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B. Zulässigkeit des Vertragsverletzungsverfahrens
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Fall 1:[8]
Im August 2017 nahm die Europäische Kommission eine Untersuchung wegen eines möglichen Verstoßes der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gegen die Verpflichtungen aus den Verträgen auf. Dabei stellte sie fest, dass der Zugang zum Beruf des Notars in Deutschland nur deutschen Staatsangehörigen eröffnet ist (sog. Nationalitätsvorbehalt). Dies verstieß nach Ansicht der Kommission gegen den Diskriminierungsschutz der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).
Ohne zuvor den Dialog mit der BRD zu suchen, forderte die Kommission die BRD im November 2017 auf, sich zu dem vorgeworfenen Verstoß innerhalb einer Frist von zwei Monaten zu äußern. Dabei legte die Kommission schriftlich die Tatsachen und wesentlichen Rechtsgründe dar, die aus ihrer Sicht zu einer Verletzung der genannten Vorschriften führen. Ferner teilte sie mit, dass mit diesem Schreiben ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die BRD eingeleitet werde. Die BRD reagierte auf das Kommissionsschreiben nicht.
Im Februar 2018 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Dabei wiederholte sie zunächst, dass der Nationalitätsvorbehalt einen Verstoß gegen den AEUV darstelle. Ferner führte sie erstmals aus, dass auch der sog. Tätigkeitsvorbehalt, d.h. der Vorbehalt der in der Bundesnotarordnung geregelten Tätigkeiten zu Gunsten von Notaren, einen Verstoß gegen den AEUV darstelle. Die Kommission setzte der BRD in ihrer Stellungnahme eine Frist von zwei Monaten zur Beseitigung dieser beiden Verstöße. Die BRD reagierte abermals nicht, informierte die Kommission jedoch Anfang Mai davon, dass durch eine lange geplante und zum 1.5.2018 in Kraft getretene Gesetzesnovelle des Notarwesens der Nationalitätsvorbehalt entfallen sei. Mit der Gesetzesänderung sollte der Notarberuf attraktiver gemacht werden. Dennoch erhob die Kommission Mitte Mai 2017 Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.
Im Laufe des Verfahrens erwiderte die BRD auf die Klage der Kommission, dass der Vorwurf hinsichtlich des Tätigkeitsvorbehaltes schon deswegen unzulässig sei, weil er erst in der begründeten Stellungnahme erhoben worden sei. Die BRD habe sich zuvor dazu überhaupt nicht äußern können, zumal die Kommission auch treuwidrig von der Durchführung des üblichen Pilotverfahrens abgesehen hätte. Der Nationalitätsvorbehalt sei mittlerweile ohnehin nur noch Rechtsgeschichte.
Die Kommission hielt in ihrer weiteren Erwiderung entgegen, dass es allein in der Entscheidungsbefugnis der Kommission liege, wann und wie sie ein Vertragsverletzungsverfahren führe. Geklagt werden könne auch ohne vorhergehendes Pilotverfahren. Jedenfalls habe die BRD genügend Gelegenheit, sich vor dem Gerichtshof zu dem Vorwurf hinsichlich des Tätigkeitsvorbehalts zu äußern.
Ist die von der Kommission gegen die BRD erhobene Klage zulässig?