Читать книгу 4. Bubenreuther Literaturwettbewerb 2018 - Christoph-Maria Liegener - Страница 78
ОглавлениеTherie Enn
DIE GESCHICHTE,
DEREN TITEL AM ENDE STEHT
Denn am Anfang war Honig gewesen, der weiche, welcher auf zarthäutige Fingerlein tropft, durch Poren viel zu dünn geschnittenen Brotes, mit reichlich Würze von Großmutter gebacken, jener ahnungslosen Alten, die in der blühenden Mitte des Lebens an Diabetes erkrankt war. Sicher dem Honig geschuldet! Ich HASSE weichen Honig.
Aylins Honig klebt. Die wahre Süße. Der Geschmack des Todes. Das ist JETZT.
Was Mutter von Großmutter geerbt hatte? Die lehrersüße Stimme an meinem Ohr und in meinem Ohr, salbungsvoll „Christian“ hauchend, und: „Pflege dir stets dein wunderbar seidiges Haar!“, während meine Honighand in den fast schon erwachsenen, immer noch seidigen blonden Flaum gefahren war. Ich HASSE Seidenhaar. Ich HASSE Lehrer. Ich HASSE Christian.
Ich bin nicht Christian. Das ist JETZT.
Der ‚Geschorene‘ – das war ich gewesen. Nicht in der Lehrersprache der Kerzelmeier. Ihr hatte Mutter nämlich berichtet. Alles. Von dem Seidenhaar. Von dem Honig im Seidenhaar. Sicher auch von meinem Zorn.
Hannes hatte den ‚Geschorenen‘ erfunden. Das war auf jenem Jungscharlager gewesen, als die Kerzelmeier zusammen mit dem Pfarrer Wein getrunken, den Geschorenen zum Strafdienst – vierundzwanzig Matratzen klopfen – eingeteilt und später erläutert hatte, Hannes wäre jener, der nach einem Johannes benannt war, welcher behauptet hätte, am Anfang wäre das Wort gewesen.
Das stimmt nicht: Am Anfang war der Honig.
Ich bin nicht der Geschorene. Das ist JETZT. Ich HASSE Wein. Ich HASSE Pfarrer. Ich HASSE die Kerzelmeier. Ich HASSE alle Verpfafften. Ich HASSE Johannes.
Hannes hatte es nie erfahren. Nicht unter den weinglasigen Augen der Kerzelmeier und nicht – dem Wunsch meiner Torten backenden Mutter folgend – als Gast in unserem Hause, zum Kakao geladen, wenn auch dem einzigen Zweck, nämlich der mathematischen Erbauung, folgend. Nicht am Anfang war das Wort gewesen. Am Schluss. Hannes hatte immer das letzte Wort gehabt. Erziehungslos, will ich heute meinen – im Gegensatz zu mir. Meine Höflichkeit war vorbildlich gewesen.
Und auch Mutter hatte es nie erfahren, dass ich Hannes töten hätte können, mit dem Messer aus der Gemeinschaftsküche, am Jungscharlager. Denn Mutter war in den Tagen, als wir nach langen Abenden – Vater hatte diese fern von uns mit Chantal zugebracht – das honigsüße Land gegen die bitter-staubigen Hochhäuser der Stadt getauscht hatten, mit viel süßsaurem Weichsellikör so sehr beschäftigt gewesen, dass ihr rundum und vor allem im Gehirn der Sinn für meine Fragen zur Sinnlosigkeit gefehlt hatte.
Chantal. So heißen alle blonden Huren, die, getarnt als Sekretärinnen, gelangweilten Vätern und Ehemännern lauwarmen Prosecco als Stimulans in den Hosenschlitz gießen.
Ich HASSE Vater. Ich HASSE Prosecco. Ich HASSE Chantal. Ich HASSE Huren.
„Du sollst …“ – und ich sollte mir kein Bild machen. Nicht in Schwarz, wie ich es liebe, und nicht in Honiggelb. Nicht von Vätern, nicht von Huren, nicht von Gott, oder Allah, oder Jehova – und auch nicht von unserem schönen, friedlichen Hügelland. „Verschwende nicht deine Zeit mit dieser stumpfsinnigen Malerei!“, waren Mutters Worte durch öligen Likör über geschwollene Lippen geflossen.
Aylin hat meine Bilder schön gefunden. „Du brauchst sie nicht mehr“, hat sie durch Schwarz hindurch gemurmelt. Aylin braucht keine Farbe. Aylin ist keine Hure.
Bilder, die der Welt erklären…
„Bilder erklären nichts! Bilder ändern nichts! Bilder machen die Welt nicht besser. Taten sind es, die Heil schaffen.“ Das hatte Mahmud gesagt, Aylins Bruder. Male nicht! Handle!
Ich HASSE meine Bilder.
Mahmud hat große Ohren – und einen Glauben. Er hört mir zu – und er glaubt an mich. Seine Idee, meine Idee, sind eins. Wenn alle gut sind, wird alles gut werden. Mahmud, Aylin, ich – wir werden zusammen in das Honigland ziehen.
Aylin ist keine Hure. Aylin hat mich – mich allein – unter die Burka gelassen.
Diese andere Frau – sie steht JETZT in der Tür – spricht Worte ohne Sinn: „Christian, willst du heute mit mir zum Konzert auf den Weihnachtsmarkt gehen?“ Christian bin nicht ich. Ich bin Yasin. Das bedeutet ‚Herz des Korans‘. Mein Name hat mir Bedeutung geschenkt. Diese andere Frau ist nicht meine Mutter. Die Antwort ist: „Nein.“ Sie ist eine Ungläubige. Sie ist eine Hure.
Mahmud ist mein Prophet. Mahmud hat das Auto geholt. Wir werden die Welt von den Ungläubigen befreien. Mahmud hat das Komplizierte einfach gemacht. Sie werden uns erschießen. Heute. Wenn wir mit dem großen Auto kommen. Auf den Platz, den die Ungläubigen „Weihnachtsmarkt“ nennen.
Aylin, Mahmud, ich. Ich LIEBE Aylins festen Honig. Wir werden zusammen in das Honigland gehen.
Allahu akbar. Das ist JETZT. Am Ende, der mein Anfang ist:
Ich, Yasin, ein Terrorist.
Kommentar: Erschreckend.