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4. Der Admiral

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Die laue Sommernacht war noch kaum zu Ende, als in der Nähe des Dorfes das Wiehern von Pferden zu hören war. Eine Gruppe von Reitern in langen schwarzen Mänteln bahnte sich in der ersten Morgendämmerung ihren Weg durch die Wiesen und Felder, während am Himmel noch der blasse Vollmond zu sehen war. Auf einer Anhöhe blieben sie stehen, ein Pferd neben dem anderen, und blickten auf das noch schlafende Dorf hinab. Einer der Reiter gab mit der Hand ein Zeichen und sie ritten weiter, weiter hinunter zum Dorf. Als erster der Dorfbewohner war an diesem Morgen der alte Habakuk auf den Beinen, weil er am Dorfsee angeln wollte und die Fische früh am Morgen am besten beißen. Mit der Angel in der rechten und einem Eimer in der linken Hand hatte er sich gerade auf den Weg gemacht, als er auf der Anhöhe über dem Dorf einen großen Schatten wahrnahm. Als er genauer hinsah, erkannte er die Reiter, die auf dem Weg hinunter zum Dorf waren. Er ließ sofort Angel und Eimer fallen und rannte zurück ins Dorf, so schnell er konnte. Und als er wieder bei den Häusern angekommen war, da rief er nach Leibeskräften:

„Sie kommen! Sie kommen!“

Obwohl noch fast alle Dorfbewohner in ihren Betten lagen, so wie auch Johannes und Gregors Familie, stimmten immer mehr Menschen in den Ruf des alten Habakuk ein. Sie sprangen aus ihren Betten, zogen sich schnell etwas an und liefen hinaus auf den Dorfplatz. Im Haus des Schmiedes war Marie die schnellste, flugs hatte sie ihr Kleid angezogen und rief immer wieder durch das ganze Haus:

„Die Banditen kommen! Die schwarzen Banditen kommen!“

Auch Johannes und Gregor waren schnell auf den Beinen und rannten nach draußen. Sie trugen noch ihre Nachthemden, rissen die gewaschenen Hosen von der Wäscheleine und zogen sie schnell an. Auf dem Dorfplatz hatte sich schon eine Menschenmenge gebildet, die Dorfbewohner wirkten nervös und angespannt und redeten wild durcheinander. Die schwarzen Reiter waren mittlerweile am Dorf angekommen. Etwa die Hälfte von ihnen bezog rings um das Dorf Posten, die andere Hälfte ritt in das Dorf hinein. Angeführt wurden sie von zwei Reitern, die etwas Abstand von den anderen hielten. Einen der beiden hatte Johannes schon am Vortag gesehen, es war derjenige, den Gregor immer Franco genannt hatte. Er war wieder ganz in Schwarz gekleidet, so wie alle anderen Reiter auch. Nur der Reiter, der an seiner Seite ins Dorf gekommen war, trug keine schwarze Kleidung. Dieser war auffallend bunt angezogen: Er trug einen purpur-roten Mantel mit goldenen Knöpfen und goldenen Schulterstücken, darunter eine weiße Reiterhose und beeindruckend glänzende Reitstiefel. Sein Hut war zwar auch schwarz, aber mit einem bunten Federbusch und einer Art Medaillon versehen. Sein Säbel war blank poliert und hatte einen goldenen, reich verzierten Griff.

„Der Papagei da ist der Admiral, der Anführer der Halunken“, flüsterte Gregor Johannes zu. „Er tut immer sehr vornehm, ist aber genau so ein Lump wie die anderen.“

Die beiden standen etwas abseits in der Nähe des Hühnerstalls, konnten aber gut sehen, was auf dem Dorfplatz vor sich ging. Franco und der Admiral stiegen von ihren Pferden, stellten sich mitten auf den Dorfplatz und sahen sich die Dorfbewohner an, die sich rund um sie versammelt hatten. Zwar waren die Dorfbewohner alle neugierig, achteten aber darauf, den Banditen nicht näher zu kommen als unbedingt nötig. Denn die Burschen wirkten allesamt verwegen und bedrohlich und man sah ihnen an, daß sie in ihrem Leben wohl kaum jemals einem Streit ausgewichen waren. Neben dem großen und dünnen Franco wirkte der Admiral eher klein und etwas dick, war aber durchaus schwungvoll vom Pferd abgestiegen. „Franco, wo ist der Bürgermeister unserer lieben Freunde?“, fragte der Admiral seinen Begleiter, „Er soll sich zu uns gesellen, wir haben doch zu reden!“

Franco gab zwei anderen Banditen ein Zeichen, woraufhin diese ebenfalls von ihren Pferden sprangen und zu dem Haus liefen, das wohl dem Bürgermeister gehören musste. Noch bevor sie am Haus angekommen waren, kam ihnen ein kleiner Mann mit fast kahlem Kopf und Schnurrbart entgegen, der sich noch im Laufen die Hose hochzog.

