Читать книгу Butterblumenträume - Christine Rath - Страница 7

Kapitel 2
Das Weingut

Оглавление

Eigentlich liebe ich Modenschauen, und könnte ich mit Nini gehen, wäre das sicher eine Supersache. Normalerweise freue ich mich auf einen Abend mit meinem Herzallerliebsten, aber heute kann ich das beim besten Willen nicht. Ich weiß nämlich, dass seine ganze Familie dabei sein wird, und diese Vorstellung verursacht mir eine Gänsehaut. Leon und ich sind seit drei Jahren zusammen, und noch immer haben sie nicht akzeptiert, dass ich seine Freundin bin. Leon ist 42 und quasi der Thronfolger eines der größten Weingüter hier am Bodensee. Er war ein paar Jahre mit einer ›Weinkönigin‹ verheiratet und hat seit seiner Scheidung mehr oder weniger à la carte gelebt, bevor wir beide uns – natürlich auf einem Weinfest – kennenlernten. Für seine Familie bin ich als alleinerziehende Mutter natürlich nicht standesgemäß, ganz zu schweigen davon, dass seine Exfrau Lisa die absolute Traum-Schwiegertochter für seine Mutter Katharina war.

Ich verstehe durchaus, dass sie stolz auf ihren Betrieb sind. Das alte Weingut mit einem traumhaften Seeblick liegt nämlich völlig allein inmitten von Weinbergen zwischen Hagnau und Meersburg. Die Bodenseeweine sind schon etwas Besonderes. Die große Wassermasse des Sees wirkt wie ein Wärmespeicher, der die Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht und zwischen Sommer und Winter ausgleicht und für ein fast mediterranes Klima sorgt. Die Wasseroberfläche spiegelt einen Teil der Sonnenenergie in die Rebhänge und heizt dadurch den Boden auf, was den Reben guttut. Angeblich ist das Weinanbaugebiet hier das höchste in ganz Deutschland, und da es nicht allzu groß ist, gibt es natürlich nicht viel Wein, der in den Handel kommt, also ist er wegen seiner Güte sehr gefragt. Leon gerät jedes Mal ins Schwärmen, wenn er über die idealen Bedingungen für den Weinanbau spricht. Neulich erst hat er mir mit leuchtenden Augen erzählt, dass in der Eiszeit hier ein Gletscher war, der Boden also eiszeitliche Endmoräne ist, durchzogen mit sandigem Lehm. Das hält die Feuchtigkeit, und so bekommen die Reben sogar in ganz trockenen Sommern, in denen es nicht viel regnet (gibt es die überhaupt?), keine Probleme durch mangelnde Feuchtigkeit. So genau verstehe ich das aber nicht. Ich weiß nur, dass die Weine himmlisch schmecken und die Familie Römfeld bereits in der dritten Generation überaus erfolgreich Wein anbaut.

Der Opa von Leon hatte das riesengroße Glück, nach dem Krieg in dieser tollen Lage einige Grundstücke mitsamt einem imposanten Gebäude aus den Zwanzigerjahren für einen Schnäppchenpreis zu erwerben. Er war sicher ein cleverer Geschäftsmann, denn er konnte die wenigen Weinbauern in der Gegend dazu bewegen, ihm noch weitere Weinberge zu verkaufen. Heute ist das Weingut Römfeld unabhängig von den Winzergenossenschaften und Staatsweingütern am See, und die Weine sind in ganz Deutschland beliebt und begehrt, zumal die vielen Touristen, die Jahr für Jahr an den schönen Bodensee kommen und einen guten Tropfen zu ihrem leckeren Bodenseefisch genießen, den Ruf weiterverbreiten. Natürlich wissen auch wir ›Einheimischen‹ die Qualität der Bodenseeweine zu schätzen, wenn wir unseren Feierabend in irgendeiner Weinstube an der Uferpromenade oder einem der schicken Restaurants rund um den See genießen.

