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Kapitel 8
Le rève

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Weil das Wetter so schön ist, hat Leon das Dach seines Porsches geöffnet und wir fahren ›oben ohne‹ am See entlang. Was für ein Glück, dass ich mir keine komplizierte Frisur gemacht habe, die wäre jetzt sowieso im Eimer. Wir fahren durch Sipplingen hindurch, und noch immer sind viele Boote auf dem Wasser. Meine Hoffnung, im ›Rosmarin‹ in Ludwigshafen essen zu gehen, erfüllt sich leider nicht, denn wir fahren daran vorbei. Viele Gäste sitzen auf der Terrasse und genießen den schönen und immer noch warmen Abend. Leon tut ziemlich geheimnisvoll, was unser Ziel angeht, und sagt nur: »Lass dich überraschen.« Heute Abend genieße ich sogar die Fahrt, denn Leon fährt nicht so schnell wie sonst und hat eine Michael-Bublé-CD eingelegt. Wir fahren durch Radolfzell hindurch und Richtung Konstanz. Kurz vor Konstanz biegen wir allerdings ab und fahren auf der langen Allee, die die größte Insel im Bodensee mit dem Festland verbindet, auf die Insel Reichenau. Die Insel hat ihren Namen von ›der Reichen Au‹, was so viel wie ›reiche Insel‹ heißt, und die Insel ist tatsächlich reich an historischen Kulturgütern. Im Jahr 724 nach Christus wurde hier vom Wanderbischof Primin ein Kloster gegründet, und noch heute zeugen die drei prächtigen Kirchen von dieser ›Wiege abendländischer Kultur‹. Deshalb wurde die Reichenau im Jahr 2000 zum Weltkulturerbe erklärt. Doch nicht nur deswegen, sondern auch wegen des überaus fruchtbaren Bodens und des milden Klimas, was Gemüse und Wein besonders gut gedeihen lässt, ist die Reichenau eine richtige Berühmtheit hier am See. Natürlich wusste ich all dies noch nicht so genau, bis Leon es mir auf der Fahrt erzählt hat, und ich bewundere wieder einmal, wie gut er sich hier auskennt. Wir halten vor einem Gebäude direkt am See und betreten das Restaurant ›Le rève‹. Davon habe ich noch nie gehört, das muss ganz neu sein. Tatsächlich sieht es auch so aus, als wären die Gastgeber gerade erst eingezogen, denn der Einrichtungsstil des Lokals ist sehr ›reduziert‹ zu nennen. Die Möbel sehen irgendwie aus wie aus den Siebzigerjahren und sind aus weißem Plastik, ebenso die Lampen über den schmuck- und tischdeckenlosen Tischen. Als kleine Dekoration und als Farbtupfer haben sich die Gastronomen für ein winziges grünes Grasbüschel entschieden. Na, hoffentlich ist das Essen nicht so kalt wie die Atmosphäre hier drin. Dennoch ist der Laden fast voll, offenbar wussten doch schon mehr Leute von diesem Geheimtipp als ich. Wir werden zu einem Tisch geführt, der immerhin am Fenster steht und einen einigermaßen netten Ausblick zum See hin bietet.

Leon hat ein ›Diner pour deux‹ bestellt, und ich frage mich, ob dieses französische Restaurant nicht zufällig ein Geheimtipp von Anouk war. Aber da ich großen Hunger habe, freue ich mich auf das Essen, egal ob französisch oder deutsch. Wir trinken ein Gläschen Champagner und bekommen dazu Weißbrot mit Butter serviert. Eine gute Gelegenheit, Leon ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.

