Читать книгу Teufelszwirn - Christo Karastojanow - Страница 12

5

Оглавление

Bäckerstreik!

MISSACHTUNG DER BREITEN BEVÖLKERUNG – NOTSTANDSENTSCHEID DES POLIZEIDIREKTORS: MILITÄRISCHE HILFE ANGEFORDERT – WER SIND DIE INITIATOREN?

GESTERN ABEND:

FEUER IN DER STADT!

BRANDSTIFTUNG ODER UNGLÜCKSFALL?

Neue Brotpreise

DAS NEUESTE IN KÜRZE: 119 000 Arbeitslose in Moskau (Nach einem Bericht der Le Matin). In Amerika sollen 200 Handelsschiffe vernichtet werden (Nach einem Bericht der Le Matin).


Angefangen hatte es damit, dass die Regierung im Sommer 1923 auf einmal die Brotpreise einfror. Graubrot durfte fünf Lewa der Laib kosten, weißes sechs. Die Bäcker waren entrüstet und riefen noch im Juni: Nicht mit uns! Das hats noch nie gegeben – dass einem die Regierung vorschreibt, für wie viel man sein Brot verkauft! Wir sind dagegen! Fünf Lewa fürs Graubrot – das ist der helle Wahn. Die haben sie wohl nicht alle!

Aber bei der Stadt waren sie schnell dabei zu erklären: So ist die Lage. Fünf Lewa das graue, sechs das weiße – und Punkt! Das habt ihr davon, dass ihr es früher immer übertrieben habt mit den Preisen. Einfach festgelegt, wie es euch gefiel, absolut hemmungslos! Das kann nicht euer Ernst sein, entgegneten die Bäcker. Wer hier hemmungslos übertreibt, das sei ja wohl die Frage. Die etwa, welche das Volk in diesen schweren Zeiten, trotz größter Entbehrungen und unverschämter Mehlpreise, auf das Gewissenhafteste zu ernähren nicht müde geworden seien? … Zuletzt waren die Bäcker eingeschnappt und kamen drauf, ihre Einkünfte unlauter zu mehren, indem sie die Brote kleiner machten – neunhundert Gramm statt ein Kilo, manchmal gar noch darunter. Und verkauften sie als Zweipfundbrot. Als der Betrug herauskam und die Stadt sie mit horrenden Strafen belegte, wussten die Bäcker noch auf andere Weise zu tricksen, das Brot wurde ungenießbar davon. Das war schon kein Brot mehr. Verkauft wurde es obendrein altbacken, nachdem es zwei Tage versteckt in den Backstuben gelagert hatte, erst dann kam es nach vorne zum Verkauf. Altbacken, schliffig, nach Kleie schmeckend und was nicht noch.

Sieben der Bäcker waren aber organisierte Anarchosyndikalisten. Die schafften es, die Bäcker- und Müller-Innung auf ihre Seite zu kriegen, selbst die örtliche Gewerkschaft hörte auf sie, richtete sich, wer weiß warum, nach ihren Wünschen. Und diese Sieben waren der Meinung, man käme mit solchen Mitteln – der Trickserei mit dem Brot und so weiter – auf keinen grünen Zweig, vielmehr brauche es einen Streik, auf dass die sieche Macht des Kapitals den Schwanz einziehe. Genossen!, stachelten sie die Zunftgenossen auf, es ist Zeit zum Handeln! Streik – jetzt und unverzüglich!

Die Agitatoren der Kommunistischen Partei hinwiederum (die aber umständehalber in jenem staubigen Sommer 1923 keinerlei Einfluss auf die Bäcker von K. hatte) belagerten die Bäckereien und Brotläden und mahnten die Bäcker mit müden Worten, zur Besinnung zu kommen. Könnt ihr denn nicht zwei und zwei zusammenzählen, Leute?, sagten sie. Das ist doch jetzt, sagten sie, der völlig falsche Moment für eine solche Aktion! Ein von euch angezettelter Streik würde euch unweigerlich auf die Füße fallen, das Volk würde sich abwenden von euch. Ein solcher Streik wäre ahistorisch und für die Mächtigen nur ein willkommener Anlass, euch in den Staub zu treten! Und uns bei der Gelegenheit gleich mit! Um Gottes willen!, riefen sie. Überlegt es euch gut!

