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Kapitel 7
Das Leben könnte so schön sein

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Ein wesentlicher Vorteil, mitten in der Stadt zu wohnen, ist, dass man aus dem Haus gehen kann und wenige Minuten später das Haus mit einer Tüte frischer Brötchen unter dem Arm wieder betritt. Ich lege die Norah Jones CD mit dem Lied ›Sunrise‹ ein und decke den kleinen Tisch auf dem Balkon, bevor ich Nini wecke. Ein ganzer herrlicher, sonniger Tag wartet auf uns, und am Abend werde ich meinen Liebsten treffen und mit ihm irgendwo romantisch zu Abend essen.

Nini hat auch gute Laune und verschwindet nach dem Frühstück und einigen SMS ins Bad. Offenbar will sie sich mit Marcus treffen. Ich beschließe, die Sonne auf dem Balkon noch ein wenig zu genießen, um dort für meine Mutter die Briefe aus Amerika zu übersetzen, und danach ein wenig in die Stadt zu gehen. Wie mir scheint, hat meine Mama mir nur Auszüge der Briefe mitgegeben, denn zusammen ergibt es irgendwie so gar keinen Sinn. Im Wesentlichen spricht ihr Steve immer wieder davon, wie gut es ihm in Deutschland gefallen hat, wie freundlich wir Deutschen seien, wie gut ihm meine Mutter gefällt und so weiter. Angeblich ist sein Leben ausgefüllt mit seiner Arbeit, seinen Freunden und Aufgaben in der Kirche, mit der Familie seiner Tochter und seinem Garten, aber er vermisst jemanden, der seine Freizeit und sein Leben teilt. Ha. Ob das ausgerechnet meine Mutter sein muss? Ich meine, gibt es in Amerika nicht genug Frauen? So schlecht sieht er doch gar nicht aus. Ich bin misstrauisch. So eine Brieffreundschaft ist ja schön und gut, aber mehr kann doch daraus nicht werden, oder? Erst kürzlich habe ich gelesen, dass man vorsichtig sein soll mit diesen ganzen Internetbekanntschaften, und das ist schließlich so was Ähnliches. Im Grunde können einem die Typen sonst was erzählen, und dann sitzen sie vielleicht im Knast, während sie von ihrem Garten schwärmen, oder hängen zu Hause rum und haben gerade die letzte Brieffreundin zersägt, im Garten verscharrt oder in die Wand einzementiert. Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass ich heute unbedingt in ›Monis Bücherstube‹ reinschauen muss, um mir einen Krimi zu holen.

Da ich keine Lust auf großes Styling habe (das kann ich heute Abend zur Genüge tun), bleibe ich in meinen Jeans und der weißen Baumwollbluse und schiebe lediglich ein rotes Haarband in die Locken. Ein wenig Lippenstift und fertig. Ich wünsche Nini viel Spaß mit Marcus und marschiere los.

Unglaublich, was an einem Samstagmittag in unserer kleinen Stadt los ist. Das schöne Wetter hat Einheimische wie Touristen gleichermaßen herausgelockt, und ich bin froh, dass ich keinen Parkplatz suchen muss. Ich gehe über den Markt und freue mich über die vielen bunten Farben der Blumen- und Obststände. Natürlich kann ich nicht widerstehen und gönne mir einen bunten Bauernblumenstrauß, bestehend aus Grasnelken, Tränenden Herzen, Flieder und Akeleien. Wie die duften! Moment mal, ist das nicht Irma? Na klar, das ist unverkennbar der federnde Gang unserer ›Büromaus‹. (Herrn Aschenbrenners Ausdruck, nicht meiner.)

