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Kapitel 2

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Bis zum Eintreffen der Gäste verteilten Sanne und Christoph bunte Lichtgirlanden an den Deckenbalken, während Max und Johannes überraschend friedlich eine Cocktailbar errichteten. So verging die Zeit wie im Flug, und um kurz nach 19 Uhr klingelte es an der Gegensprechanlage. Charlottes Herzschlag beschleunigte sofort. Schließlich kannte sie nur einen Teil der eingeladenen Personen und wusste nicht, wer als erstes vor der Tür stehen würde. Sie blies Luft durch ihre Backen und setzte ein Lächeln auf, als sie den Hörer der Gegensprechanlage abnahm: „Ja, hallo?“ Blechern schepperte es ihr entgegen: „Sebastian und Cleo. Jetzt lass uns schon rein, wir stehen uns hier die Beine in den Bauch“, polterte er, obwohl sie erst wenige Sekunden warteten. Charlotte schnalzte mit der Zunge und drückte auf den Summer, während sie zeitgleich die Wohnungstüre öffnete. Ihr sportlicher Kollege aus der Redaktion spurtete bereits die Stufen zu ihrer Türe hoch. Hinter ihm kam jemand auf hohen Absätzen die Treppen hoch. Sebastian grinste und hielt Charlotte eine Rotweinflasche entgegen, die eine rote Schleife um den Hals trug. „Da, zum Einzug“, erklärte Sebastian überflüssigerweise und trat einen Schritt beiseite, damit seine Freundin ebenfalls eintreten konnte.

Charlotte kannte die Frau, die nun im Türrahmen erschien, bislang nur aus Sebastians Erzählungen. Sie musste zugeben, dass sie schon gespannt auf Cleo war. Wie mochte eine Frau wohl sein, die es schon seit einem halben Jahr mit einem sexistischen Macho aushielt? Charlotte wusste nicht genau, was sie erwartet hatte. ‚Wahrscheinlich ein schlecht blondiertes Etwas mit künstlicher Bräune und Gel-Nägeln, der das Aussehen ihres Freundes wichtiger ist als sein Charakter.‘ Doch Charlotte hatte sich getäuscht. Die Frau, die vor ihr stand, sah überhaupt nicht künstlich aus. Vielmehr sah Cleo aus wie ein Engel. Sie hatte natürlich weißblonde Haare, eine porentiefreine Gesichtshaut mit ebenmäßigem Teint, eine zartgliedrige Gestalt und ein bezauberndes Lächeln. Schüchtern hielt sie Charlotte ihre Hand zur Begrüßung hin. „Hi, ich bin die Cleo. Ich hab schon viel von dir gehört.“ Charlotte ergriff die Elfen-Hand und schüttelte sie leicht. Dabei schoss ihr nur ein Gedanke durch den Kopf: ‚Oh Gott, gegen die sehe ich ja aus wie ein Sack Kartoffeln.‘ Laut erwiderte sie: „Ich hoffe nur Gutes. Sebastian und ich haben ja so unsere Kollegendispute, gell?“, fragte sie, und warf Sebastian ein schiefes Grinsen zu.

Das war leicht untertrieben. Immerhin hatten beide einen handfesten Zwischenfall miteinander: Sebastian war zu einer Zeit, in der er auf mehr als Kollegialität gehofft hatte, Charlotte gegenüber handgreiflich geworden. Richling hatte davon Wind bekommen und Sebastian zur Strafe versetzt – aus der Aktuelles-Rubrik in die Sport-Rubrik. Richling hatte gewusst, dass er Sebastian damit etwas wegnahm, was ihm viel bedeutete. Und Sebastian hatte Charlotte diese Strafversetzung übelgenommen. So herrschte eine Zeitlang Eiseskälte zwischen den beiden. Doch mit der Zeit hatte sich das angespannte Verhältnis wieder entspannt. Und nun, da die Fronten endgültig geklärt waren und Sebastian seine Cleo hatte, pflegten die zwei Kollegen einen fast freundschaftlichen Umgangston miteinander.

