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Der Mann im Vatikan

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Der BND hat einen hochkarätigen Kleriker aus dem Vatikan in seinen Diensten. Es handelt sich um einen Südtiroler Latinisten, dessen tiefgründige Analysen bestechend sind.

Der „Lagebericht über Südtirol“ trägt das Datum 3. Mai 1961. In dem Schreiben heißt es:

Es ist keine große Genugtuung für den Berichterstatter, wenn er melden muss, dass die früher gemachten Voraussagen über eine Zunahme der Terrorakte durch die Ereignisse in den letzten Wochen bestätigt wurden.

Trotz fieberhafter und systematischer Tätigkeit der italienischen Behörden gelang es noch nicht, einen der Sprengstofftäter zu finden. Das bestätigt die frühere Vermutung, dass eine verhältnismäßig kleine, aber gut organisierte Gruppe am Werke ist. Es dürfte heute auch kaum mehr ein Zweifel daran bestehen, dass die Terroristengruppe nach einem genau überlegten Plan arbeitet. Es wird nur Sachschaden zugefügt, es geht den Terroristen um die psychologische Wirkung. Ohne es zu wollen, unterstützen die italienischen Behörden mit ihren Maßnahmen diese Zielsetzungen: Sie richten sich vornehmlich auf die lokalen Spitzen der SVP und der Südtiroler Schützen; diese werden beinahe in ganz Südtirol systematisch verhört und verhaftet, um dann nach einigen Tagen wieder freigelassen zu werden, weil man nichts Belastendes feststellen konnte. […] Die dadurch hervorgerufene Unruhe in Südtirol und die zunehmende Verbitterung der Bevölkerung über die willkürlichen Verhaftungen waren wohl ein Ziel der Terroristen. Für die weitere Entwicklung scheint die Feststellung nicht unerheblich zu sein, dass die Südtiroler Bevölkerung über die Sprengstoffanschläge in ihrer Mehrheit keineswegs entrüstet ist, sondern sie mit einer gewissen Schadenfreude verfolgt, mit Ausnahme natürlich jener Kreise, die am Fremdenverkehr interessiert sind.

Für die Terroristen ist diese Haltung der Südtiroler eine gute Ausgangsstellung, um ihre Aktionen zu intensivieren. Ob sie damit einen von der Bevölkerung aktiv mitgetragenen Aufstand vorbereiten wollen, kann nicht festgestellt werden.8

Dies ist nur einer von Dutzenden solcher Lageberichte, die heute im Archiv des BND ruhen. Gezeichnet sind sie mit einer Datumsangabe in römischen Ziffern und dem Kürzel „SV EGG.“ Die Abkürzung SV steht dabei für „Sonderverbindung“. Die Sonderverbindungen im BND sind eine ganz eigene Kategorie von Mitarbeitern. Der langjährige Chef-Historiker des BND Bodo Hechelhammer beschreibt sie als „hochgestellte Persönlichkeiten mit größten Einblicks- und Einwirkungsmöglichkeiten, die zur Unterstützung begrenzter ND-Vorhaben [ND = Nachrichtendienst – Anm. d. Autors] herangezogen werden.“9

In einem internen BND-Papier werden die Sonderverbindungen wie folgt charakterisiert:

Personen, die, ohne selbst Mitglied des BND zu sein, ständig oder fallweise zur Gewinnung von Erkenntnissen oder sonstigen nachrichtendienstlichen Hilfestellungen zur Verfügung stehen und, zumindest fallweise, in die nachrichtendienstlichen Zusammenhänge eingeweiht sind. Sie können für ihre Tätigkeit eine materielle oder ideelle Hilfe erhalten.10

„SV EGG“ ist eine dieser Sonderverbindungen, die zwischen 1960 und 1965 Analysen über Südtirol und die dortige Situation abliefern. Es sind historische Dokumente, die auch heute noch ihren Wert haben. „SV EGG“ ist ein Intellektueller, der über beste Kontakte zur hohen Politik, aber auch zur Kirche verfügt. Das geht aus all seinen Berichten hervor. So verfasst „EGG“ etwa im Oktober 1961 einen 35-Seiten-Bericht zu Südtirol, der nicht nur von einer beeindruckenden Detailgenauigkeit ist, sondern vor allem mit großem Insiderwissen und einer bestechenden Analysefähigkeit alle wichtigen Bereiche der damaligen Krisensituation rund um Südtirol beschreibt. „Erstaunlich ist der Erkenntnisstand und das Eindringen in die Hintergründe“, urteilt man in Pullach über die Arbeit dieses Südtirol-Fachmanns.11

