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NÄCHTLICHE EXPLOSION IM OFFIZIERSKASINO

SPRENGLADUNG IM GARTEN DES OFFIZIERSKASINOS EXPLODIERT • KOMMUNISTEN, ANARCHISTEN ODER RÄUBERBANDEN? • UNVERANTWORTLICHE STÖRUNG DER ÖFFENTLICHEN ORDNUNG • DEN ÜBELTATEN ENDLICH EINHALT GEBIETEN • MÖGLICHES ECHO IN HAUPTSTADT UND PRESSE

Parteien – in eins!

(Von unserem Sofioter Korrespondenten)

TRAGÖDIE EINES ARMEN MÄDCHENS

LIEBESDRAMA: Sturz in den Brunnen. Biographische Notizen zum Opfer (auf Seite VI)

MERKWÜRDIGER VORFALL

EINE VERSAMMLUNG, DIE NICHT STATTFAND

Kontrolleur überfallen

UNBEKANNTE TÄTER IM STADTKREIS – ZEUGE: STANJU D. – MEHR ALS ZEHN PATRONEN VERSCHOSSEN – BESTEHT EIN ZUSAMMENHANG MIT FRÜHEREN VORFÄLLEN IM LANDKREIS?

Pferdedieb gefasst! Ein für allemal hinter Gittern

BALDAKOW: SCHARFES DEMENTI?

G. Baldakow, vorm. Reviervorsteher, dementiert entschieden. Was stimmt nun wirklich?


Von diesem Tag an nahm das Unheil in K. seinen Lauf. Am 10. August rührte der Ausrufer die Trommel und lud alle Bürger, die ihr Brot nicht mehr selber buken, feierlich zu einer Versammlung ein, die um vier Uhr nachmittags im Saal der Lesehalle stattfinden sollte. Dort warteten die Leute eine geschlagene Stunde, ohne dass jemand erschien und ihnen erklärte, aus welchem Anlass man sie überhaupt gerufen hatte. Die Verwunderung war groß, man ging verdutzt, mit viel Rätselraten und nicht ohne bissige Kommentare wieder auseinander.

Kurze Zeit später warfen Übeltäter eine Bombe in den Garten des Offizierskasinos, Angelarios Papadopulos wurde in Simniza unter den Zug gestoßen, und in K. ertrank unter ungeklärten Umständen Lilka Jakowa.

Die Bombe war Marke Eigenbau, Lyddit oder Melinit, mit Lunte und einer kleinen Flasche Spiritus als Zünder. Sie explodierte mit einem furchtbaren Donnerschlag, Bäume wurden gepeitscht und entlaubt, doch Opfer gab es keine zu beklagen, nur das Dach eines Kioskes wurde teilweise abgedeckt. Ohne viel Federlesen, im blitzartigen Zugriff wurden ein paar aktenkundige Anarchisten verhaftet, die aber jegliche Anschuldigung bestritten, empört ihre Alibis vorwiesen. Sie wurden verprügelt und laufen gelassen. Genauso ging man hin und verhaftete zwei, drei Kommunisten – einfach so und für alle Fälle, denn sie waren es natürlich auch nicht gewesen, was man im Grunde vorher wusste, weil die Kommunisten in jenem Sommer 23 eher still in ihren Löchern hockten, in Erwartung von etwas, das keiner voraussehen konnte.

Wie der Bürgerschaft nachher mitgeteilt wurde, sei das Attentat nur verübt worden, um die anwesenden Gäste eines Konzerts zu verschrecken, das die Blaskapelle des legendären Siebenunddreißigsten Piriner Infanteriebataillons zur selben Zeit dort gab. Jemand habe erreichen wollen, dass der Zustrom an Gästen, der dem Kioskbesitzer des Gartens auf Kosten anderer innerstädtischer Lokale Profit bescherte, zum Erliegen kam. Also ökonomische Hintergründe, keine politischen. Solches nahm man gern für bare Münze, weil man es dem bestialischen Charakter des Bulgaren ohne Weiteres zutraute.

