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Оглавление2.0. „Crashkurs“ Orientierungswandel - Überblick über das Kapitel
Regelmäßige Orientierungskrisen – und ihre Beendigung
Die moderne Zivilisation erfährt – in ganz festen Zeitabständen – Orientierungskrisen: 1915-1950; ebenso hundert Jahre zuvor: 1815-1850; ebenso wiederum hundert Jahre früher usw.
Und da sich diese Zyklen nicht beschleunigt haben, muss es auch heißen: 2015-2050. Nicht wenige Anhaltspunkte zeigen uns, dass die Zeiten derzeit schon „in Bewegung geraten“.
Immer am Ende einer Krisenphase (also zur Jahrhundertmitte) tritt eine substanzielle Besserung ein: eine nachhaltige Stabilisierung und Beflügelung der Gesellschaft.
Denn Orientierungskrisen münden nicht etwa in Chaos, sondern in eine Neuorientierung; mit dieser setzt sich eine neue, richtunggebende Grundhaltung durch – mit multiplen Vorteilen.
Exkurs zu unserer Zeit: Produktive Orientierungskrisen
Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass Orientierungskrisen Hochphasen der Innovation, der Produktivität, des Lernens, der freien Kreativität sind. Und wie stabil, wie „krisenfest“ Staat, Gesellschaft und Wirtschaft in dieser Zeit bleiben – das liegt ganz wesentlich an uns selbst. Orientierungskrisen sind eine Zeit, die uns tief herausfordert – nicht mehr; nicht weniger.
Tief geprägte Wirtschaft
Wie man immer genauer sehen wird, kann sich auch die Wirtschaft nicht von diesen „Situationsmerkmalen“ des Menschseins freimachen – und vielleicht die Wirtschaft sogar am wenigsten; einfacher gesagt: Sie wird davon sehr beeinflusst. Letztlich erweist sich dies als die verborgene Ursache der Wirtschaftszyklen.
Wir identifizieren die Ursache also in einem Geschehen, das außerhalb der Wirtschaft liegt: im Orientierungswandel. Aber die Wirtschaft ist tief geprägt davon. Und tatsächlich finden damit charakteristische Wandlungen in der Wirtschaft – Zeiten der Hochkonjunktur, stagnative Zeiten – eine Erklärung.
Auswirkung auf alle Bereiche der Zivilisation
Diese Orientierungszyklen beeinflussen nahezu alle Lebens- und Tätigkeitsbereiche.
Orientierungswandel ⇒ Wirtschaft
Orientierungswandel ⇒ Politik
Orientierungswandel ⇒ Gesellschaft
Orientierungswandel ⇒ Künste
Orientierungswandel ⇒ Medien
Orientierungswandel ⇒ Religion
usw.
Alle Bereiche erhalten so eine verwandte Struktur des Wandels – die nicht aus ihnen kommt, sondern allein durch die Logik des Orientierungswandels (mit seiner klaren, differenzierten Strukturierung).
Die weitere Analyse dieser Struktur mündet in ein genaueres Bild des Phasenzyklus. Dieser sei schon einmal kurz vorgestellt:
Zur Gestalt und Logik der Zyklen
1 Phase (1950ff; oder: 1850ff; oder: 1750ff): Immer zur Jahrhundertmitte vollzieht sich eine Neuorientierung: Eine neue Grundhaltung – die sich seit Jahrzehnten vorbereitet hat – setzt sich endgültig als neue Konsensgrundlage (= Verhaltens-, Vertrauens- und Funktionsgrundlage) der Zivilisation durch. (In unserem Fall: Weniger ideologisch, pragmatischer; freiheitlicher, auf gemeinsamen Wohlstand ausgerichtet. Verpönung von Extremismus.) Das bewirkt eine ungeheure Stabilisierung wie Beflügelung; die Zivilisation erhält eine neue gute Richtung für ihre Entwicklung.
