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Während der Sommerferien kamen viele guineische Studenten aus den osteuropäischen Ländern in die Schweiz, vor allem nach Lausanne, um Ferienjobs zu finden. Einige waren Kommilitonen Jean Claudes aus dem klassischen Gymnasium in Donka (Conakry) oder alte Bekannte aus anderen Regionen Guineas. Sie kamen ohne einen Cent in der Tasche und läuteten an seiner Tür. Er stellte niemals eine Frage, sondern nahm sie auf. In der Sommerzeit sah die Wohnung wie ein Feriencamp aus. Jean Claude verbrachte in dieser Zeit seine Nächte bei Freunden oder bei Barbara, seiner späteren Frau, die nach Lausanne gekommen war, um Französisch zu lernen. Trotzdem gab es nie genug Schlafplätze für alle. Für das Essen fand man immer Mittel und Wege. Ein großer Topf mit Schweinsfüßen in Soße erfüllte selbst für die Moslems, die in der damaligen Zeit wenig praktizierend waren, seinen Zweck. Auch das künstlerische Talent einiger erlaubte es, die Töpfe zu füllen. Alain Zayat und »Gaspard« fertigten an manchen Abenden naive Bilder mit afrikanischen Motiven, keiner wusste, woher ihr Talent als Maler stammte. Andere, talentiert als Verkäufer, fuhren am darauffolgenden Tag aufs tiefe Land und verkauften die Ergebnisse des Vorabends mit mehr oder weniger Erfolg. Ihre Rückkehr wurde ungeduldig erwartet, denn ein Teil der Einnahmen wurde für die abendliche Kochaktion genutzt. Der Rest wurde meist am gleichen Abend ausgegeben, in der Piano-Bar »l’AMIRAL« bei Johny, einem Bruder aus dem Maghreb, der mit einer seltenen Freundlichkeit ausgestattet war. Diejenigen, die keinen Schlafplatz bei Jean Claude gefunden hatten, behalfen sich durch eine Eroberung des Abends.

All dies führte immer wieder zu mehr oder weniger großen finanziellen Sorgen für Jean Claude als verantwortlichem Mieter des Appartements. In der Wohnung gab es ein Telefon, das für jedermann zugänglich war. Dies hieß, dass er regelmäßig Telefonrechnungen über mehrere Hundert Schweizer Franken erhielt. Eines Tages waren es mehr als tausend Franken, daraufhin ließ er das Telefon entfernen. Da es zu dieser Zeit noch keine Mobiltelefone gab, musste von da an jeder, der telefonieren wollte, in eine Telefonzelle gehen.

Während dieser Zeit in Lausanne trieb Jean Claude regelmäßig Sport, Basketball – sein Lieblingssport – mit seiner Unimannschaft und Fußball in der Afrika-Mannschaft von Lausanne. Die Treffen der Mannschaften Genf gegen Lausanne fanden auf einem Platz im Park von Vidy statt. Die Spiele steigerten sich so manches Mal zu einem folkloristischen Vergnügen. Sobald der Abpfiff ertönte, stürmten alle ins »Chalet«, eine Pizzeria, um ihren Durst zu stillen, und Jean Claude vergnügte sich am »Baby Foot« (Tischfußball).

Wenn man eine offizielle Erlaubnis der Regierung Guineas für die Fortführung des Studiums in der Schweiz hatte, bekam man ein monatliches Stipendium von etwa 280 bis 300 Franken. Leider erreichte diese eher mäßige Unterstützung die Studierenden nicht. Jean Claude erhielt dieses Geld nur drei oder vier Monate lang. Im Juli 1973, als er zur Hochzeit seines Freundes und Unterstützers Jean Camara nach Rom fuhr, nahm er die Gelegenheit war, sich beim Botschafter Guineas über diese Situation zu beschweren, der ihm dann den Vorwurf machte, sich nicht rechtzeitig gemeldet zu haben und die Buchhaltung zu einer freundlichen Geste beauftragte. Die Geste war lächerlich.