In der Nacht vom 10. auf den 11. stürzte sich die vierundzwanzigjährige Apothekergehilfin Lilka Jakowa kopfüber in den Schacht des Brunnens auf ihrem Hof. Für diesen Selbsttod eines jungen Menschen fand sich zunächst keine Erklärung. Dann aber klärte sich alles sehr schnell – nämlich als auf Seite eins der Freien Tribüne ein gewisser Pr. M. Tarow, Poet und Lagerist bei den Gebr. Kaischew (Wein- und Biergläser mit staatl. geprüfter Eichung, en gros und en détail; Zentrifugen; Ketten jedweder Länge und Dicke), seine Verlobung mit einem gewissen Frl. Jenny Krastewa aus Sofia bekanntgab. Wobei dieser Pr. M. Tarow in Wirklichkeit Projko Mankjow war. Derjenige nämlich, den Schuldirektor Christofor Milew mit zwölf weiteren Schülern anno 1919 (oder 20?) wegen Beteiligung an einer gegen die verordnete Volkstrauer aus Anlass des Vertrags von Neuilly-sur-Seine11 gerichteten Demonstration von der Schule gewiesen. Der seinem Französischlehrer Wassil Karagjosow immer so eifrig an den Lippen gehangen hatte, um die hohe Kunst des Reimens zu erlernen. Später machte Direktor Milew den Rausschmiss unter Auflagen rückgängig, nur dass Projko Mankjow auf diese Auflagen pfiff, weil keine zehn Pferde ihn in diese Schule hätten zurückbringen können, und Koljo, mittlerweile Noah Markows Gehilfe und Mechaniker für Fordson-Traktoren, hielt es genauso …

Somit kam Licht hinter die Sache mit Fräulein Jakowa. Die war in den Brunnen gesprungen, weil sie selbigem Projko Mankjow zum Beispiel anno 1923 eine stattliche Summe Geld geliehen hatte, damit er seinen Gedichtband Glocken des Martyriums in der Schnelldruckerei von Herrn Mitirisow in Auftrag geben konnte, und ihm am 26. März, als die Militärs wutschnaubend die Stadt durchkämmten, in ihrer Apotheke Unterschlupf gewährt, wodurch er der Verhaftung entging. Just damals verknüpfte sich ihr Schicksal mit dem seinen, denn in jener Nacht soll sie sich ihm versprochen haben.

Jedenfalls verließ Projko Mankjow damals – Anfang April, ein verregneter Monat – die Apotheke rasiert, mit ordentlichem Haarschnitt, ohne den breitkrempigen Hut, von dem er sich für immer getrennt hatte; die spitzen Schuhe unter den Galoschen hatte Lilka ihm ebenfalls gekauft. Sein Buch, die Glocken des Martyriums, fand natürlich keinen Absatz, so dass es Lilka wiederum auf sich nahm, sämtliche unaufgeschnittenen Exemplare des Buches in Wassil Krastews Buchhandlung zu erwerben, auf einen zu diesem Zweck gemieteten Wagen zu laden und an einen unbekannten Ort zu bringen. Und die Leute in ihrem Umkreis wussten, all das tat Lilka aus Liebe zu Projko, obwohl ihre Freundinnen immer der Meinung gewesen waren, dass der Typ sie sowieso nicht heiraten würde, der hatte doch Höheres im Sinn, ließ sich vom Gelde blenden auf eine geradezu widerwärtige Weise! Für Geld, so sagten sie, halte dieser Knabe doch jedem seinen Arsch hin, trotz seines anarchistischen Getues, und ob sie denn allen Ernstes glaube, dass er sie heiraten würde?

So redete man zu ihr, sie aber begriff gar nicht, was man von ihr wollte, und war guter Dinge.

