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Die Distanz von der Welt und von den Leibern

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Das in die Scheide eingeführte, sich bewegende und zum Orgasmus getriebene Glied setzt auf einen Moment des Eigenlebens, einen kurzen Ruck in einem lustvollen Kontrollverlust an den Körper. Die Lust am ersteiften Penis entsteht in der Reibung durch Nähe, Sicht, Laute, Gerüche und kann zur Überwältigung führen. Das ist eine hoffentlich besondere Situation. Pierres Kontakt zur Welt und zu seinem Leib sieht anders aus.

Er definiert sich mehr und mehr durch eine schleichende Abgrenzung und wird auch so bestimmt. Für Pierre wird das Bild seiner Umgebung etwas Fremdes, es verrückt. Selbstverständlich erscheinende Erfahrungen Pierres kletten nicht mehr an seinen Eindrücken, er kann sie verändern und sucht danach. Pierres Gewissheiten können verschwinden, die Exaktheit der Sinne lässt sich täuschen. Das würde nicht geschehen, wenn Pierres Körper nahe am Frauenleib wäre, ihn erriechen und ertasten könnte.

Pierre erlebt den Abstand der Welt zu seinem Leib. Seine Augen streifen über die Oberflächen und Strukturen, sein Kopf nimmt das dahinter liegende nicht wahr. Obwohl klar umrissen verwischt sich der Eindruck mancher Dinge, da sie nicht fassbar scheinen. Bewegt sich Pierre, scheinen sie sich zu verwischen zu langgezogenen Schlieren oder Strömen aus zusammenhanglosen Einzelteilen. Das gilt besonders für alles Stumme, für Bäume, Pflanzen, Häuser, Menschen, die vorbeigleiten. Geräusche lassen sich besser miteinander verknüpfen als die Schemen unbeteiligt passierter, nicht miteinander sprechender Artgenossen. Auch das Wetter ist eindeutig, Wärme und Kälte fühlt Pierre wie den Regen. Der Zyklus von Helligkeit und Dunkelheit, von Tag und Nacht, scheidet Pierres Körper nicht von dieser Welt.

Es ist vor allem sein gepriesener Augensinn, der ins Verhältnis gesetzt zum Körper und seiner Potenz, das Weltbild ändern kann. Der die Irritation erzeugt. Zunächst sind es scheinbar störend erscheinende Elemente: Nur noch Unschärfe und Flüchtigkeit entstehen aus dem Gesehenen. Diese Form der abgeschliffenen Wahrnehmung mag jedoch repräsentativ sein und daher wichtig für Pierre, weil er damit das Mark trifft, das den Körper von den anderen Leibern und der Welt trennt. Phänomenologisch zentriert sich das in seinem Hirn, aber bleibt eben nur als eine ungedachte Spur zurück. Sie ist verschleiert. Schleier sind in, die den Blick aus dem Bild nicht zeigen und dem Betrachter die Bedeutung von Nicht-Sichtbarem signalisieren. Das Bilder- und damit das Potenzchaos in Pierres Kopf entsteht nicht aus der Unlust am Entdecken und Sehen, sondern aus diesen eigentümlichen Erscheinungen. Und Megabewegungen, die abgekoppelt von fixierten und sichtbaren Strukturen scheinbarer Rationalität sind. Diese nicht fassbaren Bewegungen, Meereswellen, irdisch auch Blitze, Wolkenfransen oder Winde sind das, machen Pierre unscharf. Er versinkt in diesen wandlungsfähigen Bildergebilden, die sich in seinem Kopf etabliert haben, und findet den Weg zur Manneskraft nicht mehr. Er sieht die Dinge nur noch von sich entfernen.

Abfall der Lust

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