2 Phase (1960ff und analog): Eine Zwischenphase, die die Modernisierung intensiviert. Folge: Man lernt diese Welt, die durch die neue Grundhaltung eröffnet wurde, viel genauer kennen. – Nun stellt sich eine Folgeerfahrung ein: Bestimmte Bindekräfte wirken nicht mehr (was die dritte Phase herbeiführt).
3 Phase: Aufbruchs- wie Krisenphase (1965ff): In jedem Zyklus beginnt hier eine Krisenphase: Denn man stellt fest, dass traditionelle Orientierungs-Erwartungen nicht mehr so erfüllt sind, wie man es bislang für selbstverständlich und unverzichtbar gehalten hat (die jedoch, analytisch gesprochen, von der Grundhaltung nicht mehr unterstützt werden). Zwei Wirkungen treten ein: Man empfindet ein Plus an Freiheit – aber auch ein Minus an Orientierung (Einbindung, Sinngebung) bisherigen Typs. – Zunächst sucht man intensiv nach neuen Wegen – um das alte Gefühl zurückzubekommen. Dann fällt dieser Aufbruch zusammen. 1973ff: Typisches stagnatives Stadium. Letzteres führt, im Laufe der Jahre, zur unmerklichen Gewöhnung daran, dass bestimmte Orientierungs-Ansprüche (Erwartungen) nicht mehr erfüllt sind.
4 Phase (1985ff): Kleine Neuorientierung: Man gibt jene Ansprüche preis – erhält ein ernüchterteres, aber „realistischer“ gewordenes Lebensgefühl, bejaht die bestehende Grundhaltung. Die Orientierungsansprüche alten Typs werden verpönt; im Falle unseres Zyklus (der 1950 begonnen hatte) war dies der Anspruch auf eine traditionell-einbindende (geschlossene) Gesellschaft, die ihren Mitgliedern – über das Versprechen auf Wohlstand hinaus – individuellen Sinn und starke Motivation gibt.
5 Phase: Wieder eine Zwischenphase der intensiven Modernisierung (jetzt aber eine sehr lange, 1995-2015) – entsprechend der nüchterneren, äußerlicheren Haltung, die man in der 4. Phase gewonnen hatte. Folgeerfahrung: Man landet in einer bemerkenswert „post-traditionellen Welt“.
6 Phase (2015ff): Aufbruchs- wie Krisenphase. Hochinnovativ. Als Erklärung dafür:Man ist einerseits zu modern geworden – im Sinne von zu ausgedünnten Wertegrundlagen. Genauer: Zwar existiert die Grundhaltung von 1950 weiter – doch die sie begleitenden und ergänzenden traditionellen Werte wurden zu sehr ausgedünnt: Das „Gesamtpaket“ an Orientierung ist folglich zu geringfügig. Zweifel an der Erfolgssicherheit der Zivilisation schleichen sich ein – gleichzeitig erlebt man ein Befreiungsgefühl, aber auch Belastung durch Unsicherheit wie ein Gefühl zu geringer individueller Wertschätzung.Andererseits ist man eben noch nicht modern genug: Man ist zwar eine intensiv lernende Zivilisation (Krisenphasen sind wahre Crashkurse für kollektive Fortschritte) – aber man ist noch nicht bei einem neuen Grundkonsens angekommen. Man ist erst auf dem Weg dorthin.
Ergänzung: Diese 6. Phase hat typische Stadien.
Eine weitere Ergänzung zum gesamten Phasenzyklus: Jede Phase hat ihr typisches, auch kulturelles Gepräge. Und die meisten haben eine ausreichend gute „Grundstimmung“ für Gesellschaft, Wirtschaft, Politik; das gilt selbst für die meisten Stadien der 6. Phase!
Die Phasen 1-3 wie die Phasen 4-6 weisen übrigens in ihrer Abfolge deutliche Entsprechungen auf (halbanaloge Dreiergruppen).
Damit zu einer beruhigteren und weniger gedrängten Darstellung dieser Sachverhalte.