Der Tod der armen Lilka betrübte die Stadt K. selbstverständlich über alle Maßen; alles trauerte um die junge Frau, auch wenn man am selben Tag noch eine weitere Leiche aus dem Wasser zog, einen Mann mit Vornamen Iwan, genannt: Fässchen. Der war aber nicht freiwillig ins Wasserbecken des Zeppelin-Hangars gefallen; Ursache für das betrübliche Vorkommnis war augenscheinlich der sittenlos-übermäßige Alkoholgenuss zur Mittagszeit, noch dazu bei dieser nie dagewesenen Hitze, da die Luft schon früh um halb acht zu glühen schien, und das tat sie bis nach Mitternacht. Hier lag ein unverantwortlicher Mißbrauch von unzähligen Litern Alkohol vor, der Herr war also selber schuld und wurde von keinem bedauert, warum auch … All das ergab sich kategorisch zweifelsfrei aus einem neben dem Becken gefundenen Flachmann mit inwendig geringer Neige, der dem übrigen Beweismaterial zugefügt wurde.

Mit Angelarios Papadopulos verhielt es sich ganz anders.

Er, der ein allseits geachteter Getreidehändler war, wurde, als er von Sliwen kommend nach Hause fuhr, auf dem Bahnhof von Simniza durch irgendwen auf die Gleise gestoßen, vom Zug überrollt und zur gräulichen Weise noch ein Stück mitgeschleift. Der Zug wurde erst einmal aufs Ersatzgleis verschoben, und es fanden sich Dutzende Augenzeugen, die den Täter als jungen Mann ohne besondere Kennzeichen, doch äußerst furchteinflößend beschrieben, darin waren sich alle einig. Der junge Mann habe das Opfer vorsätzlich gestoßen und sei dann zügig, doch ohne übermäßige Eile mit dem Fahrrad davongefahren. Die Polizei suchte den Zeugen händeringend nähere Kennzeichen zu entlocken, denn ein Fahrrad und furchtgebietendes Äußeres waren keine hinreichenden Merkmale für eine Fahndung. Doch die Zeugen bestanden darauf, dass es etwas wie besondere Kennzeichen nicht gegeben habe, und die Polizei stand dumm da.

Löblich das Verhalten des Feldhüters Guntscho Rustschow, der so umsichtig und couragiert war, die Unglücksstelle zu sichern und das, was da in den Gleisen vom armen Angelarios Papadopulos übrig war, vor Übergriffen zu schützen, bis die Polizei eintraf. Die Polizei konnte nachträglich Guntschos Verhalten nur gutheißen, da sie beim Untersuchen der Leiche feststellte, dass hier allerhand zu holen gewesen wäre. In den Schuhen und Strümpfen des Toten fanden sich 300 000 Lewa, in seiner Zigarrenschachtel weitere 2 000, und in der Aktentasche noch einmal 300.

Als nächstes ereignete sich ein Fall von Sabotage, bei dem die Täter ein Loch in den Damm oberhalb der Baumwollspinnerei brachen. Der Fluss – in dieser mörderischen Augusthitze ohnehin nur noch ein Rinnsal – floss in einen Nebenarm ab; dort aber, wo er normalerweise die Stadt durchquerte, wo sich zu beiden Ufern Hühnerställe und Klohäuschen reihten, teils aus Ziegeln, teils aus Brettern errichtet oder noch anderem, dahinter dann der Schlachthof auf der einen Seite und Gerbereien auf der anderen und dahinter wieder Klohäuschen beiderseits, zu Hunderten, schwarz und stinkend, und wo sich nunmehr an Stelle des Flusses nur noch grüne Schlammpfützen befanden, da bildete sich alsbald eine so ätzende Wolke von Ausdünstungen, dass es einem den Atem verschlug: Exkremente, Tierblut und Schlachtabfälle, die gleichfalls in den Fluss geworfen wurden (Hunde spazierten zwischen den Pfützen und Abscheulichkeiten verschiedenster Art einher und suchten sich Knochen, die sie blank nagen konnten), und dass die Jauche aus den Ställen auch im Fluss landete, versteht sich.

Die Leute unter Seufzen und Ächzen verkniffen es sich tapfer, so lange es irgend ging, bis sie schließlich doch gehen mussten und ihre Abtritte aufsuchen, denn so gebietet es die Natur, und wenn man wirklich muss, ist alles Verkneifen sinnlos, und in der Ratsversammlung gab es nur noch Streit. Es kam dort zu Debatten in ungezügelter Form und später zu offenem Blutvergießen, genauer gesagt, schlug man sich die Köpfe ein, als die mögliche Gründung eines Wassersyndikats nach amerikanischem Vorbild diskutiert wurde, so wie es der Minister am Beispiel des Miamiflusses angeregt hatte.