Wenn es sein Studienzeitplan zuließ, machte er hier und dort kleine Jobs an Samstagen, um seine finanzielle Schieflage etwas zu verbessern. Eines Tages fand er eine Arbeit in einer Fabrik für Schmiermittel, die auch Reinigungsmittel verkaufte. Er verdiente 80 Franken pro Tag. Diese Summe wurde ihm am Ende des Tages bar ausbezahlt. Diese Konditionen machten die Arbeit für einen Studenten reizvoll, auch wenn sie schmutzig war. Wenn er am Abend nach Hause kam, gab er einen Teil des Geldes für das Essen seiner Besucher aus. Die Arbeit wurde in einer staubigen Lagerhalle durchgeführt, in der alte Klamotten nach bestimmten Kategorien sortiert werden mussten. Manchmal überließ er einem Freund seinen Arbeitsplatz, damit dieser sich etwas Geld verdienen konnte. Ein alter guineischer Beamter, der geflohen und ohne einen Cent in Lausanne gestrandet war, erzählte mit großer Begeisterung von einem Geschenk des Himmels. Jean Claude hatte ihm damit die Möglichkeit gegeben, eine Zugfahrkarte von Genf nach Paris zu kaufen, um sich einige Nächte in einem Hotel zu leisten und Freunde zu treffen. Jean Claude – charmant, klug und aufgeweckt mit einem angenehmen und Vertrauen erweckenden Äußeren – ließ die meisten Frauen nicht unberührt. Die Besitzerin und Chefin dieses Unternehmens verfiel dem Charme dieses höflichen jungen Mannes mit guten Manieren, der es sehr gut verstand, eine Freundschaft zu pflegen und zu halten. Die Dame war zwar 20 Jahre älter, aber sehr elegant, gutaussehend und geistreich. Auch war sie sehr großzügig; zu Jean Claudes Geburtstag lud sie seinen engeren Freundeskreis in ein gutes Restaurant ein. Man feierte fröhlich und ausgelassen. Zwei kluge Köpfe neckten und maßen sich, und dieses Spiel machte ihnen ungeheuren Spaß. Das gab den Geburtstagen einen besonderen Charakter. Auch Jahre später, wann immer Jean Claude in die Schweiz kam, besuchte er diese Dame und unterhielt diese Freundschaft bis an sein Lebensende. Seine Beziehung zu einer Italienerin war ganz anders: sehr theatralisch und kurz. Jedoch, selbst in diesen Augenblicken der Sorglosigkeit blieb »die Deutsche«, die in den Augen der Freunde die einzig legitime Beziehung war, gegenwärtig, und Jean Claude wurde scherzhaft von seinen Freunden daran erinnert: »Yamanni faama go«! (Vorsicht, die Deutsche wird kommen!) Man sprach Susu, damit nur die Freunde es verstehen konnten.

Weit weg von Guinea war Jean Claude nie ganz von seiner Familie getrennt. In Lausanne lebte ein sehr naher Verwandter von ihm, sein Cousin Bouba Aribot. Er war Apotheker und war mit einer Schweizerin verheiratet. Er war der älteste der guineischen Gemeinde in der Schweiz, somit war er eine Respektsperson und wurde bei wichtigen Entscheidungen gefragt. Es lebte auch eine weitläufige Cousine, Michelle, mit ihrem Mann Alain und ihren Kindern in der Nähe. Die Abende bei den Elzigs waren für ihn ein willkommener Ausbruch aus den täglichen Sorgen und Nöten. Die köstlichen Gerichte seiner Cousine ließen ihn eintauchen in eine familiäre Stimmung, und Alain, ein freundlicher, sympathischer und schelmischer Mann, machte gerne Späße, um die Abende so angenehm wie möglich zu gestalten. Von Zeit zu Zeit tauchten auch die Wahlschwestern Martine und Anna aus Paris auf. Es waren die Töchter von Adele und Alassane Diop, Freunde der Familie aus dem Senegal, mit denen er sich stark verbunden fühlte, vor allem Allassane Diop verehrte er sehr. Er war Minister für Kommunikation unter Sékou Touré und kam im Zuge der Säuberungsaktionen in das gefürchtete Gefängnis »Camp Boiro« in Conakry. Er verbrachte zehn Jahre dort. Diese Tatsache war ein weiterer Grund, sich von Sékou Touré und seinem Regime zu distanzieren.

Jean Claude beendete sein Studium der Psychologie mit dem Diplom, gab seine Wohnung auf, und die Clique von Montelly löste sich auf. Er verließ Lausanne mit einem Gefühl, nicht alles erreicht zu haben. Sein Freund Roby, der mit ihm in Lausanne lebte, hatte sein Studium nicht weitergeführt, sondern suchte nach einem leichteren Weg, um zu überleben. Roby hatte, nachdem Jean Claude Lausanne verlassen hatte, den Kontakt zu ihm abgebrochen. Er konnte wohl den Erfolg des Freundes und das eigene Versagen nicht ertragen. Später sprach Jean Claude oft mit Bitterkeit über diese Geschichte. Auch versuchte er einige Jahre danach, Roby in Frankreich wiederzufinden, erfuhr aber nach Jahren, dass der Jugendfreund, dessen Freundschaft er immer hochgeschätzt hatte, unter sehr traurigen Umständen an Krebs verstorben war.

In der guineischen Tradition, besonders bei den Susu, unterscheidet man zwei Arten von Eigenschaften bei einer Person. Solche, die andere Menschen anziehen, und solche, die durch ihre Art des Verhaltens andere abstoßen. Es ist unbestritten, dass die Aura, mit der der Schöpfer Jean Claude umgeben hat, wie ein Magnet auf andere Menschen wirkte. Seine große Fähigkeit zuzuhören und seine Toleranz machten ihn zu einem Verbündeten. Jedem seiner Gesprächspartner, auch Kindern, Jugendlichen oder Alten, ließ er die gleiche Beachtung und Aufmerksamkeit zuteil werden. Seine Hilfsbereitschaft ohne Rücksicht auf Herkunft oder Religion, ohne Zweifel ein Erbe seiner Erziehung zu Hause, waren für ihn eine Quelle intellektueller und moralischer Befriedigung. Anders ausgedrückt sagt man bei uns: Jean Claude hatte eine »gute Seele«.

Der nächste Lebensabschnitt führt Jean Claude nach Marokko. Wird er in diesem Land eine berufliche Zukunft haben?

EIN FRANKFURTER AUS AFRIKA

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