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2. Gregor

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Als Johannes am nächsten Morgen aufwachte, konnte er sich an den Traum von den Domino-Männchen nicht mehr erinnern. Aber den wunderlichen alten Mann sah er noch deutlich vor sich. Und auch dessen merkwürdige Andeutungen über Schaukeln und kleine Helden gingen ihm nicht so recht aus dem Kopf. Johannes zog sich Jeans und seinen Lieblings-Weltraum-Pullover an und ging nach unten in die Küche. Dort deckte seine Mutter gerade den Frühstückstisch.

"Papa und Julia schlafen noch, hast Du nicht Lust, eben Brötchen holen zu gehen?“, fragte sie.

"Warum nicht, kannst du mir etwas Kleingeld geben, Mama?"

„Ja, und schreib auf, was du mitbringen sollst: Schokohörnchen für Dich und Julia, zwei Körnerbrötchen für Papa und eins für mich. Und noch ein halbes Roggenbrot.“

Johannes fand keinen Zettel und riss ein Stück von dem Anzeigenblättchen ab, das auf dem Tisch lag, und schrieb auf, was er mitbringen sollte. Johannes steckte den Zettel und einen Fünf-Euro-Schein ein, den ihm seine Mutter gegeben hatte, zog sich Schuhe an und ging hinaus. Die Bäckerei lag nur zwei Straßen weiter und auf dem Weg dorthin musste Johannes durch den kleinen Park gehen, der sonst immer von vielen kleinen Kindern und ihren Müttern bevölkert wurde. So früh am Morgen war dort aber noch nichts los, nur ein paar Tauben nutzten die Geräte auf dem kleinen Spielplatz für ihre Flatterübungen. Als Johannes an der Schaukel vorbei ging, musste er wieder an den komischen alten Mann aus seinem Traum denken. Hatte der nicht gesagt, eine Schaukel würde Wunder gegen seine Langeweile wirken? Oder so ähnlich? Ach was, dachte Johannes, das war doch nur ein Traum, so spannend ist Schaukeln nun auch wieder nicht und es wird wohl kaum die Monster-Rakete an ihren Fallschirmen vom Himmel vor seine Füße fallen, wenn er nun ein paar mal hin und her schaukeln würde. Alles Quatsch, alles Kindergeschichten. So ganz sicher war Johannes sich aber doch nicht: Wenn der Alte nun doch so eine Art Zauber-Onkel oder Feen-Opa gewesen war, der Kindern im Traum erscheint, um ihnen ihre größten Wünsche zu erfüllen? Während Johannes noch überlegte, griff er zur Kette, an der die Schaukel hing, und einen Moment später hatte er sich schon hingesetzt. Er begann langsam zu schaukeln, schließlich konnte das nicht schaden, selbst wenn die Sache mit Traum völlig bedeutungslos gewesen wäre. "Tja, da passiert ja doch nichts“, sagte Johannes zu sich, schaukelte dann aber etwas heftiger, so wie es der alte Mann aus dem Traum ihm aufgetragen hatte. Er schaukelte noch etwas höher und mit noch etwas mehr Schwung. Mit voller Kraft warf er Beine und Oberkörper im Rhythmus der Schaukel vor und zurück und schwang noch höher und noch schneller. Und als Johannes meinte, er würde kurz vor dem Überschlag stehen, da geschah es: Die Schaukel schien sich vom Gestell zu lösen, so als seien die Halteketten gerissen. Johannes glaubte, frei durch die Luft zu fliegen und rechnete schon mit einem harten Aufprall. Aber er flog immer weiter und weiter und noch weiter, ohne daß sein Flug ein Ende nahm. Um sich herum konnte Johannes nichts mehr erkennen, nicht den Spielplatz, nicht den Park und auch nicht die Stadt. Es wurde so hell um ihn herum, daß er die Augen schließen mußte. Aber nur einen Augenblick später war sein Flug wieder zu Ende. Johannes hatte das Gefühl, schon wieder aus einem Traum auf zu wachen und öffnete vorsichtig die Augen. Er hatte noch gar nicht richtig gemerkt, wo er denn nun eigentlich gelandet war, da hörte er ein lautes und aufgeregtes Rufen:

"He, bist du denn verrückt geworden, versteck' dich bloß schnell wieder, sie kommen gleich!"

Johannes hatte gar keine Zeit festzustellen, wer ihm da gerade begegnet war und jetzt hektisch auf ihn ein redete, da wurde er von dem Fremden schon um die Ecke hinter einen Bretterzaun gezogen.

"Was, wer kommt gleich?" fragte Johannes verdutzt, während sich um ihn herum eine mächtige Staubwolke legte. Er musste husten.