Aber das kam später, erst einmal kreuzte Freitag Mittag der Ex-Reviervorsteher Gantscho Baldakow in Mitirisows Schnelldruckerei Renaissance auf. Den werd ich lehren, was es heißt, einen alten Polizeimann zu verleumden!, brüllte er zornig und fiel polternd in die Redaktionsstube der Freien Tribüne ein, wo er mit der Faust auf den Schreibtisch von Todor Peow, dem Zeitungsredakteur, schlug. Todor Peow!, brüllte er ihn an. Hurensohn! Erklär mir, WAS DAS SOLL!

Mit diesen Worten warf er ihm die beanstandete Nummer der Freien Tribüne ins Gesicht, wo nämlich eine ihn betreffende Korrespondenz behauptete, er habe während des Wahlkampfs letzten April den Kandidaten Spissarewski brutal aus der Stadt gejagt. Man forderte für Baldakow (oder wie man sich auszudrücken beliebte: die Baldakows und Konsorten) eine gerechte und empfindliche Strafe, und hinterher stand dieser Artikel gar noch im Sofioter Tageblatt abgedruckt, so dass ganz Bulgarien es lesen konnte und sich ein Bild machen von dem Mann, respektive ihm, Baldakow. Diese Nummer der Zeitung war es, die Baldakow Todor Peow ins Gesicht warf, doch Peow sprang auf und rief: Du weißt wohl nicht, wo du hier bist, Bauerntölpel! Mach dass du rauskommst, aber plötzlich!

Worauf Baldakow vor Wut erbleichte und schrie, er solle sich seine Zeitung in den Arsch stecken, und dass er nicht deswegen von Smoljan runtergekommen sei, um sich von Todor Peow sagen zu lassen, wo er sich befinde, denn das wisse er sehr gut und verlange eine Erklärung und eine Rehabilitierung mit Gegendarstellung. Da sagte Todor Peow ihm gerade ins Gesicht, er wolle doch wohl nicht bestreiten, dass das, was in seiner Zeitung stehe, stimme, es sei die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, und er möge lieber schnell den Schwanz einziehen, schloss er die Warnung an, sonst kämen noch ganz andere Dinge ans Tageslicht! Oder wisse er nicht mehr, wie er Spissarewski verwamst habe, getreten, aus K. hinausgeprügelt? Und auch noch schuftig genug gewesen sei, sich ein paar Büttel dazuzuholen? Tja, Alter, leider führt dein Bauernbund nicht mehr sein blutiges Regime, dass du dein Fähnchen hissen könntest! Deine Zeit ist abgelaufen, ein für allemal, dass du es weißt! Baldakow war so verdattert, dass er zu stammeln anfing – er sei nicht gekommen, sich von Todor Peow belehren zu lassen, wollte er sagen, doch Todor Peow schnitt ihm das Wort ab: Halt den Mund, du stinkender Koyote! Mein Schreibtisch biegt sich und bricht unter der Last von Leserbriefen aus der vielköpfigen Bürgerschaft, fuhr er fort, und du kreuzt hier auf und greinst herum, weil man dich beleidigt hat, oi-oi! Baldakow, Mann, was bildest du dir ein? Du weißt doch, dass Spissarewski und Petko Enew noch unter den Lebenden sind, den Petko hast du auch verprügelt, erinnerst du dich an ihn, es wäre nicht gut, ihn zu vergessen, auch wenn er Kommunist ist! So hast du schon zwei, die gegen dich aussagen. Weshalb du deine Zunge besser hüten solltest, und überhaupt rate ich dir, zu verschwinden, die Tür geht von außen zuzumachen, falls du das nicht weißt!

