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Giovanni Gehlen & Südtirol
ОглавлениеIn dieser internen Auseinandersetzung um das Thema Südtirol spielt eine Person eine zentrale Rolle: Johannes „Giovanni“ Gehlen. Johannes Gehlen (1901–1986) wird bis heute meist als Halbbruder von Reinhard Gehlen bezeichnet. In Wirklichkeit ist er aber ein leiblicher Bruder des BND-Gründers. Die falsche Darstellung resultiert daraus, dass Johannes vorehelich gezeugt wurde. Für seinen Vater Walther Gehlen, einen Leutnant, war es zu Beginn des 20. Jahrhunderts unschicklich und mit der Offiziersehre unvereinbar, ein voreheliches Kind gezeugt zu haben. Deshalb wird die Mutter Katharina zur Entbindung in die Hauptstadt Italiens geschickt. Bald nach der Geburt kehrt sie nach Erfurt zurück und heiratet Walther Gehlen. Johannes Gehlen hingegen bleibt in Rom zurück und wird dort von dem kinderlosen deutsch-jüdischen Ärzteehepaar Hans Baum als Pflegekind großgezogen. Erst mit 18 Jahren erfährt Johannes, dass sein wirklicher Vater Walther Gehlen ist. Gehlen senior erkennt seinen Sohn wenig später offiziell an.
Johannes „Giovanni“ Gehlen geht in Rom zur Schule und nimmt dort ein Studium der Volkswirtschaft auf. Anschließend beginnt er eine Ausbildung in der Banco di Roma und der Barclays Bank. Von 1920 bis 1935 ist er als Bankbeamter tätig. 1934 tritt Gehlen der NSDAP bei. Von 1935 bis 1942 absolvierte er ein Zweitstudium der Physik, Mathematik und Astronomie an der Universität Leipzig, das er mit einer Promotion abschließt. Im Jahr 1938 wird er für eine kurze Übung bei der Nachrichtentruppe in München eingezogen, bleibt aber vom Kriegseinsatz verschont. Vom Studienende bis 1945 ist er als wissenschaftlicher Assistent am Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg tätig.2
Nach Kriegsende kehrt Johannes Gehlen nach Rom zurück, wo er anfänglich als Sekretär im Malteserorden tätig ist, aber schon bald ins Nachrichtengeschäft einsteigt. Ab Ende der 1940er-Jahre ist Gehlen hauptberuflich zuerst für die Org. und dann für den BND tätig, jenem deutschen Nachrichtendienst, den sein Bruder Reinhard aufbaut und leitet. Johannes Gehlen (DN „Bruder Hans“ oder „Gustav“, Tarnziffer „L 752“ oder „AK 14“) leitet bis zum Ende der Ära seines Bruders als sogenannter Resident das BND-Büro in Rom. Einer seiner engsten Mitarbeiter ist dabei ein österreichischer Adeliger mit Südtiroler Wurzeln, über den wir in diesem Buch noch lesen werden.3
Als Italienrepräsentant des BND beeinflusst Johannes Gehlen jahrzehntelang die Gangart seines Dienstes in Sachen Südtirol nachhaltig. Giovanni Gehlen ist ob seiner Herkunft sehr italophil und hat engste private und berufliche Beziehungen zum italienischen Nachrichtendienst „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR). Vor allem in der heißen Phase der Südtirol-Attentate wird diese enge Freundschaft und Zusammenarbeit aber auf eine harte Probe gestellt. Offizielle Stellen im italienischen Innenministerium und im SIFAR beschuldigen Deutschland und selbst den BND mehrmals direkt, aktiv bei den Attentaten in Südtirol mitzumischen. „L 752“ alias Giovanni Gehlen versucht durchzusetzen, dass alle BND-Aktionen in und um Südtirol über seinen Schreibtisch gehen müssen. Was ihm jedoch keineswegs gelingt.
Gleichzeitig forciert der römische BND-Mann die Zusammenarbeit BND-SIFAR in Sachen Südtirol. Jahrelang leitet Giovanni Gehlen Aufklärungswünsche des italienischen Nachrichtendienstes über Südtirol und den BAS nach Pullach weiter, mit dem innigen Wunsch, diesen zu entsprechen. Gehlens Ziel: Der BND soll dem SIFAR im Kampf gegen die Südtirol-Attentäter zur Seite stehen und helfen. Mehrmals interveniert auf Wunsch der SIFAR-Spitze Giovanni Gehlen direkt bei seinem Bruder Reinhard Gehlen in diesem Sinne.
Doch Pullach kommt diesem Ansinnen nicht nach. Der BND beantwortet zwar immer wieder Anfragen aus Rom, Reinhard Gehlen & Co lassen sich aber weder in die Karten schauen noch von den italienischen Sicherheitsbehörden vor den Karren spannen. Dem BND gelingt so jahrelang eine Gratwanderung: Man gibt kaum etwas vom eigenen Wissen über die Entwicklung in Südtirol preis, schafft es aber, den italienischen Partnerdienst trotzdem bei der Stange zu halten.
Wie weit man dabei geht, zeigt eine Episode, die Hans Langemann Anfang der 1980er-Jahre dem deutschen Journalisten Frank Peter Heigl schildert. Hans Langemann alias „Lückrath“ ist Anfang der 1960er-Jahre innerhalb des BND einer der wichtigsten Akteure im „Strategischen Dienst“ und enger Vertrauensmann von Reinhard Gehlen. Anfang 1963 reist „Lückrath“ zusammen mit dem BND-Präsidenten nach Rom. In der Wohnung des BND-Statthalters Giovanni Gehlen treffen die drei BND-Männer den damals mächtigen italienischen General Giovanni De Lorenzo (1907–1973). Dieser ist von 1955 bis 1962 Leiter des SIFAR, von 1962 bis 1966 Generalkommandant der Carabinieri und von Februar 1966 bis April 1967 Generalstabschef des italienischen Heeres. Weil De Lorenzo die Spitze des SIFAR mit eigenen Vertrauensleuten besetzt hat, ist der General in Wirklichkeit in diesen Jahren mit einer Machtfülle ausgestattet wie niemand vor und auch nicht nach ihm. Giovanni De Lorenzo steht jahrelang sowohl an der Spitze der Carabinieri wie auch des italienischen Nachrichtendienstes.
Beim Arbeitsessen in Rom kommt man auch auf das heiße Thema Südtirol zu sprechen. Reinhard Gehlen stellt dabei „Lückrath“ als Leiter einer BND-Stelle vor, die gegen die Südtirol-Terroristen geschaffen wurde. Eine Behauptung, um gegenüber Italien die eigene Distanz zu den Attentätern zu untermauern. „Lückrath“, der aus seiner operativen Arbeit beste Informationen zu und über Südtirol hat, referiert geistesgegenwärtig über die Aktionsbereiche dieser Stelle, die es in Wirklichkeit nie gegeben hat.4