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Kapitel 3
Das alte Haus oder Liebe auf den ersten Blick

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»Was ist los, Maja?«, fragt mich Irma, die auf ihren schwindelerregend hohen Absätzen graziös einen Arm voller Aktenordner aus Herrn Aschenbrenners Büro bugsiert. Mir ist völlig klar, warum sie hier das ›Mädchen für alles‹ ist. Nicht nur, dass sie einfach unglaublich toll aussieht in diesem sexy Secretary-Style, sie hat auch einen Blick für das nicht so Offensichtliche, obwohl es wahrscheinlich klar ist, dass ich in diesem Chaos gleich die Nerven verlieren werde. Irma lässt die Akten fallen und nimmt den Telefonhörer ab.

»Für dich«, lächelt sie und gibt mir den Hörer.

Es ist meine Mutter, und sicher will sie mir nur einen schönen Tag wünschen oder von dem neuen Bild erzählen, das sie gerade gemalt hat. Diesmal scheint es aber doch etwas Wichtiges zu sein.

»Maaja, Liebes«, beginnt sie aufgeregt, »du hättest nicht heute ein Stündchen Zeit für deine olle Mutter? Ich weiß, du bist sehr beschäftigt, doch ich würde dich wirklich nicht bei der Arbeit stören, wenn es nicht unglaublich wichtig wäre.«

»Weiß ich, Mama«, sage ich so dahin, während ich nebenbei weiter nach der Notiz suche. »Heute kann ich wirklich nicht, ich muss noch ganz viel arbeiten, und Leon holt mich pünktlich ab. Wir gehen doch zu der Modenschau in Schloss Salem.«

»Ach jaaaaaa, richtig, das hatte ich völlig vergessen«, flüstert sie, und ich weiß, dass sie jetzt traurig ist.

»Dann macht euch einen schönen Abend. Vielleicht meldest du dich morgen mal. Ich muss dir nämlich was Wichtiges erzählen.« Bevor ich antworten kann, hat sie bereits aufgelegt. Mist, jetzt habe ich schon wieder ein schlechtes Gewissen. Sie war immer für uns da, und ich habe so oft keine Zeit für sie. Was soll ich tun? Ich kann sie jetzt nicht noch einmal anrufen und mir anhören, was es denn so Wichtiges gibt, denn ich muss unbedingt weitermachen, sonst komme ich heute überhaupt nicht mehr aus dem Büro. Ich nehme mir aber ganz fest vor, am nächsten Tag bei ihr anzurufen und sie auf eine Tasse Kaffee einzuladen.

Dabei kann ich ihr auch gleich von der Modenschau erzählen, das wird ihr gefallen. Irma sieht wohl mein unglückliches Gesicht, denn sie fragt nach, ob sie mir irgendwas abnehmen kann. Die Gute. Ich erzähle ihr von der Rütli-Geschichte und der Modenschau, und da bietet sie mir an, nach der Notiz zu suchen und, wenn sie sie gefunden hat, das Exposé gleich fertigzumachen und sogar zur Post zu bringen. Wie nett sie doch ist. Ich umarme sie und nehme mir vor, gleich morgen bei der Parfümerie Drahtmann vorbeizugehen und eine duftende Seife als kleines Dankeschön für sie zu kaufen. Irma liebt schöne Seifen und hat schon eine ordentliche Sammlung beisammen. Schnell vereinbare ich noch einen Friseurtermin für Herrn Aschenbrenner und bestelle einen Tisch für zwei Personen im ›Rosmarin‹. Dann schnappe ich meine Tasche, ein auf Ninis Anraten bei Zara gekauftes XXL-Modell in dezentem Beige, in der ich eigentlich nie etwas finde, und eile mit einem hastigen »Tschüss« aus der Tür. Nix wie weg. Auf dem Weg zum Parkplatz atme ich tief durch und krame nebenbei in der Tasche nach der Kamera. Glücklicherweise habe ich sie dabei.

Wo war noch gleich das Objekt, das ich fotografieren soll? Objekt 415, das weiß ich noch, aber die Straße? Seestraße meine ich gelesen zu haben, aber welche Nummer? Und wo ist noch mal die Seestraße? Nußdorf, ja, das war es. Das ist zum Glück gleich der nächste Ort. Und so lang wird die Seestraße nicht sein. Was für ein Mist, dass ich kein Navi habe. Jetzt wäre es ein Gewinn. Normalerweise brauche ich das nicht, denn in Überlingen kenne ich mich durch die vielen Immobilientermine, die ich in den letzten Jahren für Herrn Aschenbrenner schon wahrnehmen musste, gut aus. Außerdem ist die Stadt überschaubar und ich kann jemanden fragen. Selbstbewusst steuere ich den Mini in Richtung Nußdorf. Ich werde das Haus schon finden. Zu blöd, dass es heute so grau und düster ist. Kaum jemand ist auf der Straße, und so muss ich mein Glück auf eigene Faust versuchen. Ich bin schon fast wieder aus Nußdorf herausgefahren, als ich endlich das Schild ›Seestraße‹ entdecke. Der Hinweis ›Durchfahrt verboten, Anlieger frei‹ kann mich nicht abhalten, schließlich habe ich ein Anliegen, oder etwa nicht? Die Häuser hier sind fast alle alt, aber wunderschön gelegen auf großen Grundstücken mit altem Baumbestand, die bis zum See reichen. Aber welches ist Objekt 415? Wer verkauft bloß ein solches Objekt?