So sprach Todor Peow, und Baldakow stand vor ihm mit offenem Mund, stotterte, wollte etwas erwidern – doch statt dessen machte er erstaunlicherweise tatsächlich kehrt und ging, knallte die Glastür hinter sich zu, nicht ohne die Drohung auszustoßen, er käme bald wieder, und dann kriege Todor Peow eins auf die Rübe. Erzähl das deiner Großmutter!, rief Todor Peow ihm nach. Du kannst von Glück reden, nach Smoljan versetzt worden zu sein, denn was dir hier nach dem 9. Juni geblüht hätte – ich kann dir sagen!

Ansonsten hatten die Räuberbanden in jenen Tagen auch die letzten Hemmungen verloren, sie tauchten nun schon an den Grenzen der Stadt auf – überfielen den Steuerschätzer Pawli Marinow, als er nachts gegen halb vier zum Brunnen an Karaptschanins Acker hinunterritt. Mit dem ersten Schuss töteten die unbekannten Täter sein Pferd, doch Marinow war gleich wieder auf den Beinen und geistesgegenwärtig genug, mit dem Ruf: Ihr verdammten Blutsauger, jetzt knall ich euch ab! ein wildes Feuer gegen die Angreifer zu eröffnen, auch wenn die sich schon in etwa achtzig Meter Entfernung befanden und, kaum mehr als vier unklare Schatten am Horizont, ein ungünstiges Ziel abgaben.

Von Marinows Trommelfeuer überrascht, warfen sie sich zu Boden und krochen rückwärts davon.

Dem bekannten Schnapsbrenner und Misanthropen Dontscho Balachuroolu schossen sie in die Fenster seiner Traditionskneipe und trafen einen Anwohner, der da gemütlich seinen Rakija12 trank, tödlich. Er fiel vom Stuhl, kotzte und war tot. Eine weitere zufällige Kugel traf den Büfettjungen mit dem Tablett, der noch vor dem Morgen im Ambulatorium von Kasal Agatsch13 verstarb. Die Angreifer selbst lösten sich in Luft auf; die Telegraphendrähte in der Umgebung hatten sie vorsorglich gekappt und flohen auf Fahrrädern – mit eingeschalteter Beleuchtung! – in nördlicher Richtung, dem Balkangebirge entgegen. Dummerweise gab es niemanden, der die Täter hätte verfolgen können – die Wachleute vor Ort waren alle drei stockbesoffen und pennten auf dem Revier, und das am hellichten Tag.

Jedenfalls ergaben sich bei anschließender Prüfung des Falles wiederum drei Verdachtsmöglichkeiten: Es konnten entweder die Kommunisten, die illegalen Anarchisten oder Räuberbanden gewesen sein.

Im Zusammenhang mit dem Selbstmord des Freiw. Kurusanow ging man hin, einen gewissen Iwan zu verhaften, Freiwilliger auch er, der aber gerade auf Urlaub war; man fand ihn Schnaps trinkend bei sich zu Hause vor. Er wurde also verhaftet, ergriff jedoch auf dem Weg zur Kaserne die Flucht; die Wache rief ihn dreimal an: Halt! Halt oder ich schieße! – doch der Mann blieb nicht stehen. Daraufhin hob einer der Wachleute das Gewehr und streckte ihn mit einem zielsicheren Genickschuss nieder.

So kam dieser Iwan beim erfolglosen Fluchtversuch zu Tode.

Kurz darauf verbreitete sich in K. in Windeseile das Gerücht, der erst beinahe ertrunkene und dann erfrorene Stefan Slawow, zu Lebzeiten überzeugter Anarchokommunist, am 11. März unter tränenreicher Anteilnahme vieler junger Leute zu Grabe getragen, sei wiederauferstanden! Worauf die ganze Stadt, Jung und Alt, zum Stadtgottesacker eilte, das Wunder – wenn nicht gar den Auferstandenen leibhaftig – zu sehen …

Doch die umgehend vor Ort erfolgte medizinische Untersuchung des Exhumierten ließ keinen Zweifel zu, dass der Körper ohne alle Lebenszeichen oder Anzeichen einer Auferstehung war. Worauf die sterblichen Überreste des Stefan Slawow unverzüglich ein zweites Mal bestattet wurden.