„SV EGG“ wird deshalb vom BND auch vermehrt als Gutachter eingesetzt. Das heißt: Dem Mitarbeiter werden die Berichte anderer Informanten und Agenten über Südtirol zugestellt. Er verfasst dann Gutachten über die Meldungen, die in Pullach eintreffen. Sehr oft geht „SV EGG“ dabei mit den BND-Informanten hart ins Gericht und deckt Fehler, falsche Einschätzungen und Ungenauigkeiten in den Meldungen auf.

Aus den Akten geht auch hervor, dass die Sonderverbindung „EGG“ von General Wolfgang Langkau (DN „Langendorf“) angeworben und geführt wird und dass diese Sonderverbindung ursprünglich in einem anderen Bereich als Südtirol tätig ist. So schreibt Wolfgang Langkau im Herbst 1960 an die Sekretärin und Vertraute von BND-Chef Reinhard Gehlen Annelore Krüger (DN „Kunze“)12:


Lagebericht von Sonderverbindung „EGG“: Inhaltsangabe eines 35 Seiten langen Berichtes über Südtirol.

Meine SV EGG, die in diesem Zusammenhang vermehrt herangezogen wird und auch einen Gesprächspartner für ST [gemeint ist Südtirol – Anm. des Autors] abgeben könnte.13

Dass die Berichterstattung über Südtirol nur eine Art Nebenprodukt ist, wird klar, wenn man weiß, in welchem Bereich „SV EGG“ seine Haupttätigkeit für den BND entfaltet. Sein Spezialgebiet ist die Kirche. Das geht aus einem „Verteiler von Ausarbeitungen über Angelegenheiten im Kirchlichen Bereich“ hervor, in dem der BND jene Fachleute auflistet, die in Sachen Vatikan und Kirche mit geheimen Informationen versorgt werden. In der Anweisung heißt es:

„Geheim“- und „Vertraulich“-Stempel auf den Informationen müssen weggeschnitten werden, dafür Stempel „Meldedienstliche Verschlusssache“; grundsätzlich ohne Vorblätter und lediglich mit Datum versehen.14

Es ist ein hoch exklusiver Empfängerkreis, der in dem Verteiler angeführt ist: elf Personen, die vorwiegend mit ihren Decknamen gekennzeichnet sind. So steht der Deckname „Zepter“ für den CDU-Politiker und Bundesminister für besondere Aufgaben Heinrich Krone (1895–1989), der Deckname „Globus“ für Konrad Adenauers Staatssekretär und Vertrauensmann Hans Globke (1898–1973). Hinter dem Decknamen „Du“ verbirgt sich der Leiter der Katholischen Akademie Bayerns Karl Forster (1928–1981). „Eigenheim“ steht für den Erzbischof von München und Freising Kardinal Julius Döpfner (1913–1976), „Künstler“ für den evangelischen Militärbischof Hermann Kunst (1907–1999) und „Ob“ für den Journalisten und Herausgeber des „Rheinischen Merkur“ Otto Bernhard Roegele (1920–2005).

Es werden aber auch einige Empfänger mit Klarnamen angeführt. Es sind der Berliner Generalvikar Walter Adolph (1902–1972), der Regensburger Bischof Rudolf Graber (1903–1992), dessen Bruder Siegfried Graber (DN „Gay“) hauptberuflich für den BND tätig ist, und der damalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel (1924–2006). Auf der Liste finden sich aber auch zwei Personen mit einem direkten Bezug zu Südtirol.

Einer der Empfänger der kirchlichen Nachrichten ist ein „Dr. Spaten“. Es ist der Deckname für Johannes Schauff (1902–1990). Schauff wird 1932 als jüngster Abgeordneter der Zentrumspartei in den Reichstag gewählt. Ab 1934 steht er mit Widerstandskreisen in Verbindung. 1934 reist er erstmals nach Brasilien, wo er wenig später einer der Gründer von „Rolândia“ wird, einer Kolonie für deutsche Auswanderer. 1937 zieht Johannes Schauff mit seiner Familie nach Rom, ein Jahr später wandern sie nach Brasilien in die „Rolândia“ aus, wo Schauff eine Farm erwirbt.


