Читать книгу RAF oder Hollywood - Christof Wackernagel - Страница 11
1957
ОглавлениеAuf dem Eselsberg bei Ulm wohnten Inge17 und Otl18. Sie waren Freunde meiner Eltern, hatten viele gleichaltrige Kinder, und wir fuhren oft sonntags dorthin. Es gab immer selbstgemachten Kuchen und alle waren fröhlich.
Inge war wie eine Heilige, sanft und entrückt. Ihre Geschwister waren von den Nazis umgebracht worden. Sie hatten sich »Weiße Rose«19 genannt.
Otl war sehr lustig und machte gerne Quatsch mit uns Kindern. Er war Professor an der Uni auf dem Eselsberg20, die man von dem Haus der Aicher-Scholls aus sehen konnte. Alle Gebäude waren weiß und strahlten.
Die Fenster sahen merkwürdig aus, nicht normal rechteckig, sondern klobig viereckig. Ich fragte Otl, warum die Fenster so dick seien und brachte ihn damit zum Lachen. Dann erklärte er mir ganz viel, von dem ich nur verstand, dass die normalen Fenster »unmenschlich« seien. Das erschreckte mich, denn dann waren ja fast alle Fenster auf der Welt unmenschlich!
Da lachte Otl nicht mehr und nickte: »Das ist ja das Schlimme! Die Menschen müssen endlich umlernen!«
Die Volksschule, auf die ich ging, war ein Backsteinbau aus quadratischen Klassenzimmern, von denen jedes seinen eigenen Garten hatte, nur durch eine Glasscheibe vom Boden bis zur Decke getrennt. Sie war nur zwei Straßen von unserer Wohnung entfernt. Es herrschte eine helle, freundliche Atmosphäre in diesen Räumen, ich war gerne dort und es war spannend zu lernen. Außerdem gab es ein wunderschönes Mädchen, Susi, die ich später heiraten wollte. Zusammen mit meinem Freund Rolf, der zwei Häuser neben uns wohnte, ging ich jeden Morgen hin.
Vor der Schule holte ich bei dem Bäcker, dessen Laden im Parterre unseres Hauses lag, frische Brötchen, manchmal durfte ich sogar ganz alleine im Milchladen in der nächsten Querstraße Milch holen und sie meinen Eltern ans Bett bringen. Mein Vater freute sich sehr darüber und bedankte sich in wohlgesetzten Worten bei mir: »Das haben Euer Ehren aber aufs Vorzüglichste erledigt – welch außerordentliche Labsal!«
Dann verneigte ich mich und sagte: »Ich bin der schnellste Milchmann der Welt!«
»Ja«, sagte mein Vater, »wenn alle Menschen so wären, lebten wir im Paradies!«