Zu alledem kam noch, dass Dimitar Zonew aus Teil Zwei infolge Unachtsamkeit eine tödliche Dosis Ätznatron schluckte und nach Burgas ins staatliche Krankenhaus eingeliefert wurde, wo der Unglücksrabe an den grässlichen Verbrennungen starb, die das chemische Gift in Mundhöhle, Speiseröhre und sonstwo angerichtet hatte; der Leichnam wurde zurück nach K. überführt und begraben, allerdings – seiner atheistischen, das heißt kommunistischen und vor allem anarchistischen Vergangenheit wegen – ohne geistlichen Beistand.

Die Polizei beeilte sich, kategorisch und gewissenhaft festzustellen, dass ausschließlich persönliche Verbitterung um einer Frau willen zu der Kurzschlusshandlung geführt habe, Natriumhydroxid in Wasser aufzulösen und das tödliche Getränk zu sich zu nehmen. Womit sie Gerüchten entgegentrat, die Gendarmerie oder gar die Militärliga14 hätten auf mysteriöse Weise bei Zonews Tod ihre Hand im Spiel gehabt. So nämlich mutmaßten zu Anfang einige der Obrigkeit missgesonnene Bürger: dass solches in einem Abschiedsbrief gestanden, den die Polizei heimlich an sich genommen habe.

Am selben Tag wurde dann Peter Komitow mitsamt Simidtschiews Pferden dingfest gemacht. Seine Ware abzusetzen hatte er nicht mehr geschafft, man traf ihn an, wie er mit drei bärtigen Pferdehändlern am Feilschen war. Grün und blau geprügelt wurde er aus Stara Sagora überstellt, doch auch hier in K. gleich wieder ins Verlies des Polizeireviers No 1 geworfen und weiter verdroschen, damit er zugab, mit den Illegalen in Verbindung zu stehen und von ihnen beauftragt zu sein, ehrbaren Leuten das Vieh zu stehlen; als klar war, dass es diese Verbindung nicht gab, drosch man zur Strafe erst recht weiter.

Immer noch am selben verrückten Freitag machte die Stadtverwaltung allen, die es wissen wollten, bekannt, dass eine öffentliche Versteigerung mit verdeckten Geboten zur Vergabe der Eintreibrechte für Gemeindesteuern, -gebühren und -abgaben, den Zeitraum vom 31. August diesen bis zum 1. April nächsten Jahres betreffend, anberaumt sei. Solcher Steuern gab es neuerdings viele: Standrechte auf dem Wochenmarkt, Reklamesteuer, Wagen-, Kutschen- und Cabrioletsteuer, Ziegelei- und Kalkbrennereisteuer, Glücksspielsteuern auf Tricktrack-, Domino-, Billard- und andere Spiele, Vieh- und Blutzoll, Wägegeld, Abgaben für Theater-, Musik- und Gesangserlaubnis und dergleichen sowie Druckerlaubnis von Spiel- und Wahrsagekarten.

Der vorige Inhaber dieser Eintreiberechte, ein Landwirt, war seit den Ereignissen vom 9. Juni verschollen.

Noah Markow sah die Bekanntmachung in der Freien Tribüne und im Amtsblatt und begab sich in die Ratskanzlei, nahm Einsicht ins Reglement der Versteigerung und sonstige Ausschreibungsunterlagen, wies sich aus, wie es der damals gültige Paragraph 25 des Gesetzes über Haushalt, Rechnungsführung und Unternehmen unerbittlich vorsah, entrichtete mit saurer Miene die fällige Teilnahmegebühr und so weiter, um dann zum Termin Ende August (dem er, grimmig und aus irgendeinem Grunde rachsüchtig erscheinend, in Begleitung zweier Fremder mit kriminellen Visagen – man tippte auf Flüchtlinge oder Musikanten – beiwohnte) die gesamte verdatterte Konkurrenz mit einem einzigen, unschlagbaren Angebot aus dem Rennen zu werfen.

Das war es dann.

Und als er den Ort des Triumphes verließ, spürte er in seinem Rücken die Blicke voller Mißgunst, unverhohlenem Hass und ebensolcher Anerkennung, gab jedoch nicht zu erkennen, ob ihm das gefiel oder nicht.

Teufelszwirn

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