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2.3 „Cocooning“ und „Clanning“ oder: Warum niemand zum Pfarrfamilienabend kommt

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„Wer die Woche über unterwegs ist, braucht eine Zufluchtsstätte, wo es ihm gut geht, der richtet sich sein Zimmer, seine Wohnung, sein Haus so ein, dass er dort alles hat, was er braucht, um sich von der Welt zu erholen, ein Kokon. Der Markt hat sich darauf eingestellt: Die Gartencenter blühen und bieten alles, um aus den paar Beeten rund ums Haus oder dem Balkon ein Paradies zu machen mit Brunnen und allem drum und dran. Mit Beamer richtet man sich ein Heimkino ein. Im Chatroom nimmt man Kontakt zu Freunden auf und der Italiener um die Ecke bringt die Pizza ins Haus.“51 Mit dem Wort „Cocooning“ wird ein soziokultureller Trend beschrieben, es sich zu Hause gemütlich zu machen. Die Wohnung wird zum schützenden „Kokon“ angesichts der Rollenpluralität, des modernen Nomadentums durch berufliche Mobilitätszwänge.52 Das Phänomen des „Cocooning“ bedeutet eine Herausforderung für die Gemeindepastoral, die darauf angewiesen ist, dass sich Menschen am Feierabend und Wochenende aus dem Haus begeben, um (nicht immer ästhetisch gestaltete und oft nicht einmal adäquat beheizbare) Pfarrsäle aufzusuchen.

Die Gemeindebilder – manchmal auch Gemeindeideologien – der 50er Jahre (Pfarrfamilie) und der aktiven Gemeinde der 70er Jahre (Wer mitmacht erlebt Gemeinde) erweisen sich nicht als tragende pastorale Antworten für die gegenwärtige Pastoral; auch das idealtypische Gemeindemodell der Personal- oder Basisgemeinde in der deutschen Kirche ist im Territorium nicht zu verwirklichen. Ein Grund für Enttäuschung und Verunsicherung von haupt- und ehrenamtlich Aktiven in den Gemeinden liegt in der „nach-konziliar gemeindlich-familiaristischen Kirchenbildung“53, welche vom Leitbild eines „hierarchiefreien Raumes voller (Pfarr-)Aktivitäten, (Familien-)Kreise und voller Kommunikation in, zumeist, freundschaftlicher Halbdistanz“54 ausgeht. Auffällig ist, dass sich in den konkreten Planungen im Kirchenjahr die Kernaktivitäten nach wie vor auf das „Familienmodell“ beziehen. Der „Pfarrfamilienabend“ steht als verpflichtende Veranstaltung in der Pfarrgemeinderatssatzung vieler Diözesen, die Pfarreiwallfahrt setzt auf das Ideal der Pfarrfamilie, die unterwegs ist. Der Familientag im Sommer wird mit einfachen, fröhlich illustrierten Plakaten und Handzetteln beworben, auf denen „Alt und Jung“ geladen werden. Das Modell der Pfarrfamilie geht vom priesterlichen Vater aus, den es de facto nicht mehr vor Ort geben wird. Auch die Pfarrkinder – überwiegend die Frauen – entziehen sich der Pfarrfamilie. Religiöser Erfahrungsort wird nicht mehr nur in einem zugewiesenen sozialen Raum gesucht. Die alte Einheit von sozialem Beziehungsraum, lokalem Nahraum und gesellschaftlichem Organisationsraum löst sich auf. Der Alltag spielt sich in verschiedenen Szenerien ab, als häufiger Wechsel von Settings, „Bühnen“ und „Kostümen“. Intervalle und Brüche geben den Takt an, verschiedene Welten werden miteinander konfrontiert und relativieren sich gegenseitig. Die Pfarrei ist ein Ort unter vielen, der auf seine Relevanz hin je neu befragt wird.55 Es geht in Zukunft um mehr als um marginale Korrekturen pastoraler Abläufe.

Menschen suchen je nach individuellen Bedürfnissen wechselnde und unterschiedliche Formen des Christseins, zunehmend auch an Orten jenseits von Pfarrgemeinden. „Letztere können den differenzierten Bedarf aufgrund ihrer eingefahrenen Strukturen bzw. Praxisformen und vor allem aufgrund ihrer territorialen Bindung an einen Ort nicht befriedigen; sie haben ihre Funktion als zentraler Ort religiöser Praxis verloren. Die Pfarrei-Seelsorger versuchen zwar angesichts dessen, ihr Angebot zu vermehren oder die Attraktivität desselben zu erhöhen, erleben aber umso mehr Frustration.“56

Der soziokulturelle Trend des Clanning zeigt gerade, dass „nicht Gemeinschaft schlechthin dem Individualisierungstrend anheimgefallen ist, sondern neue Formen der Gemeinschaftung gesucht und realisiert werden.“57 Kirchliche Rollenträger legen auch selbst Wert auf die eigene individualisierte Lebensform, wollen sich selbst immer weniger in „familiare“ Kirchenstrukturen auf Pfarrei-, Verbands- oder Diözesanebene einbinden lassen, leiden unter mangelnden Freiräumen für die eigene Person und Familie und schätzen nationale und internationale Vernetzungen, um den Blick zu weiten.

„In Zukunft werden Sozialformen christlichen Lebens bzw. kirchlicher Praxis, die eine spezifische Lebensform im Blick haben, auf steigende Nachfrage treffen, weil sie den ausdifferenzierten Lebensorten der Menschen heutiger Gesellschaft entsprechen. Daher wird neben der klassischen Kirchengemeinde eine Vielfalt kirchlicher Sozial- und Organisationsformen notwendig werden. Die praktisch-theologische Konzeption von Gemeinde wird sich wohl noch mehr als bisher darauf einstellen müssen, dass diese Pluralität der Sozialformen eine Normalität der gesellschaftlichen Präsenz von Kirche und christlichem Glauben darstellt.“58

Es ist selbstzerstörerisch und demotivierend, nach jeder mager besuchten Veranstaltung aufs Neue den „fetten Jahren“ und den „Schlaraffenländern“ der Pastoral nachzutrauern. Manche Kerngemeinde versteht sich selbst als kleine aufrechte Widerstandstruppe und fühlt sich vom hauptberuflichen Personal verraten, wenn dieses eine weitere Perspektive einbringt. Gemeindeleitung meint nicht nur die Erledigung formaler Leitungsaufgaben, sondern das Aufzeigen pastoraltheologischer Perspektiven. Die Fixierung auf die Gemeindepastoral muss aufgelockert werden; man muss sich ohne Abwertung der „punktuell Aktiven“ auch den pastoralen Zwischenräumen und Gelegenheitsstrukturen in der Pastoral widmen. Die Leitungspersonen müssen Gemeinden darauf vorbereiten und Zukunft aufzeigen.

Der Pfarrer muss sich nicht schämen für den Rückgang der aktiven Gemeindemitglieder. Der Gemeindeverantwortliche darf sich nicht treiben lassen zu immer neuen und teilweise peinlich anmutenden Versuchen, ein familiäres Gemeindebild aufrecht zu erhalten. Seelsorger müssen zur Vielfalt individueller Biographien ein positives konstruktives Verhältnis entwickeln. Die Individualisierung lediglich als bequemen Rückzug des Einzelnen zu verteufeln, wird diesen gesellschaftlichen Phänomenen nicht gerecht. Personalentwicklung hat hier den Auftrag, Frustration in proaktive Such- und Lernerfahrung umzuwandeln, Erfahrungen theologisch zu deuten und das Suchpotenzial kreativ zu nutzen.

Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal

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