Читать книгу Segretissimo, streng geheim! - Christoph Franceschini - Страница 12
ОглавлениеIn einem weiteren Gesprächsprotokoll „Kunzes“ nach einer Besprechung mit Stadlmayer wird eine weitere Südtiroler Verbindung zur Org. und Reinhard Gehlen angesprochen, auf die man durch Friedl Volgger (1914–1997) aufmerksam wurde. Der Journalist, SVP-Funktionär und ehemalige Abgeordnete des italienischen Parlaments lässt in einem vertraulichen Gespräch 1956 durchblicken, dass er einen Südtiroler BND-Kontakt namentlich kenne. In Pullach will man die Indiskretionsstelle ausmachen. Auch hier ist die Innsbrucker Informantin zur Stelle. Annelore Krüger notiert:
Kurz vor dem Tode von Kanonikus Gamper [Michael Gamper, Direktor und Chefredakteur der Tageszeitung „Dolomiten“ – Anm. d. Autors], als dieser schon krank und sehr deprimiert gewesen sei, habe Baron von L. ihm – um ihn etwas aufzumuntern und zu trösten – über Erich Amonn mitteilen lassen, dass er Verbindung zu uns habe und dass auf Hilfe von dieser Seite gerechnet werden könnte. Da Volgger für Kanonikus G. gearbeitet hat, liegt die Vermutung nahe, dass er es von ihm erfahren hat.30
Bei Baron von L. handelt es sich um Karl von Lutterotti (1886–1964), der in direktem Kontakt mit Reinhard und auch dessen Bruder Johannes „Giovanni“ Gehlen steht, der jahrzehntelang für den BND in Rom tätig ist. Der Kalterer Anwalt ist Funktionsträger des Malteserordens und auch Besitzer und Hausherr des Trentiner Ansitzes „Fontanasanta“, in dem Viktoria Stadlmayer immer wieder zu Gast ist.31 Außerdem betreut von Lutterotti als Anwalt auch die Agenden der Familie von Wolkenstein-Trostburg.
Am 4. November 1957 findet eine weitere Besprechung zwischen Krüger und Stadlmayer statt. Diesmal ist aber nicht nur Krüger alias „Kunze“, sondern auch Reinhard Gehlen persönlich anwesend. Dabei äußert sich Viktoria Stadlmayer besorgt „über den wachsenden Einfluss der italienischen Wirtschaft in Österreich“. Als Beispiel führt sie die Beteiligung eines italienischen Unternehmens an einem Stickstoffwerk in Lienz an. Die Nordtiroler Südtirol-Expertin spricht – laut BND-Protokoll – beim Treffen aber auch eine Person an, deren Hintergrund wir aus dem ersten Band kennen: Carlo Bernardo Zanetti (1908−1981).
Zanettis Lebensweg liest sich wie ein Krimi. In einem Frankfurter Vorort als Sohn einer Eisverkäuferfamilie aus dem bellunesischen Cadore geboren, wird er in den 1930er-Jahren von den Nationalsozialisten als „kommunistischer Spion“ verhaftet und nach Verbüßung seiner Haftstrafe nach Italien abgeschoben, wo er von der faschistischen Geheimpolizei OVRA verhört und beschattet wird. In den letzten Kriegsjahren angeblich im Widerstand bei Como tätig, lässt sich Carlo Bernardo Zanetti nach 1945 in Südtirol nieder, wo er schon bald zum ersten Landessekretär der Südtiroler Sektion der italienischen Kommunistischen Partei (PCI) wird. Zudem ist Zanetti in der kommunistischen Gewerkschaft CGIL tätig. Ab 1955 beginnt der perfekt zweisprachige Deutsch-Italiener, der sich in Südtirol „Professor Karl Bernhard Zanetti“ nennt, als Übersetzer für den Regionalrat zu arbeiten. Seine Arbeitsstelle ist vorwiegend der Südtiroler Landtag. Dabei arbeitet Zanetti 40 Jahre lang unter den Decknamen „Mumelter“ oder „98“ als bezahlter Informant für das „Ufficio Affari Riservati“ (UAR) des italienischen Innenministeriums. Der Chefübersetzer des Landtags ist jahrzehntelang ein Top-Informant, der wöchentlich Berichte vor allem über das Innenleben der SVP und die politische und wirtschaftliche Entwicklung in Südtirol nach Rom übermittelt.32
