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Wichtige Entscheidungen für eine unklare Zukunft

Wartezeit in Rom 1971/1972

Die »Landung« des portugiesischen Militärs in Kooperation mit der guineischen Opposition am 22. November 1970 in Conakry, der Hauptstadt Guineas, mit dem Ziel, das Regime Sékou Touré3 zu stürzen, hatte unerwartete Konsequenzen für die Studenten und Praktikanten Guineas in West-Deutschland und West-Europa zur Folge.

Nachdem Sékou Touré überzeugt war, dass die Bundesrepublik Deutschland und andere westeuropäische Länder Komplizen und somit beteiligt an diesem Überfall von außen waren, beendete er die diplomatischen Beziehungen zu diesen Ländern. Man schloss mehrere guineische Botschaften, unter anderem auch die in Bonn. Der Botschafter und sein Personal gingen nach Rom. Die Studenten und Praktikanten in der BRD wurden im Sommer 1971 von der guineischen Regierung aufgefordert, die BRD zu verlassen und in Rom auf weitere Instruktionen zu warten. Somit wurden sie zu Leidtragenden eines Vorfalls, mit dem sie nichts zu schaffen hatten. Ein Rundschreiben aus Rom forderte sie auf, sofort Deutschland zu verlassen und so schnell wie möglich nach Rom zu kommen. Jean Claude gehörte zu ihnen. Er war einer der ersten, der diesem Aufruf folgte. In Rom wurde er von einem Freund der Familie (Jean Camara) aufgenommen, der als Berater an der Botschaft Guineas in Rom tätig war und ihn während seines Aufenthalts in Rom unterstützte.

Die Ankunft der vielen jungen Guineer in Rom führte zu erheblichen Problemen – Unterkunft und Versorgung waren nicht sichergestellt; es gab keine finanzielle Unterstützung durch die Regierung in Conakry. Es stellte sich heraus, dass der Abzug der Studenten aus der BRD ein Willkürakt des Botschafters Seydou Keitas war, der die Regierung in Conakry vor vollendete Tatsachen stellte. Die Studenten befanden sich, nachdem ihre kleinen Ersparnisse aufgebraucht waren, in einer prekären finanziellen Situation. Es war ein glücklicher Zufall, dass die damals sehr bekannte Balletttruppe aus Guinea, »Les Ballets africains de Guinee«, ebenfalls in Rom gestrandet war. Die Mitglieder dieser Gruppe unterstützten die mittellosen Studenten, indem sie sie häufig zum Essen einluden.

Bei Jean Camara, der zu dieser Zeit noch unverheiratet war, konnte Jean Claude essen, wohnen und sich finanziell über Wasser halten. Einige Studentinnen und Studenten, zu denen zwei junge rebellische und feministische Frauen aus Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) gehörten, fanden sich dort ebenfalls regelmäßig zum gemeinsamen Essen ein, und Jean Claude heizte durch seine provokante Meinung immer wieder die Diskussionen an. Der Aufenthalt in Rom war von absoluter Unsicherheit bestimmt. Es war Dezember 1971, und es gab noch keine Entscheidung über die Zukunft der Studenten aus Guinea, die sich in Rom befanden. Mussten sie zurück nach Guinea oder konnten sie ihr Studium in einem anderen Land weiterführen, zum Beispiel im damaligen Ostblock, der das Regime in Guinea unterstützte? Unter diesen Bedingungen entschieden sich einige Studenten, auf eigenes Risiko nach Deutschland zurückzukehren.

Manche Gepflogenheiten eines totalitären Regimes spiegeln sich wider im Verhalten der betreffenden Gesellschaft; Bespitzelungen und Misstrauen machten sich innerhalb der Gruppe bemerkbar. Es stellte sich bald heraus, dass der guineische Botschafter die Verunsicherung der wartenden Studenten und Praktikanten für seine eigenen politischen Zwecke benutzte. Es fanden immer häufiger Versammlungen statt, um auf die Studenten Einfluss zu nehmen. Die offizielle Adresse für alle war die Botschaftsadresse. Briefe, die aus Deutschland kamen, wurden schlecht verschlossen dem eigentlichen Empfänger übergeben, sodass jeder sofort wusste, dass die Briefe geöffnet und gelesen worden waren. Diese Tatsache und die allgemeine schlechte Situation der Studenten provozierten heftige Reaktionen innerhalb der Gruppe. Jean Claude nutzte sein Talent als Mediator, um die Gruppe zu beruhigen und die Situation zu entschärfen. Durch diesen Einsatz wurde er innerhalb der Gruppe sehr bekannt. Die Wartezeit in Rom war endlos. Monate vergingen, bis endlich das Dekret »Responsable Suprême de la Revolution« (Sékou Touré) eintraf. Es durften acht Studenten in West-Europa (nicht in der BRD) bleiben und ihr Studium fortsetzen; zu ihnen gehörte Jean Claude. Alle anderen mussten sofort zurück nach Guinea. Die Gruppe, die ihre Ausbildung im Post- und Telekommunikationswesen machte, fand Ausbildungsmöglichkeiten in der Schweiz in einer Berufsschule, wogegen sie ihre Ausbildung vorher in Deutschland an einer Hochschule gemacht hatten. Die meisten von ihnen blieben nur einige Monate in der Schweiz und entschieden sich, alsbald nach Guinea zurückzukehren. Bis auf mich. Ich entschied mich, nach Bochum zu gehen, um mein Studium dort zu Ende zu führen.