„Ich komme schon, Herr Admiral, ich komme schon!“, rief er Franco und dem Admiral zu. Die beiden abkommandierten Banditen nahmen ihn in Empfang und führten ihn zur Mitte des Dorfplatzes.

„Das ist der Bürgermeister Leopold, der größte Angsthase und Bückling im ganzen Dorf“, flüsterte Gregor wieder.

„Guten Morgen, mein lieber Leopold“, begrüßte der Admiral den Bürgermeister, zog dabei seinen Hut und deutet eine Verbeugung an. Auch der Bürgermeister verbeugte sich, einmal vor dem Admiral, einmal vor Franco.

„Herr Admiral, auch ich begrüße Euch“, begann er noch etwas außer Atem, „zu so früher Stunde haben wir Euch freilich nicht erwartet. Seid auch Ihr gegrüßt, Herr Franco!“

„Morgenstund' hat Gold im Mund, so heißt es doch bei euch fleißigen Bauern und Handwerkern, nicht wahr?“, antwortete der Admiral. „Meine Männer brauchen ab und zu auch einen frühen Ausritt, damit sie nicht träge werden. Ich hoffe, wir haben nicht Eure Nachtruhe gestört?“

„Aber nein, Herr Admiral, auch unser Tagwerk beginnt für gewöhnlich bei Sonnenaufgang, beim ersten Hahnenschrei.“

„Bestens, mein lieber Leopold, bestens! Denn wir müssen reden.“

Franco nickte zustimmend und befahl den erstbesten Dorfbewohnern, die ihm in den Blick kamen: „He, ihr beiden, wir brauchen einen Tisch und drei Stühle, bringt sie uns her!“

Die beiden waren offenbar Vater und Sohn und zögerten einen Moment, der Aufforderung des Banditen nachzukommen.

„Na los, worauf wartet ihr?“, setzte Franco nach, „Oder wünscht ihr vielleicht, daß euch meine Männer dabei behilflich sind?“

Das klang weit weniger freundlich, als man hätte meinen können. Es dauerte nicht mehr lange, bis die beiden Tisch und Stühle in die Mitte des Dorfplatzes gestellt hatten und sich der Admiral, Franco und der Bürgermeister hingesetzt hatten und miteinander zu reden begannen.

„Los, Johannes, wir gehen näher heran, hier kann man sie nicht verstehen. Ich will wissen, was sie besprechen“, sagte Gregor zu Johannes. Mutter Grethe, die mit Jakobus und Marie mittlerweile auch vor dem Haus stand, wollte die beiden noch zurückhalten, schaffte es aber nicht mehr. Gregor und Johannes gingen weiter nach vorne bis sie hören konnten, worüber am Tisch geredet wurde.

„Bürgermeister, wir waren lange nicht bei Euch im Dorf zu Gast, da dachten wir, es wäre wieder einmal Zeit. Und wie es der Zufall so will, sind unsere Vorräte fast alle aufgebraucht“, begann der Admiral. „Wir haben in den nächsten Wochen viel vor und meine Männer werden hungrig und durstig sein und brauchen dieses und jenes. Ich hoffe, ich kann wieder auf die Hilfe Eures Dorfes zählen?“

„Gewiss könnt Ihr das, Herr Admiral, gewiss. Was können wir für Euch tun?“

„Nun, wir brauchen das Übliche: Mehl, Zucker, Wein, Kartoffeln, Kleidung, Leder - Ihr wisst schon, allerhand Zeug des täglichen Bedarfs. Franco hat die Männer nach ihren Wünschen gefragt und alles notiert. Zeig' dem Bürgermeister die Liste, Franco!“

Franco griff in seine Manteltasche und reichte dem Bürgermeister ein großes Stück Papier. Der Bürgermeister sah sich die Liste an, griff sich ans Kinn und machte einen nachdenklichen Eindruck. Ein Kätzchen lief in diesem Augenblick quer über den Dorfplatz hinüber zu dem Tisch, an dem die drei saßen. Der Admiral nahm es, setzte es sich auf den Schoß und begann, ihm den Nacken zu kraulen.

„Das ist sehr viel, Herr Admiral, soviel haben wir heute gar nicht hier, versteht Ihr, allein die zwölf Säcke Mehl, die müssen wir doch erst noch mahlen“, murmelte der Bürgermeister und blickte dabei starr auf das Blatt Papier.