In der besagten BND-Aktennotiz über die Besprechung Annelore Krügers mit Viktoria Stadlmayer wird Zanetti sogar als „der“ Mann der Südtiroler Gewerkschaften mit weitgehendem Einblick bezeichnet:
[Name geschwärzt – Anm. d. Autors] befürchtet die kommunistische Unterwanderung im eigenen Bereich. Als Übersetzer im Landhaus und maßgeblich in der Südtiroler Gewerkschaft sei ein Carlo Bernardo Zanetti aus Bozen, der sich auch Karl Bernhard nennt. […] [Name geschwärzt – Anm. d. Autors] schilderte ihn als äußerst intelligent und versiert in Gewerkschaftsangelegenheiten, von denen die Südtiroler keine Ahnung hätten. Er wäre z. Zt. der Mann dort und hätte weitgehenden Einblick. Merkwürdig sei sein Berliner Dialekt, den er durch einige Jahre Aufenthalt dort angenommen haben will. Was kann man dagegen tun?33
An diesem Tag informiert Stadlmayer den BND-Präsidenten aber auch vorab über eine historische Zäsur. Die SVP plant zu dieser Zeit eine Protestkundgebung, die zwei Wochen später auf Schloss Sigmundskron stattfinden wird. Vor 35.000 Zuhörerinnen und Zuhörern wird Silvius Magnago an diesem Tag mit dem Slogan „Los von Trient“ publikumswirksam die Forderung nach Abtrennung von der Region Trentino-Südtirol und nach einer eigenen Landesautonomie für Südtirol erheben. Die Innsbrucker Informantin nimmt beim Treffen mit dem BND diese politische Entwicklung vorweg. In der Aktennotiz des BND dazu heißt es:
Die Spannung in Südtirol nehme immer mehr zu. Kundgebung am 17.11., bei der es zu Zusammenstößen mit Italienern kommen kann. Plan der Trennung der Gebiete Bozen und Trient wäre eine Möglichkeit zur Lösung des Problems.34
Die Reaktion aus Pullach: „70 [Reinhard Gehlen – Anm. d. Autors] will versuchen die Amerikaner dafür zu interessieren“, steht in der Aktennotiz. Das heißt nichts anderes, als dass Reinhard Gehlen den Plan des „Los von Trient“ seinen Partnern aus der „Central Intelligence Agency“ (CIA) vorlegen will. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, in denen der BND-Präsident persönlich auf die Wünsche und Anliegen der Sonderverbindung „Stasi“ eingeht. So auch, als Stadlmayer bei besagtem Treffen darüber berichtet, dass der damalige Direktor der Deutschen Bank Hermann Abs daran denke, eine Liechtensteiner Holding zur finanziellen Unterstützung der Südtiroler zu gründen. Auch hier sichert Reinhard Gehlen zu, mit den Amerikanern zu reden.
Bereits vier Monate zuvor hat Viktoria Stadlmayer in einer Besprechung mit Gehlens Vertrauter ein besonderes Anliegen vorgebracht, bei dem es um einen Tiroler Adeligen geht und bei dem sich der BND-Gründer persönlich einbringt – und damit beweist, wie sehr er sich in dieser Phase an Südtirol interessiert zeigt. Der Adelige ist Ferdinand von Cles (1907–1982), in Hall in Tirol geboren und aufgewachsen in Cles im Trentino und in Meran, wo seine Familie jeweils Schlösser besitzt. Nach einem Studium der Rechtswissenschaften und Philosophie in Innsbruck, Wien, Berlin und Paris beginnt der Baron in Rom als Journalist zu arbeiten. Als Korrespondent der „Neuen Freien Presse“, der „Berliner Börsenzeitung“ und für das „Neue Wiener Tagblatt“ setzt sein Vater 1939 durch, dass die Familie ihren Wohnsitz offiziell von Cles nach Meran verlegen und somit für Deutschland optieren kann. Ferdinand von Cles leistet 1941/42 seinen Kriegsdienst bei der deutschen Luftwaffe und kehrt 1943 als Pressereferent der deutschen Botschaft nach Rom zurück. Mit dem Anrücken der Alliierten zieht er nach Meran und fungiert als deutscher Presseattaché in der faschistischen Rumpfrepublik von Salò.