»Sag mal, Leon, diese Anouk«, beginne ich vorsichtig. »Wie lange arbeitet die schon bei euch? Du hast mir noch gar nicht von ihr erzählt.«

»Seit Anfang des Monats. Es ergab sich irgendwie nie die Gelegenheit«, antwortet er. »Weißt du, eines Tages stand sie vor der Tür und sagte: ›Voilà, hier bin isch‹«, grinst er. »Sie hat ausgezeichnete Zeugnisse und schon diversen erstklassigen Weingütern in Frankreich zu Umsatz-Zuwachs verholfen.«

»Habt ihr so was denn nötig?«, frage ich. »Ich dachte immer, eure Weine sprechen für sich. Sie sind doch beliebt, und bisher musstet ihr so gut wie keine Werbung dafür machen.«

»Da sieht man mal wieder, dass du überhaupt keine Ahnung von der momentanen Wirtschaftslage, geschweige denn von der Vermarktung von Wein besitzt.«

Er sieht leicht verstimmt aus, während wir unsere Vorspeise, ein Türmchen (o ja, es ist wirklich ein Türmchen, so klein ist es) von der Gänsestopfleber und Wachtelbrust mit bretonischer Pfefferglace und Trüffelpüree (nicht dass ich Gänsestopfleber oder Wachtelbrust zu meinen Lieblingsessen zählen würde) verzehren.

»Ich meine ja nur, so eine Marketing-Fachfrau, die kostet im Monat doch sicher ganz schön was …«, sage ich weiter, während ich einen großen Schluck aus meinem Weinglas zu mir nehme. Selbstverständlich Römfelds Müller Thurgau.

»Wenn sie unseren Namen europaweit bekannt machen kann, ist sie es allemal wert«, antwortet Leon mit schmalen Lippen.

Ok, ich wollte ihn wirklich nicht kritisieren. Er wird schon wissen, was er tut und ob das Weingut eine Marketing-Expertin braucht.

»Sie scheint ja nett zu sein«, lenke ich daher ein. Aber er betrachtet mich misstrauisch und sagt dann: »Mir scheint, meine Liebe, dass du einfach nur eifersüchtig bist.«

Hätte er das mit einem Lachen gesagt, wäre das gar nicht so schlimm, aber seine Miene ist ernst, und deshalb fühle ich mich gar nicht wohl. Der blasierte Kellner, oder sollte ich besser ›garcon‹ sagen, serviert den Zwischengang, Burgunderschnecken auf pot au feu von Basilikumkartoffeln, und schenkt noch mal reichlich vom Müller Thurgau nach. Zum Glück, denn die Schnecken kriege ich beim besten Willen nicht runter, und von den Bratkartoffeln werde ich nicht satt, so klein, wie auch diese Portion ist. Um vom Thema ›Anouk‹ abzulenken, erzähle ich Leon ein bisschen von Nini, dass sie sich verliebt hat und richtig happy ist. Leon fragt natürlich, um was für einen jungen Mann es sich handelt, und ich berichte in knappen Sätzen die Fakten, die ich auch kenne. Er überlegt kurz und sagt dann: »Das kann nur der Kofler sein. Mein lieber Scholli. Der ist im Verwaltungsrat der AFT Privatbank Schaffhausen. Da hat sie sich zielsicher eine gute Partie angelacht.«

Nun ist es an mir, empört zu sein: »Als ob Nini so was wichtig wäre. Sie hat sich einfach in den jungen Mann verliebt, weil er nett ist und süß, wie sie sich ausdrückt.«

Aber Leon ist anderer Meinung: »Was denkst du, was den Menschen prägt? Seine Herkunft, seine Familie. Hätte sie sich auch in ihn verliebt, wenn sein Vater ein Hartz-IV-Empfänger wäre und die Familie in einer trostlosen Mietskaserne leben würde? Glaubst du, ihr Marcus wäre dann so ein gebildeter und selbstsicherer junger Mann? Und es wird ihr auch recht sein, wenn er sie mit seinem eigenen Auto abholt und ins Kino einlädt, oder nicht?«

Was für eine idiotische Einstellung. Und während wir den Hauptgang – leicht gebratenen Hummer (Wo ist er denn? Nicht, dass ich ihn vermissen würde, aber kann er wirklich soo klein sein?) mit Jakobsmuscheln auf Tellerlinsen – verzehren, werde ich richtig wütend.

