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Morgengrauen

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Im Morgengrauen erhob sich Toromic leise. Shana schlief noch, und auch der kleine Bormic und sein Schwesterchen Nadsil schnarchten friedlich vor sich hin.

Toromics Leibsklave, Salunar, betrat die Hütte und half seinem Herrn beim Ankleiden. Toromic stieg in eine Wildlederhose, die er in der kalten Jahreszeit den bunten Braccae vorzog, die er während des Sommers zu tragen pflegte. Die gewebten Röhrenhosen waren für den Winter nicht geeignet. Anschließend warf er ein langärmeliges Hemd über und schlüpfte in seine Gamaschenstiefel. Er steckte das Hemd in die Hose und legte einen eisernen Gürtel an, während Salunar die Stiefel schnürte. Nachdem die Kleidung angelegt war, gingen Herr und Sklave zu dem Waffenpodest, das in einer Ecke der Hütte stand. Toromic ließ sich sein Hiebschwert reichen und seinen Wintermantel umhängen. Es war ein edles Stück, über und über mit bunten Karomustern bestickt, die Ränder goldverstärkt und rund um die Schulterpartie feinstes Biberfell genäht. Zusammengehalten wurde er von zwei mächtigen, goldenen Fibeln, die vor der Brust zusammengesteckt wurden. Er warf einen letzten Blick zu Shana und den Kindern hinüber, sah, dass sie noch immer schliefen, und verließ die Hütte.

Ein grauer Morgen empfing ihn.

Während er durch die Gassen der Siedlung auf das Versammlungshaus zuschritt, erwachte um ihn herum das Dorf zum Leben: Sklaven begannen, Holz zu schlagen, während Unfreie, meist Handwerker oder Viehzüchter, das Vieh aus den Ställen zum Fluss hinunter trieben, wo die kurzhornigen Rinder Auslauf hatten und unter Aufsicht grasten. Schweine und Ziegen wurden gefüttert, und einige Frauen brachen gerade die Lehmversiegelung eines Vorratsschachtes auf, um ihm das unter der luftdicht abschließenden Tonschicht haltbar gemachte Getreide zu entnehmen. Von den Hüttendächern stieg Rauch auf, was auf die Zubereitung der ersten Mahlzeiten hindeutete. Toromic grüßte eine Gruppe von Kriegern, die gerade von der Wachablösung kamen, und lächelte über andere, die beim gestrigen Gelage offensichtlich kein Ende gefunden hatten und mit aufgedunsenen Gesichtern ihren Vorhaben nachgingen.

An einem Holzgestell neben dem Versammlungshaus hing, kopfüber und mit heraushängender Zunge, der Grund von Toromics Sorgen. Der Häuptling blieb stehen und besah sich den Fang der gestrigen Jagd eingehend: Der Hirsch war im besten Alter. Ein kräftiges Tier, mit stattlichem Geweih und robustem Knochenbau. An Toromics innerem Auge zogen noch einmal die Geschehnisse des vorherigen Tages vorüber. Kurz fragte er sich, ob die Jagdgemeinschaft nicht etwas zu ängstlich reagiert hatte. Doch dann schüttelte er entschieden den Kopf. Nein, eine solche Anzahl von Treffern konnte kein normales Tier überleben, unmöglich! Tarcic würde herausfinden, was es mit der Sache auf sich hatte.

Er wandte sich von dem toten Tier ab und ging auf den Eingang des Versammlungshauses zu. Zufrieden sah er an seinem Herrschersitz empor. Er war sein ganzer Stolz. Nachdem er die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, war seine erste Amtshandlung der Bau eines neuen, größeren Versammlungshauses gewesen. Die Abordnungen anderer Stämme mochten wissen, wie groß seine Rinderherde war, und seine Tapferkeit auf dem Schlachtfeld wurde gepriesen, doch das Versammlungshaus - sein Regierungssitz - kündete weithin sichtbar von der Macht, die er innehatte.

Noch einmal wanderte sein Blick zu dem kuppelförmigen Dach empor. Wie lange es wohl stehen würde? Ob sein Sohn, Bormic, eines Tages ein noch Größeres würde bauen lassen?

Er schüttelte die Gedanken ab. Es gab Wichtigeres zu tun. Er betrat das Versammlungshaus durch einen kurzen Vorgang. Nachdem er ihn durchschritten hatte, tat sich vor ihm das hallenartige Innere des Gebäudes auf. Sein Blick fiel zuerst auf die große Feuerstelle, die in der Mitte des Rondells eingelassen war. Hinter dieser befand sich, zur Rückseite des Gebäudes hin, der Häuptlingssitz. Sein Thron, ein aus dunklem Holz gezimmerter, mit Bärenfellen bedeckter Stuhl, dessen Armlehnen in filigran gearbeitetem Kupferblech eingefasst waren, und dessen Lehne ein stilisierter Widderkopf krönte, war die einzige erhobene Sitzgelegenheit im ganzen Gebäude. Alle übrigen Clanangehörigen saßen bei Versammlungen, je nach Rang, auf Fellen oder mussten an den Wänden des Gebäudes stehen.

Toromics Blick wanderte von der Feuerstelle aus über den festgestampften Boden bis zu den dunklen, lehmverputzten Wänden, die nach beiden Seiten hin zurückzuweichen schienen. Sie ragten einige Meter empor. Schräg über sie hinweg, nach innen auf die Kuppel zu, verlief das riedgedeckte Dach, unter dem sich ein großes Holzgestell befand. An diesem hingen, zum Beweis der Tapferkeit und Kampfkraft der Krieger des Clans, die Schädel getöteter Feinde.

Ein wachhabender Krieger kam herbei.

„Sei gegrüßt, Carduc, gibt es etwas zu berichten?“ fragte Toromic.

„Es ist nichts vorgefallen, es war eine ruhige Nacht, mein Ri.“

„Gut. Begib dich zu den Edlen und teile ihnen mit, dass Tarcic in den frühen Abendstunden die Runen befragen wird. Ich berufe hiermit die Versammlung ein.“

„Ja, mein Ri“, antwortete Carduc und eilte davon.

Toromic blickte ihm nach. Carduc war von der Order nicht überrascht gewesen. Der Häuptling wusste, dass die Teilnehmer der gestrigen Jagd, beim Gelage und später bei ihren Familien von der Jagd erzählt haben mussten. Nach großen Mengen Met und Bier lösten sich immer die Zungen. Dann machten Sagen und Legenden die Runde und bald auch Spekulationen.

Doch damit war nun Schluss. Jetzt würde bekannt werden, dass Tarcic, der Bruder des Ri, der in der großen Schlacht gegen die Caledonier so schwer verwundet worden war und nach seiner Genesung von den Göttern die Gabe des Sehens empfangen hatte, die Runen befragen musste.

Toromic hätte alles getan, um die Zeremonie zu vermeiden. Doch nach diesem Zeichen, blieb ihm keine Wahl. Wo, bei den Göttern, waren nur die Eichenkundigen?

DER KELTISCHE FLUCH

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