In den ersten Nachkriegsjahren lebt von Cles mit seiner Frau und zwei Kindern als freier Schriftsteller auf Schloss Rottenstein in Meran/Obermais. Im Mai 1948 wird er von den italienischen Behörden aber wegen „antiitalienischer Propaganda“ des Landes verwiesen. Obwohl seine Familie in Meran und später in Cles lebt, halten die italienischen Behörden diesen Landesverweis bis 1963 aufrecht. Ein kurioses Detail am Rande: Der Unterstaatssekretär im Ministerratspräsidium, der Anfang der 1950er-Jahre mehrmals das Einreiseverbot verlängert, ist kein Geringerer als der spätere Langzeitministerpräsident Giulio Andreotti (1919–2013).35
Baron Ferdinand von Cles (Foto aus dem Akt des italienischen Innenministeriums): Will als Südtirol-Propagandist in die USA gehen, BND soll ihm Abdeckung als Journalist geben.
In den 1950er-Jahren lebt Ferdinand von Cles als Journalist und Schriftsteller in Bonn. Viktoria Stadlmayer meldet dem BND, dass der Adelige für sechs Monate in die USA gehen wolle, um dort Vorträge über Südtirol zu halten. Diese Propagandaarbeit würde in Wien aber auf Widerstand stoßen. Viktoria Stadlmayer erklärt, dass von Cles einiges „in ihrem Sinne bewirken könnte“, und ersucht auch hier den BND um Hilfe. Diese Äußerung zeigt, dass die Strategien in Bezug auf Südtirol zwischen Wien und Innsbruck nicht deckungsgleich sind. Reinhard Gehlen sagt auch diese Unterstützung zu:
70 [Reinhard Gehlen – Anm. d. Autors] schlägt vor, ihm einen Pressehintergrund zu schaffen („Rheinischer Merkur“ nicht zweckmäßig). Er würde für die Reise 20.000,– DM benötigen, die in monatlichen Raten von 3.500,– DM von uns gestellt werden könnten.36
Welche hochtrabenden Pläne man in diesem geheimen Zirkel schmiedet, zeigt sich an einem anderen Punkt des Aktenvermerks. Bei dieser Aussprache im November 1957 geht es auch um einen amerikanischen Senator, den man für die Südtirol-Frage einschalten könnte. Der Demokrat sei mit einer Französin verheiratet und habe erst kürzlich für die Selbstständigkeit Algeriens plädiert. Im BND-Protokoll wird auch der Name des Politikers festgehalten: Gemeint ist kein Geringerer als der spätere US-Präsident John F. Kennedy (1917–1963).