Eine halbe Stunde später waren die Gäste vollzählig. Sanne hatte zum Einläuten der Party eine Maibowle aus dem kühlen Keller geholt, dank der die Stimmung auf Hochtouren kam. Obwohl es erst Anfang Mai war, war es tagsüber ungewöhnlich warm gewesen, und erst jetzt kühlte es dank der geöffneten Fenster angenehm ab. Neben Charlottes Arbeitskollegen waren vorwiegend Freunde von Johannes eingeladen. Einen Großteil davon kannte Charlotte nicht, doch Johannes hatte ihr versichert, dass eine Einweihungsparty die beste Möglichkeit sei, sie als seine neue Freundin vorzustellen. ‚Und darum geht’s ja bei meiner Feier, dass ich deine neue Freundin bin‘, hatte Charlotte zynisch überlegt, als sie darüber gesprochen hatten. Und doch hatte sie im nächsten Moment eingewilligt. Schließlich wollte sie die junge Beziehung zu Johannes nicht unnötig belasten. ‚Sei doch nicht so kratzbürstig‘, hatte sie sich selbst gerügt. ‚Eigentlich ist das doch ein schönes Zeichen, dass er dich seinen Freunden vorstellen will. Das zeigt nur, wie viel du ihm bedeutest.‘ Und nachdem sie dank Bowle angeheitert etwas Small-Talk mit seinen Freunden geführt hatte, musste sie zugeben, dass sie recht nett schienen. Trotzdem zog sie sich im Lauf des Abends wieder in gewohntes Terrain zurück und stand nun mit Sebastian und ihrem Chef Richling beisammen. Ihr Vorgesetzter und Vermieter war zwangsläufig eingeladen, da er natürlich sämtliche Vorbereitungen zur Party mitbekommen hatte und spätestens beim Feiern alles über seinem Kopf miterlebt hätte.

Max schnappte sich das Tablett mit den Häppchen und steuerte auf die Dreiergruppe zu, die etwas gezwungen miteinander scherzte. Als Max in Hörweite kam, sagte Richling gerade: „Na also, hab ich dir doch nicht zu viel versprochen, oder? Ein wahres Juwel, meine kleine Wohnung.“ Obwohl Charlotte ihm dankbar für die Wohnung war, wollte sie es damit auch nicht übertreiben. „Ja, dafür kriegst du ja auch deine Miete. Und Dostojewski muss sich am Wochenende nicht den ersten Klogang verkneifen. So wie gleich morgen früh zum Beispiel.“ Ihr grauste bei dem Gedanken, nach der Party nicht ausschlafen zu können. Auch wenn sie den gemächlichen Bernhardiner schon ins Herz geschlossen hatte. „Wo ist er überhaupt?“ Richling begutachtete kritisch die Häppchen auf Max‘ Tablett, während er Charlotte antwortete. „Der ist natürlich unten. Das hier ist doch viel zu viel Aufregung für den armen alten Kerl“, sagte er, und entschied sich für einen Brotstick – ohne Dip. „Kein Dip?“, fragte Max verwundert. „Der ist aber mega lecker!“ „Ne, der ist doch bestimmt mit Sahne, und ich vertrag doch keine Milch“, erwiderte Richling. „Tja, ich auch nicht“, ertönte Chloes sanfte Stimme. Sie gesellte sich zu der kleinen Gruppe und hakte sich bei ihrem Sebastian unter. Dann griff sie nach einem Melonenschiffchen und lächelte freundlich in die Runde. Charlotte lächelte zurück, und wieder überkam sie das Gefühl, neben Chloe zu einer Art Dromedar zu mutieren. Sie atmete einmal tief durch, dann lenkte sie das Gespräch aufs Berufliche. Nämlich auf ihre neue Aufgabe, die sie ab Montag für die Weinstadt Woche beginnen sollte: „Sag mal, Chef, wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, eine Reportage über diesen…“, sie überlegte kurz, bis ihr der Name wieder einfiel. „... über Paulsen zu machen?“