»Du hast überhaupt keine Vorstellung davon, wie wir Frauen sind«, entgegne ich. »Als ob ein eigenes Auto oder eine Kino-Einladung ausschlaggebend für unsere Gefühle wären. Da zählen ganz andere Sachen.«

Leon beugt sich vor und fragt mich: »Ach ja, also würdest du jetzt in diesem Moment auch gerne an einer Imbissbude stehen und eine Currywurst essen, anstatt in einem französischen Gourmet-Restaurant zu speisen, in dem ich nur mit viel Glück einen Tisch bekommen habe?« Seine Augen blitzen.

Damit ich auf diese Frage nicht antworten muss, nehme ich lieber noch mal einen Riesenschluck von dem köstlichen Wein. Wenn ich ehrlich bin, wäre mir so eine Currywurst mit Pommes im Moment wirklich lieber. Es hilft nichts. Ich bin einfach nicht die Richtige für dieses gesellschaftliche Parkett. Bestimmt ist es hier sehr teuer, und ich weiß das gar nicht zu schätzen und habe die Hälfte auf dem ohnehin sehr übersichtlichen Teller zurückgelassen. Zum Glück besteht das Dessert aus warmem Brie mit Cognac-Preiselbeeren, und ich kann den vielen Alkohol einigermaßen kompensieren. Da Leon fahren muss, hat er sich immer wieder Wasser nachschenken lassen, während ich die Flasche Müller Thurgau fast alleine ausgetrunken habe. Auweia. Der Alkohol macht mich anhänglich, und ich lege versöhnlich meine Hand auf seine. Außerdem streichelt mein Fuß unter dem Tisch sein Bein. Er sieht aber auch verdammt gut aus heute Abend. Schwarzes Hemd, schwarze Jeans und ein perfekt geschnittenes schwarzes Jackett. Dabei fällt mir meine Mutter ein, die niemals Schwarz trägt, und ich erzähle Leon von ihrem Brieffreund und dass ich den Verdacht habe, dass auch sie sich verliebt hat. Das kann Leon nun gar nicht nachvollziehen. Er, der Briefe nur zur Geschäftskorrespondenz schreibt bzw. schreiben lässt, schüttelt verständnislos den Kopf. Wahrscheinlich hält er das Ganze für eine weitere Spinnerei meiner Mutter.

»Ich glaube, sie hat einfach nichts zu tun und viel zu viel Zeit. Du solltest dich mehr um sie kümmern«, sagt er nebenbei, während er bei dem spindeldürren ›garcon‹ (wahrscheinlich bekommt er hier nur die Reste zu essen, und bei diesem Gedanken muss ich kichern) die Rechnung mit seiner Kreditkarte begleichen will.

»Bedaure, mein Herr«, sagt ebendieser. »Wir akzeptieren nur Bargeld.« Und mit diesem arroganten Getue hat er sich endgültig um ein anständiges Trinkgeld gebracht. Ich schwanke beim Hinausgehen auch nur ein kleines bisschen und deswegen muss ich mich an Leon festhalten. Im Auto kuschle ich mich an ihn und bin schon bald eingenickt.

*

Als ich wieder zu mir komme, stehen wir auf dem Hof vor dem Weingut. Wieder ist der Himmel sternenklar und die Nacht wunderschön. »La vie est belle«, summe ich vor mich hin, als ich aus dem Auto steige.

»Na, meine Süße, du bist ja richtig gut drauf«, sagt Leon und schließt die Tür zu seiner Wohnung auf. Das Weingut besteht aus drei Teilen, einem Haupthaus in der Mitte mit Küche, Wohnzimmer für alle und dem Glasanbau davor. Katharinas private Räume, in denen auch Emily seit ihrer Rückkehr aus Florenz wieder wohnt, liegen darüber. Der rechte Teil des Gebäudes umfasst drei Stockwerke, die von Robert, Susann und Johannes bewohnt werden. Der linke Teil des Gebäudes, ebenfalls dreistöckig, ist Leons Reich. Eingerichtet ist es schlicht, mit Designermöbeln in Weiß, Grau und Schwarz, und besitzt so gut wie keine Dekoelemente. Nur einer der Gründe, warum ich die Nacht mit ihm eigentlich lieber bei mir in meiner kleinen Wohnung verbringe.