So redeten die Kommunisten zu ihnen und fragten sie außerdem mit düsterer Miene, ob sie denn wenigstens gut vorbereitet seien. Die Bäcker verdrehten die Augen: Vorbereitet, was soll das heißen, fragten sie säuerlich. Da haben wirs, seufzten die Kommunisten mitleidig, ihr wisst anscheinend nicht mal, was eine gute Vorbereitung ist. Wenn das so ist, da fragt man sich doch ernstlich, was ihr eigentlich erreichen wollt. So kann die Sache ja nur schief gehen. Jetzt hört gefälligst mal zu! Von Streiks verstehen wir mehr als ihr! Wer soll euch unterstützen? Absolut keiner wird den kleinen Finger rühren euretwegen! Jeder wird den Streit als politisches Abenteuer interpretieren. Dünnhäutig, wie die Leute heutzutage nun mal sind … Sowieso sitzen wir alle auf einem Pulverfass, und da habt ihr gerade noch gefehlt mit euerm Streik, damit alles in die Luft fliegt. Anspucken werden die Menschen euch!

Doch kaum waren die Kommunisten aus der Tür, kamen die Anarchisten herein mit einem saftigen Fluch und sagten: Hört bloß nicht auf diese Renegaten! – und dass von den Handlangern der Bourgeoisie sowieso kein guter Rat für das Proletariat zu kriegen sei. Haben wir nicht erlebt, fragten sie, wie sie sich am 9. Juni verhielten? Haben sie ihren Arsch in Sicherheit gebracht oder nicht? Natürlich haben sie! Und jetzt kommen sie gelaufen und wollen euch den Streik ausreden, weil sie sehr genau wissen, dass ihr die Macht damit augenblicklich in die Knie zwingen könnt! Und zwar vor euch, nicht vor ihnen! Dass die Regierenden gezwungen sein könnten, euren gerechten Forderungen nachzukommen und höhere Brotpreise zuzulassen, denn wenn das Volk hungern muss, wird es zuerst die Regierung verfluchen …

Die Kommunisten hörten sich diese Reden an, knirschten ohnmächtig mit den Zähnen und fragten: Wie stellt ihr euch das vor, Leute, dass die Regierung von einem Streik in die Knie geht? Die Regierung auf den Knien, wie soll das aussehen? Warum weckt ihr in den Menschen falsche Erwartungen? Habt ihr vergessen, dass die Garnison eine Großbäckerei hat? Seid ihr noch nicht auf die Idee gekommen, dass die Stadtverwaltung mit dem Militär ruck-zuck übereinkommen könnte, die Bäckerei zu übernehmen, so dass man euch die kalte Schulter zeigen könnte, zumal das Mehl für die ganz billig zu kriegen ist, und dann werdet ihr euch in den Arsch beißen …

Ha, das wollen wir erst mal sehen!, verkündeten die Anarchosyndikalisten, und in ihren Augen funkelte ein orangenes Feuer. Dieses Funkeln hatten sie immer, wenn sie, heiser von wenig Schlaf und vielem Reden, für den Streik agitierten.

Danach hielten es die Kommunisten anscheinend für ihre mindeste Pflicht, die Öffentlichkeit von dem bevorstehenden Streik zu unterrichten. Sie beriefen eine öffentliche Versammlung in der Lesehalle ein. Doch es kam etwas dazwischen, wovon man nicht genau wusste, was es war, jedenfalls fiel die Versammlung aus: Die Leute, die der Ausrufer zusammengetrommelt hatte, saßen eine Stunde umsonst in der Lesehalle herum und gingen am späten Nachmittag unverrichteter Dinge und höchst irritiert wieder nach Hause, ohne die leiseste Ahnung, wer sie eigentlich einbestellt hatte und wozu.