„Ich weiß, mein lieber Leopold, deswegen kommen wir auch in sieben Tagen wieder, bringen ein oder zwei Pferdewagen mit und holen dann alles in Ruhe ab. Solange habt Ihr Zeit, alles vorzubereiten. Das werdet Ihr doch schaffen? Wir wollen doch beide nicht, daß meine Männer enttäuscht und vielleicht wütend werden, was meint Ihr?“, erwiderte der Admiral und lächelte den Bürgermeister an. Einige der Banditen, die sich im Dorf aufgebaut hatten, fanden das offenbar lustig und lachten.

„Nein, nein, gewiss nicht, sieben Tage müssten reichten, Herr Admiral“, beruhigte der Bürgermeister den Admiral und nickte eifrig.

„Das freut mich. Euer Dorf kann sich glücklich schätzen, einen so klugen Bürgermeister zu haben, der schnell erkennt, was das Beste für das Dorf ist und dafür sorgt, daß die ihm anvertrauten Bürger auch entsprechend handeln.“

Der Admiral hob seinen Hut und fuhr sich durch das Haar. Dabei schweifte sein Blick durch das Dorf und da erblickte er Gregor und Johannes.

„He, du Junge dort, komm' doch bitte einmal zu uns!“, rief er zu den beiden hinüber und winkte Johannes zu sich. „Ja, du mit den blauen Hosen!“.

Johannes wusste einen Moment lang nicht, was er tun sollte.

„Los, geh schon, sonst gibt es noch Ärger“, sagte Gregor und schob Johannes etwas nach vorne. „Geh' einfach zu ihm hin, keine Angst zeigen.“

Johannes überlegte nicht lange genug, um Angst zu bekommen und ging zum Tisch hinüber, wo der Admiral auf ihn wartete.

„Ein erstaunliches Beinkleid trägst du da“, stellte der Admiral fest. „Das Tuch ist von enormer Festigkeit und das Blau geradezu enorm! Sag, wie nennt sich dieser Stoff, mein Sohn?“

Johannes hatte sich darüber noch nie Gedanken gemacht, schließlich war zumindest für ihn die Hose die normalste Sache von der Welt.

„Das ist eine Jeans-Hose, nichts besonderes“, antwortete er entsprechend knapp. Johannes bemerkte, daß sowohl der Admiral als auch Franco eine Tätowierung in Form eines Wappens mit gekreuzten Säbeln am Unterarm trugen. Das musste das Zeichen der Banditen sein, das auch Gregor bei ihrer ersten Begegnung an seinem Arm gesucht hatte. Der Admiral zog die Augenbrauen hoch und nickte.

„So, so, eine Dschiehns-Hose und nichts besonderes. Das ist mir neu, euer Dorf versteht sich wirklich auf sein Handwerk. Wie du sicher bemerkt hast, bevorzuge ich im Gegensatz zu meinen Männern durchaus farbenfrohe Kleidung, schließlich ist das Leben oft grau und trüb genug. Und dieses Blau finde ich äußerst kleidsam. Franco, ergänze bitte die Liste: Eine, oder besser gleich zwei, von diesen Dschiehns-Hosen für meine Wenigkeit.“

Dabei erhob er sich und gab Johannes das Kätzchen. Er wandte sich noch einmal dem Bürgermeister zu: „Sieben Tage, mein Bester, vergesst es nicht. Und jetzt, meine lieben Leute, nehmt ein gutes Frühstück, der Tag ist noch lang.“

Er gab seinen Leuten ein Zeichen, schwang sich auf sein Pferd und grüßte die Dorfbewohner noch einmal mit gezogenem Hut. Auch Franco stieg auf sein Pferd, zog seinen Säbel und rief laut in die Runde:

„Sieben Tage, sieben Tage – und heute ist schon der erste!“

Einen Moment später hatte die ganze Bande das Dorf wieder genau so schnell verlassen, wie sie gekommen war. Johannes stand immer noch mit dem Kätzchen auf dem Arm neben dem Tisch, während der Bürgermeister weiter auf die jetzt um einen Punkt längere Liste starrte. Die Dorfbewohner sahen den Banditen nach, die gerade über die Anhöhe hinweg ritten und danach außer Sicht waren. Einige von ihnen gingen hinüber zum Bürgermeister, um auch zu sehen, was die Banditen alles auf die Liste gesetzt hatten. Die anderen gingen nachdenklich zurück zu ihren Häusern, so wie auch Gregor und Johannes es taten.

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