Aber in der Hauptsache ist es wegen Nini, die ich nicht gerne alleine lasse. Ich weiß, ich brauche mir keine Sorgen zu machen, denn schließlich ist sie 17 und sehr vernünftig, und doch komme ich mir immer ein wenig vor, als würde ich sie alleinlassen. Verrückt, aber so sind wir Mütter nun mal. Leon ist in seinem Designer-Wohnzimmer verschwunden, um uns noch einen Schlummertrunk zu mixen, während ich in seinem Schlafzimmer auf ihn warte. Ich stehe am Fenster und betrachte den wunderschönen Garten, den das Mondlicht in eine Märchenlandschaft verwandelt, als Leon auf einmal hinter mir steht und mich zärtlich auf den Nacken küsst.

»Na, meine Schöne, Lust auf einen ›Tequila sunrise‹?«, fragt er mit seiner tiefen, männlichen Stimme.

»Lust habe ich schon, aber nicht auf Alkohol«, flüstere ich und beiße ihm zärtlich in sein Ohrläppchen, woraufhin er mich leidenschaftlich küsst. Er zieht mir das Top über die Schultern, und ich bin froh, dass ich den neuen sexy schwarzen BH mit dem dazu passenden Spitzenslip angezogen habe. Ich knöpfe sein Hemd auf und werfe es einfach auf den Boden, und wir beide sinken, uns immer noch küssend, auf sein großes französisches Bett. Hm, ich könnte die gesamte Nacht das Streicheln am ganzen Körper genießen.

»Ich will dich«, flüstert er mir zärtlich ins Ohr, und wir schlafen miteinander. Leon ist ein leidenschaftlicher und erfahrener Liebhaber, und ich kuschle mich anschließend zufrieden in die duftenden Kissen. Ich bekomme gerade noch mit, wie er aufsteht und sein Hemd und seine Hose vom Boden aufhebt und ordentlich zusammenlegt, da schlafe ich schon ein.

*

Am nächsten Morgen weckt mich der Sonnenschein, und ich räkle mich noch ein wenig in der hellgrauen, kühlen Baumwoll-Bettwäsche, als ich bemerke, dass Leon nicht da ist. Hilfe, wie spät ist es denn? Da fällt mir ein, dass ja Sonntag ist und ich gar nicht ins Büro muss. Leon ist sicher eine Runde joggen, aber ich denke an Nini, die jetzt alleine frühstücken muss, und möchte heim. In ihrer SMS gestern Abend hatte sie nur kurz geschrieben, sie wolle mit Marcus ins Kino, und ich hoffe, dass sie gut heimgekommen ist. Ich tapse in Leons konsequent schwarz-weiß eingerichtetes Bad und wundere mich mal wieder, wo seine ganzen Toilettenartikel sind. Außer einer weißen Orchidee und einer Flasche Dior Homme Sport steht hier nämlich überhaupt nichts herum. Beim Gedanken an unser mit Kosmetik überfülltes rosa Bad muss ich grinsen. Ich steige unter die warme Dusche, benutze Leons Zahnbürste (juchhu, ich hab sie gefunden ) und fahre mir mit den Fingern durchs Haar.

Zum Schminken habe ich natürlich außer einem Lippenstift nichts mit. Mist, jetzt ärgere ich mich, dass ich auch nichts anderes zum Anziehen mitgenommen habe. Mein schönes pinkes Top ist total zerknittert, weil ich es gestern Abend im Eifer des Gefechts einfach auf den Boden geworfen habe, und die Hose ist bei dem schönen Wetter eigentlich viel zu warm. Ich beschließe, wenigstens die hohen Schuhe wegzulassen, und gehe barfuß in den Garten, um nach Leon Ausschau zu halten. Vielleicht kann er mich nach einem Tässchen Kaffee gleich nach Hause fahren.