Die Müller, Bäcker und Brotverkäufer liehen mal den Anarchosyndikalisten, mal den Kommunisten ihr Ohr, schwankten noch eine Weile, bis sie zuletzt aber doch am übermenschlichen Funken in den Augen der Anarchisten Feuer fingen, und so kam es zum Streik.

Es geschah am Montag, dem 13. August, dass die Bürger der Stadt, so sie ihr Brot nicht selbst buken, überall wie gelähmt vor den geschlossenen Fensterläden der Brotbänke standen – unbeschreiblich überrascht und fassungslos, mit offenen Mündern, und dann ging natürlich das Gemurre los. An diesem Morgen kam es zu etlichen heftigen Zusammenstößen.

Die Streikenden ihrerseits standen mit verschränkten Armen und schwiegen, nur manchmal knurrte einer von ihnen: So ist die Lage, basta, seht mal zu, wie ihr klarkommt – wir rackern uns nicht mehr tot, um doch nur Minus zu machen!

Der Polizeidirektor fuhr mit dem Bürgermeister schon frühmorgens halb acht von einem zum anderen und stellte die Bäcker zur Rede: Wie sie sich das denn vorstellten, sollte die ganze Stadt ohne Brot bleiben? Dann luden sie ein paar Vertreter ins Rathaus und sagten, man könne doch einmal ganz entspannt über alles reden. Aber die Bäcker zeigten ihnen die Zähne. Da siehst du mal, Bürgermeister, und Sie, Herr Polizeidirektor – jetzt sollt ihr alle mal erleben, was es heißt, ohne Brot dazustehen. Und dann werden wir ja sehen, ob ihr unsere gerechten Forderungen nicht doch respektiert! Bisher haben wir uns nur den Mund fusslig geredet, jetzt geht es anders rum. Damit ihrs wisst: Der Bäcker ist im öffentlichen Leben von heute eine Zentralgestalt!

Nun macht mal halblang, riefen der Bürgermeister und der Polizeidirektor konsterniert. Setzen wir uns doch an einen Tisch und reden wie normale Menschen miteinander. Wir sind die Organe der Staatsmacht, ihr stellt das Mehl her, backt das Brot, und natürlich ist der Bäcker, da sind wir ganz einer Meinung, tatsächlich eine Zentralgestalt, das bestreitet ja keiner, wir fragen uns nur, wieso wir denn nicht imstande waren, uns rechtzeitig zusammenzusetzen und Einigkeit zu erzielen, um der doch sehr großen Menge von Leuten, die euch euer Brot abkaufen, die Strapazen zu ersparen? Denkt doch mal an die Frauen, meine Herren, insbesondere die schwangeren, die kleinen Kinder letzten Endes, denen ihre Mütter jetzt nicht mal ein Butterbrot schmieren können, das ist doch eine gewaltige Schikane für die breiten Massen, gleich zu solchen Maßnahmen zu greifen … Wie ist das letzten Endes möglich, meine Herren? Bedenkt, der liebe Gott schaut aufmerksam auf uns runter, glaubt nur nicht, dass er diese Herzlosigkeit ungestraft lässt!

Was sollen wir mit euch an einem Tisch, wir wissen auch so, was zu tun ist, und der liebe Gott ist auf unserer Seite!, erwiderten die Bäcker patzig. Gut, dass ihr es sagt: dass ihr die Organe seid und wir mahlen das Mehl und backen das Brot, dass wir als Bäckersleute im Leben eine Hauptrolle spielen, das habt ihr nun auch begriffen, na fein. Aber was wir von euch wollen, ist nicht, dass ihr euch mit uns an einen Tisch setzt. Wir wollen nur das Eine von euch: dass ihr den verdammten Festpreis wieder abschafft, der uns das Fell über die Ohren zieht, fünf Lewa fürs Graubrot und sechs für ein weißes, das ist eine Schweinerei! Wann hat es das gegeben? Schafft diese mörderischen Preise ab, dann können wir weiterreden, und versucht nicht, uns ins Bockshorn zu jagen. Wir lassen uns nicht schrecken und bleiben hart.