„Nikolas Paulsen“, erwiderte Richling mit einem Schnalzen, während er seinen Brotstick herunterschluckte. „Das habe ich dir doch schon erklärt. Paulsen ist einer der größten Weinfachwirte hier im Schwabenland. Du weißt doch, wie unfassbar viele Weinliebhaber wir hier im Süden haben. Die werden die Story lieben! Vor allem, weil es über Paulsen nur extrem seltene Interviews gibt.“ Er griff nach dem nächsten Brotstängel. „Jedenfalls, Paulsen besitzt neben diversen Weinbergen hier auch welche in Australien und den USA. Das ist insofern interessant, weil er in allen drei Ländern dieselbe Rebsorte anbaut. Trotzdem schmeckt jeder Wein etwas anders – je nach Ursprungsland. Ich habe mich da mal aus Recherchegründen durchgetestet“, fügte er hinzu und Charlotte verkniff sich ein Grinsen. ‚Dass er dabei ernsthaft so tut, als hätte er sich dafür aufgeopfert‘, dachte sie. Richling fuhr fort: „Sein Verkaufsklassiker ist die Dreier-Flaschen-Kombination, so dass man dieselbe Sorte dreifach anders trinken kann. Das ist schon eine clevere Idee…. Und Paulsen war der Erste, der auf sowas gekommen ist. Und wohl auch genug Startkapital hatte, um sich all die Flächen zu kaufen und bewirtschaften zu lassen.“ Richling seufzte beinahe verträumt, als wäre es auch seine geheime Leidenschaft, Weine herzustellen. Dann wurde sein Tonfall ernst: „Und da die Auflage unserer Zeitung gerade richtig absackt, brauchen wir dringend ein neues Format, das uns aus dem Sumpf holt. Deswegen eben eine schöne Reportage, wie beim Spiegel.“ „Klar, wie Relotius1“, spottete Sebastian. Ungerührt erwiderte Richling: „Ja, genau, wie Relotius. Nur halt wahr und nicht erfunden. Also Charlotte, gib dir Mühe am Montag. Es hat mich einiges an Überzeugung gekostet, dass du Paulsen eine Woche lang begleiten darfst.“

Charlotte seufzte. ‚Schön, dass die Hoffnung der Zeitung mal wieder auf mir lastet. Ich hab ja mit meinen Berichten über die letzten Morde nicht schon genug Beiträge geleistet.‘ Frustriert ließ sie den Blick über ihre Gäste schweifen. Dabei bemerkte sie, dass einige der stehenden Partygäste leicht gebückt dastanden. ‚Tja, Nachteil Dachwohnung‘, dachte Charlotte. Unvermittelt blitzte vor ihrem inneren Auge ein Bild auf: Kommissar Jankovich, der in einem alten Flanellhemd bei ihr in der leerstehenden Wohnung stand und sich beim Streichen den Kopf anstieß. Im selben Moment schüttelte sie leicht den Kopf. Sie wunderte sich, dass ihr ausgerechnet jetzt ihr letztes gemeinsames Treffen wieder einfiel.

‚Jankovich‘, dachte Charlotte wehmütig. ‚Ob ich den jemals wiedersehe?‘ „Wo bist du denn gerade, Schatz?“, riss Johannes sie aus ihren Gedanken und legte besitzergreifend den Arm um ihre Taille. Er hatte sich ebenfalls zu ihrer Runde dazugesellt. „Ach, nirgends“, sagte Charlotte schnell. Sie würde sich hüten, Johannes in ihre Gedanken einzuweihen. Er war ohnehin nicht gut auf Jankovich zu sprechen. Der Kommissar hatte ihren Freund im letzten Fall wie einen Verdächtigen behandelt. ‚Vielleicht hat ihm aber auch nicht gepasst, dass Johannes Interesse an mir hatte‘, dachte Charlotte und ein warmes Gefühl begleitete den Gedanken. Doch dann rief sie sich gleich wieder zur Vernunft. ‚Ach, vergiss es. Jetzt hör endlich auf, an ihn zu denken‘, schalt sich Charlotte. Es war Monate her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Und Jankovich war bestimmt nach wie vor mit seiner Ruth zusammen, die er übers Internet kennen gelernt hatte. ‚Und du hast Johannes, schon vergessen?‘, schaltete sich ihr Gewissen ein.

Als sie den Blick über ihre kleine Runde schweifen ließ, hatte sie den Eindruck, dass die Stimmung mit Johannes‘ Dazutreffen auf einmal kippte. Richling ließ desinteressiert den Blick schweifen und schien sich nach neuen Gesprächspartnern umzusehen. Sebastian und Chloe wandten sich einander zu und diskutierten darüber, wer von beiden nach Hause fahren würde, weil er weniger Maibowle intus hatte. Und Max war mit dem Tablett sofort wieder abgezogen. Charlotte spürte die Abneigung gegen ihren Freund. Beschämt musste sie sich eingestehen, dass auch sie am liebsten nur noch wegwollte. Weg von der Lautstärke, den Gesprächen, der Party. Am liebsten wäre sie unten in Richlings Wohnung gegangen und hätte sich neben Dostojewski gelegt, der wahrscheinlich in seinem XXL-Hundekorb komatös vor sich hin schnarchte.











Mord im Weinberg

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