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Aufregung um Terroristenausbildung
ОглавлениеWie politisch brisant das Thema Südtirol in der Bundesrepublik in diesen Jahren ist und wie schnell die aufflammenden Südtirol-Attentate zur ernsthaften Belastungsprobe der deutsch-italienischen Beziehungen werden können, wird Anfang Dezember 1960 deutlich.
Am 1. Dezember 1960 berichtet der deutsche Botschafter in Wien Carl Hermann Müller-Graaf in einem streng geheimen Fernschreiben an das Auswärtige Amt in Bonn über eine Aussprache mit dem österreichischen Außenminister Bruno Kreisky. Kreisky, der bekanntlich bestens über die internen Vorgänge im „Befreiungsausschuss Südtirol“ informiert ist, hatte nur wenige Tage zuvor in seiner Privatwohnung in Wien/Grinzing eine Aussprache mit den führenden Südtiroler BAS-Leuten Sepp Kerschbaumer, Jörg Pircher und Karl Tietscher.5 Im Gespräch mit dem deutschen Botschafter redet Kreisky auch über Südtirol und den Aufbau der illegalen Untergrundbewegung. Der österreichische Außenminister macht dabei die vertrauliche Mitteilung, dass deutsche Offiziere in Mittenwald in der Nähe der bayerischen Grenze zu Nordtirol Südtiroler Attentäter im Umgang mit Sprengstoff und Waffen ausbilden würden.
Diese Nachricht wird sowohl der deutschen Botschaft in Rom als auch dem BND zur Kenntnis übermittelt. Der deutsche Botschafter in Rom Manfred Klaiber antwortet am 7. Dezember 1960 sichtlich erregt:
Die vertrauliche Mitteilung, die der österreichische Außenminister Kreisky unserem Botschafter in Wien über den Befreiungsausschuss für Südtirol in Innsbruck und die Ausbildung von Terroristengruppen gemacht hat, sollte man meines Erachtens von unserer Seite keinesfalls auf sich beruhen lassen, sondern zum Gegenstand einer ernsten internen Untersuchung im Hinblick auf die von Kreisky angedeutete deutsche Beteiligung machen. Wenn der österreichische Außenminister schon einen „Riesenskandal mit den Italienern“ voraussieht, so würde es erneut die deutsch-italienischen Beziehungen schwerstens belasten, wenn bei einem Bekanntwerden der Angelegenheit tatsächlich die Beteiligung sogar aktiver deutscher Offiziere bei der Ausbildung von Terroristengruppen für Südtirol ruchbar würde. Es müsste wohl festgestellt werden können, ob tatsächlich Offiziere der Bundeswehr sich in der Nähe von Mittelberg (welches Mittelberg? – sic!) in letzter Zeit aufgehalten haben. Es erscheint mir dringend erforderlich, sich gegebenenfalls zeitig und möglichst vor Ausbruch des Skandals von diesen verantwortungslosen Elementen zu trennen, um jede deutsche Verantwortlichkeit an diesen Vorgängen in Abrede stellen zu können.6
In einem geheimen Fernschreiben, das aus dem BND-Büro Bonn direkt an Reinhard Gehlen geht, wird der BND-Präsident nicht nur über den Schriftverkehr der beiden Botschafter unterrichtet, sondern auch darüber, dass Bundeskanzler Konrad Adenauer unmittelbar eine Untersuchung der Vorgänge angeordnet habe. Adenauer beauftragt damit seinen Staatssekretär und Vertrauensmann Hans Globke (1898–1973). Globke ist ein Musterbeispiel der äußerst problematischen persönlichen Kontinuitäten in Deutschland. Der Jurist, in der NS-Zeit Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze und der verantwortliche Beamte für die judenfeindliche Namensänderungsverordnung, wird unter Adenauer von 1953 bis 1963 zum Chef des Bundeskanzleramtes. In dieser Rolle ist er einer der wichtigsten Verbündeten von Reinhard Gehlen bei dessen Aufstieg zum deutschen Geheimdienstchef und bei der Umwandlung der US-finanzierten und -geführten „Organisation Gehlen“ in den „Bundesnachrichtendienst“. Im Gegenzug halten der BND und die „Central Intelligence Agency“ (CIA) ihre Hand schützend über Hans Globke, sodass seine NS-Vergangenheit und -Belastung erst nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskanzleramt zum öffentlichen Thema werden. Das Verhältnis zwischen Globke und dem BND ist so eng, dass Gehlens Dienst der „grauen Eminenz“ im Kabinett Adenauer auch einen Decknamen gibt: „Globus“.