Aber meine Herren, mokierte sich die Gegenseite, wie könnt ihr etwas als Schweinerei bezeichnen, was die Regierung verfügt hat? Herr im Himmel, kommt zur Besinnung, ehe es zu spät ist, wir haben uns diese Festpreise schließlich nicht ausgedacht!

Natürlich ist es eine Schweinerei, was sonst!, hielten die Bäcker dagegen. Was ihr da ausgeheckt habt von wegen Graubrot zu fünf und Weißbrot zu sechs Lewa, das ist eine ausgemachte Schweinerei ist das! Wann hat es das gegeben, dass eine Regierung die Preise deckelt. Und das nennt sich Ökonomie!

Na fein!, rief der Bürgermeister irgendwann entrüstet, wenn das eine Schweinerei ist, dann ist es wohl keine Schweinerei, den Menschen ihr Brot vorzuenthalten?

Ja sagt mal, ich darf doch sehr bitten!, wurde es nun auch dem Polizeidirektor zu bunt. Bildet euch nicht ein, dass ich den Gebrauch unflätiger Wörter in meiner Gegenwart dulde! Scherze dieser Art unterstreichen nur die Missachtung der Bevölkerung, die allen angeblich so am Herzen liegt! – Während er dies sagte, sah man Todor Peow hinter ihm den Stift zücken und mitschreiben.

Jaja, am Herzen, von wegen!, blies der Bürgermeister ins selbe Horn. Sie wird nach Herzenslust schikaniert! Das Volk, das ihr befreien wollt, wird von euch ausgehungert!

Was seid ihr bloß für Menschen, stellte er anschließend die Frage, die einen drohenden Unterton hatte, und fügte an: Die Gärtner sind vom selben Schlag wie ihr. Als die Stadt ihnen die privaten Brunnen versiegelte, damit der Fluss mehr Wasser kriegte, lagen sie uns mit ihrem Geschrei in den Ohren. Na schön, haben wir ihnen das Wasser gelassen, um des lieben Friedens willen, aber da fingen die Fleischer und die Gerber zu heulen an, weil nun der Fluss kein Wasser hatte. Das kommt, weil Gärtner, Fleischer und Gerber genau wie die Bäcker unerhörte Egoisten sind, jeder denkt nur ans Eigene, keinem will es in den Kopf, dass unsere Zeit Opfer verlangt! Von jedem einzelnen!

Die Streikenden in ihrer Sturheit wurden abwechselnd rot und blass. Sieh an, riefen sie. Wenn Opfer verlangt seien, dann solle doch der Herr Bürgermeister getrost mit gutem Beispiel vorangehen, bei ihnen beiße er jedenfalls auf Granit. Der Polizeidirektor sah, dass den Sturköpfen mit bloßer Überzeugungskraft wohl nicht beizukommen war, brüllte auf sie ein, nestelte gar am Pistolenhalfter, schmiss sie aber zuletzt doch nur raus und schickte gleich ein paar Wachleute hinterher, die Bäckereien zu versiegeln. Auf seine Verantwortung, wie er sagte.

Als die Bäcker sahen, dass die Wachleute ihre Backstuben versiegelten, bliesen sie die Backen auf und machten schleunigst wieder kehrt, stürmten in die Ratsstube und riefen: Was fällt euch ein! Das setzt der Willkür doch die Krone auf! Da sprach der Polizeidirektor zu ihnen mit eisiger Häme: Geht euch der Affenarsch jetzt auf Grundeis? Ihr elenden Tölpel! Redet hier von Schweinereien, und ich soll an mich halten. Dann streikt mal schön, ihr Amateur-Erpresser! Und wenn ihr meint, dass ihr genug gestreikt habt, könnt ihr wieder anklopfen!