»Hallo, Irma.«

Offenbar hat sie sich mal wieder eine neue Haarfarbe zugelegt. Das macht sie andauernd, und ich frage mich, wie ihre Haare das aushalten. Diesmal sind sie rotblond, vorgestern waren sie noch tizianrot. Und davor dunkelbraun. Aber das gefiel mir nicht so an ihr, damit sah sie zu streng aus. Das Rotblonde passt wirklich gut zu ihrem Typ mit der blassen Haut. Anscheinend freut sie sich, mich zu sehen, denn sie fragt, ob wir einen Kaffee trinken gehen sollen. Ich verneine, denn den hatte ich ja gerade, und nachdem sie mir erzählt hat, dass sie gestern tatsächlich ein bisschen ›unpässlich‹ war, wünschen wir uns ein schönes Wochenende und gehen weiter. Mist, jetzt habe ich doch tatsächlich vergessen zu fragen, ob sie das Exposé für die Rütlis abgeschickt hat. Na, das kann ich ja am Montag im Büro noch machen. Auf dem Weg zu Monis Bücherstube komme ich an einem kleinen Geschäft vorbei, das neu aufgemacht zu haben scheint. Mein Blick bleibt am Schaufenster hängen, das sehr hübsch mit besonderen Dingen dekoriert ist. Schöne Taschen, tolle Schuhe, hübsche Ketten. Aber das Allerschönste im Fenster ist ein grünes Kleid, welches auf einer Schaufensterpuppe dekoriert ist. Es ist tief ausgeschnitten, aber nicht zu tief, ärmellos, und changiert in verschiedenen Grüntönen, von hell über oliv zu ganz dunklem Grün. In der Taille wird es ganz schmal mit einem breiten Band nach hinten gebunden, und der Rock fällt glockig bis knapp zum Knie. Es ist einfach nur schön. Doch bevor ich mir überlegen kann, ob ich die knapp 100 Euro dafür auf dem Konto habe bzw. etwas Unüberlegtes tun kann, entdecke ich, dass sie bereits geschlossen haben. Schicksal. Also soll es nicht sein, schade – dies wäre mal ein Kleid, um die Römfeld-Damen angemessen zu beeindrucken, ganz zu schweigen von Leon. Nachdem ich viel Zeit in der Bücherstube verbracht habe und ein bisschen durch die Stadt und am See entlanggebummelt bin, rufe ich Eva an und frage sie, ob sie mir heute noch die Haare machen kann. Sie kann. Und ich freue mich fast ebenso sehr, sie wiederzusehen, wie auf meinen Liebsten.

Da Nini noch nicht wieder zu Hause ist, muss ich mein heutiges Outfit selbst zusammenstellen. Na gut, heute ist das nicht ganz so kompliziert, schließlich muss ich keine Konkurrenz fürchten, hoffe ich wenigstens. Ich entscheide mich für das pinkfarbene Top, das mir meine Freundin Carol aus London zum letzten Geburtstag geschickt hat, und eine gut sitzende schwarze Hose. Mit einem Paar schwarzen Lackpumps dürfte das elegant, aber nicht zu aufgestylt wirken, also genau richtig für Leon. Carol und ich sind schon viele Jahre befreundet, genau genommen, seit ich mit 17 auf Klassenfahrt in London und Carols Familie meine Gastfamilie war. Sie war die Tochter des Hauses und wir mochten uns auf Anhieb. Seitdem haben wir uns immer geschrieben und gegenseitig besucht. Inzwischen ist Carol mit einem wunderbaren Mann namens Peter verheiratet und eine erfolgreiche Innenarchitektin. Sie ist Ninis Patentante, aber sie selbst hat keine Kinder. Ob sie keine bekommen kann oder die Karriere für sie immer im Vordergrund stand, weiß ich nicht. Obwohl wir wirklich gut befreundet sind, habe ich mich nie getraut, sie auf dieses Thema anzusprechen. Und sie selbst hat nie damit angefangen. Ich mag sie sehr, nicht zuletzt wegen ihres unglaublichen Humors, und jedes Mal lassen wir unseren Einkaufsbummel in einem gemütlichen Pub ausklingen. Wenn sie in Deutschland ist, genießt sie das beschauliche Leben am See, für sie der perfekte Ausgleich zu ihrem hektischen Großstadtleben. Obwohl Carol und ihr Mann Peter eine tolle Wohnung in Queensgate in London besitzen, macht es ihr überhaupt nichts aus, auf dem lila Sofa zu schlafen, wenn sie mich besucht. Zu Weihnachten und unseren Geburtstagen schicken wir uns immer eine Kleinigkeit, und ich freue mich über ein modisches Top oder Modeschmuck aus der Modestadt London. Das Schöne ist, dass diese Dinge hier wirklich niemand hat und darum auch keiner den Preis kennt.