Ich beschließe, den Mini am Straßenrand abzustellen und zu Fuß weiterzugehen. Ein Entschluss, den ich sofort bereue, denn es ist nicht nur empfindlich kalt und der Trenchcoat, den ich heute trage, ist zwar schick, aber nicht gerade warm, nein, die Straße ist auch noch reichlich uneben und mein Schuhwerk wirklich nicht geeignet für einen längeren Spaziergang. Endlich entdecke ich eine ältere Dame, die in ihrem Garten herumwerkelt. Ihr kleiner Hund tollt um sie herum.

»Guten Tag!«, rufe ich ihr munter zu, und sie schaut mich misstrauisch an. Wahrscheinlich hält sie mich für eine Avon-Beraterin. Dennoch kommt sie auf mich zu und sagt freundlich: »N’Abend.«

»Entschuldigen Sie bitte die Störung, können Sie mir vielleicht weiterhelfen? Hier soll ein Haus verkauft werden, und ich habe leider die Hausnummer vergessen.«

Sie runzelt die Stirn und betrachtet mich noch einmal unverhohlen von oben bis unten, überlegt sich vielleicht, wie ich mir das leisten kann.

»Das weiß ich leider nicht«, erwidert sie, aber als ich mich verabschieden will, fällt ihr doch noch etwas ein.

»Es könnte natürlich das Haus der alten Frau Lange sein. Die ist vor Kurzem gestorben und, soviel ich weiß, gehört das Haus jetzt einer Erbengemeinschaft. Es ist das Haus am Ende der Straße.« Mit diesen Worten dreht sie sich um, um sich wieder ihrem Rechen zu widmen. Am Ende der Straße? Ich verfluche meine Pumps, denn meine Füße sind jetzt schon eiskalt, aber wer trägt denn im Mai noch Stiefel? Ich wünschte, ich hätte jetzt welche an. Nur noch ein paar Fotos von dem alten Schuppen gemacht und dann ab nach Hause und unter die warme Dusche. Als ich die Straße so entlanglaufe, denke ich, wie schön es hier ist. Und himmlisch ruhig. Man kann förmlich hören, wie die Wellen des Sees ans Ufer plätschern.

Rechts und links stehen große Bäume, die trotz des späten Frühlings schon Blüten tragen. Hier kann man radeln, sicher bis Unteruhldingen, an den Pfahlbauten vorbei. Ich nehme mir das für den Sommer fest vor. Die wenigen Häuser hier sind alle zwar alt, aber sehr gepflegt und die Gärten wunderschön eingewachsen. Ich kann kaum den Blick vom See wenden, denn dieser hat heute eine herrliche Farbe in verschiedenen Grautönen, passend zum Himmel. Da spielt das Wetter fast keine Rolle mehr. Inzwischen bin ich am Ende der Straße angelangt und stehe vor einem alten, gelben Haus mit schmucken weißen Fensterläden. Das muss es sein. Objekt 415, was für ein schrecklicher Name. Ich würde es ›Butterblume‹ nennen, denn dieser Name schießt mir augenblicklich durch den Kopf, warum, weiß ich nicht. Ich öffne das kleine Gartentor und trete näher. Gut, der Garten ist in einem erbarmungswürdigen Zustand, aber es sieht so aus, als würde hier schon etwas getan. Ganz hinten im Garten, wo es zum See geht, ist ein Gärtner zugange. Bestimmt haben die Erben keine Zeit und deshalb jemanden beauftragt. Mit einem gepflegten Garten kann man höhere Preise erzielen. Der Gärtner stört mich nicht weiter, auch wenn sein Auto, ein alter Volvo, die Einfahrt blockiert. Mein Herz klopft und ich stehe da und staune einfach nur. Der Anblick dieses Hauses in dem verwilderten Garten mit dem grauen See im Hintergrund ist unglaublich schön. Ich habe ein ganz merkwürdiges Gefühl, so als wäre ich schon einmal hier gewesen oder wäre endlich nach Hause gekommen. Ich war noch nie hier, so viel ist sicher, also schiebe ich den Gedanken beiseite und mache mich an die Arbeit. Die Aufnahmen von der Frontseite sind schnell erledigt. Eine breite Treppe führt zur großen Holz-Eingangstür, vor der ein Buchsbaum steht. Soweit ich erkennen kann, ist das Dach intakt, obwohl es sicher schon einige stürmische Zeiten durchgestanden hat. Neben dem Gebäude ist noch ein kleineres Haus, eine Doppelgarage wahrscheinlich. Der Vorgarten ist mit herrlichen Rhododendron-Büschen bestückt, die leider noch nicht blühen, aber ab Mitte Mai sicher wunderschön aussehen werden. Außerdem gibt es weitere Büsche wie Lorbeer und sogar ein Mandelbäumchen. Ich gehe um das Haus herum und bin überrascht, wie groß es ist. Zur Seeseite öffnet sich eine große Terrasse, von der aus wenige Stufen durch einen Steingarten in den Garten führen. Der hintere Teil des Gartens ist mit einigen Birken und Weiden und sogar einem Magnolienbaum bestückt. Der Gärtner schickt sich gerade an, den Baum zu fällen.

