Читать книгу Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal - Christine Schrappe - Страница 20
2.6 Pfarreiseelsorge zwischen Expertokratie und Dilettantismus
ОглавлениеDie Kompetenzanforderungen an das Seelsorgepersonal sind gestiegen: Hohe fachliche Professionalität wird von den Dienstleistern einer funktional gegliederten Gesellschaft erwartet, hohe Authentizität und personale Glaubwürdigkeit sind speziell in der Kirche gefordert. Naivität, fachlicher Dilettantismus und mangelnde Professionalität seitens hauptamtlicher Kirchenrepräsentanten auf Ebene der Bistumsleitung wie auf Ebene der erlebbaren Ortspfarrei werden in einer Dienstleistungsgesellschaft geächtet.
Große Unklarheit herrscht jedoch darüber, welche und wie viel Professionalität erforderlich ist, was Professionalisierung angesichts zunehmender Heterogenität und Differenzierung pastoraler Handlungsfelder speziell für die Gemeindearbeit bedeutet und wie diese umgesetzt werden soll. Aus einem reichen Fortbildungsangebot von EDV-Kursen über Projektmanagement bis hin zu Sterbebegleitung kann der Einzelne wählen, ohne genau zu wissen, welche Kompetenzen seitens des Arbeitgebers vorrangig erwünscht sind und abgerufen werden sollen. Das pfarreiliche Handlungsfeld ist nicht nur der fruchtbare Weinberg, sondern wird zum „Kraut- und Rübenacker“, wenn Prioritäten und Posterioritäten nicht festgelegt werden. Die Wahlfreiheit des Einzelnen bezüglich seines Kompetenzzuwachses kann für die Gesamtorganisation zu einem konzeptlosen „Gießkannenprinzip“ werden.
Gemeinde- oder Pastoralreferenten in der Pfarrei dem in immer neuen Varianten wiederholten Vorwurf aus, als Experte und Professioneller das Ehrenamt auszuhöhlen, lebendige selbstgesteuerte kirchliche Vergemeinschaftung zu behindern, Exklusivität zu steigern und der Verkirchlichung des Evangeliums Vorschub zu leisten. Die aus gestiegenen Kirchensteuermitteln in den letzten Jahrzehnten finanzierten neuen Laienberufe sehen sich heute mit der offenen Vorhaltung konfrontiert, den Volk-Gottes-Gedanken des 2. Vatikanischen Konzils zu konterkarieren und der Gleichheit und gemeinsamen Würde aller Gläubigen mit ihrer beruflichen Rolle und Funktion entgegenzuwirken. Der Diakon mit Zusatzausbildung in Sozialmanagement steht im Verdacht, ehrenamtliche Mitarbeiter durch pastorale Professionalität in die Rolle von Zuschauern und Konsumenten zu zwingen. Hauptberufliche Laien, welche von Personaleinsatzzentralen bewusst in Leitungsfunktionen vor Ort gesetzt wurden, um personelle und fachliche Leitungsdefizite zu füllen, müssen sich gegenwärtig den Vorwurf gefallen lassen, personale Fixierung in der Kirche zu verstärken und das Ehrenamt zu verdrängen.78 Im Zuge knapper werdender finanzieller Ressourcen finden auf dem Rücken des Seelsorgepersonals auch theologische Umdeutungen statt. Pastorale Professionalisierung steht im Verdacht, eine „Expertokratie“ herausbilden zu wollen und Ehrenamtliche zu entmachten. Gefordert wird eine „professionelle Entprofessionalisierung“, die Berufsprofile nicht verfestigt, sondern die Zusammenarbeit menschlicher gestalten hilft, ohne das Verständnis von Professionalität in der Pastoral inhaltlich zu klären.79 Der Pastoralprofi stehe in der Gefahr, sich selbst für unverzichtbar zu halten und sich mit einer Aura von Exklusivität und Komplexität zu umgeben, wird beklagt.80 Dem pastoralen Experten werden Allmachtsphantasien unterstellt, wenn er glaubt, eine Gemeinschaft „herstellen“ zu können, was auf einen klaren Unterdrückungsmechanismus hinauslaufen würde. Welche fachlichen und personalen Kompetenzen für den Pfarrer oder einen Diakon unerlässlich sind und auf welchem Wege diese zu erlangen und zu fördern sind, bleibt unbeantwortet. Damit bleibt Personalentwicklung, die als Handlungswissenschaft auf theologische Handlungsleitlinien angewiesen ist, auf sich gestellt.