Mit dem Auftauchen des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) und dem Aufflammen der Attentate verschiebt sich der Fokus der Berichterstattung an den BND von der weltpolitischen Bühne eindeutig in Richtung dieser illegalen Untergrundbewegung. Viktoria Stadlmayer alias „Stasi“ übergibt an „Kunze“ jahrelang Notizen, Dokumente und Kurzbiografien einzelner Personen. In den BND-Akten in Pullach finden sich Dutzende schriftliche Informationen zu verschiedenen Akteuren rund um den BAS. Dabei fällt auf, dass viele davon handschriftlich von Viktoria Stadlmayer ergänzt wurden. Zudem finden sich auch im Nachlass der langjährigen Nordtiroler Landesbeamtin deckungsgleiche Berichte, aus denen eindeutig hervorgeht, dass sie von Stadlmayer verfasst wurden.37
Immer wieder richtet die Innsbrucker Hofrätin dabei konkrete Aufklärungswünsche an den deutschen Nachrichtendienst. Stadlmayer lässt Personen abklären, schwärzt andere an und betreibt im wahrsten Sinne des Wortes Ermittlungsarbeit. Die Südtirol-Referentin der Tiroler Landesregierung schießt dabei vor allem gegen Norbert Burger und Wolfgang Pfaundler. Im November 1962 etwa teilt sie mit, dass ein Freund von Wolfgang Pfaundler mit einem falschen deutschen Personalausweis nach Südtirol fährt. Stadlmayer übermittelt die Daten des Ausweises nach Pullach. Annelore Krüger alias „Kunze“ lässt die involvierten Personen vom BND in München und Ingolstadt überprüfen, um herauszubekommen, wer den Ausweis ausgestellt hat. In einem internen Vermerk gibt „Kunze“ das Ergebnis wieder und schreibt dann:
Es wird gebeten, ohne Absprache mit 106/II [also mit ihr selbst – Anm. d. Autors] Maßnahmen zu treffen und zunächst keine Polizeidienststellen oder Behörden einzuschalten.38
Auch diese Dienstanweisung macht deutlich, dass man an der Spitze des deutschen Nachrichtendienstes nicht direkt gegen den BAS vorgehen will. Am 15. August 1963 findet eine weitere Besprechung zwischen „Kunze“ und „Stasi“ statt:
[Name geschwärzt – Anm. d. Autors] ist beunruhigt über die Entwicklung der Lage in Südtirol. Sie hat erfahren, dass in Kürze mit weiteren Sprengstoffanschlägen zu rechnen ist, die auch vor Blutvergießen nicht zurückschrecken, z. B. Attentate gegen Züge usw.
[Name geschwärzt – Anm. d. Autors] bittet dringend um Unterstützung bei der Klärung der Hintermänner dieser Aktion. Sie wusste, dass Pfaundler wieder beteiligt sei, aber die eigentlichen Drahtzieher seien noch unbekannt.39
Gleichzeitig ersucht Stadlmayer den BND um Entsendung eines Beobachters zum Prozess gegen die Carabinieri, die wegen der Misshandlungen der BAS-Leute in Trient Ende August 1963 vor Gericht stehen.
Aus den BND-Akten geht klar hervor, dass die resolute Hofrätin einen besonderen Status in Pullach hat, der auch darauf gründen dürfte, dass es zwischen Reinhard Gehlen und Viktoria Stadlmayer von Beginn an eine gemeinsame Grundüberzeugung gibt. Beide gehen davon aus, dass die Südtirol-Attentate aus dem Osten gesteuert und angefeuert werden.
Diese Überzeugung ist auch ein immer wiederkehrendes Narrativ in Stadlmayers Berichten. So berichtet Hans Georg Langemann alias „Lückrath“ in einem internen Schreiben Ende April 1963:
Als Anlage 3 wird ein Schreiben der Dienststelle Reinhard vom 2.4.1963 beigefügt, in dem erklärt wird, dortige Qu. [= Quelle – Anm. d. Autors] Stasi habe unmissverständlich geäußert, ihr lägen einwandfreie Informationen vor, dass der nach eigenen Aussagen für einen Großteil der Sprengstoffattentate verantwortliche Dr. Norbert Burger aus der SBZ [Sowjetische Besatzungszone, später DDR – Anm. d. Autors] gesteuert werde. Da durch diese Feststellung, falls sie beweiserheblich untermauert werden könnte, der zu Beginn der Südtirol-Krise im Jahre 1960 durch 106 [Reinhard Gehlen – Anm. d. Autors] pers. erteilte Auftrag – Feststellung möglicher Oststeuerung der Attentate – erfüllt werden könnte, wird vorgeschlagen, Qu. Stasi baldmöglichst in dieser Angelegenheit aufzusuchen.40
Das Schreiben der Dienststelle „Reinhard“, auf das „Lückrath“ hier hinweist, fasst einen Bericht eines anderen österreichischen BND-Agenten zusammen, der in engem Kontakt mit Viktoria Stadlmayer steht.