»Halt«, rufe ich ihm zu, »aufhören!«

Erschrocken lässt er sein Gartengerät fallen und starrt mich an. Offenbar hat er mich noch gar nicht bemerkt. »Was fällt Ihnen ein, mich so zu erschrecken?«, blafft er mich an.

»Wer sind Sie überhaupt und was machen Sie hier?«

»Ist Ihnen klar, wie lange so ein Magnolienbaum braucht, um so groß und schön zu werden?«, frage ich ihn, anstatt zu antworten.

»Als Gärtner sollten Sie das eigentlich wissen.«

»Und warum interessiert es Sie, ob und warum ich hier einen Baum fälle?«, grinst er mich an, ohne auf meine Frage einzugehen. Na, das werde ich ihm gerade sagen. Ich muss zugeben, trotz seines sehr rustikalen Outfits, oder vielleicht auch gerade deswegen, sieht er sehr gut aus, auf eine männliche Art sexy. Ich kann den Blick fast nicht von seinem durchtrainierten – trotz des XXL-Wollpullovers ist das gut zu erkennen – Oberkörper wenden. Er hat ein markant geschnittenes Gesicht, und sein Lächeln ist einfach unwiderstehlich. Doch damit kann er mich nicht beeindrucken. Der Jüngste scheint er nicht mehr zu sein, denn durch sein dunkles, lockiges Haar ziehen sich bereits einige graue Strähnen, was, wie ich zugeben muss, seiner Attraktivität keinerlei Abbruch tut.

Irgendwie komme ich jetzt aber wohl nicht um eine Antwort herum.

»Das Haus soll doch verkauft werden?«, fange ich vorsichtig an.

»Ach ja, und Sie sind wohl die Käuferin oder die Interessentin?«

»Ja«, lüge ich ihn dreist an.

Das wird mir Gelegenheit geben, mich hier in Ruhe umzusehen und ein paar schöne Fotos zu machen. Herr Aschenbrenner wird stolz auf mich sein.

»Deshalb möchte ich auch nicht, dass dieser Magnolienbaum gefällt wird«, sage ich etwas schärfer, als ich es eigentlich vorhatte.

»Dann bitte ich natürlich vielmals um Entschuldigung. Ich wollte den Kaufinteressenten eigentlich zu ein bisschen mehr Seeblick verhelfen, aber wenn Sie meinen, dann lasse ich den Baum stehen. Sie haben sich wohl schon entschieden?«

»Na ja, so gut wie«, lächle ich, aber jetzt muss ich ihn irgendwie loswerden, sonst komme ich heute überhaupt nicht mehr nach Hause. Das Erstaunliche ist, dass ich immer noch das Gefühl habe, bereits zu Hause zu sein, was ich mir gar nicht erklären kann. »Das ist wirklich nett von Ihnen, vielen Dank«, sage ich, und das Lächeln will einfach nicht aus meinem Gesicht verschwinden. Damit drehe ich ihm den Rücken zu und knipse munter weiter. Bestimmt sind die Doppelfenster rechts und links neben der Terrasse in letzter Zeit einmal erneuert worden. Zusammen mit den weißen Fensterläden geben sie dem Haus beinahe ein Gesicht. Hier im Erdgeschoss befinden sich bestimmt die Wohnräume. Auch in der ersten Etage sind einige Fenster, das werden wohl die Schlafräume sein. Unter dem Dachgiebel entdecke ich ein weiteres Fenster, das ist wahrscheinlich das schönste Zimmer mit dem genialsten Blick überhaupt. Vielleicht ein Atelier? Als ich das letzte Bild schieße, kommt tatsächlich ein Sonnenstrahl zwischen den Wolken hervor und strahlt die ›Butterblume‹ bzw. das Objekt 415 an. Bei dem Abendlicht werden es sicher richtig gute Schnappschüsse. Inzwischen habe ich das Haus von allen Seiten und ebenso den herrlichen Garten fotografiert. Es gibt sogar einen eigenen kleinen Bootssteg. Ich werfe noch einen letzten Blick auf die wirklich ansehnlichen Oberarme des frechen Gärtners und mache mich auf den Weg zu meinem Mini. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass ich hier nicht zum letzten Mal gewesen bin.

Butterblumenträume

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