Читать книгу Mord im Weinberg - Christine Zilinski - Страница 7

Kapitel 5

Оглавление

Pflichtbewusst rief sie auf dem Weg zurück in ihre Wohnung Sanne an, um ihr vom neuesten Todesfall zu berichten. „Oh Gott, Charlotte! Das gibt’s doch nicht! Bist du verflucht, oder was?“, rief Sanne schrill in den Hörer. Charlotte schnaubte. „Ohne Scheiß, das habe ich mir auch schon überlegt.“ Charlotte klagte ihrer Schwester eine Weile lang ihr Leid, die ihr verständnisvoll zuhörte. Als Charlotte klar wurde, dass sie Sanne schon seit geraumer Zeit vom Wochenenddienst im Zoo abhielt, verabschiedeten sich die beiden. Anschließend versuchte Charlotte, Johannes zu erreichen, doch bei ihm ging nur die Mailbox ran. Da es ihr zu blöd war, ihren Leichenfund als Voicemail bei ihrem Freund zu hinterlassen, schrieb sie ihm eine kurze SMS: ‚Leider musste ich schon wieder die Polizei rufen. Dostojewski hat heute Morgen beim Gassigehen in den Weinbergen einen Toten gefunden. Melde dich, sobald du das hier liest.‘

Kaum zuhause angekommen, ließ sie Dostojewski in Richlings Wohnung. Sie wusste, dass dort immer ein gefüllter Wassernapf für ihn bereitstand. Guten Gewissens konnte sie in ihre eigene Wohnung hochlaufen, ohne sich weiter um ihn zu kümmern. Oben angekommen zerrte Charlotte eilig alle Klamotten von sich, warf sie achtlos auf den Boden und stellte sich unter die Dusche. Sie drehte das Wasser so heiß, wie sie es ertragen konnte. ‚Tut das gut‘, dachte sie wohlig und ließ es minutenlang über ihren Rücken laufen. Langsam spürte sie, wie ihre kalten Gliedmaßen wieder auftauten. Als ihre Haut rot wurde und anfing zu prickeln, dachte Charlotte widerwillig, dass sie jetzt wohl das Wasser abdrehen sollte.

Ding Dong. Ein Klingeln an der Haustüre zwang sie dazu, die Dusche tatsächlich abzustellen. „Ach, verdammt“, entfuhr es ihr. Doch im selben Moment kam ihr der Gedanke, dass es Johannes sein musste. Ihr Freund, der sich Sorgen um sie machte und alles stehen und liegen ließ, um zu seiner Freundin zu fahren. Augenblicklich fühlte Charlotte sich schuldig, dass sie sich in den letzten Tagen so über ihn geärgert hatte. Er war eben doch ein einfühlsamer Freund, der für sie da war. Charlotte angelte nach einem kleinen Handtuch für ihre Haare und wickelte sie in einen Turban. Ungeduldig surrte die Türklingel erneut. „Ja, ja, ich komm ja schon“, sagte Charlotte, nun doch leicht genervt. Hastig frottierte sie sich ab, bevor sie das große Handtuch rasch um den Körper schlang. Barfuß rannte sie zur Haustür und drückte den Summer, ohne sich zu vergewissern, wer unten stand. Charlotte versuchte, sich mit dem unteren Zipfel des Handtuches die Füße abzutrocknen, da diese immer noch klatschnass waren. Schnelle Schritte auf den Stufen zu ihrer Dachwohnung zeigten, dass ihr Besucher es eilig hatte. Charlotte überzeugte sich davon, dass ihr Handtuch fest genug unter die Achsel geklemmt war. Dann öffnete sie die Tür. Doch es war nicht Johannes, der vor ihr stand.

