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Viktoria Stadlmayer alias „Stasi“
ОглавлениеAnfang Mai 1963 wird der Innsbrucker Universitätsassistent und BAS-Mann Norbert Burger von der deutschen Polizei verhaftet. Bei der Durchsuchung einer konspirativen Wohnung in München am 7. Mai 1963 stellen die Beamten des Bayerischen Landeskriminalamtes auch ein Buchmanuskript sicher. Das Schriftstück mit dem Titel „Die Nachfolger des Judas von Tirol“ ist über 100 Seiten lang. Norbert Burger gibt im Verhör vor der Polizei zu, der Verfasser des Werkes zu sein.19 Im Manuskript geht Burger auch auf die Rolle von Viktoria Stadlmayer, der Leiterin des Südtirol-Referates in der Tiroler Landesregierung, im sogenannten Südtiroler Freiheitskampf ein. Burger erinnert an eine Aussprache mit Stadlmayer, die über Vermittlung des Innsbrucker BAS-Mannes Helmuth Heuberger im Juli 1961 im Haus des damaligen Chefs der Innsbrucker BAS-Gruppe Heinrich Klier stattgefunden haben soll. Dann schreibt Norbert Burger:
Immer wieder taucht die Vermutung auf, dass der Bundesdeutsche Nachrichtendienst, die Organisation Gehlen, ihre Hand bei der Aufdeckung der Südtiroler Freiheitskämpfer im Spiel haben könnte. Die mannigfaltigsten Spekulationen und Kombinationen wurden angestellt. Warum aber in die Ferne schweifen, wenn das Gute (oder hier das Böse) liegt so nah?
Schließlich wissen es nicht nur die Nachrichtenoffiziere in München, dass Frau Doktor Stadlmayer zum Chef dieses Nachrichtendienstes, General Gehlen, intime Beziehungen pflegt.20
Ein harter und absurder Vorwurf? Eine Verleumdung? Könnte sein, denn das Verhältnis zwischen Viktoria Stadlmayer und Norbert Burger gleicht jenem zwischen Hund und Katze. Die Nordtiroler Leiterin des Südtirol-Referates hat alles nur Mögliche unternommen, um den Einfluss des Rechtsradikalen und späteren Gründers der österreichischen Nationaldemokratischen Partei (NDP) Norbert Burger in und um Südtirol zu schmälern. Andererseits hatte Norbert Burger durchaus Kontakte zu BND-Mitarbeitern, demnach könnte einer dieser BND-Leute, die mit den rechten Kreisen um Burger sympathisiert haben, diese Geschichte durchgestochen haben. Tatsache ist, dass der Kontakt Gehlen-Stadlmayer nicht aus der Luft gegriffen ist. Das belegen die Akten aus dem BND-Archiv.
Fast alle Berichte aus und über Südtirol gehen direkt zum Leiter des Nachrichtendienstes Reinhard Gehlen. Der Chef der Org. und des BND hat ein besonderes Interesse an Südtirol, er selbst und sein engstes Umfeld sind in den 1950er- und 1960er-Jahren in Sachen Südtirol nachrichtendienstlich aktiv tätig. Das zeigt neben vielen anderen Dokumenten auch eine unscheinbare Notiz in den Pullacher Akten zu Südtirol. Anfang 1965 verfasst der Leiter der Abteilung „Gegenspionage“, Hans Georg Langemann alias „Lückrath“, einen Übersichtsbericht über den „Kommunistischen Einfluss in der Südtirol-Frage“, der für Reinhard Gehlen persönlich bestimmt ist. „Nach Abflauen der Hauptattentatswellen war der BND in der Südtirol-Frage nur mehr rezeptiv tätig, ohne aktive Aufklärungsoperationen zu betreiben“, schreibt Lückrath einleitend. Der Bericht geht wenig später an den Verfasser zurück, versehen mit einer handschriftlichen Anmerkung seines Vorgesetzten Wolfgang Langkau genau an dieser Stelle. Langkau schreibt: „Laut 106 nicht zutreffend, da eigene Quellen bzw. Operationen bei 106 laufen.“21 Hinter der Tarnziffer „106“ verbirgt sich Reinhard Gehlen, der Gründer und erste Präsident des BND. Gehlen ist tatsächlich jahrelang persönlich in die Nachrichtenbeschaffung rund um Südtirol involviert und er kann dabei auf eine ganz besondere Quelle zurückgreifen.
Gehlen-Notiz zu Norbert Burger: Das geschwungene G des BND-Präsidenten als Signatur.
