Читать книгу Mord im Weinberg - Christine Zilinski - Страница 10
Kapitel 8
ОглавлениеCharlottes Gesicht wurde noch eine Nuance röter. Sie versuchte, ihren Schnitzer wieder auszubügeln. „Nein, ist schon gut, das ... hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich sollte darüber auch gar nicht sprechen.“ Paulsen zog mit einem amüsierten Gesichtsausdruck die Augenbrauen hoch. „Jetzt haben Sie mich aber neugierig gemacht. Kommen Sie, wir tauschen Informationen aus. Ich stehe Ihnen Rede und Antwort, und Sie mir ebenfalls. Also, was war gestern los?“ Charlotte biss sich auf die Unterlippe, schwieg jedoch. Paulsen blieb beharrlich: „Na los, sonst überlege ich mir, ob ich Ihnen nur noch Humbug erzählen soll.“ Obwohl er dabei schmunzelte, spürte Charlotte, dass er es durchaus ernst meinte. Und in dem Fall war ihre Reportage im Eimer – und die Weinstadt Woche über kurz oder lang auch. Dennoch protestierte sie schwach: „Das ist aber schon Erpressung, das wissen Sie?“ Paulsen lachte laut auf. „Klar, aber denken Sie wirklich, ich hätte es so weit geschafft, wenn ich immer nur geduldig gewartet hätte, ob mein Gegenüber nun will oder nicht?“ Er klang dabei so, als würde er über das Wetter palavern. In Charlottes Kopf sprang das Gedankenchaos an: ‚Wenn Jankovich das erfährt, steht er bald schon wieder bei mir auf der Matte. Nur wird er dann nicht mehr so freundlich sein. Andererseits ... Paulsen ist ja eh der Gutsbesitzer hier. Dann wird er es schon längst wissen. Vermutlich. Und ich muss die Story schreiben, sonst kann ich mir nen neuen Job suchen.‘ Sie seufzte. „Na, also schön. So spektakulär ist es aber auch nicht“, versuchte sie, ihre Rolle in der Geschichte herunterzuspielen. „Also ... Sie wissen es wahrscheinlich schon längst ... der Tote, der hier ums Eck gefunden wurde? Den hab ich gefunden.“
Über Paulsens Gesicht legte sich ein Schatten. „Oh. Das tut mir leid für Sie.“ Er atmete einmal durch. „Ja, von dem Toten weiß ich natürlich. Ich habe es von der Polizei erfahren. Wissen Sie, der Tote wurde in meinem Weinberg gefunden. Alle Reben hier im Umkreis gehören mir. Daher hatte ich gestern schon das Vergnügen mit der Polizei. Ob ich wüsste, wer der Tote ist, warum er in meinem Weinberg getötet wurde und so weiter. Naja, ich konnte leider keine Frage des Beamten beantworten. Schließlich kann ja jeder in meine Weinstöcke hineinlaufen, sie sind nicht abgesperrt. Aber fahren Sie fort“, bedeutete er Charlotte mit einer ungeduldigen Handbewegung. Charlotte druckste. „So viel gibt es da gar nicht mehr zu erzählen. Ich war halt gestern zufällig spazieren mit ... einem Hund. Und der Hund hat die Leiche ... erschnüffelt. Daraufhin habe ich die Polizei angerufen, und das war’s. Mehr kann ich wirklich nicht erzählen.“ Charlotte hoffte inständig, dass Paulsen es darauf beruhen lassen würde. Doch statt sich weiter nach dem Toten zu erkundigen, fragte Paulsen auf einmal: „Sie haben einen Hund?“ Dabei lehnte er sich zurück, beinahe so, als wolle er Abstand zwischen sie beide bringen. Irritiert schüttelte Charlotte den Kopf. „Ich? Nein, das ist nur ein ... Leihhund, sozusagen. Er gehört meinem Vermieter und ich führe den Hund an den Wochenenden morgens aus.“ Paulsens Stimme klang angespannt. „Sie haben sich aber die Hände gewaschen, will ich hoffen?“ Nun war Charlotte richtig konsterniert. „Ähm, ja, sicher. Ihr Sekretär hat mich gleich als Erstes darum gebeten.