Читать книгу 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener - Страница 74
ОглавлениеIsabelle Thier
Lautloses Ertrinken
Und wieder sind es nur Worte. Worte, die das kleine Herz wie ein Messer durchdringen. Die Augen füllen sich mit Tränen und weichen dem hasserfüllten Blick seines Gegenübers aus. Tränen laufen über seine Wangen, als es sich in die hinterste Ecke seines Zimmers verkriecht. Dort bleibt es sitzen. Die Arme um die Beine geschlungen. Leise. Ganz leise, damit es niemand hört. Es klopft an der Tür. Das Kind schreckt auf und bindet sich schnell seine zerzausten Haare zusammen. Die Tür geht auf. Es betrachtet schüchtern die Silhouette. Ein Lächeln ziert das runde Gesicht und ein freundlicher Blick lässt seine Augen aufleuchten, als wäre nichts gewesen. Doch was ist in ihm drin, ganz tief in seiner Seele? Es richtet sich auf und geht nach draußen. Wieder sind es nur Worte. Worte, die treffen. Worte, die Narben hinterlassen. Es senkt den Blick, damit niemand die Träne sieht, die ihm wie kurz zuvor über die Wange läuft.
Rede, kleines Kind! Rede! Ich werde dich beschützen. Aber das Kind schweigt. Traurig sitzt es da. Die Hände unter dem Tisch im Schoß vergraben. Warum sagst du nichts? Sag etwas! Ich werde dir nichts tun. Aber das Kind schweigt. Es steht auf und geht. Bleib hier! Doch es hört mich nicht.
Blass sieht es aus. Ganz blass. Nur die Lippen in einem zarten Rosa. Eingehüllt in einer weichen Decke liegt es auf seinem Bett. Steh auf! Steh auf und rede mit mir! Wo sind dein Mut, deine Hoffnung? Wo ist deine liebende Kraft, die nicht nur andere, sondern auch dich selbst schützt? Steh auf und geh mit mir. Geh mit mir bis ans Ende der Welt. Weil ich dich liebhabe. Los, steh auf! Aber das kleine Kind regt sich nicht. Steht nicht auf. Seine Hände sind kalt. Die Augen geschlossen. Friedlich sieht es aus.
Kommentar: Rätselhaft, aber berührend.