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Über meinen Freund

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Es ist lange her, kommt mir aber vor wie gestern: Ich rief eine Telefonnummer an, die auf einem Plakat der Buchhandlung »Land in Sicht« im Nordend stand; ein Film über Sékou Touré und Guinea wurde dort angekündigt, aber ohne Angabe eines Datums. »Ich interessiere mich für den Film«, sagte ich zögerlich am Telefon »und würde gerne wissen, wann das stattfindet«. Ich telefoniere ungern mit Leuten, die ich nicht kenne. Das mag seltsam klingen, aber noch heute spüre ich eine heitere Überraschung und freudige spontane Vertrautheit, die die Stimme am anderen Ende der Leitung in mir ausgelöst hat. Ob das was werde mit der Aufführung und wann, sei noch unklar, sagte die Stimme, aber es sei wunderbar, dass ich mich dafür interessiere, und sie würden mir auf jeden Fall Bescheid sagen, wenn es soweit sei.

Ich habe den Film nie gesehen, aber später zusammen mit Jean Claude Diallo (der am anderen Ende der Leitung war) mehrere Dokumentarfilme gemacht, die alle inspiriert und beflügelt waren von dieser lebhaften und fröhlichen Neugierde auf die Welt und die, die darin leben. »Die Welt lebbarer machen« war eine seiner genialen Wortschöpfungen. Wenn wir mit den Filmen über Guinea oder über Flüchtlinge an Diskussionsveranstaltungen – meistens im Rahmen der Kirche – teilnahmen, war seine These, dass man statt Entwicklungshilfe lieber dafür sorgen sollte, dass das Leben hier bei uns in Europa lebbarer, gerechter und sinnvoller gemacht wird; und da die Afrikaner sowieso alles nachmachen, was aus Europa kommt, so Jean Claude, werden sie sich auch an dieses Vorbild halten und sich gemeinsam mit uns weiterentwickeln.

»Das Eiapopeia vom Himmel, womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen Lümmel,« nach Heinrich Heine, – das war nicht Jean Claudes Ding bei seiner Arbeit in der Evangelischen Kirche; er redete gern Tacheles. Als er gefragt wurde, ob man nicht den armen Hungernden in Afrika helfen müsste, sagte er, dass »eine Hilfe, die uns gerade noch am Leben erhält, nicht gegeben werden sollte, weil sie eine wirkliche Veränderung der Missstände verhindert. Deshalb muss man uns in Ruhe lassen, damit wir sehen, wie wir unsere Probleme selbst lösen.«

Aber technische Hilfe zum Beispiel durch die GTZ5? Dazu Jean Claude: »Man baut große Staudämme, Lager usw. Und dann sind die Afrikaner ewig in Abhängigkeiten, man denke nur an Ersatzteillieferungen und die Kreditrückzahlungen. Zumeist betrifft diese Hilfe ohnehin nur bestimmte Sektoren, die nicht lebenswichtig für die Bevölkerung sind. Die technische Hilfe dient in erster Linie deutschen Wirtschaftsinteressen.«

Als Filmemacher erlebt man oft genug langweilige Diskussionen nach den Vorführungen; nicht so mit Jean Claude. Nach einer längeren Debatte über das Für und Wider der kirchlichen Hilfe für die Unterentwickelten stand eine ältere Dame auf und rief geradezu verzweifelt: »Aber was soll dann aus uns werden, Herr Diallo, wenn wir nicht mehr helfen dürfen?« Bei einer anderen Diskussion mit afrikanischen Studenten über die sich ständig verschlechternde Situation in Afrika rief ein junger Afrikaner dramatisch in den Saal: »Wohin führt uns das, Jean Claude?« Woraufhin der antwortete: »Das siehst Du doch, Mann, nach Frankfurt!« In diesem Frankfurt – und ich bin wahrlich nicht der Einzige – fühlte ich mich wohl, solange Jean Claude Diallo unser spirituelles Oberhaupt war. Inländer-Ausländer? Deutsche-Europäer? Schwarze-Weiße? Mit Jean Claude zusammen entwickelten wir unsere eigene gemeinsame Staatsbürgerschaft, wir waren Frankfurter. Und ich bekam von niemandem sonst so wunderbare Postkarten aus dem Urlaub wie von ihm, wenn er zum Beispiel schrieb: »Ich habe Sehnsucht nach euch.« Um so etwas zu schreiben, waren wir anderen wahrscheinlich (noch) zu verklemmt.