Leons Mutter Katharina war auch eine Weinkönigin, als sie seinen Vater kennenlernte, und darauf ist sie heute noch stolz. Nach dem allzu frühen Tod ihres Mannes, der eines Tages mitten in seinen geliebten Weinbergen mit noch nicht einmal 60 Jahren einem Herzinfarkt erlag, führte sie das Weingut mit Hilfe ihrer beiden Söhne weiter. Leon, der Betriebswirtschaft studiert hat, ist mehr für den kaufmännischen Part des Unternehmens verantwortlich, während Robert, der praktischere der beiden, sich um das Handwerk, den Weinanbau und die Weinberge kümmert. Inzwischen schmeißen die beiden Jungs den Laden alleine, während Katharina sich der Gestaltung der Räumlichkeiten auf dem Weingut und der Perfektionierung ihres Golf-Handicaps widmet. Das Haupthaus des Weingutes ist ein architektonischer Traum und besteht aus einem großen, klassischen Bau, der inzwischen zur Seeseite hin durch einen modernen Anbau aus Glas ergänzt wurde. In diesem Wintergarten befindet sich auch der Wohn- und Essbereich, der von der ganzen Familie genutzt wird, sowie eine Hightech-Küche, in der eine Köchin namens Marta die köstlichsten Speisen kreiert und serviert. Außer Katharina, Robert und Leon wohnen hier noch Susann, Roberts Frau, die mit Katharina die Liebe zum Golfspiel und den extravaganten Kleidungsstil teilt, sowie Johannes, der verwöhnte achtjährige Sohn von Robert und Susann, und Emily, 27, Schwester von Robert und Leon und das Nachzügler-Prinzesschen. Emily war noch klein, als ihr Papi starb, und wurde von der ganzen Familie entsprechend verhätschelt. Nach dem Abi verbrachte sie einige Jahre in Florenz, um Kunstgeschichte zu studieren, aber ich habe den Verdacht, dass sie sich mehr dem Dolce Vita der Toskana hingegeben hat. Im letzten Jahr kam sie Knall auf Fall – wahrscheinlich wegen einer unglücklichen Liebe (denn Geldmangel kann es wirklich nicht gewesen sein) – aus Italien zurück und verbringt seitdem ihr Leben entweder damit, sich mit anderen wohlhabenden jungen Leuten irgendwo herumzutreiben oder in miesepetriger Lethargie. Vom Arbeiten hält sie jedenfalls nicht allzu viel, warum auch? Es gibt genug andere, die das tun. Selbstverständlich haben die Römfelds außer der Köchin noch ein Dienstmädchen, eine Putzfrau und einen Gärtner, die das herrschaftliche Anwesen aufs Vortrefflichste in Schuss halten. Mir macht es immer ein wenig Angst, denn alles ist so perfekt im Gegensatz zu unserer Wohnung, die zwar gemütlich, aber manchmal auch ein klein wenig unaufgeräumt wirkt. Kein Wunder, dass ich für Katharina nicht die perfekte Frau für Leon und dieses Traumleben bin. Aber vielleicht bilde ich mir das alles nur ein. Ich glaube, Leon liebt mich wirklich, auch wenn er das manchmal nicht so zeigen kann. Er ist halt so aufgewachsen und hat schon immer so ganz anders gelebt als ich.

Als wir uns kennenlernten, war er gerade frisch geschieden, und ich denke, meine ›normale‹ Art hat ihm einfach gutgetan. Seine Exfrau Lisa muss nämlich ein ziemliches Biest gewesen sein, auch wenn Katharina das überhaupt nicht so sieht. Laut Leon gab es für sie nur Feiern, Geldausgeben und (Bei)schlafen. Als sie Letzteres eines Tages mit einem schnuckeligen (das sind meine Worte, nicht Leons) Weinlese-Arbeiter tat, noch dazu in seinen Weinbergen, war es aus. Leon spricht nie darüber, und manchmal habe ich das Gefühl, dass er die Jahre mit Lisa einfach vergessen hat. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es ihm nicht das Geringste ausmacht. Wer weiß, vielleicht hat er sie ja gar nicht geliebt und er war nur mit ihr zusammen, weil sie seiner Mutter so gut gefiel? Ich dränge ihn nicht, darüber zu reden. Schließlich habe ich auch meine Vergangenheit, aus der sogar ein Kind entstanden ist, obwohl der Kindesvater in meinem Leben schon lange keine Rolle mehr spielt. Nicht, dass er das je getan hätte. Natürlich habe ich im Laufe der Zeit immer wieder mal einen Mann gehabt, mit dem ich gerne ausgegangen bin, aber irgendwie war nie einer dabei, der seine Zahnbürste in unser kleines Zuhause mitbringen durfte. Vielleicht bin ich zu romantisch veranlagt. Diejenigen, die mir gefielen, verzogen meist schon bei dem Satz ›Ich habe eine kleine Tochter‹ das Gesicht, weil sie dachten, wir suchten nur einen Ernährer. Dabei war das ja dank Herrn Aschenbrenner überhaupt nie der Fall, denn er zahlt mir zum Ausgleich für die Erduldung seiner Launen und die vielen Überstunden ein großzügiges Gehalt, das es uns ermöglicht, auf eigenen Füßen zu stehen. Gut, ich musste immer viel arbeiten, was manchmal nicht leicht war, zum Beispiel wenn Nini krank wurde. Zum Glück gab es aber meine Mutter Luise, die jederzeit und gerne auf die Kleine aufpasste.