Viktoria Stadlmayer (1917–2004) wird bis heute als die Grande Dame der Südtirol-Politik bezeichnet. In Brixen als Tochter des österreichischen Offiziers Rüdiger Stadlmayer und der Gräfin Elisabeth von Wolkenstein-Trostburg geboren, wächst sie im Netz des europäischen Hochadels auf. Ihre Kindheit und Jugend sind durch häufige Ortswechsel geprägt. So lebt sie in Korneuburg, Bad Reichenhall, Aigen bei Salzburg, Eisenerz, Wien, Wallsee, Dortmund, Kramsach, Berlin und Ostpommern. Die Sommerwochen verbringt sie dabei immer wieder auf der Trostburg in Waidbruck.22
Bereits als junges Mädchen sympathisiert Viktoria Stadlmayer mit dem NS-Regime. Noch als Schülerin am Innsbrucker Mädchengymnasium wird sie 1934 Mädelschaftsführerin im „Bund Deutscher Mädchen“ (BDM) und im Juni 1935 wegen ihrer illegalen NS-Aktivitäten aus der Schule ausgeschlossen. Stadlmayer legt deshalb 1936 ihre Reifeprüfung in Berlin ab und beginnt dort an der Deutschen Hochschule für Politik ein Studium der Politikwissenschaft. Nach dem Anschluss Österreichs wechselt sie an die Uni Wien, wo sie Geschichte und Volkskunde studiert. Nebenbei fungiert sie als Blockwart der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt. 1938 tritt sie der NSDAP bei. Ihren Mitgliedsantrag stellt sie als „alte Kämpferin“23.
Nach der Promotion in Wien 1941 wechselt sie in die Gauverwaltung nach Innsbruck, wo sie im „Institut für Landes- und Volksforschung“ tätig wird. Ihre Hauptaufgabe ist dort vor allem die Presseauswertung und die politische Analyse zu Südtirol. Genau das wird dann das Thema sein, das Viktoria Stadlmayer zeit ihres Lebens begleiten wird.
Als „NS minderbelastet“ eingestuft, arbeitet Stadlmayer ab Sommer 1945 in der bei der Tiroler Landesregierung neu eingerichteten „Landesstelle für Südtirol“. Später wird daraus das „Referat S“ werden. Die resolute Frau knüpft somit wieder dort an, wo sie zu Kriegsende aufgehört hat. Schon bald geht in der österreichischen Südtirol-Politik nichts mehr ohne „die Stadlmayer“. Sie wird nicht nur der Kopf des Südtirol-Referats, sondern auch Mitglied der österreichischen Expertenkommission, die mit Italien über Südtirol verhandeln soll. Eine sechswöchige Haft im Mai/Juni 1961 in Bozen macht Viktoria Stadlmayer international bekannt und zu einer Galionsfigur des Südtirol-Konflikts. Die Hofrätin (zu der sie 1969 ernannt wird) und ihr Amt werden so jahrzehntelang zu einer der wichtigsten Anlaufstellen für Journalisten, Wissenschaftler und Politiker, die sich mit Südtirol beschäftigen.
Schon sehr bald entwickelt aber auch der deutsche Nachrichtendienst Interesse an Viktoria Stadlmayer und ihrem Wissen um Südtirol. Das geht aus den Akten hervor, die 55 Jahre später vom BND freigegeben werden. Offiziell ist der Name der Quelle zwar geschwärzt, doch bei genauerer Recherche wird schnell klar, dass Stadlmayer jahrzehntelang den bundesdeutschen Nachrichtendienst mit Informationen versorgt hat. Die Innsbrucker Hofrätin wird in Pullach mit einem Decknamen bedacht, der sich an ihren Schreibnamen anlehnt, aber einen ganz besonderen Beigeschmack hat. Stadlmayer wird spätestens ab 1962 vom BND als Sonderverbindung „Stasi“ geführt.24
Viktoria Stadlmayer (nach ihrer Freilassung im Juni 1961 am Brenner): Jahrelang Informationen zu Südtirol nach Pullach geliefert.
Die Zusammenarbeit mit Viktoria Stadlmayer dürfte aber bereits in den 1950er-Jahren unter der Org. begonnen haben. Die Innsbrucker Südtirol-Expertin wird dabei von Beginn an in der obersten Leitungsebene des deutschen Nachrichtendienstes angesiedelt. Ihre Informationen werden anfänglich vom engen Intimus von Reinhard Gehlen Hans Walter Julius Winter (1915–1985), Deckname „Wilden“, ausgewertet. Nach der Umwandlung der Org. in den BND wird Stadlmayer 1957 dann als „Quelle 70“ in Pullach registriert. Auch das macht deutlich, dass Burgers Manuskript nicht aus der Luft gegriffen ist. Denn hinter der Tarnziffer „70“ verbirgt sich zu diesem Zeitpunkt BND-Präsident Reinhard Gehlen.