Von hier begaben sich die beiden Herren auf kürzestem Wege zum Garnisonschef, Oberstleutnant D., und baten ihn um Unterstützung: Es ging um die Genehmigung, die Garnisonsbäckerei für zivile Zwecke zu nutzen. Denn die Garnisonsbäckerei buk fünfzehn-, zwanzigtausend Brote am Tag, was für eine Stadt wie K. vollkommen ausreichte. Oberstleutnant D. hörte sie an mit aller soldatischen Großmut, zu der einer in diesen trüben Tagen fähig war, und als die beiden geendet hatten, legte er flink die Hand vor die Brust und sprach: Meine Herren, was gibt es da viel zu bereden! Ist das eine Frage? Wann immer Sie es wünschen, sind Sie im Schoße der Armee willkommen. Die respektlosen Provokationen der Journaille anlässlich der betrüblichen Vorfälle vom 26. März mögen vergessen sein, dies zum ersten. Zum zweiten freue ich mich, dass wir unsere gemeinsame Front wider das anarchistische, kommunistische und sonstige Räubergesindel erneuern. Hiermit verfüge ich: Die Armee ist Volkes Kind, sie ist eine Volksarmee, so wie das Volk in diesen Tagen gewissermaßen der Armee angehört. Die Bäckerei dieser Armee, meine Herren, steht zu Ihrer Verfügung. Und zwar unentgeltlich, meine Herren. Die Armee wird fürs erste die Kosten übernehmen, später werden wir uns als gute Bulgaren schon einig werden!

Und es kam, wie die Kommunisten vorausgesagt hatten.

Bürgermeister und Polizeidirektor tauschten mit Oberstleutnant D. einen majestätischen Händedruck, Todor Peow schrieb alles auf, und der Amtsdiener lief los, um sogleich mit feurigem, freudigem Trommelschlag in ganz K. die Kunde von der patriotischen Geste des Garnisonskommandanten zu verbreiten. Das Volk vernahm sie und stürzte Hals über Kopf zur Kavalleriekaserne, um sich dort brav anzustellen.

Die Bäcker, vollkommen von den Socken, rannten erneut zum Bürgermeister, um zu fragen, was das nun wieder soll. Sag mal, Bürgermeister, riefen sie und waren ganz blass, jetzt hört sich doch alles auf! Was wir machen, nennst du Schweinerei, und wie sollen wir das jetzt bitte schön verstehen? Erst lässt du unsere Backstuben versiegeln, und nun setzt du uns das Messer an die Brust und lässt uns über die Klinge springen mit dieser verfluchten Militärbäckerei, wie stellt ihr euch vor, dass das jetzt weitergeht mit diesem blöden Streik, den wir gesetzlich durchführen als legales Mittel der politischen Auseinandersetzung, und hinter unserem Rücken wird die Stadt von den Militärs durchgefüttert, und wir sind angeschmiert!

Bürgermeister und Polizeidirektor jedoch lachten ihnen nur ins Gesicht, und dann schlug der Bürgermeister mit der flachen Hand auf seinen Amtstisch, zeigte ihnen die Faust und sagte, so und so, wenn die Herren Streiktreiber und infamen Erpresser meinten, dass es sich um einen blöden Streik handelte und der Moment der falscheste dafür wäre, dann hätten sie den Nagel auf den Kopf getroffen, und der Polizeidirektor ergänzte düster, wer den Frieden nicht wolle, der müsse das Kriegsbeil ertragen, und jetzt würden sie einmal erleben, wie es sich anfühlt, als Bäcker nicht gebraucht zu werden …