Streng geheime BND-Verteilerliste: Südtirol-Fachmann „EGG“ an erster Stelle.

Zwei Jahre nach Kriegsende kehrt Schauff nach Rom zurück. Der Jurist, der enge Beziehungen zu Bundespräsident Heinrich Lübke (1894−1972) hat, arbeitet nun für die deutsche Politik als Vermittler und Emissär. Zudem hat Schauff beste Kontakte zum Vatikan. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils finden wichtige Verhandlungen in seiner Wohnung in Rom statt.

Einer der Fixpunkte des Kosmopoliten ist zeit seines Lebens aber Südtirol. Karin und Johannes Schauff haben in Bozen eine Wohnung, jahrzehntelang lebt die gesamte Familie in Sterzing. Nach ihrer Rückkehr aus Brasilien zieht die Familie Schauff in den Ansitz „Löwenegg“ in Thuins bei Sterzing ein. Bereits in den 1930er-Jahren hatte der deutsche Theologe Ludwig Kaas (1881–1952) den Ansitz erworben. Kaas war Vorsitzender der Zentrumspartei und einer der Mentoren von Schauff, 1934 wird er Sekretär des Kardinalskollegiums im Vatikan und Domherr des Petersdoms. 1952, nach dem Tod von Ludwig Kaas, kaufen Karin und Johannes Schauff das herrschaftliche Anwesen.

Johannes Schauff wird einer der renommiertesten Südtirol-Experten der deutschen Nachkriegsregierungen. Bei der sogenannten Rückoption und den Kriegsentschädigungen wird Schauff zum wichtigsten Verhandler zwischen Bozen und Rom. So ist er der Kopf des „Beratungsausschusses für Umsiedlungsgeschädigte“ und arbeitet dabei eng mit SVP-Politikern wie Karl Mitterdorfer zusammen.15 Schauff ist auch eng mit Kanonikus Michael Gamper befreundet. Weniger bekannt ist, dass Johannes Schauff unter dem Decknamen „Dr. Spaten“ als Sonderverbindung für den BND tätig ist. Schauff gehört dabei von Anfang an zum engeren Kreis um BND-Präsident Reinhard Gehlen.

Besonders interessant aber ist der erste Name, der auf der Empfängerliste des erwähnten „Verteilers von Ausarbeitungen über Angelegenheiten im Kirchlichen Bereich“ steht, nämlich „EGG“. Wer ist nun dieser Mann, der in der BND-Hierarchie noch über Bundesministern und deutschen Bischöfen zu stehen scheint? Klar ist: „EGG“ muss auch in der Kirche eine besondere Rolle einnehmen. Und er muss ein Südtiroler sein. Auch das geht aus dem internen BND-Schriftverkehr hervor. So fragt der „Strategische Dienst“ im BND im Jänner 1962 bei Wolfgang Langkau zu einem Lagebericht von „SV EGG“ zu Südtirol nach: „Da der Verfasser in der Materie lebt, hat er neue Erkenntnisse?“16

Hinter „SV EGG“ verbirgt sich ein kaum bekannter Südtiroler Theologe, der im Vatikan jahrzehntelang eine Spitzenposition einnimmt: Karl „Carolus“ Egger (1914–2003). Karl Egger, der sich auch Carlo oder Carolus Egger nennt, wird am 10. Februar 1914 in Silz bei Innsbruck geboren und wächst in Sterzing auf, von wo seine Familie stammt. Nach dem Besuch des Vinzentinums in Brixen tritt er 1933 einem Konvent der lateranensischen Chorherren in Gubbio bei und wird 1937 zum Priester geweiht. Er promoviert am päpstlichen Institut Angelicum in Theologie und an der römischen Universität La Sapienza in alter Literatur und Philosophie. Seit seinen Oberschuljahren widmet sich Karl Egger der lateinischen Sprache. 1942 wird er zum privaten Hauslehrer der Neffen von Papst Pius XII. 1949 beruft ihn Papst Pius XII. zum Mitarbeiter des „Ufficio Latino“ im Vatikanischen Staatssekretariat. Schon bald steigt der Südtiroler Priester dort zum Chef-Latinisten des Vatikans auf. Egger dient unter fünf verschiedenen Päpsten als Leiter des lateinischen Büros. Unter Paul VI. gründet der Vatikan die Stiftung „Latinitas“, der er bis zu seinem Tod als Präsident und Ehrenpräsident vorstehen wird.17


Abt und Chef-Latinist Karl Egger: Jahrelang Spitzenquelle des BND im Vatikan.