Nachrichtendienstlich geführt wird Viktoria Stadlmayer von einer Frau, die innerhalb des BND den eindeutig größten Einfluss auf Reinhard Gehlen hat und deren Biografie einige Parallelen zum Lebensweg der Innsbrucker Hofrätin aufweist. Annelore Krüger (1922–2012) wird als Tochter eines Arztes in der pommerischen Kleinstadt Köslin im heutigen Polen geboren. 1940 legt sie die Reifeprüfung ab, besucht zuerst eine Fremdsprachenschule (Englisch/Spanisch), um dann ein Studium aufzunehmen. Doch sie wird kriegsdienstverpflichtet und landet schließlich bei Gehlens Abteilung „Fremde Heere Ost“ (FHO). Dort baut die 20-jährige Schreibkraft zuerst eine „Bandenkartei“ auf und wird dann als Sekretärin in das Vorzimmer Reinhard Gehlens versetzt. Auf eigenen Wunsch wird sie schließlich im Referat „Feindpropaganda“ tätig, wo sie vor allem die ausländische Presse auswertet. Als Reinhard Gehlen nach der Kapitulation mit seinen engsten Getreuen und den wichtigsten Akten aus dem FHO-Archiv in eine Berghütte nach Bayern flieht, ist auch Krüger mit dabei.25
Todesanzeige für Gehlens rechte Hand und Geliebte Annelore Krüger: Unter ihrem Alias „Kunze“ führte sie auch die Sonderverbindung „Stasi“.
Auch im Nachkriegsdeutschland bleibt Annelore Krüger ihrem Chef treu. Mit 1. Mai 1947 wird die junge Frau formal von der Org. übernommen. Sie wird nicht nur zur Vorzimmerdame und wichtigsten Mitarbeiterin von Reinhard Gehlen, sondern sie ist bis zu seinem Tod auch die Geliebte des Leiters des deutschen Nachrichtendienstes. Annelore Krüger tritt schließlich in den BND ein, wird zuerst Beamtin, und Gehlen schafft es über Staatssekretär Hans Globke, dass seine Büroleiterin 1961 mit 39 Jahren zur Regierungsrätin und drei Jahre später zur Oberregierungsrätin befördert wird. Für Reinhard Gehlen ist Annelore Krüger eine absolute Vertrauensperson, deshalb bindet er sie von Beginn an auch in seine nachrichtendienstliche Arbeit voll ein. Gehlen übergibt seiner Geliebten dabei besonders sensible Aufgaben. So ist Annelore Krüger jahrzehntelang unter dem Decknamen „Kunze“ und der Tarnziffer „106/II“ (unter dieser firmieren auch andere Mitarbeiter) Teil der operativen Arbeit des BND und seines Chefs. Das heißt: Sie leitet Operationen und sie führt auch selbst Quellen, die zumeist von Gehlen persönlich angeworben werden.
Annelore Krüger alias „Kunze“ führt so auch die Sonderverbindung „Stasi“. Dabei dürften sich die beiden Frauen durchaus gut verstanden haben. Fast gleich alt (Krüger ist fünf Jahre jünger), mit ähnlichem Lebensweg, beide mit Bezug zu Pommern: Viktoria Stadlmayer hat dort familiäre Beziehungen und in ihrer Kindheit und Jugend immer wieder Zeit dort verbracht, Krüger kommt aus Pommern. In den BND-Akten finden sich Dutzende Protokolle von Besprechungen zwischen „Kunze“ und „Stasi“ aus den Jahren 1956 bis 1968. Aus den Akten geht dabei auch hervor, dass Viktoria Stadlmayer bewusst immer wieder die Hilfe von Reinhard Gehlen und des BND in Sachen Südtirol eingefordert hat. Anfänglich geht es in den Berichten vor allem um die politischen Entwicklungen in Südtirol und um eine mögliche Unterstützung durch deutsche Stellen. Stadlmayer berichtet dabei mehrmals auch über die Haltung und Initiativen von Otto von Habsburg in Sachen Südtirol. So beschreibt sie auch ein Treffen, das Ende 1956 zwischen dem Sohn des letzten österreichischen Kaisers und dem Südtiroler Nachrichtenoffizier Christoph Alexander von Hartungen (auch „Cristofero De Hartungen“) stattgefunden hat. Von Hartungen war Agent des faschistischen Nachrichtendienstes „Servizio Informazioni Militare“ (SIM) gewesen, hatte in den letzten Kriegsjahren mit dem US-amerikanischen „Office of Strategic Service“ (OSS) und dem italienischen Widerstand zusammengearbeitet und war auch nach dem Krieg für den italienischen Militärnachrichtendienst tätig. Hartungen nahm sich 1959 unter mysteriösen Umständen in Südtirol das Leben.26 Im BND-Bericht von „Kunze“ heißt es: „Der Onkel von Major Hartungen ist Hausarzt von [Name geschwärzt – Anm. d. Autors] in Innsbruck.“27. Gemeint ist hier der bekannte österreichisch-italienische Kurarzt Erhard Hartung von Hartungen (1880–1962), der als Pensionist in Innsbruck noch eine Reihe von Privatpatientinnen betreute. Unter ihnen war auch Viktoria Stadlmayer.28 Dass Stadlmayer Details über die Haltung Ottos von Habsburg zu Südtirol und dessen politische Überzeugung nach Pullach übermitteln kann, liegt daran, dass beim besagten Treffen auch ihr Cousin Dietrich von Wolkenstein-Trostburg mit von der Partie ist. Der gebildete Adelige, Anhänger der Weltföderalisten, der 1961 für den deutschen Zweig dieser Bewegung auch ein Buch veröffentlicht,29 ist ein Freund von Christoph Alexander von Hartungen. Von ihm dürfte Stadlmayer die Details erfahren haben.