Der Garten ist auch am Morgen wunderschön, und ich bewundere die herrlich gepflegten Büsche und Bäume und vor allem den traumhaften Ausblick auf den See, auf dem schon einige weiße Segel vorüberziehen. Hoffentlich treffe ich niemanden von der Familie, so wie ich aussehe. Doch dieser Wunsch wird mir nicht erfüllt.

»Maja!«, höre ich eine Stimme von der Terrasse, die unschwer zu Katharina gehört.

»Äh, ja, guten Morgen«, grüße ich sie freundlich.

»Möchtest du vielleicht eine Tasse Kaffee mit uns trinken?«, antwortet sie höflich distanziert, wie es nun einmal ihre Art ist. Dieser Einladung kann ich wirklich nicht widerstehen. Hm, Kaffee. Ich denke nicht weiter über mein Outfit nach, bis ich auf die Terrasse komme und mich die ganze Familie von oben bis unten betrachtet. Auf einmal sehe ich mich mit ihren Augen: Meine Füße sind nicht nur nackt, sondern auch noch nass vom feuchten Gras, mein Top zerknittert, meine Haare wirr. Ich sehe aus wie ein Bahnhofspenner. Dagegen sitzt die ganze Familie wie in einem Fernseh-Werbespot auf der Terrasse mit den stilechten Eisenmöbeln und großen, mit Palmen bestückten Blumentöpfen. Katharina und Susann sind bereits so angezogen, als wollten sie gleich auf den Golfplatz. Sie tragen beide Polohemden von Bogner in fröhlichen Farben, die ihre schlanke Figur betonen, dazu weiße Bermudas. Ich bin wieder einmal überrascht, wie sie einander ähneln, immerhin sind sie ja Schwiegertochter und -mutter, und ich frage mich, ob Susann der Einfachheit halber nicht nur die Ansichten, sondern auch gleich den Style ihrer Schwiegermutter übernommen hat. Emily dagegen sitzt wie üblich mit mürrischer Miene in einer blassgrauen Tunika und Jeans daneben und löffelt ein Müsli. Robert nickt mir kurz zu, dann widmet er sich wieder seiner Zeitung, während der kleine Johannes ein Nutellabrot verspeist. Anna, das Dienstmädchen, schenkt allen Kaffee nach und mir auch eine Tasse ein. Wunderbar. Der Duft des frisch zubereiteten Getränks weckt sofort meine Lebensgeister. Da Katharina und Susann mich nicht weiter beachten und über ihren heutigen Golftag sprechen, versuche ich, ein bisschen Konversation mit Johannes zu machen.

»Na, Johannes, was hast du bei dem schönen Wetter heute vor?«, frage ich ihn und erwarte eine Antwort, die in Richtung Freunde und Fahrradfahren oder Ähnliches geht. Stattdessen wirft er einen kurzen Blick auf seine Mutter und zuckt dann die Schultern.

»Johannes hat heute Reitstunden und muss dann noch etwas für die Schule tun«, antwortet Susann für ihn. Dann sagt sie zu ihrem Mann: »Kannst du Johannes nachher auf den Reiterhof fahren und auch wieder abholen?«

Ich sehe Johannes an, der mit seinem blassen Gesichtchen gar nicht glücklich aussieht, und fast tut er mir ein bisschen leid. Ob er in dem vollen Terminkalender seiner Eltern wenigstens hin und wieder ein Plätzchen findet? Wie alle Kinder, die derart privilegiert leben wie er, weiß er seinen Wohlstand zu schätzen und lässt dies sicher auch seine Freunde wissen. Ob er wohl echte Freunde hat oder seine Schulkameraden nur deshalb kommen, weil in seinem Kinderzimmer alle momentan angesagten Spielsachen zu finden sind? Ich muss an Nini denken und daran, dass wir in meiner Freizeit eigentlich immer zusammen waren. Wir waren schwimmen, Rad fahren, Eis essen, im Kino oder haben gelesen und gebastelt, wenn das Wetter mal nicht so toll war. Bei dem Gedanken an sie stehe ich auf. Ich möchte jetzt wirklich heim. Und in diesem Moment kommt Leon in seinen Joggingsachen um die Ecke.