Je älter Nini wurde, desto besser kamen wir allein klar und desto geringer wurde die Notwendigkeit, auf Biegen und Brechen eine neue Familie zu haben. Bis Leon kam. Er ist der erste Mann, mit dem ich mir wirklich vorstellen kann, zusammen zu leben. Ich meine, wenn wir die Nacht miteinander verbringen, dann bin ich nicht froh, wenn er morgens wieder geht, es sei denn, er läuft zum Bäcker, holt uns frische Brötchen und ich koche uns einen guten Kaffee. Er akzeptiert, dass ich viel Zeit für Nini und meine Arbeit brauche, und lässt mir meinen Freiraum. Ehrlich gesagt, für meinen Geschmack ein bisschen zu viel. Wir sind drei Jahre zusammen, da könnte man sich schon mal Gedanken über eine gemeinsame Zukunft machen, oder etwa nicht? Aber vielleicht will er sich das diesmal wirklich gut überlegen, bevor er wieder enttäuscht wird. Da bin ich mir ziemlich sicher, abgesehen davon, dass seine Zukünftige natürlich vor den Argusaugen Katharinas bestehen muss. Mir ist selbstverständlich bewusst, dass eine gemeinsame Zukunft mich unweigerlich auf das Weingut führen würde, und ich weiß, dass dies der absolute Prinzessinnentraum ist, jedenfalls für viele. Nur ich bin mir manchmal nicht so sicher. Eigentlich bin ich glücklich mit meinem Leben und kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, daran etwas zu ändern, jedenfalls im Moment nicht. Zum Glück stellt sich die Frage derzeit nicht, denn offensichtlich hat auch Leon keine Absichten, an dieser Situation etwas zu ändern. Wie das natürlich in einigen Jahren aussehen wird, wenn Nini ihre eigenen Wege geht, weiß ich nicht. Das dauert ja noch ein wenig. Zuerst muss ich Katharina beweisen, dass ich doch die Richtige für ihren Sohn bin. Der heutige Abend wäre mal wieder eine gute Gelegenheit dafür.

Unglücklicherweise habe ich überhaupt keine Zeit, mich angemessen auf dieses Event vorzubereiten. Wie ich die drei Damen der Familie Römfeld kenne, haben sie den Tag beim Friseur, Masseur, bei der Kosmetikerin und mit einem entspannenden Mittagsschläfchen verbracht, damit sie entsprechend ausgeruht sind. Ganz zu schweigen davon, dass die angesagtesten Outfits seit geraumer Zeit auf diesen Anlass warten. Während ich mir jetzt die Zunge aus dem Hals hetzen muss, um überhaupt pünktlich fertig zu sein, und in diesem Moment nicht die geringste Idee habe, was ich heute überhaupt anziehen soll.

Seufzend tippe ich ein kurzes ›Freu mich auch, bis später, Küsschen‹ in mein Handy und fange an, den Notizzettel für das Rütli-Exposé zu suchen. Da klingelt bereits wieder das Telefon, diesmal das auf meinem Schreibtisch.

Butterblumenträume

Подняться наверх