“ Paulsen schien erleichtert. „Gut, gut. Entschuldigen Sie meine Reaktion. Aber ich bin hochgradig allergisch gegen Hunde. Das .... kann für mich sehr unangenehme Folgen haben. Darf ich Sie daher bitten, in dieser Woche möglichst keinen Kontakt mehr zu diesem Hund zu haben? Zumindest solange, wie Sie mich hier besuchen.“ Charlotte fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Paulsens Bitte war überhaupt nicht verhältnismäßig. Aber ... sie hatte den Eindruck, dass eine Diskussion mit diesem Mann sinnlos war. Zumal sie Dostojewski bis zum kommenden Wochenende ohnehin nicht mehr ausführen müsste. Und sie konnte ihren Chef Richling schon zetern hören, dass sie die Reportage auf keinen Fall gefährden sollte. Daher willigte sie ein. „Natürlich, kein Problem. Unter der Woche führe ich den Hund sowieso nicht aus.“ Gleichzeitig dachte sie: ‚Wie zum Teufel kommen wir eigentlich von der Leiche auf den Hund? Meine Güte, andere haben doch auch eine Tierhaarallergie.‘ Charlotte bemühte sich, ihre Mimik unberührt von ihren Gefühlen zu lassen. Sanne hatte ihr nämlich schon oft gesagt, dass man ihrem Gesicht sehr gut ansehen könne, was sie dachte. Daher bemühte Charlotte sich, ihren Ärger schnell abzuschütteln, und sagte dann betont heiter: „Also, ich würde vorschlagen, wir machen mit meinen Fragen weiter?“
Als das gusseiserne Tor sich hinter Charlotte und ihrem Fahrrad schloss, fühlte sie sich erleichtert. Obwohl sich Paulsen die restliche Zeit über höflich ihren Fragen gewidmet hatte, war die Atmosphäre angespannt geblieben, seit Charlotte Dostojewski erwähnt hatte. Nach etwa einer Stunde verabschiedete sie sich endlich mit den Worten: „Danke Ihnen für Ihre Zeit. Dann würde ich heute Nachmittag schon mal sehen, was ich mit meinen Notizen anfangen kann. Passt es Ihnen, wenn ich morgen wieder vorbeikomme?“ Paulsen hatte zum Abschied genickt, ihr aber nicht mehr die Hand gegeben. Nun hängte Charlotte sich ihre Tasche schräg über die Schulter und schwang sich auf ihr Rad. ‚Und jetzt nichts wie ab nach Hause.‘ Beim nächsten Abhang ließ sie sich den Weg herunterrollen. Eine Hand hielt sie aber an der Bremse, um einen unliebsamen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Spaziergängern zu vermeiden. Sie genoss den Fahrtwind im Haar und atmete die frische Mailuft ein und aus. ‚Gott sei dank bin ich mit dieser Paulsen-Reportage bis zu meinem Geburtstag durch‘, dachte sie unvermittelt. Als sie merkte, dass sie sich der Stelle näherte, an der Dostojewski gestern den Toten gefunden hatte, schlug sie einen Umweg ein.
Bei Richlings Haus angekommen schob sie ihr Fahrrad in den Gemeinschaftsflur. Sie war heilfroh, dass ihr Chef schon im Büro war. So konnte sie unangenehmen Fragen nach Paulsen erst einmal aus dem Weg gehen. ‚Am besten bleibe ich heute zuhause. Homeoffice ist mir ja erlaubt für die Reportage.‘ Sie stieg die Treppe zu ihrer Wohnung hoch und wusch sich die Hände. ‚Wobei ich nach diesem sterilen Haus wahrscheinlich keinen einzigen Keim mehr am Körper habe‘, dachte sie spöttisch. Anschließend bereitete sie sich einen Kaffee zu und setzte sich damit auf ihr Sofa. Sie klappte ihren Laptop auf und legte ihr Notizheft auf die Tastatur. Doch sobald sie anfangen wollte, die ersten Zeilen für ihre Reportage zu tippen, schweiften ihre Gedanken erneut zum gestrigen Tag ab. Zu Dostojewskis Abgang in die Weinreben. Dem Toten mit dem augenlosen Blick. Dem anschließenden Durcheinander am Leichenfundort. Und dass Jankovich an genau derselben Stelle gesessen hatte, an der sie nun saß.