Es war Kriminalhauptkommissar Paul Jankovich. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, einer halbnackten Charlotte gegenüberzustehen, denn er starrte sie wortlos mit weit aufgerissenen Augen an. Charlotte starrte aus ebenso großen Augen zurück, während sich auf dem Parkettboden unter ihren Füßen eine kleine Pfütze bildete. Einen Augenblick später schien Jankovich sich wieder gefangen zu haben. Er räusperte sich und sagte: „Ich, äh, entschuldigen Sie, ich ... hab Sie auf Ihrem Handy angerufen, aber Sie sind nicht rangegangen.“ Charlotte spürte, wie das Wasser aus ihren Haaren am viel zu kleinen Handtuch vorbei den Nacken herunterrann und sie eine Gänsehaut bekam. Sie vergewisserte sich erneut, dass das große Handtuch an ihrem Körper nicht verrutschen konnte und presste ihre Arme fest gegen den Oberkörper. Stammelnd sagte sie: „Ich äh ... war unter der Dusche.“ Jankovich verzog den Mund zu einem halben Lächeln. „Ja, das sehe ich.“ Charlottes Knie wurden weich. ‚Verdammt nochmal, warum zur Hölle steht dieser Mann in meiner Wohnung?‘, ärgerte sie sich. Jankovich sagte: „Vielleicht ziehen Sie sich kurz um – dann reden wir in Ruhe.“ Die Aussicht darauf, dass dieser unangenehme Moment vorerst kein Ende finden würde, versetzte Charlotte in Stress. Sie spürte, wie sich ihre Kiefermuskeln anspannten und es unter ihren Achseln zu jucken begann. Daher entfuhr ihr gereizt: „Reden? Über was denn? Und was machen Sie überhaupt hier?“ Das halbe Lächeln erlosch wieder. „Frau Bienert. Stichwort: Leiche im Weinberg? Heute Morgen?“ Charlotte schüttelte den Kopf. „Ja schon, aber ich habe dieses Mal die 110 gewählt. Ich habe Sie nicht angerufen, ich ... wollte Sie an einem Sonntag nicht stören.“ „Ja, das ist richtig. Und auch sehr rücksichtsvoll von Ihnen“, sagte er, doch es klang wenig freundlich. „Aber die Kollegen vom Kriminaldauerdienst haben mich über den Leichenfund informiert, das ist so Standard bei uns. Und da ist mir Ihr Name natürlich gleich aufgefallen. Sie können sich vielleicht vorstellen, was ich mir gedacht habe, dass ausgerechnet Sie schon wieder einen Toten gefunden haben.“

Ach ja, was denn?, hätte sie am liebsten frech gefragt, weil er das Sie so betonte. Angesichts seines ernsten Gesichtes erwiderte sie jedoch kleinlaut: „Ach ok ... wenn ich das gewusst hätte, hätte ich Sie ja gleich selber anrufen können.“ Sie schämte sich für ihren vorigen Tonfall und ließ die Schultern sinken. Im nächsten Moment spürte sie, wie sich ihr Handtuch löste. Gerade noch rechtzeitig griff sie hektisch nach dem Tuch und presste es sich gegen den Körper. Sie lief knallrot an und spürte, dass ihr Brustansatz deutlich zu sehen sein musste. In ersticktem Tonfall sagte sie: „Ähm, könnten Sie sich bitte mal kurz umdrehen?“

„Oh, natürlich ... Verzeihung.“ Jankovich drehte sich hastig um. Charlotte wickelte das Handtuch erneut um ihren Körper und huschte im nächsten Augenblick in Richtung Schlafzimmer. Als sie die Zimmertür erreicht hatte, hörte sie ihn sagen: „Ich setze mich solange auf Ihr Sofa. Lassen Sie sich Zeit.“ Seine Stimme klang förmlich.

„Oh mein Gott! Wie peinlich ist das denn“, entfuhr es Charlotte in einem heiseren Flüstern, als sie hektisch in ihrem Kleiderschrank wühlte. Sie griff wahllos nach einer roten Jeans und einem grünen T-Shirt und warf beides aufs Bett. Dann ließ sie das Handtuch fallen und schlüpfte eilig in die Klamotten. Anschließend wickelte sie den Turban von ihren Haaren und rubbelte mit dem Frotteestoff kräftig an ihnen, um sie schneller zu trocknen. Als sie einen prüfenden Blick in den Standspiegel in der Zimmerecke warf, blickte ihr ihr missmutiges Spiegelbild entgegen. ‚Na toll, ich bin immer noch knallrot‘, dachte sie verärgert. Abrupt wandte sie sich vom Spiegel ab. Sie zwang sich dazu, einmal tief durchzuatmen, bevor sie die Tür wieder öffnete. Sie sah, dass Jankovich sich wie angekündigt auf ihr kleines Sofa gesetzt hatte. Er hatte seine langen Beine, die in Jeans steckten, locker gekreuzt. Seine Lederjacke, die er sonst immer trug, hatte er ausgezogen und neben sich auf das Sofa gelegt. Er trug ein halblanges, blaues Hemd, aus dem seine sehnigen Unterarme herausschauten. Seine Haare sahen kürzer aus als bei ihrem letzten Treffen, und er schien frisch rasiert. Nun stieg Charlotte auch sein Aftershave-Duft in die Nase, der sich inzwischen in ihrer Wohnung ausgebreitet hatte. Er schien zu bemerken, dass sie ihn musterte, und wandte den Kopf in ihre Richtung.