Und da den Streikenden der blanke Hohn um die Köpfe schlug, fassten sie sich an dieselben und waren außer sich, liefen los und beriefen eine neue Versammlung ein. Bei der war man nun nahe daran, sich gegenseitig die Augen auszukratzen, weil die Anarchosyndikalisten immer noch nicht klein beigeben wollten, stattdessen etwas vom siegreichen Ende palaverten und dass man keinen Millimeter zurückweichen dürfe, und die Armee werde es sowieso nicht lange durchhalten. Denn dies sei ihrer Meinung nach das letzte Aufgebot, alles bloß ein niederträchtiges Manöver, um die Gegner zu verschrecken, und so weiter, und so fort. Das Mehl, riefen sie, haben sie aus Kasal Agatsch und aus Jambol rangekarrt, beim nächsten Mal kriegen sie den blanken Arsch gezeigt, weshalb wir jetzt auf keinen Fall sang- und klanglos aufgeben dürfen, wir müssen dranbleiben! Dafür wurden sie von denen, die anderer Meinung waren, beschimpft: Ihr habt uns reingelegt, hieß es, der Streik muss sofort aufhören, und aufs bittere Ende scheißen wir. Nicht bittere, brüllten die anderen, siegreiche! – Auf das siegreiche scheißen wir ganz genauso. – Hosenscheißer seid ihr! – Ach was, schuld seid doch ihr, dass wir jetzt wie die letzten Idioten dastehen. Wie konnten wir nur auf euer anarchistisches Geblöke und diese dumme Agitation reinfallen! Wo hatten wir unseren Verstand? Euch hätten sie am 26. März ausrotten sollen mit Stumpf und Stiel, dann wären wir jetzt nicht in der Bredouille, Mensch!

Während die Agitatoren der Kommunistischen Partei, die natürlich auch da waren, abseits saßen und vornehm schwiegen, sich nur schadenfroh übers Kinn strichen.

Die da aber so eifrig gegen die Anarchisten wetterten, gingen, als sie sahen, dass die Kommunisten im Saal waren, auch gleich die Kommunisten an. Da schau!, riefen sie boshaft, die Kommunisten sind auch wieder da! Ihr seid ja beizeiten schlau gewesen! Viel zu schlau für unseren Geschmack! Woher habt ihr das mit der Garnisonsbäckerei gewusst, wenn man fragen darf?

Das konnte man sich doch wohl an fünf Fingern abzählen!, schnaubten die Kommunisten. Nur ein Blinder hat das nicht kommen sehen!

Passt nur auf, dass ihr nicht gleich blind werdet!, riefen die Bäcker aufgebracht. Wieso haben wir es nicht kommen sehen? Ihr habt es kommen sehen, wir aber nicht!

Ja, dann beißt euch mal schön selber in den Arsch!, erklärten die Kommunisten.

Da sprangen die Bäcker einer nach dem anderen auf und kündigten an, sie würden gleich morgen wieder backen, damit der Schwachsinn ein Ende hat und so weiter, worauf sie wütend ausspuckten und die Versammlung verließen, denn die konnte ihnen gestohlen bleiben.

In der Nacht ging dann die Bäckerei von Einem in Flammen auf.

Er war einer der Bäcker, die den Versammlungssaal wutentbrannt verlassen hatten. Die also den Streik brechen und ihr Brot zum von der Regierung vorgegebenen Preis verkaufen wollten – den Anarchisten zum Trotz. Doch siehe da, seine Bäckerei ging in Flammen auf und brannte bis auf die Grundmauern nieder. Zwar kam Herrn Baruch Eshkenasis wackere Feuerwehrmannschaft schon fünf Minuten nach Ausrufung des Feueralarms mit rumpelnden Rädern und bimmelnden Glöckchen angerast. Fünf Minuten, das war nicht schlecht, aber zu spät, um noch etwas ausrichten zu können. Stumm umstanden die Leute das Feuer, die Gesichter wie geröstet von der Höllenhitze, weswegen sie die Köpfe halb abwandten, um sich die Nasen nicht zu verkokeln, zwinkernd sahen sie zu, wie der hölzerne Bau, wilde Funkengarben in den Himmel spuckend, mit wütendem Tosen, Krachen und düsterem Rumoren zügig herunterbrannte, barst und in sich zusammenstürzte …

