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III. Ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens

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Das Vertragsverletzungsverfahren ist nur dann zulässig, wenn dem beklagten Mitgliedstaat zuvor im Rahmen eines Vorverfahrens die Gelegenheit gegeben wurde, sich zu dem Vorwurf, Unionsrecht verletzt zu haben, zu äußern. Souveränitätsschonend soll so auf diplomatischem Weg ein potentielles „Anprangern“ des betreffenden Mitgliedstaats verhindert werden. Insofern bezweckt das Vorverfahren, Konflikte im Vorfeld gerichtlicher Auseinandersetzungen politisch zu lösen, indem der Staat einen eventuellen Verstoß abstellen oder sich gegen den Vorwurf zur Wehr setzen kann. Eine weitere wichtige Funktion des Vorverfahrens ist die Festlegung und Beschränkung des prozessualen Streitgegenstands.[12] Dem Vorverfahren kommt insgesamt also eine Warn- und Filterfunktion zu.[13]

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Noch vor Einleitung des Vorverfahrens der Aufsichtsklage versucht die Kommission, die einzelnen Vorwürfe in einem primärrechtlich nicht vorgesehenen informellen schriftlichen Austausch mit dem zuständigen Ministerium des betreffenden Mitgliedstaats auszudiskutieren. Dieses Pilotverfahren verfolgt das Ziel, die Streitigkeiten über die von der Kommission vermutete Vertragsverletzung mit Hilfe eines vertraulichen Schriftwechsels beizulegen. Ein etwaiges Einlenken der Mitgliedstaaten kann so unter Ausschluss der Öffentlichkeit und insbesondere der Medien stattfinden; dies ist wohl der effizienteste Weg einer außergerichtlichen Einigung. In der Praxis werden häufig sog. Paketsitzungen einberufen, bei denen Beamte der Kommission und des betroffenen Mitgliedstaats gemeinsam nach einer Lösung für das Problem suchen. Das offizielle Vorverfahren wird erst nach Scheitern des Pilotverfahrens eingeleitet.[14]

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Ausnahmsweise entfällt in beihilferechtlichen Streitigkeiten das Vorverfahren nach Art. 108 II UA 2 AEUV, wenn das förmliche Prüfverfahren mit einem Negativbeschluss der Kommission endet. Dann können die Kommission oder von der Beihilfe betroffene Staaten unmittelbar Klage erheben. In diesem Fall beschränkt sich der Klagegegenstand auf die Nichtbefolgung des Kommissionsbeschlusses. Der beklagte Mitgliedstaat kann sich nur damit verteidigen, dass er den Beschluss nicht (mehr) befolgen muss. Eine inhaltliche Rechtmäßigkeitsprüfung des Kommissionsbeschlusses findet nicht statt.[15] Dafür müsste der betroffene Mitgliedstaat eine Nichtigkeitsklage erheben.

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