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Bericht vom Blumenkohl

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Pierres Blumenkohl ist wohl die Bilderfindung einer Frau. Die Kohlsymbolik stand für den Rückzug, schuf ein liebes Bild für einen Gap zwischen Körpern, eine Distanz, die beschrieben sein musste. Der Blumenkohl war der Penis von Pierres Körper. Er hatte sich am Körper verdrückt. Er war süß und klein, hatte kein Gewicht. In seine beiden Hoden eingebettet, verschrumpelt und eigentlich nur zum Urinieren da, führte er ein zurückgezogenes Dasein. Pierres Ansicht in dieser Körperregion glich nur entfernt dem Kohl. Aber das doch stimmige Bild war nun mal in den Köpfen. Nicht ein Powerprotz wartete auf das Stelldichein, nicht die Lust, sondern ein verschämter Körperteil. Der stand für den Start Pierres und seines Körpers in das Sexualleben: die offensichtliche Impotenz.

Der Blumenkohl ist lustunfähig und in seinem Ich steckt keine Kraft. Er führt ein Eigenleben. Pierres Sinne, vor allem die Augen erreichen ihn nicht. Was Pierre sieht und sich ausdenkt, ist dem kleinen Kohl egal. Er behält sich verdeckt in seiner Unterhose, verweigert den Zugang. Wo ist er nur? Ist es dieser Fortsatz zwischen den Beinen? Alle Muskeln kann man ansteuern und bewegen, ihn nicht. Holt man ihn ans Licht, bleibt er leblos und seine Zukunft ungewiss. Dem Kohl ist egal, was passiert, er teilt Desinteresse mit. Der Nabel bildet das Zentrum des Körpers, er sitzt wenig darunter. Hoch in den Kopf ist es nicht weit. Die Distanz reicht für den totalen Schnitt. Abgenabelt ist die Körperregion dort.

Der Blumenkohl wächst seinem Bilde nach nicht, er hat kein Alter. Er muss einmal jung gewesen sein und er wird alt und faltig werden. Bisher fehlt ihm seine eigene Geschichte. Er dient als zeitlose Metapher. Stets fühlt er sich in den mittleren Jahren. Veränderungen mag er nicht. Im Zweifelsfall findet er schnell zu seiner Urform zurück. Wo sonst der Körper straff ist und glatt, ist er schon faltig. Seine Oberfläche antizipiert das Alter. Der vielfach gefaltete Kopf, die Spitze des Körpers, sein Überbau, durchaus würdevoll als Gehirnträger wie als Penis, zeigt sich erlahmend, konstituiert die Impotenz, das Wollen aber Nicht-Können. Dabei gleicht auf den ersten Blick ein Blumenkohl dem anderen. Die Abläufe sind für alle gleich. Wachsen, sich vermehren, sich fortpflanzen, da sein, faulen, gären und dann verwesen. Das blüht allen Körpern.

Dem Blumenkohl als Pflanze ergeht das im Zeitraffer so. Als Anhängsel des Unterleibes besetzt er den Stolz des männlichen Körpers, den nach außen gestülpten Kern. Das sollte auch für den liebenden Pierre so sein. Der Blumenkohl versteckt sich am Körper dort, wo alles einen unfertigen Anfang nehmen soll. Das Paar sein, das Nähe spüren, den Antrieb denken, das ein neues Leben schaffen. Mit seiner Form, seinen Geschmäckern und seinem regungslosen Dasein repräsentiert er die Unvollkommenheit, die Pierres Handlungen vorausgesetzt ist.

Abfall der Lust

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