morgens beim Erwachen aussähe.

„Augenblick mal, Don Zafón, Sie nehmen mich nicht ernst, nicht wahr?“

„Aber selbstverständlich.“

„Nun, ich glaube es nicht“, meinte Ricarda nach einer längeren Pause. An ihrem Hals war deutlich das Pulsieren ihrer Schlagader zu erkennen.

„Ich schwöre es, ich nehme Sie ernst“, bekräftigte er, „und das wissen Sie auch ganz genau. Kommen Sie, geben Sie mir Ihre Hand, ich möchte sie halten.“

„Warum wollen Sie meine Hand halten?“ Ihre Lippen öffneten sich etwas, ihre Augen waren fast geschlossen. Eine Welle von Gefühl brandete über sie hinweg und raubte ihr fast den Atem, lähmte sie geradezu, während sie darauf wartete, dass er weitersprach. Er hatte sie völlig überrascht mit seiner Direktheit, seiner offenen Eindringlichkeit. So etwas hatte sie nicht mehr gespürt, seit sie ... Ja, seit wann eigentlich nicht mehr? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Ricarda fühlte nur einen schwindelnden Taumel über sich kommen, der die Klostermauern zurückweichen ließ wie den verlöschenden Hintergrund in einem dunklen Theater.

„Das wissen Sie ganz genau. Ganz genau, Doña Ricarda.“

„Sie sind nicht schlecht im Kommandieren“, sagte Ricarda mit dem letzten Rest von Widerstand, den sie noch besaß.

„Sie haben viel Zeit, sich daran zu gewöhnen.“

„Wie lange?“, flüsterte sie.

„Das ganze Leben“, sagte er, während er ihre zitternden Hände nahm und sie an seine Lippen führte. „Ich verspreche Ihnen ein ganzes Leben.“

Ricardas Erbe

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