"Psst, sei still, sonst hören sie uns, da sind sie doch schon!", ermahnte ihn der Fremde wieder. Der lugte vorsichtig durch zwei Bretter und Johannes erkannte nun, daß der Fremde ein etwa gleichaltriger Junge war. Er hatte ziemlich struppige Haare, trug eine weites dunkles Hemd, eine zerschlissene Kniebundhose, wie Johannes sie aus dem Wanderurlaub kannte, und dazu ausgelatschte Lederschuhe ohne Schnürsenkel. Da Johannes wissen wollte, vor wem sie sich eigentlich nun hinter dem Zaun versteckten, kroch er ein Stück näher an die Bretter heran und schaute auch durch einen Spalt. "Sei bloß leise!", flüsterte der Junge ihm zu. Zuerst sah Johannes gar nichts, nur ein paar Sträucher und einen steinigen Weg, der zwischen einem Wald und dem Acker hindurchführte, auf dem die beiden gerade hinter dem Zaun lagen. Allerdings hörte er ein Pferd wiehern und auch Hufgetrappel. Und dann sah er sie: Drei Reiter auf schwarzen Pferden kamen den Weg entlang. Sie redeten nicht, sondern schienen aufmerksam die Gegend zu beobachten. Alle drei trugen lange schwarze Mäntel und schwarze Hüte, dazu schwere Stiefel und Handschuhe. Zwei der Reiter hielten Säbel oder Schwerter in den Händen, mit denen sie in den Gebüschen am Wegesrand herum stocherten. Der dritte ritt etwas hinter den beiden anderen, an seinem Hut schwang ein Federbusch und an seinem Ohr baumelte ein großer runder Ohrring. Johannes fand, daß alle drei aussehen wie Piraten, finstere Gesellen, denen man vermutlich besser aus dem Weg ging.

"Wer waren denn die drei Typen?“, fragte Johannes den fremden Jungen als die drei Reiter ein Stück weiter geritten waren. Der Junge vergewisserte sich noch einmal, daß die drei außer Hörweite waren und sah vorsichtig über den Zaun.

„Typen? Was meinst du mit 'Typen' ? Das war der widerliche Franco mit zweien seiner Männer. Sag bloß, die kennst Du nicht?“

„Nö, muss ich?"

„Wär' schon besser für dich, glaub mir. Ich verschwinde jedenfalls, ich muss im Dorf Bescheid sagen, daß sie wieder in der Nähe sind. Los, weg hier!“

Der Junge sprang auf und rannte los in Richtung Wald und Johannes lief ohne lange darüber nachzudenken hinterher. Der fremde Junge lief sehr schnell und Johannes hatte Mühe, ihm zu folgen. Der Wald war sehr dicht, einen richtigen Weg gab es nicht, und nach einiger Zeit war sich Johannes sicher, alleine gar nicht mehr herausfinden zu können. Also musste er dem Jungen immer weiter hinterher. Kurz bevor Johannes die Puste auszugehen drohte blieb der Junge glücklicherweise plötzlich stehen.

„Hier sind wir sicher“, sagte der Junge und atmete noch schwer. „Du siehst zwar nicht aus wie einer der Banditen, aber ich muss vorsichtig sein. Schieb' mal deine Ärmel hoch.“

Johannes war von dem Lauf durch den Wald ebenfalls völlig außer Atem und lehnte sich erst einmal an einen Baum, um wieder zu Luft zu kommen. Der Junge kam zu ihm herüber, packte seinen Arm und schob den Ärmel nach oben. Bevor Johannes fragen konnte, was er denn da suchte, war auch der andere Arm an der Reihe.

„Gut“, sagte der Junge, „ihr Zeichen trägst du nicht. Wie heißt du? Woher kommst du?“

„Was für ein Zeichen? Ich bin Johannes, eigentlich wollte ich Brötchen holen gehen, aber dann bin ich auf die Schaukel und dann war ich hier.“

„Du wolltest Brötchen kaufen gehen? Hier im Wald?“

Der Junge sah Johannes ungläubig an, ging aber schon wieder weiter.

„Also, Johannes, Brot gibt es bei uns im Dorf, da kannst bestimmt etwas bekommen, zumindest bevor die Banditen wieder kommen und alles mitnehmen. Außerdem bist du wohl genau so harmlos wie ahnungslos, also komm' mit!“

Und schon marschierte er weiter.

„Und wer bist du?“, rief Johannes dem Jungen nach, während er ihm schon wieder hinterher lief.

„Ich bin Gregor, Gregor der Sohn von Jakobus, dem Schmied.“

Sieben Helden

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