Eilig setzte Charlotte sich in Bewegung und lief ins Wohnzimmer. Sie zog sich einen kleinen Hocker heran und nahm Jankovich gegenüber Platz. Zwangsläufig saß sie so tiefer als er, und er war ohnehin deutlich größer als sie. Doch Charlotte wollte sich nicht zu ihm auf die Couch setzen. Kaum dass sie saß, spürte sie, wie ihr das Wasser aus den Haaren erneut den Hals herunterrann und begann, den T-Shirt-Ausschnitt zu befeuchten. Sie versuchte, sich unauffällig den Hals mit den Unterarmen abzuwischen und fragte: „Also, wie komme ich zu der Ehre?“ In ihrer Verlegenheit klang sie erneut widerborstig, und sie schämte sich dafür. Jankovichs Blick ruhte auf ihren nassen Haaren, dann sah er ihr in die Augen. Er wirkte im Gegensatz zu ihr völlig gelassen. „Nun, wie gesagt, Frau Bienert. Es geht darum, dass Sie mal wieder einen Toten gefunden haben. Und da ich Sie ja schon etwas kenne, dachte ich, komme ich Ihrem Elan zuvor und sage Ihnen, dass dieser Fall für Sie vollkommen tabu ist.“ Er klang dabei ruhig und entspannt, weder feindselig noch belehrend. Dennoch fühlte Charlotte sich vor den Kopf gestoßen. Außerdem beraubte sie die peinliche Situation, sich beinahe vor dem Kommissar entblößt zu haben, jeglicher Gelassenheit.

Sie zog die Augenbrauen zusammen und sagte gereizt: „Naja, dass ich die Finger vom Mordfall lassen soll, höre ich ja nicht zum ersten Mal. Was ist dieses Mal so besonders, dass Sie mich zuhause aufsuchen?“ ‚Und mich aus der Dusche jagen?‘, hätte sie am liebsten hinzugefügt. Jankovich schüttelte den Kopf. „Frau Bienert, es ist Sonntagmorgen. Sie werden Ihrem Chef wohl kaum schon von der Geschichte erzählt haben, nehme ich an?“ Charlotte schüttelte den Kopf. „Nein, der schläft wahrscheinlich immer noch.“ „Sehen Sie, dann brauchen Sie es ihm später auch gar nicht zu erzählen. Wenn er nichts erfährt, kann er Sie auch nicht auf die Geschichte ansetzen. Lassen Sie ihn außen vor und versuchen Sie zu vergessen was passiert ist.“ Charlotte war irritiert. „Na, das wird doch spätestens morgen in mindestens einer Zeitung stehen. Dass hier ums Eck eine Leiche gefunden wurde.“ Jankovich blieb immer noch ruhig. „Richtig. Aber nicht, dass Sie den Toten gefunden haben. Ihr Name bleibt draußen, und ... ihre Nase bitte auch.“ Charlotte merkte, dass er ihrer vorigen Frage ausgewichen war. Daher wiederholte sie hartnäckig: „Und was daran ist dieses Mal so besonders, dass ich so dringend meine Nase raushalten soll?“ Nun begann Jankovichs Gelassenheit doch zu bröckeln, er schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Charlotte hakte unerbittlich nach: „Hören Sie, Sie werden mich wohl kaum wegen einer Routineuntersuchung aus der Dusche rausklingeln, nur weil ich nicht ans Telefon gehe.“ Jankovich verschränkte die Arme vor der Brust. Charlotte sah, wie das Licht, das durch das Dachfenster fiel, die hellen Härchen an seinen Unterarmen aufleuchten ließ. Sie riss ihren Blick los und beteuerte: „Sie können es mir ruhig sagen. Ich kann Ihnen versichern, dass ich dieses Mal nichts unternehmen werde. Ich werde ziemlich beschäftigt sein die kommenden Wochen. Ich soll nämlich ab morgen eine ausführliche Reportage über einen Winzer aus dem Umfeld schreiben. Dazu darf ich den guten Mann dann erstmal tagelang begleiten.“ Jankovich beobachtete sie und schien abzuwägen, ob er ihr vertrauen konnte. Erwartungsvoll hob Charlotte die Augenbrauen und lehnte sich nach vorne. Durch die Bewegung lösten sich einige Tropfen aus ihren Haaren und fielen auf den kleinen Couchtisch zwischen ihnen. Jankovichs Brust hob und senkte sich, bevor er sagte: „Das ist aber streng vertraulich, hören Sie?“ Charlotte versuchte, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken, hütete sich aber davor, weiter zu reden. Jankovich löste seine Arme wieder und sprach leise: „Also ... ich weiß nicht, ob sie es gesehen haben, aber neben dem Schuss ins Herz wies der Tote auch noch einen Stich in die linke Niere auf. Der wurde wohl noch vor dem Herzschuss zugefügt.“

Mord im Weinberg

Подняться наверх