Kanzler Konrad Adenauer und Staatssekretär Hans Globke: Aufregung um angebliche Terroristenschule in Deutschland.
Nach der Order von Adenauer aktiviert der BND umgehend seine offiziellen Verbindungsleute und Quellen in der deutschen Bundeswehr, darunter einen BND-Mitarbeiter mit dem Decknamen „Horn“. Dahinter verbirgt sich Adolf Heusinger (1897–1982), Org.-Mitarbeiter und zu diesem Zeitpunkt erster Generalinspekteur der deutschen Bundeswehr. Heusingers schriftliche Antwort ist eindeutig: Es kann mit Sicherheit eine Beteiligung deutscher Offiziere sowohl in Uniform als auch in Zivil bei Ausbildung der Südtiroler Attentäter ausgeschlossen werden.
Im Fernschreiben an Reinhard Gehlen heißt es dann:
Die Erkenntnisse wurden Globus 15 Minuten nach Übergabe des Telegramms der Botschaft mitgeteilt. Aufgrund dieser Sachlage hielt er für ausgeschlossen, dass nunmehr seitens der Italiener offizielle Vorstellungen [sollte wahrscheinlich Vorwürfe heißen – Anm. d. Autors] erhoben werden können. Er bittet BND nur noch um Feststellung, ob und in welchem Umfang etwaige ehemalige deutsche oder österreichische Offiziere an der Ausbildung führend teilnehmen.7
Keine sieben Tage später liegt dieser Bericht vor. Verfasst vom Leiter der Abteilung „Politische Beschaffung“ im „Strategischen Dienst“, Kurt Weiß (1916–1994, DN „Winterstein“ und Tarnziffer „181“). „Winterstein“ ist zudem Stellvertreter von Wolfgang Langkau (1903–1991), dem Leiter des „Strategischen Dienstes“ und ein Intimus von BND-Chef Reinhard Gehlen. Berühmtheit erlangte Weiß, weil er persönlich jahrzehntelang die Pressekontakte des BND führt. Es sind fast 100 Journalisten und Journalistinnen, die auf der Payroll des deutschen Nachrichtendienstes stehen.8
Der Bericht von Kurt Weiß liefert detaillierte Informationen:
Nach Berichten verschiedener gut orientierter Quellen, die soeben nochmals bestätigt wurden, sind an der Ausbildung von Terroristengruppen keine deutschen Offiziere beteiligt. Es ist bekannt, dass ein Major des österreichischen Bundesheeres bis zu seiner kürzlich erfolgten Reaktivierung Gruppen der Untergrundbewegung geschult hat.
An der Ausbildung sind österreichische ehemaliger Offiziere der früheren Wehrmacht beteiligt, jedoch nur, soweit Schulungen und Übungen auf österreichischem Boden stattfinden. Die Ausbildung in Südtirol wird ausschließlich von Südtirolern durchgeführt. Unter diesen Ausbildnern sollten allerdings ehemalige Optanten für Deutschland (italienischer Staatsangehörigkeit) sein.
Anfang November 60 fand, wie im Einzelnen ermittelt werden konnte, in einem Gebirgstal in Nordtirol eine mehrtägige Übung für Angehörige illegaler Gruppen statt, deren Teilnehmer im Handgranatenwerfen und am MG von zwei ehemaligen Pionieroffizieren ausgebildet wurden. Auch in Südtirol fanden zur gleichen Zeit Übungen statt, z. B. in einem Ausbildungslager in Mühlwald bei Bruneck und im Pfitschtal.9
Dem BND gelingt es damit, die möglichen Anschuldigungen Italiens zu entkräften und das Bundeskanzleramt zu beruhigen. Aus dem Aktenbestand in Pullach geht jedoch hervor, dass das Thema „Ausbildung und Unterstützung der Südtirol-Terroristen in Deutschland“ in den nächsten sechs Jahren immer wieder aufbranden wird. Mehrmals muss der BND entweder auf Weisung des Bundeskanzleramtes oder auf direkte Anfrage des italienischen Partnerdienstes SIFAR tätig werden, um öffentliche Vorwürfe italienischer Stellen zu entkräften. In fast allen Fällen gelingt das auch.