Carolus Egger hat als Abtprimas − darunter versteht man den obersten Leiter einer Ordensgemeinschaft − der Augustiner Chorherren 1961 die Windesheimer Kongregation der lateranensischen Chorherren wiederbelebt und 1963 in Tor Lupara bei Rom ein erstes Kloster errichtet. 1974 folgt dann eine weitere Klostergründung in Paring bei Regensburg. Dort verstirbt Karl Egger am 1. September 2003.

Während des Zweiten Weltkriegs wird Karl Egger von Papst Pius XII. beauftragt, in Rom als eine Art Vermittler zu den deutschen Besatzern zu fungieren. Da Egger deutscher Muttersprache ist, gelingt es ihm, in direkten Kontakt mit deutschen Generälen zu kommen. Egger kann so vielen Flüchtlingen helfen − vor allem Juden. Unmittelbar nach Kriegsende ist er auch als Seelsorger in den Gefangenenlagern tätig, in denen die Alliierten deutsche Nazis und Soldaten in Italien internieren.

Aus dieser Zeit dürften auch die Kontakte stammen, die in den 1950er-Jahren den Lateinexperten aus dem Vatikan schließlich zur Sonderverbindung des BND machen. Der hohe Status, den „SV EGG“ beim deutschen Nachrichtendienst einnimmt, hat einen einfachen Grund. Im Vatikan ist Latein die Amtssprache, alle Dokumente werden auf Latein verfasst und dann erst in die verschiedenen Sprachen übersetzt. Das heißt: Mit dem Chef-Latinisten hatte der BND einen Mann im Vatikan, der jede öffentliche Stellungnahme des Papstes oder des Staatssekretariats, jede Enzyklika und sämtliche Dokumente der römischen Kurie zu sehen bekommt, lange bevor diese an die Öffentlichkeit gehen. Karl Egger nimmt in diesem Sinne auch beim Zweiten Vatikanischen Konzil und bei der anschließenden Reform der katholischen Liturgie eine führende Rolle ein. Eine solche Spitzenquelle ist für jeden Nachrichtendienst unbezahlbar.

Sonderverbindung „EGG“ dürfte bei mehreren Operationen des BND aktiv mitgewirkt haben, so etwa bei der Operation „Pomeranze“, die der Autor aus den ihm vorliegenden Akten leider nicht rekonstruieren kann. Sicher ist jedoch, dass General Wolfgang Langkau alias „Langendorf“ „seine Sonderverbindung EGG“ ab 1960 vermehrt in Südtirol-Angelegenheiten einsetzt. Eggers Lageberichte und Stellungnahmen zeugen von beeindruckendem Detailwissen. So ist etwa die Darstellung der SVP-internen Kämpfe zwischen der Gruppe um Silvius Magnago und der Gruppe „Aufbau“, die „EGG“ im Herbst 1961 nach Pullach schickt, eine politische Analyse, die sich wie ein Krimi liest. Hier ist ein Gelehrter am Werk, der schreiben kann. Der Mann hat direkte Verbindungen zu Südtiroler Geistlichen und zu Politikern, die dem Chef-Latinisten immer wieder vertrauliche Informationen aus erster Hand liefern. Einer davon ist der SVP-Gründer und Parlamentsabgeordnete Friedl Volgger. So heißt es in einer Stellungnahme von „EGG“ zur „kommunistischen Taktik in Südtirol“:

Dr. Fr. Volgger hat dem Berichterstatter persönlich über seine Kontaktaufnahme mit jugoslawischen Stellen berichtet. Der Berichterstatter hat Dr. Volgger in keiner Weise kommunistische Gesinnung unterstellt, da er ihn ja kennt.18

Dass sich Friedl Volgger und Karl Egger bestens kennen, hat einen einfachen Hintergrund. Beide stammen aus dem Sterzinger Raum und sind 1914 geboren. Volgger und Egger haben auch gemeinsam das Gymnasium Vinzentinum in Brixen besucht.

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