Während ich noch nach einer Kette suche, klingelt es bereits und Eva steht draußen. Sie umarmt mich herzlich zur Begrüßung und stellt ihren Friseurkoffer ab.

»Na, heute großes Super-Styling oder einfach so?«, fragt sie.

»Sowohl als auch«, antworte ich und schon habe ich ihr von meinem Date mit Leon und meiner Angst vor der Marketing-Frau Anouk erzählt. Hatte ich gehofft, sie würde meine Zweifel zerstreuen und mir ein wenig Stärke geben, so werde ich enttäuscht. Sie runzelt die Stirn, und während sie ihr Glätteisen und ein neues ›Seidentraum‹-Shampoo auspackt, sagt sie: »Männer. Denen kann man doch nicht trauen.« Was seltsam ist, denn normalerweise schwärmt sie in den höchsten Tönen von ihrem Herzallerliebsten. Der ist wirklich ein Schatz. Aber heute ist sie so ganz anders drauf.

»Erst erzählen sie dir den ganzen Schmus von Liebe und so, und wenn sie dich an der Angel haben, bist du für sie uninteressant.«

Auweia! Es scheint ernst zu sein. Solche Worte habe ich noch nie aus ihrem Mund gehört. Normalerweise redet sie mir immer zu, wenn es um Leon geht, und meint, ich solle doch mal etwas riskieren, sonst würde ich noch eine ›alte Jungfer‹. (Das meint sie natürlich nur im Spaß.) Ich pfeife heute auf das Haarstyling und hole stattdessen zwei Gläser Prosecco und den Rest Schokokuchen aus der Küche.

»Was ist denn los?«, frage ich sie, die sonst immer gut gelaunt ist.

»Ach, der Mistkerl«, schnieft sie.

»Bei uns tut er immer so harmlos. Der brave Familienpapi geht mit seinen Töchtern Rad fahren, Ski fahren und Schwimmen. Und mit der ganzen Familie in den Freizeitpark. Und dann geht er in sein Büro und schreibt anderen Frauen E-Mails.«

Das glaube ich jetzt nicht. Ich bin echt geschockt. Der brave Tim. Was soll ich sagen? Ich nehme sie in den Arm.

»Bist du sicher?«, frage ich sie. »Ich meine, das kann doch nur ein Irrtum sein.«

Sie sieht mich mit ihren großen Augen an. Mit Ende 30 ist sie immer noch eine hübsche und gepflegte Frau. Mit ihrem blonden Stufenschnitt und der sportlichen Figur sieht sie viel jünger aus, als sie ist. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Tim andere Frauen ihr vorzieht.

»Ich hab das zufällig herausgefunden«, sagt sie, die eigentlich nie am Computer ist.

»Ich wollte was im Internet nachsehen, und da waren noch ein paar Seiten offen …, und da habe ich ein bisschen nachgeforscht und lauter E-Mails von Frauen gefunden, Barbara und Simone und so weiter. Immer so tolle Sachen wie ›Wär’ schön, wenn ich jetzt bei dir wäre‹ und so.«

Auf einmal fängt sie an zu weinen. Mein Gott. Dieser Mistkerl. Ich bin so wütend, dass ich spontan sage: »Jag ihn zum Teufel!« Aber natürlich wünsche ich mir, dass alles ein Irrtum ist und die heile Welt der lieben Familie meiner Freundin wieder in Ordnung kommt. Habe ich es nicht gesagt? Das Internet. Und diese Mails. Wer weiß, ob Steve nicht auch so ein Ehekrüppel ist, der flammende Briefe schreibt, während seine Frau gerade Marmelade einkocht?