»Hier bist du!«, ruft er mir zu, als sei ich es gewesen, die einfach verschwunden war. Er küsst mich, wünscht den anderen einen guten Morgen, bevor er sich unter die Dusche verabschiedet.

»Maja, du solltest wirklich auch mit dem Golfen anfangen. Dann könnten wir jetzt den Tag zusammen verbringen«, sagt Katharina.

Au ja, das habe ich mir schon immer gewünscht. Aber ich muss doch anerkennen, dass sie in Erwägung zieht, den Tag mit mir zu verleben. »Das werde ich ganz sicher irgendwann«, antworte ich unbestimmt.

»Wenn ich mal nicht mehr so viel arbeiten muss und Nini mich nicht mehr so braucht.«

Bei der Erwähnung von Ninis Namen fällt ihr wieder ein, dass ich ja eine alleinerziehende Mutter bin, und sie runzelt die Stirn.

»Wie alt ist Nini jetzt eigentlich? 15, 16?«, fragt sie mich und wirft einen Blick auf Johannes, der mit seinen acht Jahren ganze Tage alleine verbringt, während seine Eltern golfen oder arbeiten.

»17«, sage ich trotzig, »und auch wenn sie sehr selbstständig ist, freut sie sich doch, wenn ich zu Hause bin.«

Aber Katharina ist schon wieder in ein Gespräch mit Susann über andere Leute vertieft, die allesamt auch berufstätig sind und golfen. Endlich kommt Leon frisch geduscht um die Ecke, und ich bitte ihn, mich heimzufahren, doch Katharina fällt mir ins Wort: »Jetzt lass ihn doch erst mal frühstücken!«, – als ob ich das nicht vorgehabt hätte. Und Susann fragt ihn, ob er mit auf den Golfplatz wolle.

Emily mischt sich ein und bietet an, mich nach Hause zu bringen. Das finde ich wirklich nett von ihr, doch habe ich ein wenig das Gefühl, sie sagt das nur, um sich hier verdrücken zu können. Leon bedankt sich bei ihr, sagt jedoch: »Natürlich fahre ich dich nach Hause, mein Schatz!«, – worüber ich sehr froh bin. Er kann auch nicht auf den Golfplatz, da er noch viel Arbeit im Büro hat. Schließlich muss das Sommer-Weinfest auf dem Gut, das im Juni stattfinden soll, vorbereitet werden sowie einige Weinproben und Weinseminare. Die Büros befinden sich neben den Verkaufsräumen in einem separaten Gebäude, welches direkt neben dem Weg zum Weingut liegt und somit für die Kunden gut erreichbar ist.

Ich bin froh, dass Leon heute selbst so viel zu tun hat, so bleibt mir Zeit für mich selbst und meine Tochter, ach ja, und meine Mutter, der ich die Übersetzungen versprochen habe. Und Eva, die ich unbedingt anrufen muss.

Als der schwarze Porsche aus der Einfahrt des Weingutes braust, denke ich darüber nach, warum ich mich in dieser wunderschönen Atmosphäre eigentlich nie richtig wohlfühle. Ich liebe Leon, aber seine Familie ist immer so kalt zu mir. Trotzdem, sollte ich je seine Frau werden, wird dies mein Zuhause werden. Ob es das aber wirklich jemals sein wird?

Nachdem er mich heimgefahren hat, küsst Leon mich zum Abschied und wir verabreden zu telefonieren.

Butterblumenträume

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