Guineische Gemeinschaft in der Schweiz 1972 bis 1977

Für Jean Claude setzte sich die unerträgliche Wartezeit fort. Jeden Monat gab es ein neues Versprechen, einmal sollte es Belgien sein, dann wieder die Schweiz und so fort. Im Sommer 1972 entschied er sich, ohne das offizielle Ende der Verhandlungen zwischen der guineischen Botschaft und den Schweizer Behörden abzuwarten, in die Schweiz zu reisen, um sich an der Universität in Genf einzuschreiben. Er kam in Genf an mit fast nichts in den Taschen, aber er fand auch hier Studenten aus Guinea, die er kannte. Bei einem von ihnen konnte er vorübergehend wohnen; er hatte keine andere Wahl. Die meisten Studierenden seiner Generation kannten sich aus ihrer Zeit im Gymnasium, denn es gab nur drei Gymnasien in Guinea. Sehr schnell stellte sich heraus, dass gerade dieser »Freund« einer von Sékou Tourés Spitzeln in Genf war. Jean Claude musste sich mit dieser unangenehmen Situation abfinden, während er sich nach einer anderen Unterkunft umschaute und vor allem nach finanzieller Unterstützung suchte. Er schrieb sich in der Fakultät der Sozialwissenschaften in Psychologie ein, blieb für ein Semester, um sich dann 1973 in Lausanne ebenfalls für das bereits in Deutschland begonnene Psychologiestudium einzuschreiben. Mit Hilfe des Honorarkonsuls von Guinea, Herrn Franzin, fand er im Stadtviertel Montely ein Appartement, zu groß für einen Studenten – zwei Schlafräume, ein sogenannter Salon (ein vergrößerter Flur, der zum Salon umfunktioniert wurde), eine kleine Küche und ein Bad. Aufgrund dieser günstigen Voraussetzungen ließ er seinen Jugendfreund Bah Souleymane, genannt Roby, der sich in der Elfenbeinküste aufhielt, kommen, damit dieser ebenfalls seine Studien in der Schweiz aufnehmen konnte.

Im Erdgeschoss, direkt am Eingang des Hauses, befand sich eine Kneipe, die sich »Chez Charly« nannte. Wenn man in die Wohnung im dritten Stock wollte, dann musste man am Eingang der Kneipe vorbei, sodass dieses Lokal zum zweiten Wohnzimmer all derer wurde, die sich in der Wohnung vorübergehend – mal länger, mal kürzer – aufhielten. Sie tranken alle sehr gerne, nur ich, genannt »Sir Lipton«, ein Freund aus der Zeit in Rom, widerstand dem Alkohol. Eine Etage unter JCs Wohnung lebte ein altes Ehepaar mit bewundernswerter Toleranz. Niemals wurde von ihnen die Polizei gerufen wegen des Lärms, der aus der oberen Wohnung, die sich zu einem Hauptquartier für Exilguineer entwickelt hatte, kam.

Sehr schnell formierte sich eine Gruppe Guineer um Jean Claude; manche waren am Ende ihres Studiums angekommen, andere studierten oder gingen anderen Beschäftigungen nach. Seine Adresse in Montely wurde zum Treffpunkt der guineischen Gemeinschaft der Schweiz und der grenznahen französischen Region und all derer, die dachten, die Welt neu zu gestalten: Afrikaner, Südamerikaner, Portugiesen. José und Nica, Studienkollegen und Freunde, ließen ihn Portugal entdecken. Es war die Zeit der Nelkenrevolution in Portugal, der Sandinisten in Nicaragua und der Sahrauis im Süden Marokkos. Die politischen Diskussionen waren anregend und endlos, vor allem wenn der Duft der Soßen, die auf dem Herd köchelten, durch die Wohnung zog. Man muss sagen, dass das kulinarische Talent des Wohnungsbesitzers bei allen Freunden hochgeschätzt war.

EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA

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