Читать книгу Abfall der Lust - Christoph Geissmar - Страница 11

Der Luststau nach innen gewandt

Оглавление

Pierres Lust ist auf das Auge und das Anfassen fixiert. Das Auge ist ein intellektuelles Organ, der Griff entstammt der kindlichen Lust nach Nähe zu Mutterkörpern einerseits und Lust etwas zu Begreifen und in die Hand zu bekommen anderseits, um die Aufhebung einer hinhaltenden Distanz zu erreichen. Intensiver noch als die Griffe und die mal schleichende, mal zupackende Bewegung der Hände bewegt und rührt sich der Mund mit dem Kuss über den Körper. Pierre kann die Lippen auf den Mund einer Frau legen. Er kann den Busen abküssen, den Bauch, die Schenkel und sich mit seinen Lippen um die Vulva hüllen. Es gelingt ihm, sehr zart und geduldig zu sein. Auf dem anderen Körper.

Pierre scheitert daran, seinen eigenen Körper in die Hand zu bekommen. Er hat Schwierigkeiten mit der eigenen Erotik und fördert sie auch noch. Sich selbst zu erregen, das Glied zu führen, seine Lust zu stimulieren ist ihm ein Schmerz, eine Anstrengung, die zu nichts führt, die ein Irren ist.

Lange Zeit war das auszuhalten. Auch körperlich ist das Leben dann gut, wenn es als eine offene Frage läuft. Das permanente Erkunden und Suchen führt zu den neuen Texten und Ideen, die Pierre ausmachen. Pierre fing an, über seinen Körper zu sprechen, ihn als ein nicht stringentes System zu begreifen. Das Sprechen ersetzte aber das Fühlen nicht. Pierres Körper beginnt mit seinem Eigenleben eine Revolte. Er wendet seine Energien gegen sich selbst. Er nutzt einen doppelten Umkehrschluss. Die Energien, die er nicht so leiten kann, dass sie sich nach Außen zu den anderen Körpern hin wenden, indem er sich berührt und fasst, setzt er in den Wunsch um, zu fliehen, außer sich zu sein. Er kann sich aber nicht verlassen, er bleibt Pierre. Seine Augen sehen die Nacktheit des anderen Körpers, seine Hände ertasten sie, Pierre riecht ihn. Seine unmittelbare Nähe und gleichzeitig die Distanz zu sich selbst schaffen Pierre ein Problem, das nicht aussprechbar ist. Er kann wie um seinen Körper nur um die Worte ringen, sie stammeln und ausprobieren. Im selben Moment will sein Körper sich auflösen, in Lust, Nähe, Gestank, Unmittelbarkeit. Er schmerzt, zieht und entfaltet eine nicht täuschbare Präsenz. So allein ist er spürbar.

Pierre sinkt in Wassermeere. Es ist nicht allein das mare vinum, das er trinkt. Nicht das Mineral, das er in sich hineinschüttet, nicht alle diese nassen Beruhiger. Pierres selbstregierter Körper schafft es, das Wasser wieder auszuschwitzen, sich damit zu umhüllen, sich in ein Schweißbad zu legen, jeden Tag. Das erfordert immer mehr Wasser, um den Durst der Nieren zu stillen. Pierres Darm resorbiert zu wenig und so setzt seine Trägheit aus. Der Körper verwandelt sich zu einer vertikalen Durchlaufstation für Flüssigkeiten. Alles was Pierre in sich hineintun will, möchte er wieder loswerden in der Art und Weise, wie er es als Baby tat, als ihn niemand fragte, was passiert, als es einfach so war. Als der nicht hinterfragte Körper einfach agierte, als es keine Grenze gab. Aber eben auch keinen Samen, den er hätte, nach außen pressen können.

Abfall der Lust

Подняться наверх