Читать книгу Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel - Christoph Bausenwein - Страница 5
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Ereignisse, Einflüsse, Spielidee
Fragen an Bundestrainer Joachim Löw
Herr Löw, bevor Sie im Jahr 2004 Assistent von Bundestrainer Jürgen Klinsmann wurden, waren Sie bei Austria Wien entlassen worden. Hatten Sie nach dem Ende in Wien eigentlich andere Pläne?
»Als entlassener Trainer hatte man damals keine großen Pläne. Ich hätte mich weitergebildet und ich hätte auf die nächste Chance gewartet.«
War die Ernennung zum Klinsmann-Assistenten nur Zufall bzw. eine glückliche Fügung?
»Ich glaube nicht, dass es nur eine glückliche Fügung war. Ich habe gemeinsam mit Jürgen Klinsmann den Trainerlehrgang im Jahre 2000 gemacht, und ich denke, dass ich ihn in diesem Lehrgang überzeugt habe. Jürgen Klinsmann hat ja immer einen kleinen Kreis von Leuten um sich herum, mit denen er zusammenarbeitet. Aber das heißt nicht, dass er von diesen Leuten wenig verlangt oder sie nur einstellt, weil es Kumpels sind.«
Bedauern Sie manchmal, kein Vereinstrainer mehr zu sein?
»Nein, ich bedauere das nicht. Es sind zwei unterschiedliche Aufgaben. Ein Vereinstrainer kann sich bei vielen internationalen Vereinen beispielsweise einen rechten Mittelfeldspieler aussuchen, wenn er einen braucht. Bei mir spielen andere Faktoren eine Rolle. Ich muss mir aus einem feststehenden Reservoir die Spieler aussuchen.«
Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Qualität eines Bundestrainers? Innere Berufung, Fleiß und Hartnäckigkeit, fachliches Können – was kommt an erster Stelle?
»Da möchte ich keine Unterschiede machen. Fleiß und Hartnäckigkeit nützt nichts ohne fachliches Können usw.«
Heute kommt kein Trainer mehr ohne Computeranalyse und wissenschaftliche Unterstützung aus. Ist also nicht vielmehr das überlegene Wissen am wichtigsten?
»Nein, das glaube ich nicht. Die wichtigste Qualität eines Bundestrainers ist, ein Konzept zu haben, eine Spielidee, und diese mit den Spielern umzusetzen und auch bei Widerständen durchzusetzen.«
Gibt es für diese Spielidee, den Stil, den Sie spielen lassen, prägende Vorbilder?
»Am meisten entspricht dies schon meinen eigenen Vorstellungen. Schnell nach vorne, technisch gut, direkt, flach. Kein großes Taktieren, Zufälle möglichst ausschalten. Dies entspricht meiner Mentalität und auch meiner Auffassung vom Fußball.«
Aber es gab natürlich Einflüsse. Sie haben Ihre Fußballkarriere in der Schweiz beendet und dann auch dort, in Magglingen, mit Ihrer Trainerausbildung begonnen.
»Die Einflüsse kamen nicht nur aus Magglingen, sondern aus dem gesamten Schweizer Fußball. Bei diesem Fußball habe ich schon immer eine gute Basis gesehen mit verschiedenen Einflüssen und auch mit verschiedenen und interessanten Sichtweisen. Dies kam auch bei der Trainerausbildung in Magglingen zum Ausdruck.«
Was betrachten Sie als das wichtigste Element Ihrer Spielidee oder Spielphilosophie?
»Das Spieltempo, das Umschalten von Abwehr auf Angriff, was heutzutage fast schon kein Umschalten mehr ist, weil alles fast schon direkt ineinander übergeht.«
Die taktischen Entwicklungen bei der Nationalmannschaft gelten als vorbildhaft für die Bundesliga. Gibt es auch in umgekehrter Richtung einen Ideentransfer?
»Ich habe ein Problem damit, wenn immer drüber diskutiert wird, wer wen inspiriert hat, wer welche Idee hat. Wir haben unsere Entwicklung in der Nationalmannschaft – und es gibt aber auch Entwicklungen bei Borussia Dortmund, Bayern München oder allen anderen Vereinen. Jeder hat seine Aufgaben, sein Umfeld und seine Vorstellungen – da sollte man nicht werten zwischen gut und schlecht, zwischen modern und unmodern. Ob und wie es Ideentransfers gibt – ich weiß es nicht. Es gab schon immer Entwicklungen im Fußball – in alle Richtungen.«
Der englische Taktikexperte Jonathan Wilson interpretierte das Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2010 – im Gegensatz zum »aktiven« der Spanier – als »reaktiven Fußball«, also als Konterfußball. Stimmen Sie ihm zu?
»Nein. Das war vielleicht zwischen 2006 und 2008 so – aber inzwischen spielen auch wir einen sehr ›aktiven‹ Fußball.«
Glauben Sie, dass Ihre Vorstellungen vom Fußball – abgesehen von plakativen Stichworten – in den Medien korrekt wiedergeben werden, bzw. überhaupt korrekt wiedergegeben werden können?
»Eine schwierige Frage. In den Medien kann die Idee eines Trainers nur grob wiedergegeben werden. Was über diese grobe Linie hinausgeht, ist dann doch arg fachspezifisch.«
Weg vom Fachspezifischen, hin zu den Emotionen: Welchen Augenblick in Ihrer Karriere haben Sie als den schönsten empfunden?
»Es gibt keinen einzelnen Moment, den ich da herausheben möchte. Natürlich waren die Spiele in Südafrika gegen England und auch gegen Argentinien große Momente. Aber auch der Sieg mit dem VfB Stuttgart im DFB-Pokalfinale 1997 war eine gute Sache. Ich bin keiner, der an einzelnen Augenblicken hängt.«
Wann hatten Sie es als Trainer am schwersten?
»Schwierig ist manchesmal, wenn ein Spieler in seiner individuellen Art sehr gut ist, auch charakterlich sehr stark ist – sein Spiel aber trotzdem nicht in unsere Philosophie passt. Wir können ja nicht die elf besten Spieler aufstellen, sondern brauchen die beste Elf. Das ist manches Mal schwierig, weil diese Spieler diese Dinge naturgemäß anders sehen als die Trainer.«
Haben Sie auch mal was falsch gemacht? Gibt es Entscheidungen, die Sie bereuen?
»Das muss man im Fußball differenziert sehen. Wenn ich eine Entscheidung unter den gegebenen Umständen treffe, bin ich mir hundertprozentig sicher, dass sie richtig ist. Natürlich gibt es im Fußball manches Mal Einflüsse, dass sich diese Entscheidung am Ende doch als falsch herausstellt. Damit muss ein Trainer immer leben. Aber es ist wichtig, dass er sich in dem Moment, in dem er die Entscheidung trifft, alle Möglichkeiten überlegt hat und sich seiner Sache sicher ist.«
Joachim Löw auf Fragen des Autors, 26. August 2011