Natürlich dauert es einige Zeit, bis ich Eva getröstet habe, und wir können das Haareglätten heute vergessen. Aber es ist mir einfach wichtiger, für meine Freundin, die heute total durch den Wind ist, da zu sein. Nach ein paar Gläschen Prosecco geht es ihr schon deutlich besser, und sie verspricht, nicht mehr allzu traurig zu sein. Trotzdem biete ich ihr an, den Abend mit Leon abzusagen, um sie ein bisschen abzulenken. Eva freut sich darüber, lehnt aber ab, weil sie ihren Mädels versprochen hat, mit ihnen ins Kino zu gehen. Da sie nicht mehr fahren sollte (sie hat fast die ganze Flasche Prosecco alleine getrunken, denn ich muss ja fit für Leon sein), fahre ich sie schnell zu ihrer Schwester, bei der sie und die Mädels das Wochenende verbringen. Wenigstens können sie von dort zum Kino laufen. Ich drücke sie zum Abschied ganz fest und frage sie: »Wirklich alles in Ordnung, Süße? Du wirst doch keinen Blödsinn machen?«

»Nein, nichts ist in Ordnung«, antwortet sie aufgebracht. »Unser ganzes Leben hat dieser Idiot kaputt gemacht. Aber keine Angst, ich lasse mir das von ihm nicht zerstören. Schließlich bin ich das den Mädels schuldig. Wir kommen auch alleine klar. Soll er doch zu seinen Barbaras und Simones, und wie sie alle heißen, gehen. Ich hab ihm gesagt, ich brauche mal eine Auszeit. Und dann werden wir weitersehen.«

Das klingt nach meiner Freundin. Schon immer hat sie sich nichts gefallen lassen. Vorsichtshalber erwähne ich noch mal, dass sie mich jederzeit, auch nachts, erreichen kann. Und nichts überstürzen soll. Manchmal werden die Dinge einfach nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht werden. Ich fasse es immer noch nicht. Der brave Tim. Vorbild für alle Familienväter, von der Geburtsvorbereitungsgruppe bis zum Elternbeirat. Ist es wirklich möglich, dass er ihr die ganze Zeit was vorgemacht hat? Der Abstand wird ihnen jedenfalls guttun. Und finanziell auf ihn angewiesen ist sie ja nicht, das ist ein Riesenvorteil. Nur für die Mädels tut es mir leid. Mit ihren zehn und zwölf Jahren sind sie ja nicht mehr so klein, dass sie nichts mitbekommen, aber auch nicht so groß, dass es ihnen nichts ausmachen würde. Ich hoffe wirklich, dass sich alles als ein großer Irrtum herausstellt.

Wieder einmal ist nichts daraus geworden, mich in Ruhe schön zu machen, und ich rase mit Vollgas durch das Bad und ziehe mich in Windeseile an. Leon ist nämlich nicht nur selbst ein superpünktlicher Mensch, er erwartet das auch von anderen.

Und deshalb klingelt er Punkt sieben, als ich mir noch den pinken Nagellack trockenpuste. Ich denke an das Model aus dem Werbespot für diesen Expressnagellack. Natürlich ist sie bereits perfekt geschminkt und gefönt und lackiert sich schnell mal eben die Nägel, bevor sie in der nächsten Sekunde das Taxi besteigt, welches sie gerade noch rechtzeitig zum Flughafen bringt. Bei mir klappt das nie, wenn ich es eilig habe. Entweder sind alle Nägel verschmiert oder der Nagellack klebt bestenfalls an der Strumpfhose, schlimmstenfalls in den Haaren, die auch noch gefönt werden müssen. Aber heute bin ich so gut wie fertig und es kann losgehen. Bin gespannt, wo wir hinfahren.

Butterblumenträume

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