Mit dem Ende volkskirchlicher Strukturen und im Zuge massiver Sparzwänge blühen in deutschen Bistümern pastoraltheologische Visionen einer basisorientierten, geisterfüllten und von ehrenamtlichen Laien getragenen neuen Form des Kirche-Seins. Diese Entwürfe implizieren nicht selten ein Gegenüber von professionalisierter bürokratischer Hauptamtlichenkirche und einer von Laienengagement getragenen missionarischen Kirche, die sich in kleinen lebendigen Netzwerken verwirklicht. Pastorale Mitarbeiter geraten indirekt als bezahlte und quasiverbeamtete „Funktionäre“ unter Legitimations- und Rechtfertigungsdruck. In ihnen sieht man Bewahrer des Status quo, da es immer auch um eigene berufliche Existenzberechtigung geht. Aufgrund ihres „Beamtenstatus“ wird ihnen Veränderungspotenzial abgesprochen. Hauptberufliche stehen im Verdacht, pastorale Kontinuitätsfiktionen zu pflegen, um das eigene Berufsprofil zu wahren. Es wäre einseitig und polarisierend, z.B. den Leitungsorganen in der Kirche nur das ängstliche Beharren und den geistlichen Bewegungen den befreienden Pfingstgeist zuzuweisen. Hauptamtliches Personal steht nicht per se für „Verkirchlichung“, Ehrenamt bedeutet nicht automatisch basisorientierte Charismenorientierung. Es ist derselbe Geist, der in den Charismen und in den Ämtern wirkt, der für Kontinuität und Aufbrüche sorgt, der Traditionen wahrt und Reformen hervorruft.
Wenig dienlich sind plakativ aufgestellte Gegensätze zwischen einer gemeindlichen Versorgungsstruktur, in der sich der kleinbürgerliche Milieukatholizismus durch pastorale Profis bedienen lässt, einerseits und basiskirchlichen Netzwerken sozial-pastoral aktiver Christen ohne Leitung durch Hauptamtliche andererseits.81 Dieses grobe Raster unterstellt, dass eine gute Ausstattung mit „pastoralen Professionals“ die Kontinuitätsfiktion einer versorgten Kirche der Moderne pflegt, während das Fehlen hauptberuflicher Dienste per se postmoderne Netzwerkbildung fördere. Der Vorwurf, Professionalisierung im Seelsorgebereich folge dem Leitbild einer „modernisierten Gestalt einer romantischen Genieästhetik“82, beantwortet die Frage nach zeitgemäßer Seelsorge nicht. Pastorale Professionalisierung muss nicht zur Entmündigung des Volkes Gottes führen und konsumorientierte Versorgungsmentalität bedienen. Ein Zurückschrauben pastoraler Dienste im deutschsprachigen Raum führt genauso wenig zu einer „Kirche der Armen“, wie pastorale Professionalität auf egomanische „Unterdrückungsmechanismen“ hinauslaufen muss.83 Ein Zurückfahren hauptberuflicher pastoraler Kompetenz in der Seelsorge führt nicht unbedingt zu einer „solidarischen und solidarisierenden Theologie“.84
Pastorales Personal, das auf territorialer Ebene arbeitet, befindet sich in einem weiteren Professionalisierungsdilemma. Der Wunsch nach Spezialisierung und Vertiefung einzelner Fachkompetenzen ist für den Klinik- oder Gefängnisseelsorger unerlässlich und anerkannt. Die damit verbundene Eingrenzung von Handlungsfeldern ist für den „Spezialseelsorger“ erwünscht und trägt zu individueller Berufszufriedenheit bei. Kostenintensive Spezialfortbildungen werden im Bereich Sonderseelsorge finanziert, während die Pastoral- oder Gemeindereferentin in der Pfarreiarbeit Mühe hat zu erklären, warum auch sie Interesse an einer Weiterbildungsmaßnahme hat. Der Gemeindeseelsorger steht in stündlich wechselnden Handlungsfeldern, die thematisch und zeitlich nur schwer eingrenzbar sind. Die Arbeit in den Ortsgemeinden wird aus oben beschrieben Gründen zur subjektiv erlebten und intersubjektiv begründbaren Zumutung oder Überforderung. Persönliche Spiritualität kann diese strukturellen und konzeptionellen Dilemmata nicht auffangen. Von immer mehr Pfarrern, Diakonen und Laien wird der Ausweg in einer kategorialen Aufgabe gesucht.85
Eine Theologie der Personalentwicklung im deutschen Kontext muss einen Beitrag leisten in einem Diskurs über die „Ambivalenz der Professionalisierung“.86 Es geht nicht um die Frage, ob zu viel Professionalisierung in der (Gemeinde-)Pastoral schadet. Das bezahlte berufliche Handeln ist nicht unauthentischer als das Ehrenamt in der Kirche. Das Infragestellen der Notwendigkeit pastoraler Professionalität übersieht die Differenzierungsprozesse der Moderne und steht in Gefahr, ein vormodernes Gemeindeideal abseits jeglicher Differenzierungen zu pflegen. Die entscheidende Frage ist, wie pastorale Professionalität nicht zur Degradierung Ehrenamtlicher, sondern zum Dienst an der Erfahrung, Kompetenz und Ermächtigung des jeweils Anderen und somit zu solidarisierendem Handeln werden kann.