„Na Mahlzeit. Stich in die Niere mit anschließend aufgesetztem Herzschuss. Da hat wohl einer was zu sagen“, versetzte Specht in zynischem Tonfall. Er saß gemeinsam mit Kommissar Jankovich in dessen Büro. Beide Männer waren über die Tatortfotos gebeugt – sowie Charlotte Bienerts Zeugenaussage. Jankovichs Kollege Specht überflog kopfschüttelnd den abgetippten Bericht, dann ließ er das Papier sinken. „Ist ja ein Wunder, dass sie dieses Mal nicht direkt bei dir durchgeklingelt hat“, sagte er spöttisch. Jankovich tat so, als hätte er Spechts Anspielung auf Charlotte Bienerts letzten Anruf bei ihm nicht gehört. Nachdem sie vergangenen Herbst einen Todesfall auf dem Stuttgarter Kongressgelände miterlebt hatte, hatte sie ihn aufgelöst angerufen und um seine Hilfe gebeten. Jankovich konzentrierte sich auf den aktuellen Toten und sagte: „Mir schwant ehrlich gesagt Böses. Erstens das routinierte Vorgehen, zweitens der Zettel. Das weist auf einen Mörder hin, der mit Erfahrung tötet.“ Specht musterte ihn kritisch über seinen Brillenrand hinweg. Offenbar wollte er das Thema Charlotte nicht so einfach außen vor lassen. „Paul, du hast das Mädel dreimal aus der Patsche gerettet, nachdem sie sich in halsbrecherischen Aktionen selber reinmanövriert hat. Jetzt bahnt sich die nächste Bienert-ermittelt-Aktion an. Und du willst das ignorieren?“ Jankovich schüttelte genervt den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hubert, lassen wir das. Ihr Leben zu retten war nun mal mein Job. Ich Polizist, sie gefährdete Person. Abgesehen davon habe ich sie gestern schon gewarnt und ihr verboten, sich dieses Mal einzumischen. Aus genau den Gründen, die ich gerade genannt habe. Sie ist jetzt ohnehin mit einem anderen Projekt beschäftigt. Also können wir dieses Mal ohne Störungen ermitteln.“ Specht zog die Augenbrauen hoch: „Du hast mit ihr geredet?“ Jankovich lehnte sich nach vorne und sah seinen Kollegen fest an. „Ja, ich habe mit ihr gesprochen. Um sie persönlich vor weiteren Einmischungen abzuhalten. Und ich glaube ihr, dass sie sich raushalten wird. Ich hab Erfahrung damit, ob mich jemand anlügt oder nicht. Vor allem bei ihr.“ Specht hob die Augenbrauen und gleichzeitig die Hände in einer kapitulierenden Geste. „Alles klar, gut. Dann ist ja alles paletti. Abgesehen von dem Toten, natürlich.“ Jankovichs Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. „Richtig. Können wir uns jetzt also auf den Fall konzentrieren?“ Specht schob seine Brille die Nase hinauf und sagte: „Also schön. Wann kriegen wir den Autopsiebericht?“ Paul Jankovich erwiderte: „Wahrscheinlich morgen früh. Doktor Grünspan hat gerade noch eine andere Leiche auf dem Tisch, um ihn mal zu zitieren. Aber eine erste Schätzung zum Todeszeitpunkt hat er schon abgegeben. Gegen Abend, zwischen 18 bis 22 Uhr ist der Tod eingetreten. Bedeutende Abwehrspuren waren nicht zu erkennen, was an sich merkwürdig ist, da der Stich in die Niere von hinten durchgeführt wurde. Das ist zwar ein Schock, aber gelähmt bist du deswegen noch lange nicht. Sagt zumindest Grünspan. Eigentlich hätte das Opfer sich dann wie eine Furie wehren müssen.“
Specht zog die Stirn in Falten. „Ergibt keinen Sinn. Naja, warten wir mal den Bericht ab, vielleicht waren die Opfer ja betäubt. Was sagen die KTUler?“ „Die Jungs von der Kriminaltechnik sind schon dran, sie analysieren den Zettel und die Kleidung des Toten.“ „Den Zettel ...“, wiederholte Specht nachdenklich. Er fischte zwischen den Tatortfotos, bis er die Aufnahme mit dem Papier aus der Hosentasche des Toten gefunden hatte. „Sieht ja schon nobel aus. Kein Null-acht-Fünfzehn Notizzettel. Und das ‚pro‘ sieht kalligraphisch aus.“ „Ja. Zeig noch mal“, sagte Jankovich und streckte den Arm aus. Specht hielt ihm das Foto entgegen. Jankovich kniff die Augen zusammen. „Hm ... Könnte mit Feder geschrieben sein. Unser Mörder ist also ein Feingeist.“ „Oder er will mit der Masche von sich ablenken. Hatten wir schon diverse Male“, entgegnete Specht. „Auch wieder wahr“, seufzte Jankovich. „Aber wie wahrscheinlich ist es, dass ein ..., sagen wir mal, simples Gemüt sich so einen Kniff überlegt? Ich weiß nicht ... naja. Als Nächstes befragen wir auf jeden Fall die Angehörigen unseres Opfers.“ Im nächsten Augenblick wurde er vom Läuten seines Telefons unterbrochen. Er warf einen Blick aufs Display. „Ah, Grünspan.“ Jankovich hob ab: „Na sowas, sagen Sie bloß, Sie sind mit der anderen Leiche schon durch?“ Schnaufend ergriff der Pathologe das Wort: „Bin ich auf Laut? Ihr Kollege sitzt doch gerade bei Ihnen, möchte ich wetten?“ Jankovich drückte folgsam den Knopf und legte den Hörer auf den Tisch: „Jetzt können wir Sie beide hören, Doktor Grünspan.“ Die Kommissare hörten den Arzt blättern, dann dröhnte sein Bass durch die Leitung: „Sie sollten sich dringend mit Ihrem Kollegen Hoffmann zusammenschließen.“ „Joachim Hoffmann von der Organisierten?“, hakte Specht nach und meinte damit die Inspektion K4 für organisierte Kriminalität und Rauschgiftkriminalität. „Warum das denn?“ „Weil Hoffmann mir die Leiche gebracht hat, die ich vor Ihrer auf dem Tisch hatte. Und seine Leiche weist entscheidende Gemeinsamkeiten mit Ihrer auf.“