Jean Claude hatte unseren Film Viva Portugal gesehen über die Rückkehr des Landes zur Demokratie nach langen Jahrzehnten der Diktatur. So einen Film wollte er über sein gerade erst vom Diktator Sékou Touré befreites Land machen. Seine Begeisterung für dieses Projekt steckte erst mich an und dann die Redakteure beim ZDF und dem WDR, die zunächst müde abgewunken hatten. Der Einsatz von Jean Claude und mir beflügelte dann die sonst konkurrierenden Redakteure so sehr, dass sie schließlich gemeinsam überlegten, wie sie das Budget für den Film zusammenbekommen konnten. Heraus kam »der unprätentiöseste Dritte-Welt-Dokumentarfilm, den ich kenne«, wie ein Kritiker später nach einer Kinoaufführung schrieb – und er ergänzte: »Wenn der Film in Fahrt kommt, enthüllt sich die lässig langsame Authentizität als ein verblüffendes, überzeugendes Darstellungsmittel.« Unschwer, Jean Claudes Handschrift dabei zu erkennen.

Für die Guineer war Jean Claude nicht nur »I’allemand«, weil er meistens pünktlich kam und sehr engagiert bis stur bei der Sache war, er war auch ET, »I’Extra Terrestre«, der Außerirdische, der aus dem sicheren deutschen Wohlstand in Frankfurt am Main in ihr darniederliegendes Land kam, um sich intensiv mit dem Schicksal der aus den Todeslagern Befreiten auseinanderzusetzen, wie dem stadtbekannten »Seni-La-Presse« aus dem »Camp Boiro«. Als er zum Verantwortlichen für die Medien ernannt wurde, setzte er sich sofort für die Befreiung von Presse, Radio und Fernsehen von der Zensur ein. Aber er ging auch gegen jene vor, die sich nach wie vor die Taschen vollstopften, auf Kosten der Bevölkerung; jene »Zehn-Prozent-Minister«, wie die Nutznießer der Korruption im Volksmund hießen. »Da werden einfach 20.000 Schweizer Franken zu viel auf die Rechnung für einen Regierungsauftrag geschrieben«, erzählte er uns damals empört, »die kassiert dann der Regierungsvertreter, aber Guinea muss das alles bezahlen«. Als Mitglied einer neu gegründeten Wirtschaftskommission wollte er eine »débat national«, eine landesweite öffentliche Debatte über die Vorschläge des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank für eine angebliche Gesundung des Landes in Gang bringen. Er hatte bei seinen Verhandlungen mit deren Vertretern schon bald erkannt, dass sie die wirklich Mächtigen in der Dritten Welt waren. »Ich hatte das Gefühl, dass eigentlich sie es sind, die uns regieren, dass wir nur Hampelmänner und Marionetten sind. In Sitzungen mit IWF-Vertretern wurden wir immer wie kleine Schüler behandelt.«

Manches erinnerte uns an unsere Heimatstadt Frankfurt: Einmal drehten wir das schöne Viertel »quartier du rail« im Zentrum von Conakry; es waren schöne alte Häuser im Kolonialstil, gebaut für die Angestellten der Eisenbahn. Sie sollten abgerissen werden, um modernen Neubauten zu weichen. In Madame Yattaras Restaurant filmten wir dann die französischen »Projektentwickler«, die beim dritten Gang und vielem Rotwein Jean Claude überschwänglich erzählten, was für ein Schnäppchen für sie das Projekt »quartier du rail« sei, wie auch andere Geschäfte, die sie quasi über Nacht steinreich machen würden. Die Bevölkerung wusste Bescheid, blieb aber machtlos. Über téléphone-trottoir wussten sie auch, was später Jean Claude bestätigt fand, dass der Gouverneur der Zentralbank im Zusammenhang mit dem Projekt sieben Millionen US-Dollar nach Paris überwiesen hatte und dann selbst dorthin abgehauen war.

Einige Jahre später, nachdem Jean Claude von allen seinen Ämtern zurückgetreten und nach Frankfurt zurückgekehrt war, besuchte er als Privatmann noch einmal Conakry. »Erinnerst du dich an diese tausend Wohnungen, die im >quartier du rail< gebaut werden sollten?« fragte er mich. »Diese Wohnungen sind nie gebaut worden. Heute ist an diesem Platz kein einziges Haus mehr zu sehen; die wurden total abgerissen. Woanders werden Prachtvillen gebaut, gegen die Wohnungsnot wird nichts unternommen. Die kleinen Leute bauen sich irgendwelche Spelunken, damit sie das Gefühl haben, sie haben ein Haus, aber bei jedem Regen werden sie nass, weil alles undicht ist.«


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EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA

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