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Gewächse

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Der Blumenkohl - Brassica oleracea – ist ein weltweit verbreitetes Gemüse. Zu ihrem Wachstum bevorzugt die Pflanze nährstoffreiche Böden, sie lässt sich das Jahr über bei entsprechender Pflege lange Zeit züchten und ernten. Das Gewächs ist auf den Wochenmärkten und im Supermarkt zum Kauf präsent. Als Kohl im Angebot finden die Sorten ihre Abnehmer und ihren Weg in die Küchen. Das Gemüse stinkt beim Kochen, ist banal und fad. Es ist billig beim Kauf wie auf dem Herd, selbst wenn man sich alle Mühe gibt. Man kann seinem Geschmack kaum nachspüren, im besten Fall sättigt es. Trotzdem ist das Gemüse gekocht weich, warm und subtil seinem beim Kochen kaum mutierenden Bild nach. Es bietet aber keinen Genuss, keinen Thrill.

Der gewöhnliche Blumenkohl quer durchgeschnitten besteht einfach aus einem Strunk und den Röschen. Beim Betrachten erinnert dieses Bild an das des menschlichen Hirns in einer Röntgenaufnahme oder einer Computertomographie vom Hals ab aufwärts gesehen. Der Blumenkohl wächst elfenbeinfarben eingebettet und verschattet in eine weite Umgebung von grünen Blättern, welche die Knolle umhüllen, dieses Bild bietet die Draufsicht. Lückenlos ineinandergefügt bilden die Röschen eine gewachsene, leicht gerundete Oberfläche von eher kleinteiligen, mikroskopischen visuellen Reizen auf einigen Quadratzentimetern. Obwohl ein wenig ordinär ist, das präzise Geschaute doch eine miniaturisierte Pracht.

In seiner ganzen Gewöhnlichkeit steht der Blumenkohl aus der vergangenen Küche unserer Mütter neben dem Erscheinungsbild der frischen, köstlichen Salate der modernen Küche, dieser sich aus einem Zentrum heraus entfaltenden Blätterpracht aus nahen Falten, Spalten und der zu gleichen Kompaktheit in einem satten Grün. Der Klischeevorstellung.

Die Kraft, die von diesen Pflanzen ausgeht, hat eine Parallele im Fühlen und Sehen der zunächst verdeckten Weiblichkeit, ihrem sich entfaltendem Körpervolumen und ihrer Macht im Bild. Es gibt zwei, drei mächtige Bildmuster, die alles belegen, was unsere westlichen Sinne erfassen können: zunächst die des Opfertodes von jungen Männern, der Kreuzigung, des Hara-Kiri, der Suicide Bomber. Dann den Blick auf die Frauen, das Bild der Zeugung, das seit Ewigkeiten gefangen ist im sich verwandelnden Bild der Maria. Und schließlich der moderne, zeitgenössische, penetrierende Blick in die Mitte des Körpers der Frauen, der ja auch nicht neu ist: wo ist die Vulva, wo die Brust, wo der Bauch der Frau, ihre so vernarrt angestarrten Beine, der Po und die zarten Füße?

Eben zurück zum Image des Blumenkohls und des Salates. Körperliche Lust, trinken und essen gehören so eng zusammen wie kaum anderes. Daher sind die Erscheinungen des Blumenkohls und seiner Verwandten, des Broccoli, des Romanesco so lustvoll; es sind Bilder zur Schönheit, die von der Evolution der Natur geschaffen sind. Die Lust zu lieben und zu essen ist simultan. Die Augen verbunden mit den Lippen und dem Geschmack der Zunge verzehren einen Salat so wie sie die feinste Berührung der Vulva erst sehen, dann lieben, fühlen, riechen. Nahe, oben, weich zu bleiben und nicht feindlich zu sein, kann so geschehen.

Abfall der Lust

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