Und als der Morgen graute, gab es am Ort des Geschehens keine Bäckerei mehr, nur der gemauerte Ofen ragte aus der Asche und den rauchenden Trümmern. Abseits stand der betroffene Backstubenbesitzer, verräuchert und schwarz wie die Nacht, vollkommen hilflos, und hörte sich mit großen Augen an, wie die von der Stadtverwaltung ihm schadenfroh auseinandersetzten, dass man leider gar nichts machen könne, habe er sich doch, obgleich durchaus geschädigt und betroffen, zum Zeitpunkt des Brandes im Streik befunden.

Vielleicht ein dummer Zufall, vielleicht eine Naturkatastrophe, oder es waren Räuber oder Terroristen beteiligt, alles möglich – so beschieden es ihm die Stadtverwalter. Nur machen könne man gar nichts.

So war die Lage, und jedenfalls wagte es nun kein Bäcker mehr, seinen Laden zu öffnen – die Drohung hatte gewirkt.

Nun aber geschah es, dass Noah Markow die Runde machte von einem mutlosen Bäcker zum nächsten, mit jedem unter vier Augen sprach und ihn zu überreden suchte, ihm sein Anwesen zu verkaufen … Anfangs sträubten sich die Bäcker – grantig und außerdem eingeschüchtert, wie sie waren. Noah Markow aber ließ nicht locker und sich immer wieder sehen, erhöhte behutsam sein Angebot, und man weiß nicht, was er ihnen einflüsterte, jedenfalls gaben die Bäcker peu à peu, einer nach dem anderen, nach. Bis zum Abend hatten bereits viere kapituliert (die, die der Brand und das ganze Drumherum am meisten entnervt hatte), und am Mittwoch Mittag überschrieben ihm weitere zwei ihr Geschäft.

Noah Markow seinerseits fand ohne Mühe interessierte Pächter, die die Arbeit in den erworbenen Bäckereien zu übernehmen und das Brot zu den neuen Festpreisen anzubieten – so seine strikte Verfügung – bereit waren.

Zur Hälfte waren es Flüchtlinge – manche aus der Gegend um Gjumurdshina19, nämlich aus Schaptschi, Atkjoi und Karakurdsheli – andere wieder aus Enidshe Wardar20 und den dortigen Dörfern. Finster dreinblickende, einsame Leute, die den Eindruck machten, als wären sie ausgeraubt worden. Enttäuscht und verunsichert am neuen Ort, wohin es sie verschlagen hatte in dieser verrückten Welt (nämlich aufgrund eines Vertrages, den Ministerpräsident Alexander Stambolijski persönlich im kalten November 1919 in Neuilly-sur-Seine vor den Toren von Paris unterschrieben hatte – worauf man ihm anbot, den Füller als Andenken zu behalten, während er in seiner ohnmächtigen Wut ihn am liebsten zerbrochen hätte, was er selbstverständlich nicht tat: »Schönes Andenken!«, schnaufte er statt dessen und warf den Füller auf den in angemessenem Schwarz bezogenen Tisch), sich begnügend mit dem Wenigen, was man ihnen in Bulgarien bot – ein mickriges Grundstück, ein bisschen schlechtes Baumaterial –, lebten sie deprimiert und trostlos dahin, auf die Gelegenheit eines günstigen kleinen Handels oder einer Aushilfe wartend, ein bisschen Hab und Gut und so weiter anzusparen, während die Sehnsucht nach den verlassenen Heimatgehöften jenseits des Sakars und der Rhodopen Tag und Nacht unter ihren gerunzelten dichten Brauen schmorte.

Teufelszwirn

Подняться наверх